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VI.

Sie schob den Riegel zurück und ging mit mir aus der Kammer. In dem andern Gemache brannte noch die Lampe; das Oel war beinahe aufgezehrt und dem verlöschenden Docht entstieg ein dichter Qualm. Der erste Schimmer des grauenden Tages fiel ins Zimmer und mischte seinen fahlen Schein mit dem rötlichen Lampenlicht.

Am Tische hockte eingeschlafen die Ninetta; in beiden Händen den Agnus, im Schoße ein aufgeschlagenes Traum- und Tombolabuch. Sie schnarchte mit weit offenem Mund; und schaute das Weib dermaßen des Teufels aus, daß ich beim Vorübergehen das Kreuz schlug: nicht zu meinem Schutze, sondern zum Schutze für die, welche ich bei der Kupplerin zurückließ.

Die Donna sah es, blieb stehen und sagte, zu mir gewendet, mit lauter Stimme:

»Darum sorge Dich nicht. Diese hat länger keine Gewalt über mich.«

Von dem lauten Sprechen erwachte die Alte, riß ihre Eulenaugen auf, sah uns beide stehen und begann, noch halb im Schlafe, ein schreckliches Lamento über den pfäffischen Liebhaber, um dessentwillen die Donna den Principino nicht mehr zu sich ließe. Auch forderte sie von mir statt des Kuppelgeldes, daß ich sie ihrer Sünden los und ledig spräche, für ihre Seele bete und ihr bei jedem Besuche glückbringende Nummern für die Tombola sagte.

Dabei fiel ihr ein, was sie geträumt hatte; von einem roten Mond, der von einem weißen Wolf gefressen wurde. Und um es nicht wieder zu vergessen, suchte sie eiligst in ihrem Buche nach dem Zeichen des Mondes und des Wolfes, um darnach für die nächste Tombola die Nummern zusammenzusetzen.

Während das Weib die schmierigen, zusammengeklebten Blätter auseinander zerrte, fuhr sie fort, über den neuen Galan ihrer Schönen zu jammern. Nun hätte ich wohl dagegen reden sollen, und ich wunderte mich über mich selber, daß ich keine Lust in mir verspürte, wider eine solche Verleumdung zu eifern, auch nicht einmal um der Donna willen. Wir standen beide stumm da und schauten uns an, nicht etwa in Scham, sondern – ach, ich vermag es auch nicht zu sagen! Sie hatte wiederum auf ihrem schönen Gesicht ein Leuchten, wie von einem Schein aus ihrer Seele; so daß ich jetzt ohne jedes Grauen und Herzeleid sah, wie sie in ihrer Schönheit jener Myrrha glich.

Unter dem Gezeter der Alten rief mir die Donna zu:

»Komm fort!«

Sie ergriff die Lampe, nahm aus dem Haar einen silbernen Pfeil, zog damit den Docht der verlöschenden Leuchte mehr hervor und begleitete mich hinaus.

Bei der Stiege angelangt, begehrte ich von ihr, umzukehren: ich könnte meinen Weg nun allein finden und das Haus stände des Nachts offen. Sie aber schüttelte den Kopf und bat:

»Laß mich mit Dir hinuntergehen; nur bis auf die Gasse – nur bis auf den Hausflur.«

Ich merkte wohl, daß sie immer noch an den Principino dachte und hätte sie gar zu gern verhindert, mit mir zu gehen. Aber sie bestand darauf. Wir stiegen also miteinander die Treppe hinunter; sie mit der Lampe voraus, jede Stufe beleuchtend und bisweilen zu mir emporschauend, mit einem Blick und einer Miene, als wäre sie glückselig, mir dienen zu dürfen. Und ist nicht zu sagen, welch ein Anblick das war: aus der Finsternis ihr schönes Antlitz auftauchend, übergossen von den Gluten der Lampe.

Unten löschte sie das Licht, raunte mir zu, zurückzubleiben und wollte zur Thür, um hinaus auf die Gasse zu spähen. Aber ich war bereits vor ihr dort, daß sie nichts davon gewahrte, wie jemand im schwarzen Mantel hastig in den Flur des gegenüberliegenden Hauses zurückwich und daselbst in der Dunkelheit verschwand. Als sie darauf heraustrat, war die Gasse einsam, kein Mensch zu sehen, so aufmerksam sie auch um sich spähte; und ich hütete mich wohl, ihr etwas zu verraten. Dennoch ward sie von einer jähen Furcht befallen, und sie bat mich inbrünstig: »Geh nicht! Komm wieder mit mir hinauf! Warte bei mir, bis es vollends Tag geworden und Leute auf der Gasse sind. Es geschieht Dir gewißlich ein Unglück. Ich flehe Dich an; komm hinauf und schlafe noch einige Stunden. Ich bette Dich in der Kammer, wo Du mir gnädig gewesen, und wo Du schlummern wirst wie in einem Heiligtum. Also komm!«

Dagegen weigerte ich mich mit großer Entschiedenheit. Sie aber fuhr fort, mich flehentlich anzugehen:

»Laß mich wenigstens mit Dir gehen! Siehe, Du bist ja gütig. Verbiete mir nicht, Dich ein Stück Weges zu geleiten.«

Ich schalt sie leise aus und forderte von ihr, sich augenblicklich in ihre Wohnung hinaufzubegeben.

Sie hörte mich demütig an, darauf bat sie:

»Ich will hinter Dir hergehen, fünfzig Schritte und mehr, nur laß mich in Deiner Nähe sein.«

Ich gebot ihr heftig, sich nicht an meine Fersen zu hängen und ihre junge Sittsamkeit nicht dadurch noch schändlicher zu machen, als ihre Lasterhaftigkeit gewesen, daß sie einem Mönch auf der Gasse nachschlich. Diese grausamen Worte ließ sie ohne Widerrede über sich ergehen, seufzte tief auf, stand hilflos da gleich einem gescholtenen Kinde und es rannen ihr Thränen die Wangen herunter.

Ich sagte:

»Lebt wohl, Donna.«

Sie aber drückte beide Hände gegen ihre Brust, als empfände sie dort einen übermächtigen Schmerz, und stammelte:

»Welch ein Wunder hat sich mit mir begeben?« Und noch einmal: »O, welch ein Wunder!« Und alsdann in zitternder Angst: »Wann kommst Du wieder? Schwöre mir zu, daß Du morgen wieder kommst.«

Ich warf einen Blick nach dem gegenüberliegenden Hause und dachte: Du darfst ihr wohl verheißen, morgen wieder zu kommen.

Das that ich denn auch, wofür sie mir dankte, als ob ich damit ihr Leben gerettet.

Endlich schied sie von mir, zuversichtlich und freudig. Ich rief ihr nach; ich würde vor dem Hause stehen bleiben, bis ich sicher wüßte, daß sie hinaufgegangen. Nun beeilte sie sich.

Ich hörte, wie sie die Stiege hinauflief, in ihre Wohnung trat und die Thüre hinter sich zuschlug. Mich langsam entfernend, dachte ich:

Dieses Weibes Seele ist nun für immerdar errettet und erlöst. Wohl ist es ein Wunder. Aber nicht du hast es vollbracht, auch nicht der Himmel, sondern eine ganz andere Macht, die freilich auch göttlich ist.

Ich ging die schmale Gasse langsam hinunter, der Rotonda zu und war bald in tiefe Betrachtung versunken:

Also jetzt mußt du sterben – von Mörders Hand! Sicherlich schleicht er bereits hinter dir her, faßt bereits nach seinem Dolch, der es mit dir zu Ende bringen soll. – – Wolltest du nicht leben bleiben, um den wahren, vollen Glauben zu erlangen und alsdann jene Myrrha zu erretten und zu erlösen, wie dieses Weib erlöst und errettet ward? Und jetzt bist du bereit, aus dem Leben zu gehen, ohne der in Ewigkeit verdammten Seelen aller deiner Geliebten zu gedenken? Wofür alles Herzeleid, das du über deine Eltern und über dich selber gebracht hast? Du hättest für sie glückselig leben können und du willst jetzt um eines Weibes willen, das eine Buhlerin war, unselig sterben?

Solltest du dir nicht gebieten, dein Leben vor dem Dolch des Mörders zu retten?

Nein!

Denn du würdest dich doch niemals in diesem Wirrwarr des Daseins zurechtfinden, doch niemals den wahren, vollen Glauben erlangen, doch niemals ein christlicher Christ sein – doch niemals die Seelen der Deinen erlösen.

Also stirb!

Allein du hast als Christ die Taufe empfangen, wirst daher als Christ auferstehen, kannst daher als Christ selig werden – allein selig.

Sei getrost – das wird nicht geschehen.

Du wirst verdammt werden, wie deine Geliebten, ewig verdammt: denn du stirbst mit einer Todsünde auf dir: du fordertest von dem Weibe, welches die Züge jener Myrrha trägt, dir zu helfen, die Prüfung zu bestehen, und du hättest doch die Prüfung lieber nicht bestanden.

Du wärest gern diese eine Nacht in den Armen der Buhlerin selig gewesen – um dafür auf ewig unselig zu werden.

Und es wurde die Todsünde dieses Verlangens von dir empfunden, ohne Scham, ohne Reue – –

Ich begegnete einem Manne, ließ ihn an mir vorüber, hörte seine Schritte sich mehr und mehr entfernen und auf dem Pflaster verhallen. Dann ward es still. Aber nicht lange, und ich vernahm von neuem Schritte: hinter mir, vorsichtig, schleichend.

Das waren die Schritte meines Mörders.

Ich ging ruhig weiter, nicht schneller, eher langsamer.

Aber die Schritte kamen nicht näher. Sollte der Mann feige sein? Es war ja doch wohl ein gedungener Mörder. Diese pflegten es rasch abzuthun.

Ich kam zu einem Marienbild, eine Lampe brannte davor und darunter war zum Niederknieen ein Bänklein angebracht. Es war, als weise der Himmel selbst mir den Weg, wie ich mein Leben erhalten könnte. Denn wäre ich jetzt vor dem Heiligtum niedergekniet und hätte daselbst so lange im Gebet verharrt, bis die Gasse sich mit Menschen gefüllt, so wäre ich für diesesmal wohl dem Dolche des Mörders entronnen; denn schwerlich, daß der Mann mich im Gebet getötet hätte. Aber ich fühlte in jenem Augenblick gar kein Bedürfnis nach Gebet oder Andacht, sehnte mich auch gar nicht darnach, solches zu fühlen. So ging ich denn an dem Heiligtum vorüber.

Einen Augenblick später hörte ich den Schritt nicht mehr. Doch jetzt – jetzt kam er wieder, schnell und schneller! Jetzt war es Zeit, meine Seele dem Höchsten zu empfehlen, oder zum letztenmale die Heiligen anzurufen, Fürbitte für mich zu thun. Jetzt hörte ich den Schritt dicht hinter mir und jetzt – –

Ich schloß die Augen, drückte beide Hände auf die Brust, gedachte meiner Geliebten und sprach ihre heiligen Namen vor mich hin:

»Vater – Mutter – Mose – Myrrha – –«

Da fühlte ich einen glühenden Schmerz, nahe dem Herzen, ganz kurz und gar nicht so besonders schrecklich. Dann ein Schwindel wie ein Wirbel, wie ein Versinken in einen schwarzen, unergründlichen Abgrund und dann – fühlte ich nichts mehr.

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