Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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13.

Auch an eine andre Sache hatten diese naiven Kinder der Wildnis mit keinem Gedanken gedacht: daß der Staat, der ohne die Kirche Ehen schloß und von seinen Bürgern die sündhaften Steuern nahm, seine jungen Söhne zu Soldaten verlangte.

Lorenzo Latini besaß zwei Söhne, also mußte der älteste dem Vaterland dienen.

Fürs erste mußte der gute Cé nach Palästrina, um dort »die Nummer zu ziehen.« Eine »glückliche Nummer« konnte ihn frei machen von dem Dienst fürs Vaterland, welches grade seiner Söhne dringend bedurfte, um sie in dem ungerechtesten und verabscheuungswürdigsten aller jemals geführten Kriege für seinen »Ruhm« in Afrika sterben, das heißt abschlachten zu lassen.

Zuerst wollte der wackere Lorenzo seinen Ältesten durchaus nicht nach Palästrina zur Ziehung schicken. Sie hatten ihm gesagt: der Krieg in Afrika würde von Francesco Crispi gemacht, wäre also des Checcos Krieg; und der Checco würde doch nicht ihm, seinem alten Freunde von der Via Appia und Mentana, den Sohn nehmen? Grade den ältesten, stärksten und nützlichsten!

Ich hatte es aufgegeben, der Familie Latini die neue Zeit begreiflich zu machen und mußte es in diesem Falle den Carabiniers überlassen. Sie kamen eines schönen Tages, holten Cé einfach von der Herde fort und hätten gegen Vater und Sohn fast Waffengewalt anwenden müssen. Wie ein Gefangener wurde der Jüngling aus dem Molarathal nach Palästrina geführt.

Lorenzo war es nach der gewaltsamen Fortführung seines Ältesten zu Mute, als hätte er einen Schlag vor den Kopf bekommen. Er war einfach betäubt. Fiammetta dagegen gebärdete sich wie eine Rasende. Sie hatte den Franzosen, der sie heiraten wollte, ruhig erstechen lassen, hatte mit Gleichmut die Aussicht aufgegeben, eine Dame zu werden und den Hut zu tragen, mit scheinbar unbewegter Seele hingenommen, nicht ihres Vetters Frau zu werden. Nun plötzlich dieser Ausbruch sinnloser Leidenschaft, Sie wollte nicht hören, daß es nun einmal so war, daß Cesare sich überdies frei ziehen konnte. Sie ließ sich nicht beruhigen, schrie in einem fort: nun müßte er nach Afrika; nun würde er in Afrika totgeschossen. Es wäre mit ihm und mit ihr vorbei.

Ihr ganzer Haß traf den »Checco«. Er hatte den Krieg gemacht, er nahm ihr Cesare, er ließ diesen in Afrika totschießen! Der »Checco« war an allem schuld, sowohl an dem unseligen Schicksal Italiens wie an dem der Familie Latini.

Einen noch tieferen Eindruck als die gewaltsame Fortführung Cés machte auf Lorenzo die Vorstellung, daß der Checco – sein Checco – das Unglück der Nation verschuldet haben sollte. Ich hörte ihn fort und fort den Namen seines alten Freundes murmeln und sah ihn stundenlang vor sich hinbrüten.

Cesare kam von Palästrina nicht wieder zurück und den nächsten Tag machte ich mich auf, um für seine verzweifelte Familie Nachricht einzuziehen; denn Raffaelo mußte bei der Herde bleiben. Lorenzo war über Nacht ein alter Mann geworden und Fiammetta that, als wäre ihr Liebster – den sie ja doch nicht heiraten konnte – bereits tot und begraben und sie hätte auf der Welt nichts anderes mehr zu thun, als an seinem Mörder Rache zu nehmen. Also begab ich mich schweren Herzens nach der leuchtenden Stadt des großen Tondichters.

In Palästrina brachte ich in Erfahrung, daß Cesare Latini von Val di Pietra eine unglückliche Nummer gezogen hatte und mit den übrigen – ganz gegen den Usus – bereits in einigen Tagen nach Neapel abgehen würde. Dort sollten die neuen Rekruten in Eile notdürftig einexerziert werden und dann sogleich nach Afrika, wo die Regierung weniger gute Soldaten, als vielmehr Kriegsmaterial und Menschenleben bedurfte, zur Versendung gelangen. Keinem einzigen der jungen Leute ward gestattet, noch einmal zum Abschiede in die Heimat zurückzukehren. Die Regierung befürchtete Erregungen des Landvolkes, die zu Tumulten führen konnten. Wie Arrestanten wurden die Rekruten gehalten und sie sollten doch mit »Gott für König und Vaterland« gegen Kaiser Menelik in den Tod gehen.

Es gelang mir, nicht ohne Hilfe eines inhaltreichen Händedrucks, in die Kaserne zu dringen. Einer der gewaltigen Baronalpaläste des Mittelalters mit Mauern und Höfen wie eine Festung, oder ein Gefängnis, war dazu eingerichtet worden. Mein armer Cé befand sich abseits von seinen übrigen Unglücksgenossen. Er sah bleich und verändert aus, schaute mich kaum an, hörte kaum, was ich sprach, womit ich ihn zu trösten versuchte. Unter den jungen Leuten herrschte eine schwüle Stille. Sie hatten Mienen und Blicke, daß ich dachte: ›Gott gnade dem Lande, dessen Söhne mit solchen Gesichtern in einen Krieg ziehen!‹ Ein Gefühl tiefen Wehs überkam mich bei dem Anblick dieser »Jugend Italiens«, für deren verzweiflungsvolle Stimmung ich diejenigen verantwortlich machte, welche einen Krieg für die Größe des neuen »Kulturstaates« erforderlich hielten, einen derartigen Krieg!

Mit Mühe und Not preßte ich Cé einige Worte aus ... Ihm war's gleich. Nur die Fiammetta! Ihm war alles gleich. Aber daß die Fiammetta nicht seine Frau geworden war – niemals werden konnte! Es war ihm lieber, in Afrika erschossen, oder geschlachtet, oder verstümmelt zu werden – da er von der Fiammetta nun einmal nicht hätte lassen können. Ganz unmöglich!

Er dachte und fühlte nur das eine: die Fiammetta! Ob er seinen Leuten etwas zu bestellen hätte?

Nein – nichts.

Auch nicht der Fiammetta?

Nein, auch der nichts ... Ja, doch! Ich sollte der Fiammetta sagen: es sei besser so! Besser wär's, er würde in Afrika umgebracht.

Ich antwortete:

»Es ist besser, du siehst sie jetzt nicht wieder. Aber wenn du aus Afrika glücklich zurückkommst: als tapferer Soldat und braver Mensch, so bist du verständig, kümmerst dich nicht um die Pfaffen und nimmst deine Fiammetta zur Frau.«

Er erwiderte nichts; er sah mich nur an. Es war ein trostloser Blick.


Als ich an den Doganellosee zurückkam, befanden sich im Hirtenlager nur Fiammetta und Raffaelo: Lorenzo hatte mitten in der Nacht die Cavanna heimlich verlassen.

Bevor ich meine Erlebnisse in Palästrina berichten konnte, erzählte mir Fiammetta: sie hatte die letzte Nacht von schwarzen Hühnern geträumt. Schwarze Hühner im Traum gesehen, bedeutete Tod, Cesare würde also sterben. Aber sie würde ihn rächen. Ich fragte, an wem sie ihren Geliebten rächen wollte, wenn dieser im Kriege wirklich fallen sollte?

Ganz gleich an wem! Ihr Vorsatz nach Rache erfüllte sie bereits jetzt in einer Weise, daß sie den sofortigen Aufbruch Cesares nach Neapel ohne Abschied gar nicht zu empfinden schien. Was hätte auch ein Abschied geholfen? Sterben mußte er ja doch – da sie von schwarzen Hühnern geträumt hatte.

Ich befand mich noch zu später Nachtstunde in der Hütte am See, beunruhigt durch das lange Ausbleiben Lorenzos, als dieser kam, vom Kopf bis zu den Füßen staubbedeckt. Seine Miene drückte eine Trauer aus, die mir zu Herzen ging.

»Aber Cencio! Wo wart Ihr denn nur?«

»In Rom.«

»Cesare ist ja in Palästrina. Er läßt Euch grüßen. Was wolltet Ihr also in Rom?«

»Mit dem Checco reden.«

»Ihr wolltet zu Crispi?!«

»Nun ja, zum Checco. Ich kenne ihn ja doch. Wir sind ja doch alte Freunde.«

»Ach, guter Lorenzo!«

»Ich wollte ihn fragen, ob es wahr sei, daß er diesen Krieg gemacht hat, daß also er mir den Sohn fortnimmt? Ich wollte ihn bitten, mir meinen Cé wiederzugeben. Er ist ja doch mein alter Freund, der Checco.«

»Lorenzo, guter alter Lorenzo!«

Aber ich sagte es rein mechanisch. Ich hatte zufällig Fiammetta angesehen und konnte meinen Blick nicht mehr von ihr abwenden. Bei der Nennung des großen Staatsmannes hatten ihre Augen aufgeleuchtet, hatte ihr Gesicht ein Ausdruck entstellt, daß ich sogleich wußte: plötzlich hat sie den Mann gefunden, an dem sie den Tod Cesares rächen würde. Denn sterben mußte dieser, ihrem Traum zufolge, ja unbedingt.

»Und wie war's in Rom?« fragte ich nach einer Pause, unverwandt Fiammetta anschauend.

Lorenzo hatte sich gesetzt wie ein Mensch, der todmüde ist, todmüde auch in der Seele. Er schien meine Frage überhört zu haben, schaute vor sich hin und murmelte mit schwerem Atem:

»Der Checco! Jawohl, ja, der Checco!«

»Saht Ihr Euern alten Freund, Francesco Crispi? Erzählt doch!«

Und Lorenzo Latini erzählte ... Auch seine Stimme klang todmüde.

»Ich kam in Rom an, fragte, wo der Checco wohnte? Aber der Mann wußte es nicht. Ich fragte also einen andern. Und noch einen andern. Aber keiner wußte es. Erst als ich den andern Namen nannte, verstanden sie mich. Weswegen erst noch den andern Namen? Checco war doch genug.«

»Also sagte man Euch dann, wo Crispi wohnte?«

»Sie fragten mich, was ich bei ihm wollte? Nun, reden wollte ich mit ihm! Von dem Krieg in Afrika und von meinem Sohn Cé. Wozu brauchten die Leute das zu wissen?«

»Schließlich erfuhrt Ihr Crispis Wohnung?«

»Nun ja, bei der hohen Treppe wohnt er. Als ich in sein Haus hinein wollte, ließen sie mich nicht hinein.«

»Wer nicht?«

»Die Carabiniers und die Polizei. Die Polizei stand vor Checcos Haus Wache, damit niemand zu ihm hineinkam. Und ich war doch sein alter Freund, von der Via Appia und von Mentana.«

»Sagtet Ihr das den Leuten nicht?«

»Freilich. Aber sie ...« »Nun sie?«

»Sie lachten mich aus.«

»Armer Cencio!«

»Und sie ließen mich nicht hinein.«

»Was thatet Ihr?«

»Ich wartete.«

»Vor Crispis Hause?«

»Vor dem Hause durfte ich nicht stehen bleiben: die Carabiniers und die Polizei jagten mich fort. Denkt Euch: von dem Hause meines alten Freundes Checco jagten sie mich fort.«

Ich versuchte ihn zu trösten.

»Das mußten sie. Dafür stehen sie vor Crispis Hause. Sie müssen den großen Staatsmann bewachen.«

»Weswegen bewachen?«

»Jenun ... Euer Checco hat viele Feinde in Italien.«

»So, so! Feinde hat er? Der Checco!«

Er schwieg, starrte vor sich hin, seufzte. Es war wie ein Stöhnen.

»Also Ihr wartetet?«

»Auf der Straße. Er kam dann auch. Im Wagen kam er. Ich erkannte ihn gleich. Ganz weiß ist er geworden. Da wollte ich's ihm denn sagen. Aber gleich waren wieder die Carabiniers und die Polizei bei mir. Da rief ich's ihm zu, während sie mich von seinem Wagen zurückhielten.«

Was rieft Ihr Crispi zu?«

»›Ich bin ja der Lorenzo Latini!‹ Aber er –«

»Gewiß verstand er Euch nicht.«

»Herr, er verstand mich.«

»Dann wußte er Euern Namen nicht mehr.«

»Herr, das ist nicht möglich. Meinen Namen mußte er wissen. Denkt doch an die Via Appia!«

»Aber er erkannte Euch also nicht mehr?«

»Herr, er verachtet mich.«

»Nein! Nein!«

»Er sah mich an und – Herr, der Checco verachtet den armen Hirten, der an seinem Wege stand, als er im Wagen nach Hause fuhr.«

Er ließ den Kopf in seine beiden Hände sinken und war an Leib und Seele ein todmüder Mensch. Ich ging still hinaus.


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