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XVIII.

Nachdem sich erwiesen, daß ich nicht toll geworden was man indessen verschwieg – erhielt ich meine Strafe zugesprochen. Diese bestand in sofortiger Verbannung aus Rom nach einem sabinischen Felsenkloster, welches unter dem gestrengen Abt Evaristus stand.

Es war aber, als wäre ich ein siebenfacher Totschläger und sollte für zeitlebens auf die schändliche Galeere gesandt werden.

Zwei Brüder wurden mir mitgegeben, denen befohlen war, mich zu bewachen; ihnen ward streng verboten, ein Wort mit mir zu reden oder auf eine meiner Fragen Antwort zu geben. In ihrem Geleite machte ich mich eines frühen Morgens auf den Weg, ohne daß ich von einem der Brüder hätte Abschied nehmen dürfen, was mir zu meiner eigenen Betrübnis nicht schwer ward.

Auch der Hochwürdige hatte mich nicht mehr sehen wollen. Ich wußte, daß er mir im Herzen tausend Verwünschungen mit auf den Weg gab, und daß ich nicht bei einem im Kloster eine brüderliche Gesinnung oder ein christliches Bedauern für mich zurückließ.

Wir verließen Rom durch die Porta San Lorenzo. In der Basilika des Heiligen verrichteten meine Begleiter ihre Andacht, während deren Dauer ich vor der Thüre bleiben und auf der Schwelle niederknieen mußte. So geschah es bei jeder Kirche, jeder Kapelle, die an unserem Wege lag.

Dieser führte uns gerade auf das schimmernde Gebirge der Sabina zu, welches gleich einer gewaltigen leuchtenden Wand vor uns aufstieg. Sie anblickend, dachte ich:

Das dünken mich heiligere Mauern, als diejenigen waren, aus denen man mich verbannt hat. Wenn diese Felsenwände dich von der Welt scheiden, wird es dir besser ergehen, und du gelangst vielleicht doch noch zum Glauben und zum Christentum, oder aber zum Frieden.

Also schaute ich beinahe freudig vorwärts, wo mir über dem lichten Felsenrücken die beschneiten Gipfel entgegenschimmerten.

Viele sabinische Hirten kamen uns entgegen: Greise, schöne Jünglinge, zarte Knaben, sämtlich mit Flöten, Schalmeien oder Dudelsäcken. Sie zogen nach Rom, in dieser heiligen Stadt anzubeten und die Geburt des lieben Heilands zu feiern. Denn diese armseligen Männer, welche mit den Fellen ihrer Ziegen und Lämmer bekleidet waren, dachten zu dieser Zeit daran, daß ihnen zuerst die Botschaft verkündet worden: Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. – Euch ward heute der Heiland geboren.

In Scharen zogen sie heran, und wo eine Kapelle oder ein Kreuz sich erhob, da machten sie Halt, stellten sich im Kreise auf und begannen, der holdseligen Gottesmutter und dem lieben Jesuskinde nach Herzenslust etwas vorzublasen und vorzupfeifen.

So oft wir auf solche musizirende Hirten stießen, blieben wir stehen, entweder vor einem Heiligtum an der Straße, oder auf freiem Felde, oder vor einem Madonnenbilde in einer Oliveta, oder vor einem verfallenen Kapellchen am Rande eines Eichenwäldchens. An allen diesen Plätzen fanden sich zu gewissen Stunden andere Hirten ein, deren Herden in der Nähe weideten. Sie stellten sich mit den wandernden Genossen auf, bliesen und pfiffen.

Meine beiden Wächter gesellten sich jedesmal zu den anbetenden Hirten. Der eine von ihnen war gleich mir ein Priester; dieser erteilte alsdann den Leuten seinen Segen oder er wurde vom Volke gebeten, ihnen zu predigen. Alle versammelten sich um ihn und er stand und erzählte den Hirten die Geburt des Heilands. Es hingen die Augen der guten Leute an den Lippen des Predigers, mit andachtsvollen Mienen lauschten sie seiner Geschichte; ach, und wie sie glaubten! Herr, Herr, Herr, wie sie glaubten!

Auch bei diesem wahrhaft heiligen Gottesdienst mußte ich von ferne stehen und zuschauen und da – zum erstenmal geschah es, daß ich mir wie ein Verbannter und Ausgestoßener vorkam. Ich stand und fühlte wiederum jene unsägliche Sehnsucht und hätte wiederum vor Sehnsucht meinen Geist aufgeben oder mich steinigen und kreuzigen lassen mögen; und ich fühlte mich wiederum gleich einem Verschmachtenden in der Wüste.

Ach, und wie ich jene in Felle gehüllten, einfältigen Menschen um ihres Glaubens willen beneidete! – Herr, Herr, Herr! wie ich sie beneidete!

*

Erst am Nachmittage erreichten wir Tivoli, an welchem schönen Orte wir die Nacht zubringen wollten. Meine Wächter gingen mit mir in ein Kloster unseres Ordens, das neben einem prächtigen Landhause der Este, nahe der Porta Romana, gelegen ist. Ich wurde vor den Prior geführt und von diesem hochwürdigen Manne streng ermahnt, in mich zu gehen und Buße zu thun, denn mein Frevel stänke zum Himmel auf, und Gott ließe sich nicht ungestraft beleidigen. Drauf brachte man mich in eine dunkle, feuchte Zelle, reichte mir ein Stück Brot und schloß hinter mir ab.

Am nächsten Tage setzten wir die Wanderung fort, jenseits der Anioschlucht, auf der alten Via Valeria, welche auch nach Subiaco führt, tief in das wilde und prächtige Gebirge hinein. Es war eine wahrhaft heilige Frühe. Aus den schattigen Thälern stieg ein zarter Dunst empor, und der rosige Himmel hing voll lichter Wölklein. Ich freute mich des fröhlichen Lebens in den Oliveten, darin gerade geerntet wurde. In dem silberhellen Laub glänzten die schwarzen Früchte, welche die Jungfrauen Tivolis pflückten. An jeden Baum standen mehr als sechs Leitern gelehnt, auf denen die Mädchen bis in die Wipfel hinaufstiegen, daß von ihnen nur ihr rotes Mieder oder ihr buntes Schleiertuch zu sehen war, oder zuweilen ein schönes braunes Antlitz aus den hellen Zweigen hervorlugte. Sie sangen in den Aesten wie die Vögelein, und es widerhallte von ihren Liedern der Wald.

Auch heute begegneten uns viele sabinische Hirten, auch heute predigte ihnen der Priester auf freiem Felde das Evangelium, auch heute stand ich, brennende Sehnsucht im Herzen, von ferne. Es geschah häufig, daß die guten Leute zu mir traten, mich anredeten und mich aufforderten, mit ihnen der Mutter und dem Kinde Verehrung zu erweisen. Alsdann bedeutete ich ihnen, daß sie mich lassen müßten. Ich gewahrte, wie sie sich abwendeten und den Bruder über mich befragten, wie dieser ihnen Auskunft gab und wie sie dann voller Scheu auf mich blickten. Wohl sind selig zu preisen alle, die einfältigen Gemütes sind.

Mittags rasteten wir hinter der sabinischen Stadt Vicovaro in dem Franziskanerkloster San Cosimato.

Dieses Heiligtum liegt in einem Cypressenwalde auf einem jäh absteigenden Felsen über dem Anio, der hier in das harte Gestein tiefe Grotten gerissen. Selbige sind heiliger Aufenthalt; denn in diese Felsenhöhlen flüchtete Sankt Benedikt, da ihm von einem schlimmen Abte nach dem Leben getrachtet wurde. Zwei Raben wiesen ihm von seiner Einsiedelei bei Subiaco hieher den Weg. Doch ward mir nicht gestattet, die geweihte Stätte zu betreten.

Im Kapuzinerkloster von Arsoli übernachteten wir das zweitemal. Der Prior war ein überaus frommer Mann, der sich dermaßen über meine Verruchtheit entsetzte, daß er meine Begleiter bat, von meiner Sünde für die Seelen seiner Mönche Vorteil ziehen und mich ihnen als böses Beispiel aufstellen zu dürfen. Die Bitte wurde dem gottesfürchtigen Mann gewährt. Ich mußte mich in ein Bußhemd hüllen, bekam eine Geißel in die Hand, alsdann wurden die Mönche zusammengerufen und in zwei Reihen ausgestellt. Nun trat ich ein, durchschritt die lebendigen Gassen, wobei ich mich geißelte und mit lauter Stimme ein Bußgebet absprach.

Dreimal mußte ich denselben Weg thun.

Am dritten Tage der Wanderung verließen wir die Via Valeria, begaben uns ein Stück Weges wieder zurück auf die andere Seite des Arno und verloren uns in das hohe Gebirge.

Wie wild und einsam die Welt sein konnte! Ein Schauer überlief mich, da ich die große Oede gewahrte, nur Himmel und Felsen. Aber über der Wildnis mochte noch immer der Geist Gottes schweben, wie er einstmals über den Wassern geschwebt hatte.

Wir wanderten viele Stunden, und das ungeheure Schweigen begann mich zu ängstigen. Um den Ton einer Stimme zu hören, richtete ich zum erstenmal eine Frage an meine Begleiter, doch sie antworteten mir nicht. Ich fragte ein zweites- und drittesmal, da hoben sie einen Bußgesang an; in diesen durfte ich mit einstimmen.

Unter den feierlichen Tönen zogen wir durch die starren Klippen, bis auf einmal der Fels vor uns sich zu spalten und zu öffnen schien, als hätten die Klänge unseres Psalmes ihn erschlossen. Ohne den Gesang zu unterbrechen, traten wir ein in den Spalt und gewahrten hoch über dem Abgrund das Kloster. Ich konnte nicht anders: ich blieb stehen und schaute zurück. Mir war's, als ob die wilde Wand hinter uns sich wiederum schließen müßte.

Unser Gesang verhallte in den Gewölben, in den Gängen des Klosters.

*

Am dritten Tage meines Aufenthaltes in der Felsenabtei ward ich zum erstenmal zum Abt Evaristus entboten. Der gestrenge und hochwürdige Herr erwartete mich im Hofe und saß auf einem Maultiere. Er befahl mir, ihm zu folgen.

Der Abt ritt voraus und nach ungefähr zwei Stunden gelangten wir auf den Gipfel eines hohen Berges, darin sich eine enge Höhle befand. Vor der Oeffnung war ein hohes Kreuz aus Cypressenholz aufgerichtet, und man vermochte zu der Grotte nur zu gelangen, indem man sich dicht an der Felsenwand entlang schob. Wer von Schwindel erfaßt wurde, der that wohl, den Weg mit geschlossenen Augen zurückzulegen, denn schrecklich war der Abgrund, der zur Seite sich aufthat.

Abt Evaristus war von seinem Tier gestiegen und mit mir zur Höhle gegangen. Hier standen wir nun und schauten auf die Gipfel der sabinischen Alpen. Kein Baum war zu sehen, kaum ein Grashalm.

Abt Evaristus sprach:

»In einer ähnlichen Höhle des umbrischen Berges Subiaso hat der heilige Franziskus viele Jahre gelebt und in der Einsamkeit mit seinem Gott gerungen und von sich abgethan, was sündig und menschlich an ihm war. Deshalb ward in dieser Wildnis diese Höhle von mir ausersehen als Aufenthalt für solche Jünger San Franziski, welche es notwendig haben, in der Einsamkeit mit Gott zu ringen und ihre Sünden von sich zu thun.

»Diese Höhle ist die Strafzelle unseres Ordens.

»Mancher, der gottlos oder ungehorsam oder sonst gänzlich verwerflich war, hat diese Höhle bezogen: einige für Tage, andere für Wochen und Monate. Einige waren bereits nach Tagen, in dieser Höhle zugebracht, gottesfürchtige, gehorsame und reuige Diener des Herrn und der Kirche, bei anderen brauchte es längere Zeit.

»Es hängt von dem Willen eines jeden ab, der diesen Aufenthalt bezieht, wie lange er an demselben verbleibt.

»Ich habe Dich hieher geführt und ich zeige Dir diesen Ort, auf daß Du durch den Anblick gemahnt wirst, Deine Sünde abzuthun, ehe ich Dich dazu verurteilen muß, solches Reinigungswerk in der Einsamkeit zu vollbringen: der Anblick dieses Ortes soll Dich warnen. »Du bist ein gottloser und ungehorsamer, ein gänzlich verwerflicher Mensch; siehe denn, wohin Du es mit Deinen Lastern bringen kannst: bis hinauf zu diesem Felsengipfel.

»Nun kehre um mit mir.«

Entsetzen faßte mich. Ich konnte nicht reden, vermochte auch nicht, dem Abt gleich zu folgen. Da ich den fürchterlichen Pfad zurückschritt, ohne meine Augen zu schließen, wäre ich beinahe gefallen.

Wieder in das Kloster zurückgekehrt, mußte ich drei Tage unter scharfer Geißelung fasten; alsdann kam Abt Evaristus in meine Zelle.

Er fragte mich:

»Was meinst Du, Bruder Angelikus, wird der Orden die Strafe der Verurteilung zur Felsenhöhle gegen Dich anwenden müssen?«

Ich schrie auf:

»Nein! Nein!«

»So unterwirfst Du Dich?«

»Ja! Ja! Ja!«

Und ich unterwarf mich.

Ich war zerknirscht, reuevoll, bußfertig; ich war in allem ergeben und demütig; ich war gehorsam.

Abt Evaristus gebot mir:

»Schreibe die Geschichte Deiner Bekehrung nieder. Ich will die Schrift nach Rom senden, als Beweis Deiner Reue, Deiner Unterwerfung, Deines Gehorsams. Schreibe also!«

Und ich schrieb. Zuerst wußte ich kaum, wie ich es beginnen sollte; zuerst lag mein Geist gänzlich gefesselt in den Banden meiner Furcht, in der Nacht meines Grausens vor jenem fürchterlichen Ort; denn ich war feige. Ich heuchelte und log.

Auch wußte ich zuerst gar nicht, was ich mit meinen Gedanken beginnen, wie ich dieselben ordnen, ausdrücken und aufzeichnen sollte – der leichte Federkiel ruhte so schwer in meiner Hand, daß dieselbe mir beinahe erlahmte.

Aber ich war gehorsam: ich schrieb!

Wenn es gar nicht gehen wollte, so fastete ich, oder ich geißelte mich. Ich hungerte und mißhandelte mich so lange, bis ich schwach und stumpf war. Und immer, immer das Grausen vor jener gräßlichen Stätte.

Unter dem Druck dieses Grausens setzte ich hinter den Namen meiner Eltern gehorsam die mir gebotene Verwünschung, zunächst in Worten, alsdann noch lange Zeit in Gedanken.

Es ist mir aber wundersam ergangen. Allmälich verlor ich meine Angst, allmälich überwand ich mein Grausen und auch die Feigheit; allmälich ward der Federkiel in meiner Hand leichter und leichter, allmälich lief er schneller und schneller über das Papier, bis mir das Aufzeichnen meiner Gedanken, das Niederschreiben meiner Geschichte so leicht wie das Atemholen wurde. Jedes Wort ward mir gleich einem Aufatmen aus tiefster Brust; ich empfand, als stünde ich auf einem hohen Berge, in frischer Luft, im Sonnenschein.

Ich danke dafür meinem Gott, und ich danke dafür Evaristus, meinem hochwürdigen und gestrengen Abt.

Dieser wird jetzt meine Schrift lesen, denn sie ist beendet: ich habe ihm Gehorsam geleistet.

Alles habe ich der Wahrheit gemäß ausgezeichnet.

Nur, daß ich meine Eltern segne, statt ihnen zu fluchen, daß ich die Juden liebe, statt sie zu hassen, daß ich den jüdischen Glauben, den Glauben meiner Väter, für göttlicher halte als den christlichen.

Gleich werde ich dem Abt Evaristus diese Bekenntnisse abgeben. Der Abt Evaristus wird sie prüfen, der Abt Evaristus wird sie verdammen. Ich erwarte meine Strafe. Ich kenne sie: die Felsenhöhle: aber –

Ich unterwerfe mich nicht!

Wie ist mir so frei, wie ist mir so leicht und wohl.

O, mein Vater! Mutter! Mutter!

 

Ende des zweiten Teils.

 


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