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XVI.

Zwei Wochen hindurch strömten ununterbrochen die Frühlingsregen. Die Gegend rings um den Palatin glich einem Sumpf; die Fluten des Tiber stiegen beständig.

Ich hatte den Abt gebeten, mich wiederum nach Almosen auszusenden, auch dazu die Erlaubnis des Hochwürdigen erhalten. So befand ich mich denn jeden Tag auf den Gassen, mit hochgeschürzter, gänzlich durchnäßter Kutte den Kot durchwatend, statt des Sackes eine große, aus Rohr geflochtene Tasche, darin das Brot, welches ich von milden Seelen empfing, vom Regen nicht durchweicht werden konnte.

Ich sammelte mit großer Geschäftigkeit, ging in die Häuser und bat demütig, aber dringlich um Gaben der Barmherzigkeit. Man spendete mir reichlich. Weniger aus Mildthätigkeit gegen die Bedürftigen, als vielmehr aus Mitleid mit mir, der ich in meinem nassen Kleide einherkam. Hatte ich mein Geflecht gefüllt, so ließ ich dieses bei einem mir bekannten ältlichen Weibe und begab mich eiligst nach der Brücke Quattro Capi. Hier stellte ich mich auf der rechten Seite an das Geländer und schaute hinunter in den Fluß. Es stand aber jedesmal ein großer Haufe von Menschen auf der Brücke, das Steigen des Wassers zu beobachten. Alle sagten ein schreckliches Unglück voraus. Da dieses indessen hauptsächlich den Stadtteil treffen würde, darin das verachtete Volk wohnte, so warteten sie mehr mit Neugier als mit Sorge.

Jeden Tag sah ich, wie der Strom von Stunde zu Stunde höher stieg und berechnete, wann die gelben Schlammfluten – hörten die Wasserstürze des Himmels nicht alsbald auf – den Ghetto erreichen würden.

Noch zwei Tage, und die ganze Judenstadt stand unter Wasser.

Nun waren die Juden es zwar gewöhnt, beinahe jedes Jahr eine Zeit lang gleich den Kröten und Wasserratten zu leben; doch hatte der Fluß selten ein so bedrohliches Aussehen wie diesesmal.

Mußte ich alsdann von meinem Posten auf der Brücke weichen und ins Kloster zurückkehren, ach, so behielt ich in meiner Seele das Bild des schwellenden Wassers und der darüber hängenden elenden Hütten der Via Fiumara. Diese däuchten mich wie eine Schar in Lumpen gehüllter und zum Tode verurteilter Schächer, au eine Felsenwand geschmiedet, zu der die mordenden Wogen aufstiegen, langsam, langsam, stetig, stetig. Ich hörte es in den Fluten glucksen und röcheln, als ertränke ein Mensch: darauf war es wiederum ganz still in der Tiefe, ganz lautlos.

Befand ich mich im Kloster, so schaute ich beständig nach dem Himmel, der Tag für Tag voll schweren schwarzen Gewölks hing. Ließ das Regnen einmal nach, war ich gleich überaus freudig: kaum aber hatte ich zu hoffen angefangen, so begannen die Güsse von neuem. In meiner Herzensangst wegen der Gefahr, die dem Ghetto drohte, betete ich inbrünstig, daß Gott dem Regen gebieten möchte, aufzuhören und die Juden nicht mit einer Ueberschwemmung ihrer Stadt heimzusuchen: es wären gewiß drei Gerechte darinnen. So betete ich, der Christ.

Eines Abends zeigte sich in der am niedrigsten gelegenen Straße zum erstenmale das Wasser. Als ich kurz vor dem Ave von der Brücke nach dem Kloster zurück eilte, vernahm ich das laute Jammern der Juden. Einige der vom Wasser am meisten bedrohten Ebräer wollten ihr Hab und Gut auf dem Platze, daran der Palast der Cenci lag, bergen, aber die Römer duldeten es nicht. Sie wurden also in ihren Zwinger zurückgetrieben, und hinter ihnen die Thore geschlossen.

Ach, wie liebte ich das Volk, von dessen Stamm etliche das unschuldige Gotteslamm an das Kreuz gebracht! Ich wußte es in Not und fühlte mich unzertrennlich zu ihm gehörig.

Hundert Jahre länger Verdammnis hätte ich erleiden mögen, die Wassersnot gemeinsam mit den Juden bestehen zu können. Die ganze Nacht über wälzte ich mich schlummerlos auf meinem Lager. Von Zeit zu Zeit sprang ich in die Höhe, betete und kasteite mich; denn ich hoffte, durch scharfe Buße den Zorn des Himmels von den Juden abzuwenden und durch mein rinnendes Blut die wilden Wasserfluten verrinnen zu machen.

Kaum durfte ich am nächsten Morgen das Kloster verlassen, als ich mich schon, ohne des Einsammelns von Almosen zu gedenken, auf dem Weg zum Ghetto befand. Der Himmel, nachdem er das Unheil vollbracht, war eitel Glanz und Wonne, und brannten die Sonnenstrahlen mir in die Augen.

Weil das ganze Velabrum voller Schlamm und Kot lag, überstieg ich den kapitolinischen Hügel, den auf der Seite des Stromes das übergetretene Gewässer umspülte. Was mußte ich erblicken! Die Piazza Montanara war zu einem Teich geworden, darauf die Leute mit Kähnen fuhren, und von dem aus die Wasserstraßen nach dem Ghetto führten. Am Rande dieses über Nacht entstandenen Sees befand sich eine große Menschenmenge, und rings um mich war ein Geschrei, daß man seinen Nachbar nicht verstehen konnte. Sie zeterten: immer noch steige der Fluß, und sei der Wasserstand bereits jetzt so hoch, wie er seit einem Jahrhundert nicht gewesen. Im Ghetto flüchteten die Juden auf die Dächer, in der Via Fiumara stürzten die Häuser ein, viele Ebräer wären ertrunken, andere lägen unter den zertrümmerten Häusern begraben. Dennoch rührte niemand die Hand, die Juden zu retten.

Ich schrie:

»Laßt mich durch! Laßt mich durch! Im Namen Gottes und der heiligsten Jungfrau, laßt mich durch!«

Sie ließen mich durch; doch es dauerte eine geraume Weile, bis ich jemand gefunden hatte, der bereit war, mich in seinen Nachen aufzunehmen.

Der Mann, der das Boot führte, fragte mich:

»Wohin wollt Ihr, Bruder?«

»In den Ghetto.«

»Was wollt Ihr dort?«

»Retten!«

»Juden?«

»Ja.«

»Ich habe anderes zu thun. Ihr müßt wieder aussteigen.«

»Kommt heute abend in das Kloster am Palatin; daselbst wird man Euch bezahlen.«

»Wer wird mich bezahlen?«

»Der Abt. Fahrt zu!«

Der Manu entschuldigte sich:

»Denn Ihr wißt, Bruder, Juden retten zu helfen, bringt keinen Gotteslohn ein. Ihr müßt mir geloben, daß Euer Abt mir zwei Scudi für die Fahrt zahlt.«

»Mein Abt wird Euch drei Scudi zahlen.«

»Abgemacht! – – Was gehen Euch die Juden an?«

»Fahrt zu!«

Wir fuhren.

Das war ein schlimmer Anblick! In allen Gassen das gelbe, schlammige, kotige Gewässer, bis zum ersten Stockwerk reichend. Lautlos flutete es dahin und führte alles mit sich, womit die römischen Juden Handel trieben: Lumpen und Lappen in einer solchen Menge, daß es die ganze Wasserfläche bedeckte und in den Winkeln, an den Straßenecken zu Bollwerken sich aufstaute, welche man, um weiter zu gelangen, mit Stangen durchstoßen mußte. Alle die Menschen, die nicht aus den Häusern geflüchtet waren, füllten die oberen Stockwerke und besetzten die Dächer. Alle lamentirten, wehklagten und schrieen, und immer noch vernahm ich den Schreckensruf, daß die Wasser stiegen und stiegen.

Wir schifften an dem Bogen der Oktavia vorüber, woselbst die Kirche des heiligen Engels bis über dem Portal in den Fluten steckte. Hier nahmen Not und Jammer erst recht ihren Anfang, und war keine Hilfe zu erhoffen. Die enge Gasse, darin sich die Fischbänke befinden, und die Via Rua waren fürchterlich anzusehen. Dort ging es zum Hause meiner Eltern. Indessen dieses lag hoch und in ziemlicher Sicherheit. Also gebot ich dem Fährmann, seinen Nachen zur Via Fiumara zu lenken, was dieser Christ erst that, nachdem ich gelobt, ihm vom Abt fünf Scudi auszahlen zu lassen.

Uebrigens war es schwierig, an den bezeichneten Ort zu gelangen, und schrieen die Juden selber uns zu, zurückzubleiben, es wären viele Häuser eingestürzt, und die Bewohner zum größten Teil geflüchtet. Ich fragte die Leute nach der Mutter des Mose Halarki. Doch wußte niemand mir von dem Weibe zu sagen. Einige meinten: seitdem ihr Sohn bei den Ebräern im Thale der Egeria wäre, sei die Frau schwachsinnig geworden. Bei der großen Not hatte man ihrer ganz vergessen. Plötzlich rief jemand: »Das Haus der Sarah Halarki stürze ein, und die Sarah sei noch im Hause.«

Alles schrie schrecklich auf, alles schrie: »Helft! Helft!« Alles jammerte: man könnte nicht mehr zu dem Hause gelangen, man müßte die Sarah Halarki umkommen lassen.

Aber lauter als die Menschen um mich schrieen, rief in mir eine Stimme:

»O Angelikus, einst Dahiel geheißen – – Du hast diesem armen Weibe den Sohn genommen: wäre jetzt Deine eigene Mutter in Todesgefahr, Du müßtest Deine eigene Mutter umkommen lassen, um jene zu retten.«

Der Fährmann war bis zum Eingang der Via Fiumara vorgedrungen: weiter zu kommen war nicht möglich. In jener Gasse, welche dem Flusse am nächsten und welche am tiefsten gelegen, stand das Wasser am höchsten. Dazu kamen die Trümmer der eingestürzten Häuser, dazu kam die Menge der fortgeschwemmten Lumpen, vielerlei Hausrat, alles vermengt und gemischt mit den Schlammmassen des übergetretenen Stromes. In kurzer Entfernung gewahrte ich das Haus von Moses Mutter mit klaffenden Rissen und überhängenden Wänden in einem ungeheuren Wust von geborstenem Mauerwerk, Schlamm und Lappen steckend, wodurch es allein noch zusammengehalten ward. Ich hieß den Fährmann warten, gürtete meine Kutte bis zu den Knieen und sprang aus dem Nachen. Hätten alle diejenigen, die meinem Unternehmen zuschauten, nur nicht so gräßlich geschrieen. Aber das Geschrei, welches hinter mir drein gellte, brachte mich schier um meine Besinnung.

Ich sprang von Schutthaufen zu Schutthaufen; wo ich das nicht konnte, warf ich mich getrost in die Wellen, in denen ich wohl versunken wäre, hätten nicht Schlamm und Morast den Boden so hoch bedeckt, daß ich überall festen Fuß fassen konnte. Aber es bedurfte einer langen Zeit, die kleine Strecke zurückzulegen, währendem drohte das arg gefährdete Haus jeden Augenblick einzustürzen. Desgleichen so die Häuser zu meiner Rechten und Linken.

Wollte ich verzagen und ermatten, so brauchte ich nur zu denken: du mußt zu der Frau, die durch dich um ihren Sohn gekommen; und ich gewann sogleich wieder Kräfte.

Endlich erreichte ich das Haus.

Daneben hatte der schreckliche Strom bereits alles niedergerissen, und ich schaute hinaus auf eine weite braune Schlammflut, darinnen das Haus mit geborstenen Mauern stand.

Einige Augenblicke später befand ich mich drinnen und in einer Kammer des ersten Stockwerkes.

Hier war sie nicht. Ich rief:

»Sarah Halarki! Sarah Halarki!«

Keine Antwort.

Da vernahm ich Gesang aus dem 87. Psalm: »Sie ist fest gegründet auf den heiligen Bergen. Der Herr liebet die Thore Zions über alle Wohnungen Jakobs. Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes; Sela.«

Die gespenstische Stimme schien aus der Luft herabzudringen. Ich rief wieder, aber der Gesang währte fort. Doch dann – dann fand ich sie.

Sie kauerte auf der finstern Treppe, die zum zweiten Stockwerk führte, und war das Wasser beinahe bis zu ihren Füßen gestiegen. Ich stürzte hin, beugte mich über sie, rief sie an.

»Sarah Halarki!«

Sie kreischte auf, drückte sich gegen die Mauer, stierte mich an.

Ich sagte:

»Sarah Halarki, stehe auf und folge mir. Ich bin gekommen, Dich zu Deinem Sohne zu bringen. Schnell, laß uns zu ihm gehen! Dein Sohn Mose wartet auf seine Mutter.«

Sie stieß ein klägliches Gewimmer aus und barg ihr Haupt in ihrem Schoß. Da umfaßte ich sie und bemühte mich, sie emporzuziehen. Aber das Weib riß sich los, schaute mir wiederum starr ins Gesicht, erkannte mich, rief meinen jüdischen Namen und floh vor mir, die Stiege hinauf.

Erst droben auf dem flachen Dache erreichte ich sie, und war es höchste Zeit. Sie stand da, beide Arme mit steif gespreizten Fingern nach mir ausgestreckt, die Augen weit aufgerissen und mit dem Blicke des Wahnsinns auf mich gerichtet. So wich sie langsam vor mir zurück, gegen die Brüstung, die nach der Seite der Gasse nur niedrig war.

Aber als ich mich ihr nahen wollte, um sie zu fassen und sie aus dem zusammenstürzenden Hause zu tragen – Gott, Herr Gott! da warf sie sich rücklings hinab.

Sie wollte sich nicht retten lassen von einem, den ihr Sohn verwünscht hatte – –

Ich mußte mich alsdann selbst retten, was wie durch ein Wunder geschah. Kaum befand ich mich auf der Gasse, als das Haus zusammenbrach, so daß ich nicht einmal den Leichnam der Sarah Halarki für ihren Sohn bergen konnte. Auch auf meinem Rückweg zum Nachen entrann ich nur mit Mühe und Not dem Tode. Ach, ich bin wohl einer von denen, die der Herr gekennzeichnet hat, daß sie jede Gefahr überstehen, damit sie alles erleiden, was ihnen bestimmt worden; einer von denen, die nicht sterben können, bis das Maß ihrer Trübsal voll.

Unterdessen war es bekannt geworden, wer ich sei; und hatten einige das arme Weib rücklings auf die Gasse stürzen sehen, weshalb manche glaubten, ich, der Christ, hätte mich an dem Leben der Jüdin vergriffen. So ward ich denn mit Geschrei und Verwünschungen empfangen, und würde man wohl eine thätliche Rache an mir genommen haben, wenn nicht verständige Männer das Volk beruhigt hätten. Sie riefen:

»Bevor ihr diesen Christen richtet, vernehmt ihn! Niemand wagt sein eigenes Leben, um ein armes, schwachsinniges Weib zu töten!«

Ich berichtete den Vorgang und auch, weshalb das Weib sich nicht von mir hatte retten lassen wollen. Man glaubte mir, riet mir indessen, mich sogleich zu entfernen, da meine Gegenwart im Ghetto den Juden nur Unheil brächte. So mußte ich denn die Stätte des Jammers verlassen, ohne eine Hand zur Hilfe rühren zu können.

Ich versprach dem Fährmann nochmals, daß er die ausbedungene Summe erhalten sollte, stieg aus der Piazza Montanara am Capitol aus dem Nachen, drängte mich durch die Menge, suchte einen einsamen Ort auf, woselbst ich mich in der Sonne niederlegte, meine durchnäßte Kutte zu trocknen. Darauf reinigte ich mich notdürftig und ging wieder dahin zurück, von wannen ich gekommen war, und wohin fortan alle meine Wege führten. Ich begab mich zum Abt, neigte mich demütig und bat:

»Gebt mir von dem reichen Erbe, welches dem Kloster durch mich zugefallen, fünf Scudi heraus, denn fünf Scudi wurden von mir einem Manne gelobt, der mich bei der Ueberschwemmung im Ghetto in seinen Nachen aufnahm.«

Der Hochwürdige forschte:

»Was wolltest Du in der überschwemmten Judenstadt?«

Ich erwiderte der Wahrheit gemäß:

»Juden retten. Statt dessen kam eine Jüdin durch mich um ihr Leben. Gebt mir die fünf Scudi, damit ich dem Manne nicht wortbrüchig werde. Ich will, so Ihr es genehmigt, neben meinen täglichen Bittgängen um Almosen, auf den Gassen und in den Häusern so lange betteln, bis ich dem Kloster die fünf Scudi zurückerstattet habe.«

Der Hochwürdige sprach strafend:

»O Bruder Angelikus, wann wirst Du lernen, christlich zu sein?«

»So ist es unchristlich, seinem Nächsten in der Not beizustehen?«

Der Hochwürdige belehrte mich:

»Ein Jude ist nicht Dein Nächster. Geh! Ich werde dem Mann, dem Du schuldest, die fünf Scudi auszahlen lassen.«

Ich neigte mich, dankte demütig und ging.

*

Eine volle Woche blieb der Ghetto unter Wasser. Auch in anderen Teilen der Stadt stand das Wasser hoch, namentlich in der Gegend der Rotonda; indessen im Vergleiche zu dem Judenquartier zeigte sich das Uebel für die Römer gering. Schauderhaft war der Zustand der ebräischen Stadt nachdem die Gewässer sich wieder verlaufen hatten. Schlamm bedeckte die Gassen und Straßen, füllte die unteren Stockwerke der Häuser; und mit dem Schlamm vermengte sich alles, was an Lumpen nicht fortgeschwemmt worden. Zu allein Unglück kam eine starke Hitze, welche einen großen Gestank ausbrütete und schwere Fieber verursachte. Auch die Römer wurden von der greulichen Krankheit befallen und war unter den von dem Uebel Ergriffenen die Sterblichkeit groß. Daran sollten die Juden die Schuld tragen.

Wenn ich ausging, Almosen für die Armen zu sammeln und nebenbei Geld zu erbetteln, mußte ich alles mit anhören, was man in der Stadt über die Juden sagte; ja, ich mußte sie schmähen und verwünschen lassen und konnte nichts dagegen thun. Ich brauchte nur den Mund zu offnen, um die Ebräer zu verteidigen, die Christen zu ermahnen, milde zu sein, so hatte ich sogleich alle gegen mich.

Im Sommer ward ich zum Abt entboten, welcher in einer langen Rede mir mitteilte, ich sollte mich zum Priester vorbereiten, ein Gebot, darüber ich heftig erschrak, sogar im Herzen ganz verzweifelt war, wo ich doch hätte jubeln und jauchzen müssen, als über ein großes Heil, das mir widerfahren, sollte. Nachdem der Hochwürdige gesprochen, fragte ich, ob ich reden dürfte.

Es ward mir gewährt.

Ich sagte – und ich sagte es voll tiefster Demut:

»Hochwürdiger Vater, ich wollte Euch fragen: kann ein Christ, der im Herzen ein Jude ist, ein christlicher Priester werden?«

Der Abt fuhr mich mit scharfer Stimme an:

»Bruder Angelikus, wie meinst Du das?«

Ich versetzte:

»Hochwürdiger Vater, ich möchte mir von Euch Belehrung erbitten, denn in den heiligen Büchern und Schriften finde ich nichts darüber gesagt. Ich bitte Euch deshalb inständigst, belehrt mich.«

Der Hochwürdige fragte zurück:

»Wie kann ein Christ ein Jude sein?«

Darauf ich:

»Wenn er doch ein Jude gewesen?«

Und der Hochwürdige:

»Wenn er doch ein Christ geworden, die Irrlehre des jüdischen Glaubens und die Verruchtheit des ebräischen Volkes durch die Gnade des Herrn erkennend.«

Wiederum ich:

»Hat er das wirklich erkannt?«

Wiederum der Hochwürdige:

»Da er seinen Glauben abgeschworen und seinen Gott verleugnet – –«

Ich unterfing mich, hier dem Hochwürdigen in die Rede zu fallen:

»Auch Judas hat seinen Herrn verraten um dreißig Silberlinge. Da kann wohl ein unwissender Jüngling seinen Gott verleugnen – um seiner großen Liebe und seines Wahnes willen. Aber als der Hahn krähte, ging Judas hinaus und erhängte sich. Der andere Schächer jedoch blieb nicht allein leben, sondern soll auch nun obenein Priester werden. Wie viel besser als dieser Christ, der ein Jude gewesen, war Judas Ischarioth, der seinen Herrn und Heiland verraten.«

Der Hochwürdige, ganz fahl im Antlitz, zürnte:

»Bruder Angelikus, das sind gottlose Reden!«

Und er begann gewaltig in mich hinein zu sprechen. Ich ließ mich tadeln, schelten und ermahnen, und als der Hochwürdige ausgeredet hatte, fragte ich in aller Bescheidenheit:

»Vergebt, hochwürdiger Vater, aber welche Antwort erteilt Ihr mir?«

»Welche Antwort?«

»Darf ein schlechter Christ, der in seiner Seele ein guter Jude ist, ein Priester des höchsten Gottes werden, welcher die Herzen kennt und die Nieren prüft? Heißt das nicht Gott versuchen? Ist das nicht Gotteslästerung? Ich flehe Euch an, antwortet mir, denn ich stehe vor Euch und vor Gott in schwerem Zweifel, in schrecklicher Gewissensangst und Not.«

Und wie ich so meine Qual und Herzenspein vor dem Abt ausstöhnte, ergrimmte dieser, sprang auf und rief mit einem Antlitz, das gänzlich entstellt war:

»Der Christ, der ein Jude gewesen, hat der Kirche unbedingten Gehorsam gelobt und deswegen – –«

Indessen ich fiel dem Hockwürdigen abermals in die Rede:

»Und also muß der Christ, der ein Jude gewesen, der Kirche Gehorsam leisten. Und also wird der Christ, der in seinem Herzen ein Jude geblieben, ein christlicher Priester werden. Ich danke Euch für die empfangene Belehrung.«

Ich ging, und der Hochwürdige – ließ mich gehen.

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