Richard Voß
Die Rächerin und andere römische Novellen
Richard Voß

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2.

Aber wer vor dem elenden Ort Umschau hält; oder wer aus einem der Mauerlöcher der Fenster hinausblickt, dem liegt eine Welt zu Füßen. Am westlichen Horizont, lang, lang hingestreckt, ein schimmernder Streifen, breit in den Äther hineinwachsend, mit diesem sich mischend – das Meer! Am hellen Gestade ein schwarzer Saum von Buschwald und dieser eine große stille Wildnis begrenzend – die Campagna Roms!

Die Campagna Roms mit den feinen Wellenlinien des umbuschten grünen Anio, dem breiten Wasserlauf des Tibers; mit fahlen Sümpfen, die im Abendrot wie riesige Blutlachen erglühen. Die Campagna Roms mit Höhenzügen, bedeckt von den Ruinen untergegangener Städte und Landhäuser, welche Städten glichen; von den Trümmern der Tempel, der Grabmäler, der Wasserleitungen. Die Campagna Roms, unabsehbar bald sich senkend, bald aufsteigend; hier als fruchtbares Land und üppiges Weizenfeld, dort als stille Prairie und schweigende Steppe – als trauervolle erhabene Wüste mit der Tragik eines antiken Dramas jene Stadt umfangend, welche die »ewige« genannt wird.

Von dem sabinischen Felsengipfel aus gesehen, verschwindet die alte Kaiserstadt unter dem majestätischen Faltenwurf der Landschaft, der im Frühling auf smaragdgrünem Grund eine köstliche Blumenstickerei zeigt, der Sommers in Goldglanz sich hüllt, Winters bald violett und schwarz, bald purpurn und ultramarin erstrahlt.

Über diesem Farbenspiel wölbt es sich wie ein blauender Felsenkegel: die Peterskuppel!

Das große Rom scheint versunken und davon nur der Dom der Christenheit übrig geblieben.

Wenn aber die Sonne in das, wie in Sehnsucht aufleuchtende Meer, oder hinter dem schönen Rücken des Ciminiwaldes versunken ist; wenn eine veilchenfarbene Dämmerung Himmel und Erde umhüllt, tiefer und tiefer wird und die Nacht anbricht; dann scheinen aus dem trümmerbesäten Boden der Ebene zahllose Flammen und Flämmlein aufzuzucken, von denen ein bleiches Gewölk emporsteigt.

Das sind die Lichter Roms!

Sie flimmern inmitten der großen Wildnis; sie durchfunkeln die ungeheure Einsamkeit, schweben und schwanken wie ein Heer von Irrwischen.

Über dem Grunde, dessen Schollen gleich Tafeln der Weltgeschichte sind, scheinen die Lichter des neuen Rom einen bacchantischen Tanz aufzuführen, einen Hexenreigen.


Wie jene Beter in der Kirche des sabinischen Felsenreichs den Goldschein auf dem Hochaltar anstierten, so starrte Vico Ferri bereits als kleiner Junge auf die Lichter Roms herab: sie waren etwas so Goldiges! Und darum bekamen die Blicke des Knaben etwas so Verlangendes, Begehrliches, sah er es Abend für Abend in der Tiefe unter sich funkeln.

Mit denselben gierigen Augen betrachtete er auch die Gestirne; aber nur so lange, bis er wußte, daß sie nichts Irdisches, nichts Erreichbares seien. Dann kümmerte er sich nicht mehr um sie; dann waren es einzig die Lichter Roms, die seine Phantasie mit gaukelnden goldigen Bildern erfüllten.

»Die Lichter Roms« – das hatte solch sonderbaren Klang! Sie wurden dem Knaben dasselbe, was anderen Kindern Märchen und Sagen sind. Den Kindern Italiens erzählt jedoch kein Mund Märchen und Sagen und auf dem von Menschen bewohnten Gipfel kannte man überhaupt keine anderen Sagen, als die von vergrabenen herrlichen Schätzen, welche sündige Mönche und schreckliche Höllenhunde bewachten. Diese Geschichten raunten die großen Kinder dort oben einander zu, zitternd vor Gier nach dem Golde und mit denselben lüsternen Blicken, mit dem sie das Gold auf dem Hochaltar anstarrten, mit dem Vico Ferri die Lichter Roms betrachtete – Nacht für Nacht!

Er kauerte vor dem Fensterloch in seiner Kammerhöhle und bohrte seine gierigen Wolfsaugen hinaus in das feierliche Dunkel, hielt sie unverwandt auf die Stelle gerichtet, wo der breite weiße Lichtquell emporquoll wie ein schimmerndes Eiland in einem grenzenlosen Meere von schwarzem Dunst.

Instinkte regten sich bei diesem Anblick in der dumpfen Seele, Begierden erwachten:

»Das sind die Lichter Roms! Wie sie blitzen! Wie lauter Gold! Wäre ich dort! Ach, wenn ich dort wäre ...«

Manche Nacht erwachte Vico in jähem Schreck. Er fuhr auf von seinem elenden Lager aus hartem Berggras, tappte nach dem Fenster – sie waren nicht erloschen! Sie flimmerten und schimmerten noch, die Lichter Roms, die in des Knaben Traum in Gold sich verwandelt hatten: in funkelndes flammendes Gold, welches ihn verbrannte und nach welchem er dennoch griff mit gierigen Händen, als wäre es Brot und er ein Verhungernder.

Verbrennen wollte er sich lassen, Seele und Leib verzehren lassen von der goldenen göttlichen Lohe.


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