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IX.

Bevor ich jenes Schreiben verfaßte und Sora Filomela zum Absenden übergab, ereignete sich etwas mit dem armen Weib, der Clelia, das mir sehr zu Herzen ging, und davon ich, wie von allem anderen, berichten will.

Meine Jugend erholte sich auch von diesem Uebel überaus schnell; bei der außerordentlichen Pflege, die man meinem Körper angedeihen ließ, heilte die Wunde rasch, und es ließ sich bereits die Zeit berechnen, wann dieselbe sich schließen würde.

Zu meiner nicht geringen Verwunderung und Bekümmernis machte ich die Wahrnehmung, daß, je schneller ich mich kräftigte, um so stiller und bleicher ward die Donna. Ihre Munterkeit und ihr glückseliges Gebahren verschwanden nach und nach, mehr und mehr nahm sie ein schweres und müdes Wesen an, daß sie zu erkranken schien, während ich gesundete. So sehr mich diese neue Verwandlung betrübte, besprach ich dieselbe nicht mit der trefflichen Sora Filomela, wie auch diese darüber beharrlich zu mir schwieg; nur daß von Tag zu Tag ihre Seufzer zunahmen.

Ich sollte zum erstenmal aus dem Bette aufstehen, was ich nur mit Mühe vollbringen konnte. Denn ich war immer noch herzlich schwach und wollte mir doch bei Anlegen meines Gewandes nicht helfen lassen. Als ich nun nach meiner Kutte verlangte, brachte mir Sora Filomela, was ich anziehen sollte: nicht mein Mönchsgewand, sondern ein vollkommen weltliches Kleid. Sie sagte:

»Eure Kutte hat die Clelia aufbewahrt. Ihr könnt sie indessen unmöglich anziehen. Sie ist nämlich völlig von Eurem Blute getränkt und steif und hart wie eine Büffelhaut; überdies von dem Arzt, der Eure Wunde untersuchte und verband, von oben bis unten zerschnitten. Auch wird das absonderliche Geschöpf, meine Nichte, das blutige Gewand nicht herausgeben wollen; denn sie achtet es gleich einem Heiligtum. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie davor ihre Gebete verrichtete.«

Das war nun von der sonst so trefflichen Frau ebenso sündhaft wie thöricht geredet, was ich ihr auch sagte. Nach einiger Ueberlegung entschloß ich mich jedoch, aus Not das weltliche Gewand anzuziehen: denn ich hatte bereits zur Genüge ersehen, daß ein Mönchskleid noch lange nicht den Mönch und Diener Gottes machte. Also bat ich die Donna, die Sachen in Gottes Namen niederzulegen. Sie that es und verließ die Kammer.

Nun rührte es wahrscheinlich von meiner großen Schwäche her, daß ich mit einem über die Maßen bewegten Gemüt die einzelnen Stücke eines Kleides anlegte, welches ich doch für immer glaubte abgelegt zu haben. Meine Hände zitterten heftig, meine Kniee bogen sich unter mir, ein Schwindel ergriff mich. Nachdem ich mich erholt und meinen Anzug beendet hatte, war mir's, als kleidete ein spukhafter Leichnam sich an, mit Dingen, die einem Lebendigen gehörten. Doch da es vollbracht war, schien mir's, als lebte ich von neuem: nicht mehr als Bruder Angelikus, sondern als Dahiel Sarfadi; denn auch die Tonsur war unter dem lockigen Haar verschwunden.

Nun ging ich aus der Kammer, wobei ich mich an den Wänden aufrecht halten mußte und trat aus dem Hause.

Die beiden Frauen befanden sich in dem Rebengange. Eine Menge herrlicher Trauben hing daran, und der Boden glühte von roten Nelken, welche die Laube zu beiden Seiten einfaßten. Clelia erblickte mich zuerst. Sie erbebte, erstickte einen Aufschrei, that einige Schritte auf mich zu, blieb stehen, atmete heftig, preßte beide Hände gegen ihr Herz.

Bei dem Ausruf, den sie gethan, hatte Sora Filomela sich gewendet und war sogleich in einen Strom von Thränen ausgebrochen. Sie schluchzte:

»Maria, Gottesmutter, seid Ihr's denn wirklich? Der Bruder Angelikus! Wie Ihr ausschaut! So jung und so – Wenn Eure liebe Mutter Euch also sehen könnte! Ach, wie mich das rührt! Wie mich das rührt! Ihr müßt nämlich wissen, daß Ihr die Kleider meines Bruders Carlo tragt, des Vaters der Clelia, der ein ebenso schöner und wackerer Jüngling gewesen wie Ihr. Gott beschütze und behüte Euch, daß Leben und Sterben Euch leichter werden als dem, dessen Kleid Ihr anhabt.«

In dieser Weise fuhr die gute Frau fort zu lamentiren und zu reden, was mich sehr angriff; auch konnte ich mich kaum auf den Füßen halten. Clelia sah es, eilte zu mir, umfaßte mich und leitete mich zu einem Sessel. Als ich mich gesetzt hatte und auf das beste versorgt war, entfernte sich Sora Filomela, um sich im Hause nach Herzenslust auszuseufzen und zu beten. Es geschah zum erstenmal, daß sie mich mit ihrer Nichte allein ließ, was uns beiden gar nicht recht zu sein schien; denn auch die Donna blieb stumm.

Ich saß aber in der Laube wie in einer wundersamen, herrlichen Halle. Die sinkende Sonne durchleuchtete die Reben, welche bereits in den goldigen und purpurnen Farben des Herbstes prangten; über mir hingen die roten Trauben, als wären sie aus Rubinen gebildet, und zu meinen Füßen breitete sich ein blutroter Blütenteppich.

Vor mir, im Rahmen der herbstlichen Ranken, stieg in den reinen Aether eine lichte, gewaltige Kuppel auf – der Petersdom.

Unterdessen ich schweigend die schone Welt betrachtete, war Clelia hingekniet und pflückte von den Nelken lange Zweige ab, mit denen sie sich den Schoß füllte. Da sie bei dieser Beschäftigung den Kopf niederbeugte und das Gesicht abwandte, begann ich endlich, zu ihr zu reden; nicht sehr laut und mit möglichst ruhiger Stimme. Ich sagte ihr ungefähr folgendes:

»Meine liebe Clelia, was Ihr an mir gethan habt, darüber vermag ich Euch nichts zu sagen; es würden doch nur Worte und eitel Schall sein. Ich lebe wieder und ich lebe nicht ungern; denn Ihr habt mich gelehrt, daß das Leben eines Unglücklichen nicht gleich unnütz und wertlos zu sein braucht. Ich hoffte, Euch Gutes erweisen zu können, und es ist mir durch Euch Gutes erwiesen worden, was mir wie eine überaus herrliche Fügung erscheint. Nun werde ich bald von Euch gehen, Euch auch bei Eurer trefflichen Tante nicht leichten Herzens zurücklassend. Ich hörte daher gerne von Euch, wie Ihr über alles denkt, da Ihr doch Euer altes Leben ebensowenig wieder beginnen könnt, als aus einem Schmetterlinge von neuem eine Raupe werden kann. So wollen wir denn die Zukunft miteinander bereden, als ob wir in Wirklichkeit Bruder und Schwester wären.«

Ich schaute zwar über sie hinweg, gewahrte jedoch, daß sie aufgehört hatte, Blumen zu pflücken, und dasaß, beide Arme matt am Leibe niederhängend und den Kopf tief auf die Brust gesenkt. Sie gab mir keine Antwort und ich mußte meine Frage wiederholen:

»Was wollt Ihr beginnen?«

Da wandte sie sich, ließ sich vor mir niederfallen; also, daß sie zugleich mit ihren Blumen hingeworfen mir zu Füßen lag und rief mit heißer Inbrunst:

»Dich lieben!«

Entsetzen ergriff mich bei diesen Worten; denn ich erkannte plötzlich, daß sie nicht aus Liebe zu Gott und dem Guten vom Wege des Lasters abgewichen war, sondern aus Leidenschaft für mich, den Mann und Diener Gottes. So schändlich dies war, konnte ich es doch nicht über mich gewinnen, sie deswegen anzuklagen und zu verdammen. Jedoch eine Traurigkeit überfiel mich und ein Jammer durchdrang mich, daß es mein Herz ärger traf, als jener Dolchstoß gethan, und ich laut aufstöhnte. Sie aber lag vor mir, das Gesicht auf den Boden gedrückt, regungslos gleich einer Toten; und waren rings um sie her die roten Nelken gestreut.

Dem Himmel hätte ich gedankt mit aufgehobenen Händen, wäre sie so liegen geblieben und hätten wir sie mit den gebrochenen Blüten begraben können; denn in diesem Augenblick erschien mir dieses Weib gänzlich von Gott verlassen und bereits auf Erden unselig und verdammt.

Mit einer Klage um sie, als wäre sie wirklich schon gestorben und könne meine Stimme nicht mehr hören, rief ich:

»O Clelia, Clelia, warum hast Du Dir das angethan?!«

Sie erhob sich langsam und mit großer Mühe, als wären von dem Fall ihre Glieder zerschmettert, schaute mich thränenlos an und sprach:

»Ihr verachtet mich, die ich verworfen bin. Es soll anders auch gar nicht sein. Aber wenn Ihr mich fragt, was ich in diesem Leben beginnen will, so antworte ich Euch: Dich lieben! Dich lieben jede Stunde, Dich lieben, so lange mein Leben währt, Dich lieben noch nach dem Tode, Dich lieben in Ewigkeit! Indessen, Du brauchst davon gar nichts zu wissen. Das sage ich Dir, damit Du nicht denkst, meine Liebe zu Dir sei von derselben Natur und Art, wie sie zu manchem andern Mann gewesen. Wer bin ich, daß meine Lippen jemals Deine Lippen berühren dürften? Von meinem schändlichen Leibe sollst Du frei bleiben.

»Aber nun habe ich Dich zu fragen:

»Was willst Du beginnen?

»Du gehst bald von mir – wohin gehst Du?

»Zurück in Dein Kloster?

»Thue es nicht! Lieber Bruder, thue es nicht! Ziehe dieses neue Kleid nicht wieder aus. Ich habe Dich jetzt ganz erkannt und ich sage Dir: Du verdirbst, wenn Du dahin zurückkehrst, von wo Du gekommen bist. An Leib und Seele verdirbst Du im Kloster!

»Darum: wenn Du ein reiner und heiliger Mensch bleiben, wenn Du wahrhaft an Gott glauben, Gott wahrhaft lieben willst, wenn Deine Seele Dir als etwas Unsterbliches, Göttliches gilt – so kehre nicht ins Kloster zurück, so bleibe in diesem Kleide, so begehe die Todsünde, Dein Gelübde zu brechen – so werde wieder ein freier Mensch.

»Ich habe Dich belogen, ich bin nicht in Dein Kloster gegangen, den Mönchen Nachricht von Dir zu bringen.

»Aber ich bin in dem Spital gewesen, wohin sie dich zuerst getragen, und habe dort ausgesagt: Du seiest an Deiner Wunde gestorben und ich hätte Dich begraben lassen. Ich zeigte ihnen den Totenschein, den mir der Arzt über Dich ausgestellt, und bat sie, das Papier nach Deinem Kloster zu senden.

»Das haben sie gethan.

»Der Bruder Angelikus ist also tot.

»Damit Du nun nicht denkst, ich hätte das alles um meinetwillen gethan: um Dich für mich zu gewinnen, so magst Du über mein Leben bestimmen und es ewig von dem Deinen scheiden. Ich weiß, daß es Dir schwer fällt, das Wort auszusprechen, und nehme es Dir daher von den Lippen. Wohl, ich gehorsame Dir und werde eine Braut des Himmels, sobald Du aufhörst, ein Bräutigam der Kirche zu sein. Bestimme, wann ich mich in einem Kloster melden soll.«

Ich erwiderte:

»Niemals.«

»Und Du, was thust Du?«

»Zunächst bleibe ich noch.«

»Und später?«

»Das sollst Du später erfahren.«

Sie sagte nichts mehr, sammelte die Blumen vom Boden und wand daraus für das Muttergottesbild neben der Thür einen Kranz.

Aber an der Liebe dieses Weibes erkannte ich in jener Stunde dich, Herr, Herr! Ich erkannte, daß du in dem Herzen dieses Weibes wirktest und lebendig warst, indem du das Herz der reuigen Buhlerin so mit deinem Wesen erfülltest, daß mir dieses Weib ehrwürdig und beinahe heilig erschien.

*

Am nächsten Tage verfaßte ich in meiner Kammer das Schreiben an den gewissen Terenzio Latini in Subiaco. Alsdann las ich den Brief Sora Filomela vor, versiegelte ihn und übergab ihn ihr zur Besorgung. Ich sagte ihr, daß ich so lange bleiben würde, bis aus Subiaco entweder eine Antwort oder der junge Mensch selber eingetroffen wäre. Das konnte, meiner Berechnung nach, in spätestens fünf Tagen der Fall sein.

Vor Clelia verhehlten wir einstweilen noch das Schreiben, sowie auch unsere Absicht, gegen welche ich länger nicht die geringsten Bedenken hatte, wie ich denn vornehmlich deswegen den jungen Menschen erwarten wollte, um mit ihm über die Tugend und Würdigkeit der von ihm geliebten Person recht ernsthaft und eindringlich zu reden. Erst nachdem dieses geschehen, erst nachdem ich den verliebten Menschen Clelias würdig befunden, wollte ich mit dieser sprechen und sie mit der ganzen Macht meiner Bruderliebe zu bestimmen suchen, das ehrsame Weib eines ehrsamen Mannes zu werden.

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