Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Es bewies sich an mir, daß das Christentum ein Glaube für die Mühseligen und Beladenen ist. Weil ich nicht wußte, wohin mit mir, so überließ ich mich gänzlich meinem Gott, der sicherlich für mich einen Ausweg finden würde. Und weil in meinem Gemüt ein unsäglicher Jammer und Kampf waren, so überkam mich eine gewaltige Sehnsucht nach Frieden. Um Frieden zu finden, dafür ist nun das Kloster ein guter Ort – nämlich, wenn man fleißig betet und sonst eifrig dem Heil seiner Seele lebt. Denn darüber vergeht einem Mönch das Denken, wodurch wiederum eine glückselige Dumpfheit entsteht, welche für den christlichen Geist die beste Verfassung ist, um das vornehmste Gebot eines Mönches zu erfüllen und der Kirche, ohne zu denken, in allem gehorsam zu sein.

Ich habe es seitdem oft bedacht: nämlich, daß der Bruder Eustachius nur deshalb zu solchem Ende gelangte, weil er gehorsam, aber dabei voller Gedanken war; darum soll heute und alle Tage mein vornehmstes Gebet lauten:

»Schütze mich, Herr, vor Gedanken! Denn sie sind die Sünde, und das Uebel, und die Versuchung.«

Und ich weiß jetzt wohl, weswegen der Bruder Eustachius nur so dringlich geraten, Geißel und Bußgürtel zu meinen besten Freunden zu machen. Es waren auch die seinen gewesen, wie sein zerrissener, blutender Leib mir an jenem Morgen nach meinem ersten Erwachen im Kloster gezeigt hatte. Aber seine Freunde hatten ihm doch nicht helfen können, ihn vor dem allzu vielen Denken zu bewahren.

An alle diese Dinge dachte ich viel.

Wenn ich sonst irgend konnte, sah ich nur das Christentum an, wie es von Christus gemeint worden; und ich mußte einsehen, daß die Kirche Christi in vielem gänzlich anderer Meinung war, als der Herr es gewesen. Oder ich versenkte mich in das Leben des heiligen Franziskus; und ich mußte erkennen, daß wir Franziskaner gänzlich anders lebten, als unser lieber und wahrhaft heiliger Stifter gelebt und für seine Jünger und Nachfolger bestimmt hatte. Und wiederum strafte mich Gott, indem er mich in arge Versuchung führte und mir das Uebel der Gedanken gab.

Ich dachte an die Religion der Juden, und wie diese geblieben, was sie gewesen: ein einiger Glaube, derselbe, der er am Anfang war, ungezählte Jahrtausende vor dem Anfang des christlichen Glaubens, und auch nachher trotz aller Not und Knechtschaft des Volkes, darin dieses beharrte bis auf den heutigen Tag.

Und ich dachte ferner: Wie es wohl sein würde, wenn einer der Propheten, Heiligen oder Märtyrer des jüdischen Volkes Jünger hätte gleich den Heiligen und Märtyrern der christlichen Kirche – ob alsdann wohl auch die jüdischen Mönche also ihren göttlichen Meistern ins Antlitz schlagen würden: Gelübde ablegend, die sie nicht hielten, in Regeln regellos lebend, heilige Satzungen verkehrend; also, daß sie nur dem Namen nach, nicht aber im Geiste, ihrem Heiligen und ihrem Gott nachfolgten.

Nun will ich mich nicht unterfangen, von der christlichen Religion, die so erhaben und wahrhaft göttlich sein könnte, solches auszusagen, indem ich noch bis auf den heutigen Tag ein viel zu junger Christ bin, obenein ein herzlich schlechter! Aber von dem Leben in dem Hause unseres lieben Heiligen und wie wir dessen Gebote nicht hielten, und nach dessen Regeln nicht handelten, davon habe ich – Gott sei es geklagt! – bereits bis heute genugsam erfahren; trotzdem ich auch darin noch von großer Jugend und Kindlichkeit bin, indessen nur bitten kann, immerdar so zu verbleiben.

Wir Franziskaner sollen nach dem Willen unseres lieben Heiligen untereinander in Frieden und Eintracht leben – ach, Sankt Franziskus, wenn die Steine unseres Klosters von unserem Frieden und unserer Eintracht zu reden begännen, welch ein Getöse würden sie anheben, um laut wider uns zu zeugen. Wir sollen fernerhin in einer ganz unsäglichen Freudigkeit des Geistes nach unseren Gelöbnissen leben, unserem lieben Heiligen nachfolgend und Gott dienend – ach, Sankt Franziskus, die meisten deiner Söhne haben in ihren Seelen einen solchen Mißmut oder auch eine solche Trübsal und Unwilligkeit, die Kinder deines lichten Geistes zu sein, desgleichen einen solchen Groll gegen die hehren Pflichten ihres Gewandes, daß du der erste sein würdest, die zu verleugnen, die deinen Namen über die Erde verbreiten. Wir sollen fernerhin demütig sein, hilfreich und mitleidsvoll! – O lieber Sankt Franziskus, sieh, wie wir voll Hochmuts sind; sich, wie wir uns von denen, die mühselig und beladen sind, abwenden: sieh, wie wir unsere Herzen verschließen vor dem Jammer der Welt. Wir sollen fernerhin keusch sein – Sankt Franziskus, lieber Heiliger, auch davon habe ich erfahren müssen! Wir sollen fernerhin nur Gott lieben, aber wir lieben nur uns selbst: oder lieben wir Gott, so lieben wir ihn doch nur unseretwegen: damit er uns vergelte, damit er uns gnädig sei, damit er uns das ewige Leben beschere. Wir nehmen um die Liebe Gottes dem Armen sein letztes Scherflein, aber wir selber geben nur gegen Gotteslohn.

Ach, und wie sind wir gierig nach Geld und Gut! Wir, die wir nichts von Geld und Gut wissen sollen, weniger besitzend, als der Aermste, erbettelnd das Brot, welches wir essen, nachdem wir davon die Hungernden gespeist. So ist denn von dem echten und wahren Orden des heiligen Franziskus nicht viel mehr übrig geblieben als das Kleid, welches wir tragen. Und ist selbst dieses nicht insgemein nach der Regel, da in manchen Klöstern die Mönche ihre grobe Kutte nicht auf dem nackten Leibe tragen, wie unser lieber Heiliger gethan, der doch, seitdem er das Kreuz auf sich genommen, keine gesunde Stunde gehabt. Ich kenne manchen unter uns, dem seine bloßen Füße ein Aergernis sind, der sich seinen Strick aus Seide wünscht, und dem die Wolle, welche er unter der Kutte trägt, nicht warm und weich genug sein kann. Das wären geringe Dinge, aber mit der Seele und deren Pflichten gegen Gott hält es der Mann Gottes nicht besser.

Nach außen hin lebten wir zwar in Keuschheit, Demut und Dürftigkeit. Von unserem Kloster wurden jeden Tag einige ausgesandt, um Almosen zu sammeln; indessen ward des Brotes, welches diese mitbrachten, wenig geachtet, und einzig das Geld angesehen, wenn es auch mit Kupfer war. Das erbettelte Brot schenkten wir den Armen, und für uns selbst buken wir welches vom besten Weizenmehl, wozu wir fette Oelspeisen genossen, nicht minder unverdünnten Wein. Auch besaß das Kloster Vignen und Oliveten und nach den Albanerbergen zu ein Landgut. Dieses war an einen Pächter vergeben und brachte dem Kloster hohen Zins ein. Daran ließen wir uns indessen nicht genügen, sondern wir sammelten nicht minder eifrig anderweitige irdische Schätze, wozu auch meine jüdischen Eltern ihr reiches Scherflein beitragen mußten. Denn ich war meiner Eltern einziger Sohn und Erbe. Von dieser Erbschaft nun war ein Teil von der Kirche meinem Vater abgefordert und von diesem auch der Kirche gegeben worden, und zwar – dieses alles erfuhr ich erst später – ohne daß die Kirche dabei hätte Gewalt anwenden müssen. Es mochte mein Vater denken: ihr nahmt mir anderes, köstlicheres, als Geld und Gut. Und so gab er es hin.

Und wird alles dieses von mir niedergeschrieben ohne Bedacht und Erwägung, daß es für den hochwürdigen Abt Evaristus geschieht, der mir geboten hat, diese Bekenntnisse niederzuschreiben.

Weil ich von den Brüdern der jüngste war und aus anderen Ursachen, die ich nicht verschweigen will: nämlich meiner Jugend und Wohlgestalt willen, ward ich jeden Tag ausgeschickt, Almosen zu sammeln. Ich führte mit mir einen Sack aus grobem Leinen und einen Korb aus Bast geflochten. In den Sack that ich, was mir gespendet ward, und was ich in Demut mit Gotteslohn als Dank zu empfangen hatte; aus dem Korb gab ich in jenen Häusern, woselbst ich vielfach ein und aus ging, von dem Salat, der eigens zu diesem Zwecke in dem Klostergarten gepflanzt wurde: kleine dunkelgrüne Blätter von einem sehr bittern Geschmack, aber von den Römern und besonders von den Römerinnen überaus begehrt. Ich hatte für meine Bittgänge eine bestimmte Region zugeteilt erhalten, und zwar war es die neunte, die flaminische, welche zwischen dem Thore des Volks und dem Kapitol liegt und das weite Feld vom Corso bis an den Tiber bedeckt. Bevor ich mit dem Einsammeln der Almosen betraut ward, empfing ich von einem Bruder langwierige und ausführliche Weisungen über gewisse Häuser, in welche ich bitten gehen, über gewisse Familien und Personen, welche ich um Almosen ansprechen sollte. Die meisten waren dem Kloster überaus wohlbekannt und man wußte bei uns nicht allein von ihrem Charakter und allen Verhältnissen, sondern noch von ganz anderen Dingen, von denen ich nicht ahnte, daß sie auf der Welt wären oder sein könnten, Dinge, die mich mit Zagen und Schrecken erfüllten. Ach, das waren schlimme Lehrstunden, in denen ich ein gar ungelehriger Schüler war.

Am meisten betrübte und ängstigte mich, daß meine demütige Bitte um Gaben christlicher Barmherzigkeit zuweilen nur ein Vorwand sein sollte, um in gewissen Häusern, von denen man im Kloster nichts wußte, aber zu wissen begehrte, mit den Bewohnern bekannt zu werden. Und beinahe immer waren es Ehefrauen, mit denen ich mich vertraut machen sollte. Dazu bedurfte es nun freilich in den meisten Fällen nur eines einzigen Gespräches, welches ich von meiner Seite gänzlich als Jünger des heiligen Franziskus zu führen hatte; also voller Demut, Frömmigkeit und geistlicher Erbauung.

Ich weiß auch nicht, wie es kam; aber die guten Weiber waren stets überaus eifrig, mir ihr Herz auszuschütten, welches gewöhnlich schwer von Leiden und mit Sünden beladen war. Sie führten mich häufig in die Kammern, setzten mir leckere Speisen vor, begannen zunächst damit, daß sie mich meiner allzu großen Jugend wegen bald bejammerten, bald priesen. Indessen sehr schnell brachen sie in laute Klagen aus, seufzten, rangen die Hände, vergossen Thränen, beichteten und bekannten mir. Alsdann erfuhr ich wiederum Dinge, von denen ich mir nicht hatte träumen lassen. Es war viel Unglück dabei, jedoch noch mehr Unrecht. An meiner großen Verwunderung und Bekümmernis waren es im ganzen stets die nämlichen Dinge, die mir alle zu klagen hatten; denn beinahe alle die guten Frauen, unter denen viele jung und recht ansehnlich waren, hatten schlimme und eifersüchtige Ehemänner oder treulose Galane – die Galane galten ihnen als gar keine Schande – und alle begehrten sie deswegen des christlichen Trostes, seufzten heftig nach dem Himmel und verlangten von diesem Vergebung ihrer Sünden – oder auch Förderung derselben.

Wie aber sollte ich da trösten und helfen? Konnte ich doch mich selbst nicht trösten noch mir helfen. Denn je mehr ich von der Welt hörte und sah, um so weniger verstand ich davon. Das menschliche Leben, mit allem, was sich darin begab, dünkte mich fürchterlich. Ich begriff nicht, wie man das Dasein als etwas Göttliches preisen konnte, und wurde davon gequält wie von einem schweren Traum. So entstand allmälich in meinem Kopfe und Herzen ein ungeheurer Wirrwarr, von denn ich niemand sagen konnte; denn in der Beichte wurde mir das Nachdenken über solche Dinge als große Schuld ungerechnet – die ich indessen immer von neuem beging. Im übrigen ward ich in allem auf den Himmel verwiesen. Diesem überließ ich schließlich alles.

Bis ich jedoch in meinem Geiste so weit kam, hatte ich einen langen Weg zurückzulegen; es war ein Weg, auf welchem eine Leidensstation neben der andern lag, ein Weg, auf dem Dornen gestreut waren und Disteln wuchsen.

In der ersten Zeit ward ich von den Klagen der guten Frauen, die nur ihr Herz ausschütteten, als nähme ein Priester ihnen die Beichte ab, gar innig gerührt, beklagte sie, tröstete sie und betete mit ihnen. Aber wie ich alsdann zu einiger Kenntnis des menschlichen Herzens gelangte – ach, lieber Herrgott, da gab es schlimme Stunden! Und ich wollte oft verzweifeln und verzagen, wurde auch nicht besser dadurch, daß ich einsehen mußte, wie viel Schlechtigkeit in der Welt war. Sehr bald geschah es, daß ich, statt trösten zu können, schelten mußte, und statt Mitleid Scham empfand, worauf es bei mancher sogleich zu Ende war, indem sie mich fortschickten und gar nicht mehr zu sich einließen.

Dieses zornmütige, aber aufrichtige Gebahren war mir viel lieber, als wenn sie nach meinen Ermahnungen und eindringlichen Reden eine übergroße Zerknirschung heuchelten, oder sich als reuige Sünderinnen benahmen, mich aber – kamen einmal unerwartet ihre Ehemänner oder Galane dazu – entweder verleugneten oder gar mich vor jenen verbergen wollten, was für einen Jünger Sankt Franziski denn doch ein rechter Schimpf gewesen wäre. Ich weigerte mich denn auch einer solchen schändlichen Heimlichkeit, trat vor die Männer und Liebhaber dieser Frauen offenkundig hin und bat bescheidentlich um Almosen, wie das mein Amt und meine Pflicht war. Häufig wurde ich von den Männern überaus schnöde behandelt, beschimpft und zum Hause hinausgejagt, wobei ich allein der Schmach gedachte, welche dadurch der Kirche und dem Orden Sankt Franziski angethan wurde. Legte ich alsdann des Abends dem Abt Bericht ab, bekam ich gewöhnlich strenge Worte zu hören, die ich nach Gebühr ohne Widerrede in Demut hinnahm: brauchte ich nur nicht zu jenen Weibern zurückzukehren und mit ihnen heimliches Wesen zu betreiben, wie mir hin und wieder wohl geboten ward. Alsdann war auch der Bruder Angelikus ein gehorsamer Diener des Herrn. Denn diese Ordensregel des Gehorsams und gänzliche Unterwerfung unter den Willen des Vorgesetzten war die einzige von allen, welche streng gehalten wurde.

Wer es nicht an sich erfahren hat, kann es schwerlich verstehen: nämlich wie bald ein Mensch sein Unglück gewohnt wird; besonders dann, wenn der Jammer in ihm so stark ist, daß er ihn halb umbringt – ganz thut er das niemals. Kommt nun noch dazu eine dunkle Zelle, eine Kirche, ein Kloster, viel gemeinsames und noch mehr einsames Beten, bisweilen auch Kasteien und strenges Lasten und immerdar dumpfer Gehorsam, so währt es nicht lange und man trägt sein Leben wie sein Gewand, welches wir Mönche nicht eher ablegen sollen, als bis es gänzlich schlecht und schadhaft geworden. Ganz besonders halfen mir noch der Schrecken, welchen die Welt und die Dinge der Welt mir einflößten, das Grausen, welches ich vor dem Dasein empfand, und welches in mir wuchs und wuchs, und davor ich nirgends Rettung fand; es mußte denn sein, daß ich mich an den Himmel klammerte. Dieses that ich – so fest ich vermochte. Hätte ich nur erst aus vollem Herzen glauben können.

.


 << zurück weiter >>