Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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7.

Wie langsam es ging, wie lange es dauerte!

Zwar hatte sie das Fieber. Sie hatte es in jener Nacht bekommen, in der das Feuer erloschen war. Aber sie war solche zähe Natur; sie stellte dem Würgegeist solche Kraft, solchen Widerstand entgegen; sie hatte ihren einzigen Sohn so lieb; sie wollte nicht krank werden, wollte nicht sterben – ihres lieben Sohnes willen, damit er nicht mutterseelenallein bleibe auf der Welt.

Wie sie kämpfte mit dem Todesübel! Und wie langsam es ging, wie lange es dauerte!

Aber sie wurde doch zusehends schlechter und schwächer, Vico sah es. Bevor die Fieberschauer noch da waren, wußte er bereits: jetzt werden sie kommen. Wie das Fieber sie schütteln wird, wie sie leiden muß!

Und kamen sie dann mit solcher Gewalt, daß es die Frau fast zu Boden riß, so fühlte sich auch Nico von Schauern gefaßt, von Schauern des Grausens – der Hoffnung. Aber immer wieder erholte sie sich, immer wieder wurde er in seinen Hoffnungen getäuscht.

Sie wollte Medizin nehmen – ihrem Sohn zuliebe, damit sie für ihn leben blieb. Er sollte am Sonntag nach Palästrina gehen, um in der Apotheke Chinin zu laufen. Das Chinin würde helfen.

Am nächsten Sonntag ging er nach Palästrina und unterwegs begegnete er der Romana. Er sagte ihr, daß seine Mutter das Fieber hatte, daß er zur Apotheke ging, daß seine Mutter also wieder gesund werden, daß es nun sehr lange dauern würde, bis er ihr den Goldschmuck kaufen konnte.

»Warum wird es jetzt so lange dauern?«

Das Chinin würde ihr helfen. Das war nun nicht zu ändern.

Nun ja, das Chinin! Durch Chinin wurde jeder gesund. Er sollte sich freuen, daß seine Mutter wieder gesund würde. Hoffentlich wäre das Chinin auch wirkliches Chinin; in vielen Apotheken verkauften sie statt dessen nur Mehl. Mehl war billig und Chinin sehr teuer. Wenn man dem Apotheker sagte, daß man nicht viel zahlen konnte, höchstens eine Lire, so bekam man statt des helfenden rettenden Chinins nur bitteres Mehl. Vico sollte um die Arznei mit dem Apotheker ja nicht handeln; sonst sei seine Mutter verloren – rettungslos verloren.

Nein, ja nicht! Nein, nein! Sie mußten mit der Hochzeit eben noch warten, noch lange!

Aber darüber lachte sie nur. Sie lachte wieder wie toll, daß ihre Zähne blitzten. Vico ward dabei zu Mut, als müßte er sie an sich reißen und ihr Lachen ersticken – mit seinen Küssen. Er fühlte etwas in sich wie Tollheit.

Unter dem steilen Berge, darauf Palästina breit und schimmernd über einem Kranze von Weinfeldern und Olivengärten sich lagert, trennten sie sich. Ihr tolles Lachen im Blute, stieg Vico den Berg hinauf. Die Sonne brannte, daß sein Kopf glühte, daß er vor Schmerzen nicht mehr denken konnte.

Dann kam er zur Apotheke. Einen Augenblick stand er davor. Er wollte überlegen, aber er konnte nicht. Sein Kopf war wie ausgebrannt. Er trat ein.


Wie langsam es ging, wie lange es dauerte. Wie war das nur möglich? Das Chinin war so billig gewesen, er hatte darum so hartnäckig mit dem Apotheker gehandelt. Einen ganzen Haufen hatte er für eine Lire seiner Mutter gebracht. Sie war über das billige Chinin so glücklich gewesen.

Aber trotzdem dauerte es so entsetzlich lange!

Endlich aber fing es an entschieden viel schlechter zu werden – endlich! Es war in der heißesten, der gefährlichsten Zeit, gegen Ende August. Wenn es jetzt regnete, wenn die Schnitter auf der feuchten Erde schlafen mußten, wenn daraus die giftigen Dämpfe hervorquollen; dann starben viele, so viele!

Vollkommen gesund schliefen sie abends ein und schon am nächsten Tag waren sie tote Leute.

Wie schlecht seine Mutter wurde, wie schwach! Sie konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Aber sie glaubte fest daran, bald wieder gesund zu werden: nahm sie doch jeden Tag dreimal Chinin und das mußte ja helfen! Als sie aber trotz des allmächtigen Heilmittels täglich schlechter wurde, bat sie Vico, nochmals zur schwarzen Maria von Genazzano zu gehen, um bei ihr für sie zu bitten. Vico wußte, wenn er die schwarze Madonna so recht heiß und inbrünstig um das Leben seiner Mutter bat, so würde sie gewiß helfen: hatte sie doch schon einmal für ihn ein Wunder vollbracht und das Feuer verlöschen lassen! Und er hatte nicht einmal darum gebetet. Die Madonna las seine scheue heiße Bitte in seinem Herzen und half. Er brauchte ihr jetzt nur eine Wachskerze zu geloben, eine recht dicke; und die Mutter würde am Leben bleiben.

Er kam zu dem Heiligtum und wollte sich auf die Kniee werfen, wollte den Weg hinaufrutschen. Plötzlich lief er fort. In einem nahen Kastanienwald warf er sich nieder und blieb stundenlang liegen. Zuletzt begann er laut zu weinen.


Gegen Abend strömte heftiger Regen herab. Es regnete die ganze Nacht und die ganze Nacht blieb Nico unter den Kastanien liegen. Ohne eine Spur von Fieber zu haben, erhob er sich am nächsten Morgen und trieb sich den ganzen Tag im Walde umher.

Als er gegen Abend dem Lager sich näherte, sah er ein Weib auf sich zulaufen. Es war aber nicht seine Mutter, die ihrem lieben Sohne genesen entgegenkam; sondern ein fremdes Weib, welches mit ihr zusammen gearbeitet hatte und welches ihm die Nachricht brachte, daß seine Mutter am Morgen gestorben war: an der Perniciosa!


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