Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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5.

Aber nur dann ...

Das war's, woran Vico jetzt dachte, das – allein!

Er dachte an die scharfen blinkenden Zähne, an die weichen blutroten Lippen und daß er diese nur dann würde küssen können, wenn er Geld hatte – viel Geld!

Die Leidenschaft zu dem kleinen, garstigen, dünnen Geschöpf kam über den jungen Menschen wie ein Sturm, wie Wüstenwind. Sie füllte sein ganzes Wesen mit jener wilden Glut, vor der es kein Entrinnen gab, keine Rettung. Nach der Arbeit, nachdem er zusammen mit seiner Mutter die Ölsuppe verzehrt hatte; wenn dann das Feuer brannte, die Mutter fest schlief, sprang er auf und lief nach dem Molarathal – nur um das Feuer brennen zu sehen, an dem sie schlummerte! Einigemal fand er die Glut dem Erlöschen nahe. Er schlich hinzu, warf frisches Reisig auf und wachte lange über der Flamme. Kam er dann im ersten Tagesgrauen zu seinem Lagerfeuer zurück, so fand er es jedesmal noch brennend.

Jeden Sonntag begegnete er ihr. Sie schrie irgend einen andern endlosen Liebesgesang ab, brach über seine Wut in helles Gelächter aus, sagte ihm, daß er ihr Liebhaber sein und ihr Mann werden dürfte, wenn er erst Geld hatte, viel Geld! Aber nur dann.


Also mußte Vico zu Geld kommen, zu viel Geld!

Wie? Durch seine Arbeit? Die wurde elend bezahlt und das dafür erworbene Geld nahm die Mutter. Das gehörte sich so. Es wäre auch zu wenig gewesen, viel zu wenig.

Wenn seine Mutter sterben sollte: an Malaria, wie sein Vater gestorben war; wenn er dann im Lotto eine Quaterne gewinnen würde, eine ganze Quaterne ...

Ja dann – dann durfte er auch hoffen, daß es vielleicht genug sein könnte.


Aber das Feuer, neben dem Nicos Mutter schlief, verlöschte nicht und der Brand in seinem Herzen wuchs zu verzehrender Glut, die der Romana blutrote Lippen und blinkende Zähne fort und fort schürten. Sie hatte ihm gesagt, daß sie ihn zum erstenmal küssen würde, wenn er ihr den goldenen Brautschmuck brächte. Den goldenen Brautschmuck begehrt im römischen Land das ärmste Mädchen. Es gab keine Braut, die nicht ihren Goldschmuck getragen hätte, mochte sie im übrigen so arm sein, daß sie kein ganzes Hemd besaß, keinen Stuhl und kein Bett. Aber der Goldschmuck – der echte Goldschmuck, gehörte zur Hochzeit so notwendig wie der Segen des Priesters. Bevor im römischen Lande ein junger Mensch nicht so viel Geld zusammengespart hatte, um seinem Mädchen den Schmuck kaufen zu können, durfte an keine Werbung, an kein Verlöbnis gedacht werden.

Für den Goldschmuck arbeitete der junge Mensch, für den Goldschmuck spielte er, darbte er, konnte er zum Totschläger werden.

Und Vico hatte nichts erspart – gar nichts! Seine Mutter war zu arm. Er würde auch niemals etwas sparen können; denn seine Mutter würde immer viel zu arm bleiben. Aber der Goldschmuck für die Romana –

Den Goldschmuck mußte er haben!

Küssen wollte sie ihn dafür ... Nie küßte im römischen Lande eine Braut den Bräutigam: es war gegen alle geheiligte Sitte. Die Romana wollte die Sitte brechen. Sie wollte ihn zum Lohn für den Goldschmuck schon vor der Hochzeit ihren jungen Mund küssen lassen. Also mußte Vico einen Goldschmuck erlangen.


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