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XV.

Wie ich bereits berichtet habe, gehörte zum Kloster ein großer Besitz an Weide und Ackerland. Derselbe lag nach den Albanerbergen zu, zwischen der lateinischen und der palästrinischen Straße, und befand sich dort eine Tenuta, darin der Pächter mit einigen Beamten und den Knechten wohnte. Zur Bebauung des Landes, welches unter dem Pfluge stand, und zur Ernte kam von den Gebirgen und der Meeresküste viel fremdes Volk, das sich in Grotten und Ruinen ansiedelte und so lange blieb, bis die Arbeit gethan war. Diese Leute hatten gegen kärglichen Lohn einen schweren Frondienst zu verrichten, denn von hundert starben in manchem Sommer mehr als zehn an Fieber und Sonnenbrand. Auch verging keine Ernte, bei der nicht etliche erstochen oder erschossen wurden, und gerade war es die Tenuta meines Klosters, wo das unselige Volk am härtesten bedrückt ward. Schuld an solchen Uebeln trug wohl vornehmlich der Umstand, daß dem Pächter das Land zu einem ungewöhnlich hohen Zins überlassen worden war, weshalb jener harte und geldgierige Mann sowohl seine Leute als das Land auf die schnödeste und schändlichste Weise ausbeutete, um aus seiner Pacht möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Nun geschah im ganzen römischen Lande zwar das nämliche, und niemand fand darin etwas Ungebührliches; indessen auf der Tenuta unseres Klosters standen die Dinge sogar für römische Zustände schlimm und erregten ein peinliches Aufsehen. Lange Zeit hatte der Abt sich wenig darum gekümmert; jetzt vernahm er aber, daß unter der üblen Wirtschaft des Pächters nicht nur die Menschen zu Grunde gingen, sondern auch – was viel schlimmer war – das Land. Dieses wurde so lange besät und geackert, bis alle Kraft aus der Scholle gesogen, bis das prächtige Erdreich gänzlich verwilderte. War dann die Pacht abgelaufen, so trug der tote Boden für eine lange Reihe von Jahren keinerlei Früchte mehr.

Doch in dieser Weise treiben es, wie gesagt, alle Kaufleute des römischen Ackers, bis das ganze Land, das noch nicht Wildnis geworden, zur Wildnis werden wird. Man glaube aber nicht, daß jene Krämer, Wucherer und Schinder Juden wären! Ist doch den ebräischen Händlern und Betrügern allein der Verkauf von Lumpen und altem Eisen gestattet.

Nun sollte jener christliche Pächter wegen des jüdischen Wuchers, den er mit dem Lande trieb, von unserem Abte zur Rechenschaft gezogen werden, und war ich zu dieser Botschaft ausersehen worden.

Am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg. Eigentlich hätte ich die Stadt durch die Porta Maggiore verlassen sollen; ich schlug indessen eine andere Straße ein: am großen Zirkus und den Thermen des Caracalla vorbei, durch das Thor des heiligen Sebastian, hinaus auf die Via Appia Antica. Es war dies an einem strahlenden Märztage. Ich sah häufig den blauen Himmel und die beschneiten Gipfel der Sabina, von den Blüten der Mandelbäume wie von rötlichen Schleiern umhüllt. Wo viele solcher lieblichen Bäumchen beisammen standen, glichen sie, aus der Ferne gesehen, rosigen Eilanden, die aus den braunen Hügelwogen des weiten Landes aufragten. Ach, lieber Herrgott, wie schön war deine Erde! Mein armer Verstand konnte es nicht fassen; und es sangen und jubelten davon doch die Lerchen, die hoch über mir hinflatterten. Unter ihrem Gesänge sprangen die Knospen der Bäume und Büsche auf; erblühten die Blumen, während die Menschheit in ihrer Qual verharrte, so lange ein Menschenherz schlägt.

Plötzlich überfiel mich eine große Angst vor dem Anblick jener Gegenden, nach denen ich soeben noch ein so heftiges Verlangen getragen; um nicht das Grab der Cäcilia Metella, Hain und Thal der Egeria und alle anderen Stätten des Glückes meines Lebensfrühlings schauen zu müssen, ging ich auf einem weiten Umwege an der aurelianischen Mauer dahin, bis ich in die Nähe der alten Porta Asinaria gelangte. Von hier aus wanderte ich quer über die Felder, ohne umzublicken, der Stelle zu, wo mir in ziemlicher Entfernung eine Waldung hoher Pinien die Lage der Tenuta bezeichnete. Schaute ich auf, so sah ich geradeaus oder links nach dem Gebirge hinüber; auf meiner rechten Seite war für mich die Welt mit einem dichten Vorhang bedeckt.

Gegen Mittag erreichte ich das Gehöft, welches auf einer weiten Wiese inmitten einer überaus herrlichen Pineta gelegen ist, deren schlanke rote Stämme gleich Säulen aus Porphyr aufsteigen. Rings ist der Wald von einer niedrigen Mauer umgeben, und weideten unter den breiten, die ganze Wiese beschattenden Wipfeln die großen Herden der Tenuta, Pferde und viele mächtig gehörnte Ochsen. Desgleichen gab es eine große Menge von Perlhühnern, Pfauen und Truthühnern, welch schimmerndes Gevögel in dem prächtigen Hain wie in der Wildnis lebte. Das Gebäude der Tenuta gleicht einer Feste mit gewaltigen Mauern und Türmen; es schien gänzlich öde, als wäre es seit Menschengedenken von seinen Bewohnern verlassen. Wie ich auch pochte und schrie, es wurde mir nicht geöffnet, niemand ließ sich blicken. Nach langem Suchen fand ich bei den Ställen ein altes Weib, das an einer Mauer im Sonnenschein lag und seine Lumpen nach Ungeziefer durchsuchte. Dieses Geschöpf Gottes kroch zu mir hin, winselte mich an, schrie, ich sollte ihr die Beichte abnehmen und ihr ihre Sünden vergeben. Da ich ihr sagte, daß ich zu solchem Thun nicht die Befugnis hätte, begann sie mich heftig zu schimpfen: ich sei ein rechter Tagedieb! Was ich denn sonst zu thun habe, zu was ich sonst nutz sei? Sie würde keinen Mönch mehr füttern! Alsdann heulte sie von neuem, fing mit mir zu handeln an: ob ich für eine Oelsuppe, oder für eine Eierfrittata, oder für ein gesottenes fettes Perlhuhn ihr ihre Sünden vergeben würde? Wollte ich das nicht, so sollte ich mich zum Teufel scheren.

Nachdem das Weib mich genugsam verwünscht und ihrem Herzen Luft gemacht hatte, erfuhr ich nach langem Fragen, daß sich der Pächter mit dem Ministro und allen Leuten in der Vigna befände, welche die Tenuta unterhalb von Frascati besaß. So mußte ich denn bis zum Abend warten. Nun versuchte ich, an dem Weibe meine christliche Pflicht zu erfüllen, redete ihr zu und sprach überaus ernsthaft und milde mit ihr, obwohl mir gar nicht so zu Sinne war, und ich folglich wieder einmal log und heuchelte, daß ich mich vor mir selber schämte. Auch wollte das Weib gar nicht getröstet oder erhoben sein, sondern begehrte nichts als Vergebung aller ihrer Sünden, auf daß sie mit ruhigem Gewissen von neuem sündigen könnte, wie sie mir in aller Einfalt zugestand. Da ich ihr eine solche Absicht heftig verwies, wobei mein Zorn viel wahrer war als vorher meine Güte, begann sie ihr wüstes Schelten von neuem. Nun ließ ich sie in ihrem körperlichen und geistigen Unflat.

Ich begab mich fort vom Gehöft, setzte mich unter eine Pinie, betete, zog mein Brot hervor und aß. Später ging ich, mir die Aecker zu beschauen, die sich in einem greulichen Zustand befanden; große Strecken lagen voller Steine und Unkraut, waren versumpft und versandet, eine rechte Wildnis und Wüstenei, darinnen es einem Stachelschwein, welches über meinen Weg lief, und einem Pärlein Blauamseln, die über den vorjährigen, hohen, grauen Disteln umherflatterten, besser behagte, als den Menschen.

Gegen Ave sah ich die Männer von den Albanerbergen her über die Steppe zurückkehren; zwei davon waren zu Pferde, der Pächter und der Aufseher. Das alte Weib lief ihnen entgegen, schon von weitem unter heftigen Geberden schreiend: ein Mönch vom Kloster sei gekommen, den hätte der Teufel hergeführt; denn ein solcher – – Das andere konnte ich nicht verstehen. Als die beiden mich erblickten, kam der eine auf mich zugeritten.

Nun war dieser Leuteschinder und Landverderber ein überaus finsterer und trotziger Mann, von starker, stattlicher Gestalt, dem man seine schlimmen Thaten gleich ansah. Er hielt sein Pferd dicht vor mir an und fragte mich, was ich wollte und wer mich gesendet. Ich erwiderte, ich käme im Aufträge meines Abtes und brachte alsdann in schlichten Worten die Beschwerde meines Klosters vor. Zufällig fand diese Unterredung auf eben einem solchen verdorbenen und verwüsteten Acker statt; daneben lag ein Feld, darauf junger Weizen überaus üppig in die Höhe schoß. Aber wie lange würde es dauern, und auch jener Boden trug nichts als Steine und Unkraut. Beide Aecker zeigte ich dem Manne, der auf meine harte Beschuldigung entgegnete:

»Kehrt wieder zurück zu Eurem Kloster und sagt Eurem Abt, Ihr hättet seine Beschwerde bei mir vorgebracht und mir die beiden Aecker gezeigt: der eine reiche Frucht tragend, der andere toter Boden. Und berichtet Eurem Abt, ich hätte gleichfalls auf die beiden Felder hingewiesen, Euch erwidernd: Seht, diese junge Saat, wie kräftig sie dasteht, reiche Ernte versprechend – gleicht sie nicht einem jungen Menschenkinds darin das Leben herrlich aufgeht? Da ereignet es sich, daß jene Seele der Kirche verfällt, daß aus einem tüchtigen und nützlichen Menschen ein Priester und Mönch wird. Nun schaut Euch jene Seele nach einiger Zeit, etwa nach zehn Jahren, wieder an. Ich sage Euch, Ihr werdet sie wiederfinden so abgestorben, so bar aller Fruchtbarkeit und Nützlichkeit, wie eben dieser wüste und wilde Acker es ist: die Kirche hat aus dem fetten Boden alle Kraft gesogen und den Acker um seine ganze Ertragsfähigkeit gebracht. Was aber würde Euer Abt sagen, träte der Vater jenes im Kloster zu Grunde gerichteten Jünglings mit einer Anklage vor ihn? Sicher, daß der Abt jenem Vater antworten würde: Geht Eurer Wege! Die Seele Eures Sohnes ward Besitz der Kirche, und diese kann frei mit ihrem Eigentum schalten.

»Also antworte ich Eurem Abte auf seine Beschuldigung: Geht Eurer Wege! Ihr überließet mir dieses Land gegen Wucherzins; ich ziehe aus diesem Lande, so lange es unter meiner Hand ist, nach Möglichkeit Nutzen, kümmere mich nicht um seinen Zustand, so wenig wie Ihr Euch um den Zustand der Seele kümmert, welche Euch anvertraut worden, und die Ihr verdorben habt.

»So lasse ich Eurem Abte antworten.«

Damit wandte der Mann sein Pferd und ritt davon. Aber er hielt sein Tier noch einmal an und rief mir zu:

»Habt Ihr in Eurem Kloster von dem Bruder Bartolomeo reden hören?«

Ich entgegnete:

»Ich habe diesen guten und frommen Bruder viel rühmen hören. Er starb, ehe ich ins Kloster kam. Kanntet Ihr ihn? Es muß ein prächtiger Jüngling gewesen sein.«

»Er war mein Sohn – – Wollt Ihr in der Tenuta über Nacht bleiben, so sollt Ihr mir willkommen sein.«

Damit gab er seinem Tiere die Sporen und sprengte zum Gehöft. Doch ich folgte ihm nicht, sondern machte mich, trotz der anbrechenden Nacht, auf den Rückweg, der, mit der Antwort jenes Vaters im Herzen, ein unsäglich dunkler war.

Nach kurzer Zeit hatte ich den Weg verloren und versuchte vergeblich, mich zurecht zu finden. Endlich blieb ich pfadlos auf der wilden Steppe, der Richtung zuschreitend, wo ein mattgelblicher Schein aus der Erde aufzubrauen schien und als ein fahles Gewölk darüber schwebte.

Dort lag Rom.

Es war ein mühseliges Wandern, bald über wüstes Feld, bald über junge Saat, jetzt durch sumpfige Niederung, sodann einen mit Buschwerk bewachsenen Abhang hinab, an antiken Ruinen und mittelalterlichen Türmen vorüber, deren Trümmer den Boden bedeckten. Indessen meine Seele war gänzlich bei den Worten des Vaters jenes guten, im Kloster verstorbenen Jünglings, so daß ich der Beschwerden meines nächtlichen Ganges kaum achtete, sondern im Geiste vollständig andere Pfade wandelte – keinem Lichtschein entgegen, sondern mehr und mehr von einem himmlischen Glanze hinweg, hinein in die Finsternis. Wiederum mußte ich denken, wie in dem Glauben, den ich als Irrlehre anerkannt und abgeschworen, es sich schwerlich ereignen könnte, daß ein Vater von einem Diener seines Gottes so zu sprechen vermöchte, wie jener Vater zu mir von meiner Kirche gesprochen. Ich mußte denken, wie bei dem verfluchten und einer ewigen Verdammnis verfallenen Volk der Juden kein Jude über die Priesterschaft seines Glaubens so urteilen könnte, wie jener Christ über die Priesterschaft seiner Kirche geurteilt, dieselbe dadurch verurteilend, nicht allein die christliche Priesterschaft, sondern mit dieser zugleich die christliche Kirche, wie sie von jener geschaffen worden. – Ich mußte denken, wie dem verworfenen Stamm der Ebräer sein Göttlichstes, der Tempel, auch wirklich sein Göttlichstes war, wie einein Ebräer jede Nichtachtung dieses Allerheiligsten unmöglich wäre. Und was hatte ich, der ich noch ein Jüngling war, kaum gesalbt und geweiht, im Dienste des höchsten Gottes bereits an Verachtung meines geistlichen Gewandes und meines Klerus erfahren müssen! Herr, Herr, ich bekenne dir, daß mir in jener schwarzen Nacht das Judentum, das schändliche Judentum, erschien gleich einen: hehren, leuchtenden Bildnis, und das heilige Christentum, wie es die Kirche Christi entstellt und schimpfirt hat, gleich einer Grimasse des Göttlichen: denn es offenbarte sich mir die Reinheit dieser und die Entartung jener Religion: und war doch der Kultus der Juden der allerälteste aus Erden und dennoch heutigen Tages nicht anders, als er zu seinem Beginne gewesen.

Der jüdische Glaube war seit bald zwei Jahrtausenden besiegt und unterdrückt, verfolgt und geknechtet, indessen die Kirche Christi die triumphirende genannt wird.

Unterdrückte halten zusammen, klammern sich aneinander, helfen und schützen einander, leben in Frieden und dulden einer den andern.

Sieger überheben sich. Einem Triumph folgt zügelloser Uebermut der Gewaltigen, folgt Entartung – Darum wehe der herrschenden Kirche!

Wie steht geschrieben?

Die, welche die ersten waren, werden die letzten sein; wer erniedrigt ward, soll erhöhet werden.

Darum Heil dir, du unterdrücktes –

Hilf Gott! Die ärgsten Versucher eines Menschen sind des Menschen Gedanken. Führe mich nicht in Versuchung! Herr, Herr, ich trage eine heiße Begier ein Christ zu sein, aber ein Christ in deinem göttlichen Sohne, und nicht ein Christ von Christi Kirche.

Wo bin ich hingeraten?!

Verirrt in Finsternis!

*

Als endlich meine Gedanken abließen mich zu versuchen, verspürte ich plötzlich in allen Gliedern eine solche schwere Ermattung, daß ich meinen eigenen Leib wie einen anderen fremden Körper auf mir lasten fühlte und kaum von der Stelle zu kommen vermochte.

Ich befand mich gerade in einem Thale am Rande eines Morastes, den ich an dem dichten hellen Dunst erkannte, der darüber schwebte – Fieberluft!

Nun wußte ich wohl: ich hätte mich nur niederzulassen brauchen, wo ich gerade stand, und ich wäre am nächsten Morgen erwacht, mit einer Krankheit in mir, daß ich mich alsbald für ewig hätte niederlegen können.

Ich fühlte mich denn auch wie gewaltsam hinabgezogen, ich sank nieder, und wenn ich mich wieder aufraffte und mich schwankenden Schrittes von der verderblichen zu der rettenden Stätte entfernte, so gehorchte ich damit nur jener alten Empfindung, die immer noch mächtig in mir war und mir zu leben gebot, so lange ich noch unablässig nach dem Glauben rang, dem ich mich zugeschworen.

Mich mit Mühe auf den Füßen haltend, ging ich weiter. Als ich die Höhe erklommen, sah ich unfern von mir in einer waldigen Schlucht ein Feuer brennen, daran Menschen gelagert waren – sabinische Hirten, wie ich glaubte. Denn ich gewahrte ihre weißen, wilden Hunde, und in einer Tuffsteinwand den Eingang einer Höhle, darüber, vom Feuer rötlich bestrahlt, dichtes Buschwerk aufstieg. Da mich fror, ich auch starken Hunger verspürte, so schritt ich auf das Feuer zu, nicht ohne Furcht vor den Hunden, ich, der ich soeben hatte sterben wollen! Sobald ich mich vorsichtig näher wagte, witterte mich diese Teufelsbrut, etliche sprangen auf und stürzten mir unter schrecklichem Geheul entgegen. Ich wäre ohne Zweifel angefallen und zerrissen worden, hätte nicht eine Frauenstimme den wütenden Bestien geboten, von mir abzulassen.

Als ich diese Stimme vernahm, blieb ich stehen, regte und rührte mich nicht, hätte mich nicht vom Flecke gerührt, wenn die Bestien mich in Stücke zerrissen. Ich stand also, ließ mich von den Hunden beschnuppern und anknurren und sah nichts als das Feuer, daran Myrrha stand, ins Dunkel nach mir herüber blickend und die Hunde lockend, wie sie ehemals gethan. Sie schien unverändert, als wäre seit meinem letzten Gange zu ihr kein Tag verflossen; nicht einmal größer war sie geworden.

Jetzt trat eine Frau aus der Grotte, schaute gleichfalls scharf in die Nacht hinein und rief:

»Wer ist da?«

Da ich doch nicht erwidern konnte, daß es ein Freund wäre, so schritt ich, ohne zu antworten, langsam, langsam auf das Feuer zu. Auf einmal stand ich Myrrha gegenüber.

Aber sie erkannte mich nicht.

Auch Judäa sagte nur:

»'s ist ein Mönch.«

Sie sagte es, als spräche sie von einem Hunde.

Am Feuer lagerten die Juden aus dem Thal der Egeria. Einer mußte aufgestanden und vorgetreten sein, denn plötzlich erblickte ich ihn, und ward sein Körper gänzlich von dem hinziehenden Dampf umqualmt, während auf seinem Haupt der rote Flammenschein lag.

»Mose!«

Er stand mir gegenüber, neben Myrrha und sah mich an, wie nur mein Todfeind mich ansehen konnte. Seinem Blicke folgend hatte auch Judäa mich erkannt. Aber sie nannte mich nicht bei meinem christlichen Namen, sondern rief mit gellender Stimme:

»Das ist der Sohn des Juden Simeon Sarfadi, der Christ!«

Darauf versammelten sich die Ebräer um mich. Viele kamen aus den Grotten und Ruinen hinzu, alsdann trat Judäa vor. Auf mich weisend, sprach sie voll grimmigen Hohnes:

»Da steht er, der uns rächen wird an unserem eigenen Volke und der den römischen Juden vergelten wird alle die Missethaten, die sic an Juden begangen. Denn dazu ward dieser ausersehen, als er noch im Mutterleib war. Bezeigt euch also liebreich gegen diesen, bittet ihn, an unserem Feuer sich niederzulassen, auf daß er sich wärme; reicht ihm Speise und Trank, auf daß er sich labe; ladet ihn ein, in unseren Höhlen zu ruhen auf unseren weichsten Fellen, und grüßt ihn: Herr, Verheißener, Messias! Obschon ein Christ, soll dieser Jude uns hoch willkommen sein.«

Sie trat einen Schritt auf mich zu, neigte sich vor mir und fragte mich mit verhöhnender Demut: ob sie und ihre Tochter mir dienen dürften?

Ich erwiderte:

»Ach, Judäa, die Du mich hassest, weil meine Eltern Uebles an Dir gethan, und ihr anderen Ebräer, die ihr mir ins Gesicht speien möchtet, weil der Stamm Juda, dem ich angehört, euch Böses erwiesen – seht: ich habe dieses Kleid angelegt, weil es ein Gewand des Friedens und der Menschenliebe ist, und weil ich hoffe, in diesem Kleide dem Himmel die Versöhnung mit euch, seinen ewigen Feinden, abzuringen; also, daß vor Gott nicht länger Juden und Christen sind, sondern nur Menschen! Menschen, die leiden, Menschen, die sündigen, Menschen, die bereuen und denen vergeben wird. Darum laßt mich in Frieden von euch gehen und habt selber den Frieden.«

Ich that einige Schritte und senkte dabei die Augen; denn ich mußte dicht an Myrrha vorüber, die so fremd dastand, als hätten ihre Lippen niemals meine Lippen geküßt, als hätte ich niemals um sie geweint in unsäglicher Liebe und in unsäglichem Jammer. Da hörte ich Moses Stimme und blieb stehen, ganz nahe vor ihr.

»Sieh ihn an, Myrrha! So sieht einer aus, der seinen Glauben abgeschworen, der seinen Gott verleugnet, der sein Volk verraten, der die Herzen seiner Eltern zermalmt hat. Sieh ihn Dir wohl an, ihn, den ich geliebt, mehr als meinen Bruder, der Dich geliebt, mehr als seinen Gott. Aber siehe – dieser ist schwachen Herzens. Er ist schlimmer und schändlicher als ein Tempelschänder und Muttermörder. Ist er doch beides geworden.

»Frieden und Menschenliebe predigt dieser Abtrünnige? Aber sieh ihn an – ihr alle, seht ihn an! So schaut einer aus, der den Menschen den Frieden bringen will, Juden und Christen die Erlösung. Als ob wir Frieden mit jenen begehrten, als ob wir einer Erlösung bedürften? Alle sehet ihn an, wie er so blaß und jammervoll dasteht. Wißt ihr warum? Fragt ihn! Fragt ihn nach seinem neuen Glauben, nach der Kirche dieses Glaubens, nach den Priestern dieser Kirche. Fragt ihn, ob er selber Frieden hat, ob er selber sich erlöst fühlt? Seht das Ringen seiner elenden Seele; seht, wie er sich verdammt und verlassen fühlt von Gott und den Menschen.

»Ich sage euch: Es wird für diesen kommen eine Zeit, da wird er wie ein Verschmachtender in der Wüste sein. Aber wenn er nach dem christlichen Kelch greift, um daraus zu trinken und sich vom Tode zu retten, so wird er leer finden den Kelch und vergeblich seine Hände nach dem Gott ausstrecken, der für sein Volk Manna regnen ließ in der Wüste. Es wird für diesen kein Tropfen vom Himmel herabfallen, und er wird verschmachten.

»Also wird geschehen diesem! Also geschehe jedem, der wie dieser gethan!«

Während Mose diesen fürchterlichen Fluch über mich aussprach, hob ich meine Augen und sah ihn an. Und ich sah Myrrha an. Aber auf dem einen Antlitz gewahrte ich nur Haß gegen mich und auf dem andern – kein Mitleid. Da schlich ich davon.

Ich ging nicht weit und mit solchen schweren, schleppenden Schritten, als wären meine Füße aneinandergeschlossen. Den Hügel hinter dem Lager schritt ich hinan, hin über die Wiesen, und ich gelangte zu dem Steineichenhain. Am Saum des Gehölzes sank ich nieder.

Hier nun bin ich gleich eingeschlafen oder sonst um meine Besinnung gekommen. Ich lag eine ziemliche Weile, ohne von mir zu wissen, als ich aufgeweckt ward. Jemand faßte mich hart an der Schulter und rüttelte mich stark. Ich fuhr in die Höhe, war indessen noch so betäubt, daß ich wieder zurücksank. Wie im Traum sah ich, daß der Morgen dämmerte, und daß an dein fahlen Himmel der Mond unterging – eine glühend rote Sichel. Gleich einem Flammenzeichen hing es über Rom, gerade über der Peterskuppel. Erst dann gewahrte ich, daß ich nicht allein sei.

An meiner Seite kauerte jemand. Es war aber nicht Myrrha.

»Ach, Mose, bist Du's?«

Ich sagte es mit einem tiefen Seufzer; daraus schloß ich die Augen wieder. Nach einer Weile fühlte ich, wie Mose sich über mich neigte; ich spürte seinen heißen Atem und hörte ihn raunen:

»Ich bin es, Du Abtrünniger und Verdammter, denn ich habe noch mit Dir zu reden. Viele Stunden bin ich gesessen und habe Deinem Schlummer zugeschaut, und ich weiß jetzt, daß auch Verfluchte ruhig schlafen können. Und nun höre mich, höre mich, was ich erwogen und beschlossen habe in den Stunden, da ich neben Dir in dunklen Gedanken kauerte, die der Herr, mein Gott, der Gott Deiner Väter, den Du abgeschworen hast, als Gedanken des Lichts erkennen wird. Wir sind gewesen gleich Brüdern – gleich Brüdern seien wir in dieser allerletzten Stunde; aber nicht Mose und Dahiel, sondern Kain und Abel. Ich will Kain sein, der seinen Bruder erschlägt. Abel, Abel, Du sollst sterben von meiner Hand.«

Ich regte mich nicht und dachte: Du schläfst und träumst, dich drückt ein Alp. Und weil die Angst mich beklemmte, stöhnte ich auf.

Mose fuhr fort zu flüstern und zu raunen:

»Da Du in Schmach und Schanden aus dem jüdischen Lager wichst, wußte ich, daß Du nicht weit gehen würdest. Und ich fragte Myrrha, wo Du wohl sein könntest. Die Jungfrau kannte den Ort und führte mich her und saß hier mit mir, bis ich sie fortschickte. Siehe, ich hätte Dich töten können, während Du schliefest, indem ich mich auf Dich gewälzt und Dich gewürgt hätte. Aber obgleich Du sterben sollst von meiner Hand, weckte ich Dich, und sobald ich zu Dir geredet, werden wir miteinander ringen, und der Herr, mein Gott, der Gott Israels, den Du geschändet hast, wird Dich in meine Gewalt geben. Also, daß ich es an Dir vollziehen werde, hier mit diesem Messer, wie Kain es an seinem Bruder Abel vollzogen. Und fragt der Herr mich: ›Kain, wo ist Dein Bruder?‹, so werde ich dem Herrn antworten: ›Du weißt es, Herr.‹ Und der Herr wird sprechen: ›Du hast wohlgethan. Denn dieser, den Du getötet, war ärger als ein giftiger Wurm, den man auch zertreten soll, wo man ihn findet.‹«

Ich hatte nun meine Augen weit geöffnet, sah das bleiche Morgenlicht ausgegossen über Himmel und Erde und den roten Mond untersinken hinter den etrurischen Bergen. Und ich sah dicht neben mir Mose mit einem Antlitz gleich einem Sterbenden, aber mit dem Blicke eines heiligen Richters. Ich sah seinen gebrechlichen Leib aufgerichtet und neben ihm im Grase ein großes Messer. Doch blieb ich, wie ich war, mit dem Rücken gegen den Eichenstamm gelehnt und sagte nur:

»Ach, Mose, warum willst Du an mir zum Mörder werden? Du hast mich ja doch einstmals lieb gehabt.«

Er versetzte mit einer Stimme, die wie tönendes Erz war:

»Eben darum!«

Ich fragte von neuem:

»Ist denn Dein Haß gegen mich gar so mörderisch?«

»Es ist nicht aus Haß, daß ich Dich töte, sondern es geschieht um Deinetwillen.«

»Wie, um meinetwillen, o Mose, sinnst Du darauf, mir das Leben zu nehmen? Ach, denke doch –«

Er unterbrach mich:

»Ich dachte daran, als ich hier bei Dir saß, und Dein schlummerndes Antlitz mich gemahnte, daß ich Dich einstmals lieb gehabt und auf Deine reine Seele eine starke Hoffnung für Israel gebaut. Ich habe alles bedacht, und ich will Dir sagen wie alles kommen wird, wenn Du nach dieser Stunde am Leben bleibst, womit Gott, der Ewige, Dich nicht strafen möge.

»Bleibst Du am Leben, so wirst Du von dieser Stelle mit zermalmtem Herzen weichen: Du wirst Dein zermalmtes Herz Deinem Gott darbringen, an den Du glauben mußt, willst Du nicht Dein Haupt am ersten besten Stein zerschellen. Und es wird eine Zeit kommen, da alles in Dir eitel Jammer und Leid ist, da alles sich wandelt zu Lüge und Trug. Alsdann wirst Du ein großer Heiliger sein unter den Christen, aber ein falscher Priester vor Gott. Besitzest Du dann die Macht, und sollte es geschehen, daß Du Gewalt bekämst über die Juden, deren Volk Du einstmals angehört, und vor denen Du jetzt Deine Augen niederschlägst – ich sage: ist dann Dein die Gewalt, so wirst Du Deine Gewalt gegen die Juden wenden, und das Volk, aus welchem Du hervorgegangen bist, unterdrücken und knechten. Denn also muß es geschehen, und also ist es geschehen mit jedem von uns, der seinen Glauben abschwor und dadurch bei den Christen zu großein Ansehen gelangte.

»›Deine Mutter würde einen Sohn gebären, und der spätgeborene Knabe Tod und Verderben bringen über Vater und Mutter und über viele vom Stamme Judä‹.

»Also ward Deinen Eltern über Dich von Judäa geweissagt. Und weil ich nun nicht will, daß die Weissagung sich erfülle, und daß Du, der Sohn Simeon Sarfadis, des Juden, einst die Juden verfolgst und zu verderben trachtest, und weil ich Dich einstmals geliebt habe und Dich immer noch liebe – nm all dieser Dinge willen muß ich jetzt mit Dir ringen, Dich besiegen und Dich töten.«

Nach diesen furchtbaren Worten warf er sich auf mich, und es geschah dies mit solcher Gewalt, daß ich mit dem ganzen Leibe niederfiel, und er mit seinem ganzen Leibe auf mich zu liegen kam. Ich regte mich nicht, denn mir war, als wäre mein Leben bereits aus mir geflohen. Schon hob er das Messer gegen mich –

*

Ich weiß nicht mehr zu sagen, wie alles sich ereignete; doch entsinne ich mich, daß über dem Albanergebirge gerade die Sonne aufging, und daß ihre ersten Strahlen mein Gesicht trafen. Vor meine Augen legte sich ein goldiger Glanz wie von Glorie, darin mir ein himmlisches Frauenbildnis erschien, gleichsam umhüllt von schimmernden Geweben, die allmälich feiner und feiner wurden und endlich zerrannen. Jetzt erst erkannte ich sie. Sie stand über mir auf der Höhe, gerade vor der großen gelben Sonnenscheibe, deren Strahlen von ihr auszugehen schienen.

Ich entriß Mose das Messer und versuchte mich zu erheben. Mein Mörder, mit beiden Händen meinen Hals umklammernd, mühte sich, mich zu würgen. Wir rangen zusammen. Ach, es war ein fürchterlicher Kampf, den ich bestehen mußte und dem Myrrha zuschaute. Als Mose stöhnend und röchelnd am Boden lag, richtete ich mich auf und wollte meinem lieben Todfeind in die Höhe helfen. Aber dieser, weil er keinen Mord hatte begehen können, geberdete sich wie von Sinnen, verwünschte sich und Gott, daß ich von ihm ablassen mußte. Dann sagte ich zu Myrrha:

»Auch Du willst meinen Tod?«

Sie begann am ganzen Leibe zu zittern und fragte mit stockender Stimme:

»Wollte er Dich töten?«

»Aus Liebe, wie er sagte.«

»Aus Liebe –«

Sie seufzte, erschauerte und sah mich an, wie sie mich ehemals angesehen hatte, wenn ich sie gefragt, an was sie dächte, oder ob sie denn wirklich niemand liebte?

Jetzt raffte Mose sich auf, schleppte sich zu Myrrha hin, faßte sie beim Arm und gebot ihr:

»Führe mich fort!«

Sie aber stand und sah auf mich. Ich sagte:

»Thue, was er von Dir verlangt; mich wird nicht dieser richten, sondern Gott.«

Sie aber regte sich nicht. Mose fuhr sie heftig an, sogleich mit ihm zu gehen. Doch sie, als hörte sie nicht, sprach zu mir:

»Ziehe dieses Kleid aus, es macht Dich so häßlich, und Du warst so schön.«

Ich schwieg; sie wiederholte:

»Ziehe dieses Kleid aus.«

»Ich kann nicht.«

»Wir pflücken wieder Blumen und winden wieder Kränze. Dann setze ich Dir einen davon auf, damit man nicht sieht, was man mit Deinen armen Locken gethan hat. Komm!«

»Ich kann nicht.«

»Wir wollen wieder auf die Höhen steigen und zusammen die Sonne untergehen sehen. Komm! Komm!«

»Ach, Myrrha!«

»Wir setzen uns wieder in die leuchtende Marmorkammer unter das Bildnis der weißen Frau und lassen uns von den Sonnenstrahlen überrieseln. Und ich erzähle Dir wieder –

»Myrrha, lebe wohl!«

»Und ich küsse Dich wieder.«

»Lebe wohl!«

Ich war bereits den Hügel hinab und vernahm von unten ihre süße Stimme, wie Vogelgezwitscher mich lockend. Da hörte ich Moses Ruf, drohend, gebietend, flehend:

»Dahiel, Dahiel, komme wieder zu uns zurück! Sie soll Dein sein!«

Ich schrie auf in gewaltigem Schmerz. Alsdann floh ich.

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