Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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3.

Ich lohnte den Kutscher ab, faßte meinen Bekannten unter dem Arm und führte ihn fort.

Statt den Rennen beizuwohnen, suchten wir tiefe Einsamkeit auf. Lange Zeit schwiegen wir. Unter einem Bogen der antiken Wasserleitung, wo der Boden von wildem Mohn blutrot war, lagerten wir uns und der Maler erzählte.


... Vor zwei Jahren durchstreifte ich als Neuling die Campagna nach allen Richtungen. Ich war von ihr berauscht wie ein sehr junger Mensch von der Schönheit seiner ersten Geliebten. Sie erschien mir als das Hehrste und Herrlichste, was Maleraugen zu sehen vermochten, ein erfülltes Traumbild, ein Wirklichkeit gewordenes Ideal.

Je tiefer ich eindrang in die Mysterien dieser Linien und Farben, um so mehr wuchs meine Begeisterung. Ich ward ein Fanatiker der Schönheit der römischen Landschaft, mich glücklich preisend, daß ich sie mit denselben Augen sehen konnte, wie die beiden Poussins, wie Rottmann, Preller und Koch sie gesehen hatten.

Auf einer Frühlingswanderung durch das Albanergebirge kam ich – es geschah zwischen Grottaferrata und Frascati – vom Wege ab. Ich geriet auf ein überwachsenes Feld, das längs eines mir unbekannten Höhenzuges sich hinzog. Durch das dichte Unkraut gewahrte ich Überreste einer antiken Straße, deren gewaltige blaue Basaltsteine sehr bald zu Tage traten und so wohl erhalten waren, als führte der Weg zu einer bewohnten volkreichen Stätte: kein Grashalm hätte in die Fugen des Pflasters sich einzwängen können.

Den harten Stein furchten die tiefen Spuren von Wagenrädern und noch ließ sich gewahren, wie an steilen Stellen die spitzige Hacke des Straßenarbeiters die glatten Blöcke für die Hufe der Pferde rauh gemacht hatte. Zu beiden Seiten befand sich ein schmaler Steg für die Fußgänger.

Und zu beiden Seiten begleiteten den Weg antike Gräber. Gruft reihte sich an Gruft. Neben einem mächtigen marmorummauerten Rundgrab des prunkvollen Kaiserreiches die Kolumbarien aus republikanischer Zeit. Sie standen in halber Zertrümmerung dem Himmel offen. In den Nischen, die einstmals die Aschenkrüge bargen, nisteten Amseln und Palombellen, den Grund füllten Blumen. Da grade Veilchenzeit war, so bedeckte den Boden ein dunkles wie Purpur leuchtendes Violett und Wohlgerüche erfüllten die Luft.

Immer noch zog sich die Straße bergan, über ein weites Hochthal hin, von einer Einsamkeit und Verlassenheit, wie ich noch nie gesehen hatte.

Ringsum goldbrauner Tufffels, graue Ruinen, frühlingsbunte Steppe, in der Ferne begrenzt durch ein kahles bleiches Felsengebirge.

Ich sah keine Wohnstätte, vernahm keinen andern Laut als den Schrei des Falken. Ich fühlte mich, als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt.

Es wurde Abend. Die Wildnis flammte auf im Purpurglanz, darüber ein gelber von Scharlach und Gold durchglühter Himmel ruhte.

Ich war so verträumt, daß ich nicht bedachte, wie schnell die Nacht einbrechen würde und ich nicht wußte, auf welchem Wege ich nach Frascati oder sonst in belebte Gegenden gelangen sollte. Da keine Fieberzeit war, hätte ich zur Not die laue Frühlingsnacht im Freien verbringen können. Aber ich war seit dem frühen Morgen gewandert und verspürte plötzlich empfindlichen Hunger.

Da vernahm ich wütendes Gebell und sah von einem Abhang herab drei mächtige Wolfshunde auf mich zu rasen. Es nahm sich schön aus, wie die großen schneeweißen Tiere durch die einbrechende Dämmerung den Berg herabsetzten. Im übrigen wäre ich nicht der erste gewesen, der in der Campagna von solchen Bestien lebendigen Leibes zerrissen worden.

Die Hunde erreichten mich, machten einige Schritte vor mir Halt, fletschten die Zähne und blieben bei ihrem Geheul. Ich ging weiter, allerdings nicht mit allzugroßem Behagen. Die Hunde folgten mir, hielten sich jedoch beständig in einer kurzen Entfernung. So begleitet, setzte ich meine Wanderung fort.

Endlich ein schriller Pfiff. Sogleich verstummten die Bestien, zogen die Schweife ein, blieben zurück. Dann folgten sie mir wieder; doch ohne Geheul, bisweilen nur heiser aufbellend.

Ich gewahrte über mir auf weit vorspringendem Gestein eine schlanke Männergestalt. Es war grade noch hell genug, um sie erkennen zu können. Dunkel stand sie gegen den violett gefärbten Hintergrund des nächtlichen Himmels, an dem jetzt einzelne große Sterne aufblitzten.

Ich blieb stehen und rief hinauf: »Komm' herab und zeige mir den Weg! Halte auch deine Hunde zurück.«

»Sie thun nichts.«

»Komm' herab!«

»Ich muß nach der Herde sehen.«

»Ich bin müde. Du wirst von mir belohnt werden. Also komm'.«

Da kam er. Es hatte den Anschein, als werfe er sich von der Klippe in einen Abgrund hinab. Nach wenigen Augenblicken stand er vor mir.

Ich konnte bei der Dunkelheit nur erkennen, daß er sehr jung war, eine Gestalt hatte, wie ein antiker Ephebe und das übliche Kostüm römischer Hirten trug: Sandalen, langhaariges Ziegenfell um die Beine gebunden, eine dunkle Jacke über der Schulter hängend und den spitzen Filzhut auf dem Kopf.

Er sagte mir, daß ich mich weit vom Wege nach Frascati verirrt hatte und bot mir an, in der Hütte seines Vaters zu nächtigen: sie könnten mir ein fettes Lamm braten und erst gestern sei aus Rocca Priora frisches Brot gekommen.

Ich antwortete: ich würde mit ihm gehen.


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