Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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14.

Dann kam ein Tag der Angst und des Schreckens.

Fiammetta war verschwunden und Cesare wurde von den Carabiniers gesucht: er war desertiert! Die beiden, denen die Kirche den Segen verweigerte und welche die bindende Macht des Staates nicht begriffen hatten, waren plötzlich durch die zwingende Gewalt der Leidenschaft zusammengeführt worden. Armes junges Paar!

Diesesmal machte die römische Polizei Ernst und auf Cesare wurde eine Jagd angestellt, als wäre der entflohene Rekrut ein zehnfacher Raubmörder. Das Seltene geschah des Beispiels wegen. Was sollte aus dem Kriege mit Afrika werden, wenn Italiens Söhne die Sache des Vaterlands schmählich im Stich ließen? Man sagte Lorenzo: bekämen sie seinen Sohn, so würde er – des Exempels wegen – auf dem Platze, wo sie ihn gefangen nahmen, niedergeschossen. Der Vater vernahm es mit stumpfer Verzweiflung.

Für mich bestand kein Zweifel, daß die beiden sich ganz in der Nähe aufhielten und daß sowohl Lorenzo wie Raffaelo um ihren Versteck wußten. Sicher trug ihnen der Knabe Nahrung und Nachrichten zu, was für beide Teile mit größter Gefahr verbunden war; denn das Hirtenlager am Doganellosee wurde scharf bewacht.

Ich ging umher, als wäre ich selbst ein Verfolgter. Zu malen war mir unmöglich. Meine Angst um das Schicksal der Familie Latini hielt mich fort und fort in der Nähe des Sees oder der Herde, die gehütet werden mußte, als wäre nichts geschehen. Mit Lorenzo wagte ich nicht zu reden. Er hatte etwas in seinem Gesicht und Wesen, was ihn unnahbar machte. Aber den Knaben warnte ich, ihn zur höchsten Vorsicht mahnend. Der schlaue Junge that, als verstünde er mich nicht.

Nach einigen Tagen jedoch mußte er sich mir entdecken: die Carabiniers, diese Bluthunde, wären auch nachts auf der Lauer; fast, daß sie ihn erwischt hätten! Seit zwei Tagen befanden sich die beiden ohne Lebensmittel. Ich mußte sie aufsuchen und zwar noch in der nämlichen Nacht.

Ich erklärte mich sofort bereit und wir – Raffaelo und ich – machten unsern Plan.

Ich sollte mich sogleich nach Frascati begeben, dort am Morgen Lebensmittel, hauptsächlich Brot und Wein einkaufen, einen Esel mieten, als wollte ich einen Ausflug nach Tusculum unternehmen, den Treiber zurücklassen und dann auch richtig den Ruinenberg hinaufreiten. Dort in dem weitläufigen, zum Teil unterirdischen Gebiet der Tiberiusvilla würde ich in einer halbversunkenen Galerie einen alten vertrockneten Feigenbaum finden. Hier sollte ich einen schrillen Schrei ausstoßen, welcher den Ruf des Falken nachahmte, und dann dessen Wirkung abwarten.

Mit großer Vorsicht führte ich diesen Plan aus, glaubte alles sehr gut vollbracht zu haben und vollständig unbeobachtet geblieben zu sein. Jetzt lag ich in dem gewaltigen Trümmerwerk der Kaiservilla, unter hohem Menthekraut, welches bei der Sonnenglut einen betäubenden Duft verbreitete. Ganz nahe vor mir durchschnitt das silbergraue Gerippe des verdorrten Feigenbaums den strahlenden Äther und mein Esel ließ sich die fetten Disteln von Tusculum schmecken.

Nicht lange und die beiden kamen. Aus einem der verschütteten Prunksäle Tibers, in die es jetzt wie in natürliche Grotten hinabging, stiegen sie zum Tageslicht auf: Cé mit einer Büchse bewaffnet, die Raffaelo ihm zugetragen hatte. Sie schienen nicht im mindesten erstaunt, mich zu sehen; aber sie freuten sich und dankten mir, daß ich gekommen war. Fiammettas Mienen und Wesen ließen mich nichts von ihren Empfindungen ahnen; dagegen war Cesare voller Triumph und in einem Glück, das ihn berauschte. Er hatte keinen Gedanken an die Gefahr und daß es sich um Leben oder Tod handelte, war ohne Besinnung für seine Lage, die auf die Dauer unhaltbar war. Ich versuchte, ihm dieselbe zum Bewußtsein zu bringen, mußte jedoch bald einsehen, daß ich dazu nicht im stande war. Er wollte an die Lebensgefahr nicht glauben, meinte: die Carabiniers würden ihn noch eine Weile suchen und sich dann nicht mehr um ihn bekümmern – sie machten es ja immer so und er hätte weder einen Mord noch sonst ein Unrecht begangen. Es war vergeblich, daß ich ihm das klar zu machen suchte. Er blieb dabei, daß er nichts gethan hätte, als sein Leben zu retten; denn er wäre ja doch nur nach Afrika gebracht worden, um dort getötet zu werden. Was ginge ihn der Krieg in Afrika an?

Fiammetta hörte unsern Verhandlungen wortlos zu. Sie saß auf einem antiken Gebälk und hatte wieder ihren in weite Fernen schauenden Blick: grade, als erwarte sie jemand. Sie kümmerte sich so wenig um die Gegenwart und um die dringende Frage: was werden sollte, daß ich sie laut anrief, als müßte ich sie aus schwerem Schlaf wecken.

»Sitze doch nicht so da! Was sagst denn du dazu?«

»Wozu?«

»Wie es mit euch werden soll?«

»Wie soll es mit uns werden? Ich weiß genau, wie es mit uns wird.«

»Nun?«

Sie schwieg.

»Aber so sprich doch!«

»Sie werden ihn töten und ich muß ihn rächen,« antwortete sie laut und gelassen.

Cé lachte. Es war zum erstenmal, daß ich den jungen Sabiner lachen hörte und grade bei der Prophezeiung seines Todes. Sein Lachen war sorglos und fröhlich wie das eines Knaben. So gut es mir gelingen wollte, stimmte ich ein; aber es klang ziemlich gewaltsam.

Fiammetta wiederholte: »Sie werden ihn töten.«

»Wohl weil du neulich von schwarzen Hühnern geträumt hast und weil in euren Traumbüchern schwarze Hühner Sterben bedeuten?« versuchte ich zu scherzen, noch immer unter dem Bann einer schwermütigen Stimmung.

»Herr, lacht nicht über Träume.«

»Und wenn sie deinen Cé getötet haben, so mußt du nach sabinischem Brauch wiederum töten. Wen? Francesco Crispi?«

»Ihn oder einen andern.«

»Der Schuld an dem Krieg mit Afrika trägt?«

»Ja, Herr.«

Mit dem seltsamen Geschöpf war nichts anzufangen.


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