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IV.

Eines Tages ließ der Hochwürdige mich zu sich rufen und trug mir auf, der Hölle eine Seele zu entreißen und dem Himmel zuzuführen.

Das war nun in Wirklichkeit ein frommer und dem Herrn wohlgefälliger Auftrag, der mich hätte mit heiligem Eifer erfüllen müssen. Es war indessen auch ein schwerer Auftrag. Die verlorene Seele, welche ich retten sollte, war nämlich die eines jungen Weibes, das nach allem, was ich von dem Hochwürdigen darüber vernahm, bereits mit Haut und Haaren dem Bösen angehörte. Deshalb machte ich mich denn überaus bekümmerten Gemütes auf, hin zu jener Teufelin, welche Donna Clelia hieß und in der neunten Region wohnte, nahe bei jenem erhabenen Heidenbau, Rotonda mit Namen.

Ehe ich das Hans der Buhlerin aufsuchte, begab ich mich in dieses hehre Heiligtum, woselbst ich mich vor dem Altar niederwarf, darauf ein Marmorbild der Himmelskönigin steht, neben dem Grabe eines gewissen Rafael Sanzio da Urbino, der ein göttlicher Künstler gewesen. Hier betete ich mit heißer Inbrunst, sowohl in Vorbereitung zu dem großen und schweren Werke, das mir geboten worden, als auch um mich gegen jede Versuchung zu schützen, indem ich doch noch so jung und mein Fleisch noch gar schwach und ungeprüft war. Während ich also mit Gott rang, stellte ich mir vor: ich sollte keine junge und üppige Christin die Wege des Herrn führen, sondern ein armes, sündiges Weib aus Schmach und Schande erretten.

Noch niemals hatte mich ein Gebet so gestärkt wie dieses; denn ich that dabei das Gelübde: wenn ich auch kein guter Christ und würdiger Diener Gottes wäre, wollte ich zum mindesten ein reiner Mensch sein, wie meine Eltern, die Juden, reine Menschen waren und ihr Leben lang bleiben würden.

Darauf erhob ich mich von den Knieen und genoß plötzlich eines wundersamen Anblicks: gerade über der offenen Kuppel, durch welche man hineinschaut in das Luftmeer des Himmels – gerade in dem Kreise der Oeffnung stand die Sonne, hinableuchtend in das Heiligtum gleich einem gewaltigen Strahlenauge und den Marmortempel mit Glanz und Glorie erfüllend.

Nachdem ich gestanden, bis der wundersame Schimmer, der auch mich ganz überflutete, wie eine himmlische Erscheinung gewichen war, ging ich gestärkt und getröstet davon.

In der Via Campo Marzo, Nummer dreiundsiebenzig, fand ich das Haus, welches nur als die Wohnung der Donna Clelia bezeichnet worden. Es war ein großes und ansehnliches Bauwerk, innen dunkel und übelriechend und mit einer Stiege, steil und schmal gleich einer Himmelsleiter – nur daß sie zur Hölle hinabführte. Aber vom Hofe her leuchtete es mir gar bunt entgegen; ein Gärtlein, so voller Blumen, daß man vor Blüten keine Blätter sah. Auch hörte ich das Plätschern und Rauschen eines Brünnleins.

Ich ging die Stiege hinauf, vernahm Mandolinenspiel, Gesang und Gelächter, welche Töne mir zu der Schönen den Weg wiesen, und gelangte in einen dunklen und öden Saal, darinnen niemand war, darauf in ein prächtiges Gemach, woselbst ich die Donna fand, und bei ihr mehrere von ihren Galanen.

Ich stand in der offenen Thür; da indessen die Donna und alle, die um sie herum waren, sich in einer übergroßen Lustigkeit befanden, so gewahrte mich niemand. Und das war gut, sonst hätte jedermann meinen Schrecken sehen müssen. Ach, die Buhlerin sah jener Myrrha ähnlich, als wäre sie deren ältere Schwester; nur daß ihre Schönheit noch um vieles mehr von der Hölle war, und sie mir demnach als die leibhaftige Braut des Satans erschien. – Ihr Haar war lichter als die flammenden Locken jener Myrrha und floß wie eine schimmernde Welle von ihrem Haupte nieder; denn es war aufgelöst und wurde ihr gerade von einer fetten und schlampigen Frauensperson ausgekämmt. Sie saß auf einem kostbaren Sessel, der mit korallenrotem Sammet ausgeschlagen war, und hingen die Strähnen ihres Haares bis auf den Boden herab, daß es auf dem dunklen Teppich gleich einem Flecklein Sonnenlichtes lag. Es war mir widerwärtig, zu sehen, wie die Hände der braunen Vettel in den Glanz hineinfuhren und darin herumwühlten nicht anders, als faßte der Teufel die Schöne beim Schopf – was er denn auch that!

Sie war wohl noch recht jung, großen und schlanken Leibes und hatte ihr schönes Antlitz weiß und rot angemalt. Die Brauen glichen winzigen schwarzen Schlänglein, die über den wie Edelstein leuchtenden Augen Wache hielten; die Lippen blühten gleich Rosen, und das ganze Gesicht war anzuschauen wie ein Madonnenbild, auch so sanft und himmlisch holdselig. Aber die Zuchtlosigkeit dieser über die Maßen schönen Person war daran zu erkennen, daß sie unter lauter Männern in einem weißen Röcklein saß; uns hatte sie auch ein rosafarbenes Tuch über Schultern und Brust geworfen, so war dieses doch erst recht schändlich, indem der Mantel dünn wie ein Schleier war, also daß darunter nichts verborgen blieb, und ihr Leib zu sehen war, gleichsam wie durch ein vom Morgenrot bestrahltes Nebelgewölk.

An ihren Fingern funkelten herrliche Perlen und Juwelen, und in der Hand hielt sie einen aufgebrochenen Granatapfel, in dessen purpurfarbene Kerne sie kräftig hineinbiß; also, daß ihr der Saft der Frucht wie helles Blut auf den Lippen stand. In ihrer Schamlosigkeit hatte sie auch die Füße unbekleidet, und sie streckte sie häufig unter dem blütenweißen Röcklein hervor, was einen nur allzu verlockenden Anblick bot, denn der Schönen Füße waren winzig klein wie die eines Kindes.

Das alles beachtete ich deswegen so außerordentlich aufmerksam, weil die Schöne jener Myrrha ähnlich sah, und ich mir doch den Gegenstand, an dem ich meine Tugend üben sollte, genau betrachten mußte.

Da ich mich nicht regte, und alle in dem Gemach überaus eifrig waren, recht von Herzen zuchtlos zu sein, so hatte ich Muße, auch den Spießgenossen der schönen Sünde ein aufmerksames Auge zu schenken. Das waren gar feine Herrlein in gestickten Röcken, mit seidenen Strümpfen. Sie trugen zierliche Degen, hatten das Haar gelockt und gesalbt, und war der Jüngste von ihnen schier noch ein Knabe.

Dieser lag mit dem ganzen Leibe vor der Schönen am Boden, und sie fuhr ihm mit ihren nackten, rosigen Füßchen in die Haare, bis er auch seinen Kopf niederlegte, wonach sie ihre Füße darauf setzte. Rührte er sich, so trat sie ihn, und ließ der junge, feine Mensch sich überaus gern von der Buhlerin wie eine Bestie behandeln.

Ein zweiter spielte die Mandoline und sang dazu ein zuchtloses Lied; ein dritter wollte der alten Vettel helfen, die Haare der Schönen aufzuflechten, zwickte dieselbe dabei und bekam für solche Ungebühr die Granatkerne ins Gesicht gespieen, was ihm ein unbändiges Vergnügen bereitete, besonders wenn er die Kerne, die die Buhlerin ausspuckte, mit seinem Munde wieder auffing. Also war es ein rechtes Sodom und Gomorrha in dem schönen Gemache, das über und über von köstlichen roten Teppichen und Geweben erglänzte, und darin in der Mitte ein gewaltiges Bett stand, daran alles Holzwerk vergoldet war, mit einem hohen Himmel von gelber Seide darüber. Dieser war auseinandergerissen, und ich sah die seidenen Decken und Kissen durcheinandergeworfen, wie auch sonst in der köstlichen Kammer eine große Schweinerei war. Und was war's für ein Lärm! Die Buhlerin und die Lüstlinge schrieen und lachten zusammen, dazu kreischte die alte Vettel, dazu bellte ein Hündlein, nicht größer als eine Ratte, mit langem, schneeweißem, seidigem Haar, das die Schöne im Schoß hielt. Wäre ich nur erst wieder draußen gewesen!

Da ward die Donna meiner ansichtig, patschte dem Hündlein, welches an ihrer Brust hinaufsprang und mit seinem langen roten Zünglein ihr Gesicht zu lecken begehrte, aufs kleine Maul, wies mit dem Finger nach mir hin und bedrohte das unverständige Vieh:

»Still, Fifi! Da ist ein Bruder Franziskaner. Bist du nicht ruhig, soll er dir eine Predigt halten, darüber, daß das Küssen eine Sünde sei.«

Und sie hob das Tier mit beiden Händen auf und küßte es wohl ein dutzendmal auf die Schnauze.

Es blickten nun alle auf mich; nur der feine Knabe, der am Boden lag und sein schönes Haupt zum Schemel einer Buhlerin machte, blieb liegen. Aber auch die anderen kümmerten sich nicht viel um mich, bis auf die alte, feiste Vettel. Diese ließ eiligst das Haar ihrer Gebieterin fahren, kam auf mich zugewatschelt und griff nach meiner Hand, die sie, ehe ich's verwehren konnte, küßte; also, daß es schmatzte. Alsdann wollte das Weib gar noch meinen Segen haben. Diesen hätte ich indessen für mich behalten, selbst wenn ich zum Segnen die Befugnis gehabt, da die Gabe Gottes, mit welchen der Herr seine Diener belehnt, nicht deshalb da ist, um in den Unrat geworfen zu werden.

Die Donna rief mit ihrer hellen Stimme:

»Gib dem Mönch ein Almosen, Ninetta.«

Die Alte durchwühlte die Tasche ihres schmierigen Gewandes, kramte daraus allerlei hervor, worunter sich auch einige Bajocchi befanden, die sie mir als Almosen hinreichen wollte. Nun geschah etwas Wunderliches.

Die Schöne schaute nämlich zu mir herüber, unverwandt und wie mit großem Staunen, erhob sich, trat einige Schritte auf mich zu, blieb stehen, blickte mich wiederum seltsam staunend an. Alsdann drehte sie sich hastig hinweg, schlug der Alten das Kupfergeld aus der Hand und begann sie heftig zu schmähen: wie sie mir so geringe Gaben bieten könnte? Und sie hatte wegen der kleinen Sache einen solchen Unwillen, daß der Zorn ihre Stimme beinahe erstickte.

Die Alte schimpfte weidlich und mit recht schändlichen Worten, die Galane aber – bis auf den feinen Knaben, der sich an nichts kehrte – wollten sich ausschütten vor Lachen, spotteten und riefen: Ob etwa die Schöne für den Bettelmönch Dukaten begehre? Auf das hin zog der feine Knabe sogleich einen seidenen Beutel hervor und warf mir daraus, ohne sich zu erheben, ein Goldstück zu, welches mir gerade vor die Füße rollte und auf welches die alte Vettel so recht teuflisch gierig herabsah. Ich bückte mich, um das reiche Almosen vom Boden auszuheben; aber die Schöne setzte ihren Fuß darauf. Zugleich löste sie eine goldene Kette vom Hals, die sie in meine Hand legte, wobei sie ihre Augen senkte und leise sagte:

»Bittet für mich Sünderin.«

Darauf kehrte sie langsam zu ihrem Sitze zurück. Nun wurde das Gekeife der alten Vettel und das Gelächter der beiden Galane erst recht unmäßig. Ohne mich daran zu kehren, erwiderte ich der Donna:

»Ich bin selber voller Sünden: also, daß meine Fürsprache Euch wenig fruchten würde. Aber ich will diese Kette in Eurem Namen den Armen und Notleidenden spenden lassen. Diese werden alsdann für Euch beten, was Eurer Seele mehr nützen wird, wie wenn ich dafür meine Hände erhebe.«

Sie hatte wieder auf ihrem prächtigen Sessel Platz genommen und meinte gleichmütig:

»Thut damit, wie Euch gut dünkt.«

Sie schwieg, sah mich an und sagte nach einer Weile:

»Wie könntet Ihr wohl voller Sünden sein?«

Ich konnte daraus nichts erwidern, denn bei dem Lachen der beiden Galane hätte sie meine Worte doch nicht vernommen. Plötzlich begann die Donna selber zu lachen, von allen am lautesten und heftigsten; also, daß es mir weh that, es mit anzuhören. Sie rief:

»Hat er nicht ein Gesicht wie der Engel Gabriel? Komm, ich will Dir ein weißes Hemdlein anziehen und Dir einen Lilienstengel in die Hand geben. O Mönchlein, Du dauerst mich!«

Der feine Knabe erhob sein schönes Haupt vom Boden, starrte mich aus großen dunklen Augen grimmig an und rief mir zu, wie man einem Hunde zuruft:

»Hinaus, Bettelmönch!«

Darauf gebot die Schöne:

»Er bleibt hier! Ninetta soll ihm zu essen geben und wir wollen zuschauen, wie es einem Erzengel schmeckt. Was meinst Du zu Maccaroni, Gabriel?«

Wiederum lachten alle und wiederum schrie der seine Knabe:

»Hinaus! Hinaus!«

Die anderen Galane riefen:

»Er soll Maccaroni essen und zum Dank dafür Clelia die Füße küssen.«

Da fuhr die Schöne auf:

»Ich lasse mich von keinem Mönche küssen, und wenn es auch nur die Füße wären – nicht um die Vergebung aller meiner Sünden. Pfui, solche Kutte! Ninetta, bringe dem jungen Heiligen zu essen.«

Die alte Vettel schalt, daß nichts zu essen da sei, nicht einmal ein Stücklein Salamiwurst. Sie litte selber Hunger! Und nun wollte man gar solchen nichtsnutzigen Bruder mit Maccaroni füttern. Wie der wohl schlingen würde! Aber es sei nichts da.

»Dort steht genug,« meinte die Schöne gleichgiltig und deutete mit dem Kopf auf eine herrliche silberne Schale voll verzuckerter Früchte und anderer Süßigkeiten, wie sie auf die Tafel eines Königs kommen mochten.

Die Alte that, als hätte sie nicht gehört, und machte sich von neuem an den Haaren der Donna zu schaffen. Doch diese jagte sie fort. Nun ging das Weib und brachte mir die Schüssel. Die Schöne gebot mir:

»Setze Dich dorthin und iß.«

Und weil nirgends ein leerer Sessel war, so wies sie auf das Bett.

Ich blieb stehen, ließ die alte Vettel mir die Schale vorhalten, ohne mich daran zu kehren.

Da rief die schöne Sünderin:

»Ich werde Euch zeigen, wie man Mönche füttert, wenn sie so jung sind und solche Augen haben wie dieser.«

Sie sprang auf, griff in die Schüssel, nahm eine verzuckerte Feige heraus, steckte die braune, süße Frucht zur Hälfte in den Mund und näherte ihr Gesicht dem meinen – näherte ihre Lippen den meinen; denn ich sollte von der Frucht aus ihrem Munde genießen.

Während die beiden Galane und die Alte ihre Freude an diesem Schauspiel bezeigten, sprang der feine Knabe auf und stand da, bleich vor Grimm, daß es sein überaus schönes Gesicht gänzlich entstellte. Ich aber war von dem zuchtlosen Weibe zurückgetreten und sagte nun:

»Bemüht Euch nicht, Donna. Ich bin ein armer Mönch, der nicht wert ist, Eure Füße zu berühren, und bin keiner von diesen feinen Herren, denen Ihr diese Leckereien mit Eurem jungen Leibe bezahlt.«

Das gab einen Aufstand. Die alte Vettel schrie Zeter und Mordio, das Hündchen bellte, die beiden Galane griffen nach ihren Degen und der feine Knabe brachte gar einen Dolch hervor.

Die Schöne aber sprach kein Wort. Sie stand da, öffnete den roten Mund, daß die Frucht zu Boden fiel, und schaute mich an, wiederum wie mit großem Staunen. Als aber der feine Knabe mir zu Leibe gehen wollte, begann sie heftig zu zittern und rief:

»Laßt ihn! Ihr seht ja, wie gar jung er ist. Da ist er noch voll heiligen Eifers.« Und zu mir gewendet: »Armer, reiner Thor, wie bist Du zu diesem Gewande gekommen? Ich sage Dir noch einmal: Du dauerst mich!«

Aber die Alte fuhr fort zu zanken, das Hündchen zu bellen, die beiden Galane zu schimpfen und zu drohen. Der feine Knabe sagte nichts, hatte indessen einen Blick, als wollte er mir seinen Dolch ins Herz stoßen.

Mitten in diesem Lärm hob die Donna plötzlich zu singen an, und da sie mit einer prächtigen, glockenreinen Stimme begnadet war, so wurden alle nach und nach stille; selbst das Hündlein schien von dem Gesang der Buhlerin behext und verkroch sich in den Kissen des Lotterbettes.

Die leichtfertige Schöne sang:

»O meine müden Hände, ihr müßt winden
Zum Tanze Kränze,
Und pflücktet gern nie mehr
Blumen im Lenze.

O meine müden Lippen, ihr müßt singen
Von Lust und Scherzen,
Und stöhntet lieber auf
In Todesschmerzen.

O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
Im frohen Spiele,
Und läget lieber still
Auf hartem Pfühle.

O meine müden Augen, ihr müht schauen
Der Sterne Funkeln,
Und ruhtet aus so gern
Im ew'gen Dunkel.

Ach du, mein müdes Herze, du mußt pochen!
Ach, Herz, mein armes Herz,
Wärst du gebrochen – –«

Ich stand und hörte auf den Gesang des Weibes, den sie mit unsäglicher Wehmut begann und zu Ende führte. Und sie hauchte die letzten Strophen schier wie die letzten Seufzer eines brechenden Herzens. Es ward auch mir unsäglich wehmutsvoll zu Mute; zugleich dünkte es mich ein Traum, von diesen Lippen solche Worte und diese mit solcher Stimme singen zu hören.

Alsbald weckte mich der Beifallsjubel der Galane; ich aber besann mich, indem ich einen tiefen Seufzer that.

Nun wollte ich gehen, erkennend, daß ich den Auftrag, den ich von dem Hochwürdigen erhalten, für dieses erstemal schwerlich würde weiter ausführen können. Kaum jedoch hatte ich mich zum Gehen gewendet, als die Donna mir nachrief:

»Heda, Mönch!«

Ich fragte, was sie von mir begehrte.

»Daß Du noch bleibst! Ich will Belohnung für meinen Gesang. Wie ich Dir vorgesungen, sollst Du mir vorpredigen, und wie ich mich bei meinem Gesang nicht um jene gekümmert, so sollst auch Du Dich nicht um sie kümmern, sondern allein um mich – – Schnell, Ninetta! Bringe mein Kleid! Der Wagen wartet. Es ist Zeit für den Corso. Mönch, predige uns!«

»Das will ich!«

Sie schrieen bravo und bravissimo und riefen mir zu: ich sollte ihnen eine Bußpredigt halten.

Währenddem hatte die alte Kupplerin ein herrliches Gewand gebracht: aus lichter, strahlender Seide, voller Stickereien und Spitzen. Ich glaubte nicht anders, als daß die Donna nun in die Kammer gehen werde. Aber dieses Weibes Zuchtlosigkeit war so groß, daß sie sich vor ihren Galanen und mir, dem Mönch, wollte ankleiden lassen. Bereits hatte sie das Tuch von den Schultern geworfen, als sie plötzlich mit einem Blicke auf mich in großer Hast und Verwirrung aus dem Gemache ging, ihre Dienerin mit dem Gewande rief und nach einer kleinen Weile herrlich geschmückt zurückkehrte, in leichtfertigem Tone fragend: ob die Predigt zu Ende sei oder ob sie noch zu rechter Zeit käme?

Letzteres bejahte ich mit großer Ruhe, worauf sie hell auflachte. Alsdann ließ sie sich über ihrem hochaufgetürmten, leuchtenden Haar einen schwarzen Schleier befestigen und begann ein Paar gewaltig langer weißer Handschuhe über die Finger und Arme zu streifen.

Ich aber redete zu ihr und zwar, wie sie mir geboten hatte, ohne mich um ihre Galane zu kümmern. Vor Gram und Scham bebte meine Seele, und wie ich fühlte, also sprach ich. Dabei blieb meine Stimme ruhig und ich schaute der zuchtlosen Schönen steif ins Gesicht. Weil dieses nun so sehr dem süßen Antlitz jener Myrrha glich und ich doch einer Buhlerin ins Gesicht schaute, so fand ich Worte, wie sie bis dahin niemals über meine Lippen gekommen. Ich sprach wenig von Gott zu der Sünderin und gar nicht von ihrer Verworfenheit und Verdammnis; sondern ich redete zu ihr, immerfort jener Myrrha gedenkend, von der Seligkeit, reinen Herzens zu sein, von der Himmelswonne einer keuschen Liebe des Weibes zum Manne und von allem Holdseligen und Heiligen, was sonst einem tugendhaften Weibe zu eigen gegeben ist.

Zuerst lachte auch die Schöne mit den anderen. Nur der feine Knabe lachte nicht, nahm die Mandoline und begleitete meine Predigt mit einem wüsten und wilden Geklimper, daß eine Saite riß und man anfänglich von meiner Rede kein Wort verstehen konnte. Plötzlich sprang die Schöne empor, riß dem feinen Jüngling das Saitenspiel aus der Hand, warf es auf die Erde und rief ihrem Liebhaber ein Schimpfwort zu, daß dieser zarte Galan in seinem Antlitz gleich einem Toten ward und wie rasend davonstürzte. Darauf wurden die anderen still. Ich aber fuhr fort zu reden, konnte indessen die Donna dabei nicht mehr anschauen, da diese sich am Fenster mit ihrem Putz zu schaffen machte. Die alte, feiste Vettel begann jämmerlich zu ächzen und zu stöhnen und wimmerte in einem fort: »O Gott, o Gott, o Gott! Ich arge Sünderin! O Gott, o Gott!« Gerade als gälten meine Worte ihr, die doch wahrlich für jede Art von Liebe viel zu schändlich war.

Nun, ich sagte alles, was ich gegen die leichtfertige Schöne auf dem Herzen hatte, und ging alsdann ohne Gruß aus dem Zimmer. Doch noch ehe ich am Ende des Saales angelangt war, hörte ich hinter mir das Rauschen eines Seidengewandes, verspürte auch zugleich einen starken Wohlgeruch, darin die Schöne gleichsam gebadet war. Ich kehrte mich nicht um und wäre gern schneller gegangen: aber das verbot mir mein geistliches Gewand. Bei der dunklen Stiege war die Donna denn auch dicht an meiner Seite und mit einer Stimme, darin es wie ein ersticktes Schluchzen klang, raunte sie mir zu:

»Lieber Bruder, besuche mich ja wieder und das lieber heute abend noch, als erst morgen früh: denn meine Sünde bedrückt mich schwer. Siehe, ich bin ja auch noch so jung und –«

Sie wollte noch mehr reden, aber die Stimme versagte ihr.

Auch kamen jetzt die beiden Galane mit der Alten, welche über ihr schlampiges Gewand ein buntes Tuch umgelegt, auf ihr zottiges Haupt eine mächtige Haube gesetzt hatte und einen gewaltigen Fächer schwang, wobei sie zum Gaudium der Galane jammervoll über ihre Sünden lamentirte. Ich blieb stehen, drückte mich gegen die Wand und ließ alle viere an mir vorüber, ohne der Schönen Ja oder Nein geantwortet zu haben.

Alle vier stiegen nun unter wüstem Lärmen die Treppe hinab; ich aber wartete, bis es unten stille geworden. Alsdann ging auch ich.

Es herrschte eine Finsternis auf der Stiege, als ob es Nacht wäre; also, daß ich nicht erkennen konnte, wer mich plötzlich an der Kutte festhielt und zugleich heftig beim Arm packte. Ich fragte:

»Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?«

Mir wurde erwidert:

»Wer ich bin, schert Euch nichts, nichtswürdiger Pfaff! Aber was ich von Euch will, sollt Ihr hören. – Laßt Ihr Euch in Euren niederträchtigen Sinn kommen, der Donna noch ein einzigesmal Buße zu predigen, so werdet Ihr, ehe Ihr Euren Mund aufthut, einen Dolch zwischen Euren Rippen fühlen, oder noch tiefer; also, daß Ihr gar nichts mehr fühlen sollt. Dafür nehmt eines Edelmannes Wort.«

Der Mensch ließ mich fahren und lief vor mir her die Stiege hinab; da erkannte ich ihn denn.

Nun verließ ich endlich das schändliche Haus, ging die Gasse hinauf und wendete mich nach dem Platz von San Lorenzo in Lucina und von da dem Corso zu. Hier ist gegen Abend ein gewaltiges Gedränge von Spaziergängern und Karossen, darin feine Kavaliere und geputzte Damen sitzen. Ich mußte stehen bleiben, da ich vor Menschen und Fuhrwerken nicht vorwärts konnte.

Wie ich so stand und harrte, daß Raum werde, kam eine prächtige Karosse angefahren und saß in dieser niemand anders, als die schöne Sünderin, die Clelia, mit der alten Vettel, der Ninetta, und hätte jedermann die Buhlerin für eine Prinzessin halten können. Etliche von denen, die in meiner Nähe standen und die Donna erblickten, riefen laut:

»Seht, die Schöne!«

Es ereignete sich nun, daß ihr Wagen, welcher der Menge wegen nur langsam fahren konnte, ganz nahe an mir vorüber mußte. Als ich eben vor den Pferden zurückwich, erblickte mich die Donna. Sie hatte bis dahin mit einer Miene, als sei sie todmüde, in den Kissen gelehnt – jetzt, mit einem glückseligen Lächeln, fuhr sie in die Höhe, bog sich weit vor und sah nach mir hin, lächelnd und mir mit ihrem Fächer winkend, als ob ich einer ihrer Liebhaber wäre; also, daß ich vor Scham hätte in die Erde sinken mögen. Auch schauten sogleich viele nach mir, steckten die Köpfe zusammen, spotteten und lachten. Ich machte, daß ich davon kam, als hätte der Satan selbst mir zugelächelt – mit dem Antlitz jener Myrrha!

*

Als ich kurz vor dem Aveläuten im Kloster eintraf, ward ich sogleich zum Abt befohlen. Der Hochwürdige fragte nach allem, auch sagte ich ihm alles, nur verschweigend, an wen die schöne Sünderin mich gemahnt hatte und womit ich bedroht worden war, wenn ich wiederkäme. Es geschah alsdann zum erstenmal, daß der Hochwürdige mich lobte. Darauf trug er mir auf, mich nach etlichen Tagen wiederum zu der Donna zu begeben und nicht abzulassen, bis ich ihre Seele für das Heil gewonnen hätte.

Ich hatte zu gehorchen und nicht zu denken.

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