Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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11.

Wir Deutschen können diesem Volke niemals gerecht werden – wir können nicht! Unsre Rassen sind von einander zu sehr verschieden, Entweder werden wir, je nach unserm Naturell, den Italiener in einer Apotheose verhimmeln, oder wir werden uns mit Widerwillen, mit Verachtung, mit Haß von ihm abwenden. Das eine ist genau so falsch wie das andere.

Mich zieht dieses Menschengeschlecht ebenso leidenschaftlich an, wie es mich abstößt. Es verwirrt mich, es quält mich. Ich werde es sicher niemals kennen lernen und niemals gerecht beurteilen können. Und immer wird es mich von neuem in Erstaunen versetzen ...

Erst abends fragte mich Cé so nebenbei: ob ich Fiammetta gesehen, oder von ihr gehört hätte? Ich fühlte, wie ich bleich wurde und mein Herz laut zu klopfen begann.

Ja! Ich hätte sie gesehen. Sie fände jetzt bei den Franzosen keine Arbeit mehr ... So?... Nein! Nun ja! Einer der Franzosen hätte sie heiraten wollen ... Ja, aber? ... Natürlich würde sie ihn geheiratet haben und eine Signora geworden sein.

Ich war sprachlos. Das sagte mir dieser rasend verliebte Sabiner. Noch dazu sagte er es vollkommen gelassen, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt. Endlich brachte ich etwas mühsam die Frage heraus: weshalb sie den Franzosen denn nicht geheiratet hätte?

O, weshalb nicht? Raffaelo hatte das Ding gemerkt und den heiratslustigen Herrn rechtzeitig mit einem Messerstich bedient. Auch das schien durchaus »natürlich« zu sein.

Sehr begierig war ich zu erfahren, wie es denn jetzt mit den beiden stand? Gewiß hatte auch die Leidenschaft des Sabiners durch den Blutverlust des Franzosen eine bedeutende Abkühlung erfahren und mit Cesares Jugendliebe war es wohl zu Ende. Ich befand mich jedoch noch keine vierundzwanzig Stunden unter dem blühenden Weißdornhügel am Rande des schwarzen Bergsees, als ich bereits eines andern belehrt worden war. Cé war nach wie vor auf die Fiammetta versessen, dachte nur an den Erwerb von möglichst vielen bald Hochzeit machen zu können und fühlte sich im übrigen in seiner Manneswürde und Bräutigamsehre – dank des brüderlichen Dolchstoßes – vollkommen unverletzt.


Ich sorgte jetzt für meine Villeggiatur an dem See von Doganello, wie die regungslose stygische Wasserflut hieß. Die Sache mit dem Hüttenbau überlegte ich mir vorerst noch. Material gab es zwar in Hülle und Fülle; denn unmittelbar hinter den Blütenkämmen der Weißdornhügel leuchtete die Steppe des Hochthals in dem Goldglanz des Ginsters. Doch ergab sich mir ein andres stabileres Sommerquartier.

Der Doganellosee liegt unweit eines Passes, welcher bereits im grauen Altertum einen berühmten Namen hatte; denn er bildete die Grenze zwischen Tusculum und dem feindlichen Hernikergebiet. Das Algidum – wie diese Gegend seit uralten Zeiten heißt – war stark befestigt. Es wurde zahllosemale zerstört und ebenso oft wieder aufgebaut; zuletzt von irgend einem kriegerischen Papst des Mittelalters. Später verwandelte sich das Kastell in ein beliebtes Jagdhaus weidlustiger Großen, die es wiederum bald hergeben muß ten. Unter den vielen Herren verfiel der Besitz, wurde ein berüchtigter Aufenthalt der Banditen, von wo aus die Posten und Vetturins, die nach Neapel zogen, überfallen und ausgeraubt wurden und zwar bis in die neueste Zelt. Augenblicklich war das Kastell eine Ruine, nur von einem Waldhüter bewohnt, der je nachdem bald einem entwichenen Übelthäter, bald den diesen suchenden Carabiniers, oder einem römischen Wachteljäger Obdach gewährte.

Dieser charaktervolle und menschenfreundliche Mann wurde also mein Padrone und der einzig bewohnbare Raum meine Malerherberge. Es war ein saalähnliches Gemach mit aufgerissenem Fußboden und berstenden Wänden. Aber Thüren und Kamin faßte Marmor ein, die Decke zeigte eine Stuccatur voll der göttlichen Grazie des Cinquecento und an den Mauern waren die Spuren von Fresken sichtbar, darin ich den Geist von Domenichino zu erkennen glaubte. Trat ich an eines der großen scheibenlosen Fenster, so blickte ich auf eine Landschaft herab, die wie ein Gesang Homers auf mich wirkte: jede Linie darin von gradezu heroischer Größe! Ich übersah das dunkle Waldgebirge und die weite leuchtende Steppe von den Volskerbergen bis zum Tyrrhenischen Meer, dessen Farbenspiel mit dem des Firmaments zusammenfloß.

Sehr vergnüglich für mich war es, an der Ruine alle die Epochen zu erkennen, die an diesem Bau nach und nach sich bethätigt hatten. Über gewaltigen cyklopischen Felsblöcken fand ich den grauen Peperin der Republik, das feine bläuliche Netzwerk der ersten Kaiserzeit ausgemauert. Säulenstümpfe aus goldigem Travertin, korinthische Marmorkapitäle lagen in dem wuchernden Unkraut der Höfe, zusammen mit den Torsen von Götterstatuen und Ehrenbildsäulen von Kaisern und Senatoren. Aus jedem Stein sprach zu mir eine Vergangenheit, welche Weltgeschichte war.

Aber sie lag da als Schutthaufen, in Scherben zerschlagen.


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