Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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3.

Vico war das einzige Kind einer armen Witwe. Sein Vater hatte sich auf dem großen römischen Gräberfelde beim Weizenschneiden den Tod geholt, in einer Nacht, als der entkräftete Arbeiter versäumt hatte, das schützende Feuer zu schüren. Fortan mußten Mutter und Sohn allein des Sommers herabziehen, Geld zu verdienen: den Unterhalt eines Jahres.

Sie arbeiteten Sommer für Sommer in einer großen Tenuta, die zwischen Palästrina und dem Albanergebirge lag. Von dem ebenen Felde aus vermochte Vico die Lichter Roms nicht zu erblicken; und kehrten sie dann im November auf ihren Berg zurück, so konnte er kaum die Nacht erwarten, bis er das weiße Glanzeiland wieder aufleuchten sah.

Er wurde ein großer Mensch mit braunem schönem Gesicht und düsteren leidenschaftlichen Augen. Seinen aus schwarzen Lappen zusammengeflickten Mantel schlug er mit einer Bewegung um seine schlanke Gestalt, als hüllte er sich in eine Toga. Ausgenommen die sommerliche Arbeitszeit rührte er während des ganzen Jahres keine Hand. Wenn er nicht vor dem Hause lungerte, so lag er auf irgend einem kahlen Felsen und beobachtete den Flug der Bergfalken, daraus er glückliche Zahlen für das Lotto zusammenstellte.

Jeden Sonntag stieg er den weiten mühseligen Weg nach Tivoli hinunter, wo das große heilige Glücksspiel gespielt ward. Gab ihm seine Mutter nicht gutwillig das wenige Kupfergeld, welches das Spiel erforderte, so nahm er es ihr mit Gewalt. Er setzte die Zahlen, über die er die ganze Woche gebrütet hatte; aber nur selten gewann er.

Er mußte spielen; denn er mußte gewinnen!

Einmal hatte er gewonnen – einmal!

Als sein Vater gestorben war, hatte der Knabe dessen Todesstunde gesetzt. Mit dieser Zahl und der anderen, welche Malaria bedeutet; mit der dritten, welche die Dauer der Agonie angab, hatte er eine Terne gewonnen.

Das war schön gewesen! Wenn seine Mutter starb, würde er wieder setzen, würde er wieder gewinnen.

Jedesmal, wenn er mit seiner Mutter zur Ernte in die fieberschwangere glühende Ebene hinabzog, wartete er darauf – hoffte er, daß er im Lotto bald wieder gewinnen würde.


Wenn er des Abends aus trockenem Reisig das Feuer anmachte, daran beide schliefen; wenn seine Mutter zu Tod ermattet sich hinwarf und sogleich in Schlaf sank – wenn dann Vico in die Flamme stierte und ihm einfiel, daß sein Vater das Fieber bekommen und gestorben war und daß seines Vaters Tod ihm eine Terne eingebracht; dann – ja, dann wartete er, das Feuer möchte wieder verlöschen; dann hoffte er ...

Jede Nacht fiel es ihm ein. Jede Nacht dachte er sich die Zahlen aus. Dieses Mal würde er gewiß vier glückliche Zahlen setzen, würde er sicher eine Quaterne gewinnen.

Eine Quaterne durch seiner Mutter Tod, eine ganze Quaterne!


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