Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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12.

Es war ein lustiges Hausen in dem alten Römerkastell, dessen genius loci der Geist der Geschichte war. Pasquale, mein Wirt, versorgte mich mit Wein und Brot; Vater Lorenzo mit Butter, Milch und Käse. Den übrigen Proviant holte ich mir selbst per Maultier aus Palästrina, wie ich denn auch meinen eigenen Koch und Kammerdiener machte. Meine Maccaroni al burro und al pomi d'oro waren ein kulinarisches Meisterwerk – so behauptete ich wenigstens. Und auf meine eigene Meinung kam es in diesem Fall ja nur an.

Ich vernahm, daß die Carabiniers Raffaelo gesucht hatten: gleich anfangs und nur ein einzigesmal! Damit war ihre Pflicht gethan. Ließen sie sich jetzt noch bisweilen blicken, so bildeten die jungen prächtigen Gestalten in ihren bunten Uniformen eine wunderhübsche Staffage. Im übrigen kümmerten sie sich nicht weiter um die kleine Affaire. Sie hätten auch viel zu thun gehabt, wenn sie im Römischen jeden Dolchstich und Pistolenschuß ernsthaft genommen.

Es dauerte denn auch gar nicht lange und der jugendliche Rächer der Ehre seines Bruders befand sich ganz gemächlich am See von Doganello bei den Seinen und wurde seiner Heldenthat willen von Vater und Bruder hoch geehrt. Übrigens flößte der hübsche braune Bengel auch mir eine Art von Respekt ein. Er hatte die Sache mit einer gewissen Großartigkeit verübt. Auf der obersten Terrasse der spanischen Treppe den Künstler erwartend, der langsam heraufstieg, stieß er ihm mit aller Wucht sein Dolchmesser zwischen die Rippen ...

Inzwischen machte ich eifrige Studien zu dem Gemälde, welches ich von der Skizze mit der Blüte der Königskerze im Geiste trug. Aber ich hatte dafür noch immer nicht das eigentliche Motiv gefunden. Fiammetta wurde täglich aus Rom erwartet. Sie mußte dort noch zu thun und zu verdienen haben, was um diese heiße Zeit selten der Fall war. Die meisten Modelle hatten die Stadt bereits verlassen und waren in die hohen Felsennester zurückgekehrt. Einige davon passierten auf ihrem Heimwege das Molarathal, Sie zogen in kleinen Trupps unter Gesang daher. Es war seltsam, das schrille Gerassel der Tamburinschellen, die eintönigen melancholischen Weisen über der Wildnis schweben zu hören und die bunten schlanken Gestalten über die goldgelbe Heide sich hinbewegen zu sehen. Langsam schritten die Mädchen, die ihre sämtliche Habe auf dem Kopf trugen, dahin. Es war wie eine Prozession.

Mit den letzten sah ich von meinem Studienplatz aus Fiammetta herankommen: als Zugführerin, mit hoch erhobenen Armen das Tamburin schlagend. Die Glut des Tages hüllte sie ein wie ein feines funkelndes Gewebe.

Ich arbeitete weiter, aber eilig und zerstreut, machte früh Feierabend und begab mich an den See, wo ich das schöne Mädchen bereits eingerichtet fand, als wäre sie niemals abwesend gewesen und hätte niemals Aussicht gehabt, eine Dame zu werden. Die Männer hatten für sie eine eigene Hütte gebaut, deren Ginsterwände noch grün waren. Mit keiner Miene verriet Cesare seine Erregung und ich wußte doch, daß der ganze Mensch sich in einem wahren Aufruhr befand. Aber der gewiegteste Diplomat hätte sich nicht mehr in der Gewalt haben können, als dieser junge Sabiner.

Ich fragte Fiammetta, ob sie mir Modell stehen wollte: auf der Heide, inmitten der blühenden Königskerzen? Ja, sie wollte. Frage und Antwort fanden vor der Hütte statt, in Gegenwart von Vater und Sohn. Als ich mich später nach Hause begab, erfand Cé einen Vorwand, mich zu begleiten. Er sagte mir kurz und bündig: ich sollte mich in acht nehmen und an den Franzosen denken. Verführen ließe sich die Fiammetta von keinem Fürsten der Welt. Und wenn ich mich etwa auch so verrückt in sie vernarrte, daß ich sie zu einer Dame machen wollte; dann – es würde ihm leid um mich sein.

Übrigens wollte Cé die Hochzeit nicht länger aufschieben. Er hatte sich bei seinem Mädchen nach dem Erwerb des Jahres erkundigt, hatte ein günstiges Resultat erfahren, hatte mit Vater und Braut eine bedächtige Rechnung gemacht, den Erwerb einer Herde als für möglich befunden und wollte nun gleich am nächsten Sonntag nach Rocca Priora, um mit dem Priester das Nötige zu besprechen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß der Priester allein heutzutage zu einer Hochzeit nicht ausreicht. Aber er verstand mich gar nicht.


Cé war am Sonntag in Rocca Priora gewesen und hatte mit dem geistlichen Herrn wegen seiner Hochzeit gesprochen. Aber dieser weigerte sich, das Paar zu trauen, weil die zwei – Geschwisterkinder waren.

Weder Vater Lorenzo, noch die beiden Verliebten hatten das bedacht. Erst jetzt fiel es ihnen ein: die Ehe zwischen Cesare und Fiammetta Latini war eine Sünde! Und zwar eine hundertfach größere, als ein Raubmord oder sonst ein Totschlag gewesen wäre. So hatte der geistliche Herr ihnen das Ding begreiflich zu machen gesucht und so begriffen sie es denn auch.

Cesares dumpfe Verzweiflung hatte etwas Erschreckendes. Ruhig erzählte er mir den Sachverhalt und ruhig blieb er auch später. Aber wie er es erzählte: mit welcher Stimme, welcher Miene! Und wie er die Tage darauf seinen gewöhnlichen Geschäften nachging ... Auf keinem Menschengesicht hatte ich jemals solchen Ausdruck gesehen. Es war Hoffnungslosigkeit.

Fiammettas Empfindungswelt blieb mir vollständig verschlossen. Sie äußerte sich mit keinem Wort, stand mir Modell, stand stundenlang im Sonnenbrande: mit weit offenen Augen in die glanzvolle Helle schauend, als erwarte sie von dorther irgend wen, irgend was; als müßte zu ihr aus weiter Ferne eine geheimnisvolle Macht kommen, die dieses regungslose Frauenbildnis beleben sollte.

Jetzt sprach ich mit Cé. Ich setzte ihm auseinander, daß ein Brautpaar der Kirche nicht mehr bed ürfe, um ein Ehepaar zu werden, daß der Staat ihn und Fiammetta unbedenklich zusammen geben würde – allerdings nur der Staat.

Aber Cé begriff mich gar nicht.

Ich sprach mit Fiammetta, mit Lorenzo ... Aber das Brautpaar ein Ehepaar werden ohne die Kirche? Auch diese beiden begriffen es nicht. Unmöglich!

Ich begann von Giuseppe Garibaldi zu reden, durch welchen in Italien die Macht der Kirche gebrochen sei – so drückte ich mich aus. Ich wies auf den großen Staatsmann Crispi, den »Checco«, hin; aber – nein und nein! Sie begriffen es nicht.

Es fehlte ihnen jede Vorstellung von dem, was ich ihnen immer und immer wieder klar zu machen suchte.

Unmöglich konnten sie Mann und Frau werden; denn kein Priester würde sie trauen. Das wußten sie jetzt. Und ohne das Amen des Priesters auch keine Ehe.


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