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XVII.

Ich fand mich ab mit Gott. Darin hatte ich bereits große Uebung erlangt. Denn weil ich stets von neuem wieder in Zweifel, Ungehorsam und Sünde verfiel, suchte ich schließlich nach einem Auswege, um nicht sinnlos zu werden. Dieser bot sich mir in einer Disputation mit Gott, bei welcher ich zuletzt jedesmal recht behielt. Ich begann die Unterredung, antwortete für Gott und wußte es jedesmal so zu drehen und zu wenden, daß es Gott nichts half, und er mir schließlich zugestehen mußte, es sei so und nicht anders.

Diesesmal dauerte die Unterredung lange, und sicherlich wäre ich dem Zorn des Herrn unterlegen, hätte ich nicht schließlich zu Sankt Franziski vornehmstem Gebot, der völligen Unterwerfung unter den Willen des Vorgesetzten, meine Zuflucht genommen. Ich fragte den Herrn: ob etwa er mein nächster Vorgesetzter sei? Darauf mußte mir der Herr zugeben, daß er zu meinem nächsten Vorgesetzten den Abt bestellt. Nun hatte ich gewonnenes Spiel. Ich sagte dem Herrn gerade heraus: »Ja, wenn das so ist, warum hast du mir keinen andern und bessern zum Abt gegeben? Nun hast du dich der Macht über mich begeben und also nichts mehr darein zu reden: der Abt befiehlt und ich gehorche dem Abt. Das Schlimme und Schlechte, das daraus entsteht, kümmert mich nicht, und es kümmert mich nicht, daß es eine Sünde gegen dich und den heiligen Geist ist. Sieh zu, wie du mit mir fertig wirst. Es wird ein falscher Priester aus mir werden, aber du hast es nicht anders gewollt. Ich habe keinen Teil daran.«

Nachdem ich mich also mit dem Herrn abgefunden, dachte ich nicht weiter über den Mangel jeglicher Würdigkeit zum Priester der heiligen Kirche nach, sondern ich warf mich voll Eifers auf die Vorbereitung zu meinem neuen Stande. Die Almosenbittgänge wurden einem Laienbruder übertragen, und ich widmete mich ganz der großen Sache. Als die Zeit gekommen, erhielt ich die Priesterweihe, las zum erstenmal die Messe, genoß das Blut Christi und spendete den Gläubigen Christi Leib. Alle diese gewaltigen und erhabenen Dinge vollzogen sich, ohne daß ich derselben im mindesten würdig gewesen wäre.

Ich fand mich indessen ab mit Gott. Darauf ward mir das Amt des verstorbenen Bruders Eustachius übertragen, den Juden in der Kirche des heiligen Engels Bekehrung zu predigen.

Es geschah eines Sabbaths in der Adventzeit, daß ich zum erstenmale vor den Juden sprechen sollte. Nun war es üblich, einer solchen nichtswürdigen Predigt denselben Text unterzulegen, über welchen am nämlichen Tag der Rabbi in der Synagoge zum jüdischen Volke gesprochen. Ich that anders: Ich wählte für meine erste Predigt jenen Vers aus dem fünfundsechzigsten Kapitel des Jesaias, den ein jüdischer Konvertit an die Wand der christlichen Kirche bei der Brücke Quattro Capi hatte schreiben lassen und welcher lautet:

»Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.«

Also jener grausame Tag – gesegnet sei sein Andenken! – war gekommen. Bis zu dem Augenblicke, da ich mich zu dem Bogen der Oktavia zu begeben hatte, hielt ich mich in meiner Zelle, mit meiner Predigt beschäftigt. Ein böser Geist – ich spreche im christlichen Sinne – war in mich gefahren, und ich wollte den Höllengeist aus mir reden lassen, wenn ich auf der Kanzel stand, die Juden, denen ich das Heil verkünden sollte, vor mir versammelt – von den Häschern zusammengetrieben. Eine gewaltige, herrliche Freudigkeit überkam mich, wie solche ein Feldherr vor einer Schlacht empfinden mag, darin ihm der Sieg gewiß ist; und ich konnte die Stunde, wo ich hintreten sollte, um als christlicher Priester den Juden Bekehrung zu predigen, kaum erwarten. Auch in dieser Sache hatte ich mich abgefunden mit Gott und Gottes Zustimmung dazu erhalten – in heißem Kampfe ihm abgerungen. – Dieses vollbracht, brauchte ich den Herrn nicht um Kraft und Mut anzugehen.

Ich dachte:

Was werden sie mit dir beginnen, wenn du dieses vollbringst?

Ich wußte es nicht und war ungemein begierig, es zu erfahren.

Sie würden alle dabei sein, der Hochwürdige, die Vater und Brüder; auch der Bischof. Sie wollten alle mitanhören, wie der getaufte Jude den Juden von ihrer ewigen Verdammnis donnerte; wie er ihnen die Greuel des Heidentums, die Wonnen des Christentums schilderte; wie er ihnen zurief: »Bekehre Dich, Jude! Dein Unglauben stinkt auf zum Himmel. Bekehre Dich, Jude!« Sie wollten alle mitansehen, wie der getaufte Jude vor den getreuen und gerechten Juden stand, ohne von dem Zorn Jehovahs zermalmt zu werden, ohne sich an die Brust zu schlagen: »Herr, sei mir Sünder gnädig!« Ansehen wollten sie, wie ich das Schändliche beging, ohne mir selber ins Gesicht zu schlagen und vor mir auszuspeien.

Sie sollten kommen, sie sollten hören und sehen!

Ein Bruder pochte an meine Zelle und meldete, daß es Zeit sei.

Ja, es war Zeit!

Ich ging.

Als ich nach dem Bogen der Oktavia kam, standen die Thüren der Kirche bereits weit offen. Aber noch war kein Jude drinnen. Ich begab mich in die Sakristei, woselbst der Küster auf mich wartete. Dieser Mann sagte mir, daß zu dem heutigen Gottesdienst kein einziger Jude sich freiwillig einstellen würde, daß sie heute alle hineingetrieben werden müßten: es sei eben ein gar zu verstocktes und dem Heil unzugängliches Volk.

Ich antwortete:

»Da habt Ihr recht!«

Nun trat ich in die Kirche, schritt zum Altar, beugte die Kniee, nahm das Allerheiligste herab, küßte es und trug es hinweg.

Jetzt harrte ich in der Sakristei auf den Anfang des Gottesdienstes. Ich vernahm, wie die Juden in die Kirche getrieben wurden, wie die Häscher sie hart anfuhren und schimpften, wie einige der also Behandelten laut wehklagten.

Unterdessen ließ ich mir von dem Küster über die letzte Predigt des Bruders Eustachius berichten: wie freudigen und erhobenen Geistes dieser gewesen, wie er mit leuchtendem Antlitz auf der Kanzel gestanden, wie er dem verstockten und dem Heile unzugänglichen Volke mächtig ins Gewissen geredet.

Alsdann ging dieser getreueste Diener des Herrn und richtete sich selbst. Ich aber, ich lebte noch!

Es kamen einige Geistliche in die Sakristei und beglückwünschten mich. Ich dankte ihnen. Sie meinten: es müßte heute für mich ein hoher Feiertag sein, ein Tag der Gnade und der Wonne. Ich erwiderte: sie hatten recht, ein solcher Tag wäre es für mich. Endlich kündigten sie mir an, die ganze Kirche stünde voller Juden, und sie führten mich im Triumph hinaus, bis an die Kanzel.

Ich stieg hinauf.

Da stand ich nun und sollte reden. Mit lauter Stimme sprach ich den Text aus dem Jesaias:

»Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.«

Als ich aber beginnen wollte, über den Text zu predigen, erhoben die Juden ein Geschrei, daß man kein Wort verstand, und ich zu sprechen aufhören mußte. Die Häscher schlugen mit ihren langen Stäben unter die Ebräer, bis alle stille waren, und ich von neuem anfangen konnte zu predigen:

»Ich recke meine Hände aus zu einem ungehorsamen Volke – –

»Hier stehe ich, ein christlicher Priester und recke meine Hände aus zu euch, ihr Juden, ihr Ungehorsamen und Verstockten, die ihr euch nicht wollt bekehren lassen zu dem allein seligmachenden Glauben, sondern eurem Jehovah getreu bleibt, trotzdem dieser Gott eurer Väter euch schmachten läßt in der Knechtschaft und kein Ende findet, euch Plagen zu senden und unsäglichen Jammer. Ihr aber haltet zu ihm, ihr glaubt an ihn, ihr hofft auf ihn.

»O ihr Thoren!

»Für alle eure Leiden auf Erden werdet ihr keinen himmlischen Lohn empfangen.

»Wohl aber werdet ihr verdammt sein.

»O, ihr Thoren, ihr blöden Thoren!

»Betrachtet uns Christen, wie wir selig sind im Herrn. Hört uns jubeln und jubiliren, denn unser ist das Himmelreich.

»Seht, es liegt vor euch. Ihr brauchtet nur eure Hände auszustrecken, und ihr empfangt es. Aber ihr wollt nicht. Ihr verschmäht das Himmelreich, ihr haltet fest an eurem Gott, ihr verbleibt in eurer Knechtschaft, ihr ertragt euren Jammer, ohne Unterlaß hoffend und harrend, daß der Messias komme. Ohne Unterlaß hoffend und harrend! Nicht für euch, sondern für diejenigen, welche nach euch kommen.

»Ihr Thoren, ihr blöden, blinden Thoren!

»Ich recke meine Hände aus zu euch, ihr Ungehorsamen und Verstockten, die ihr euch nicht wollt bekehren lassen zu einem Glauben, der seine Priester aussendet, aller Orten Proselyten zu machen, und diese alsdann sich hinstellen läßt, öffentlich vor den Augen des Volkes, dem sie einst angehört haben, um diesem Volke Bekehrung zu predigen.

»Ich, der Konvertit, predige euch also.

»Juden, bekehrt euch! Bekehrt euch zu einem Glauben, dessen Bekenner die Juden in einen Zwinger stecken, sie in eine christliche Kirche treiben, die Juden gleich stinkenden Tieren achten, die Juden ausrotten möchten vom Erdboden.

»Wie – ihr wollt nicht? Wie – ihr bleibt eurem Gott und eurem Glauben treu?

»Hier stehe ich, ein christlicher Priester, und recke meine Hände aus zu euch, ihr Verdammten, und preise euch um eures Ungehorsams und eurer Verstocktheit willen und flehe euch an – seht ihr, mit aufgehobenen Händen – darin verharren zu wollen und verwünsche jeden von euch, welcher nicht darin verharrt, sondern mir nachthut.

»Und ihr, gottselige Juden – –«

Aber weiter kam ich nicht.

Alle Geistlichen waren aufgesprungen, schrieen, ich sei toll geworden, drangen gegen die Kanzel vor und geboten mir zu schweigen. Bischof und Abt verließen mit Geberden des Entsetzens die Kirche, indessen von den anderen etliche auf die Kanzel stiegen, mich gewaltsam hinunter zu drängen, was sie gar nicht nötig gehabt hätten; denn ich hatte vollführt, was sie von mir gefordert – wozu sie mich gezwungen: ich hatte den Juden gepredigt.

Diese verhielten sich vollkommen ruhig. Aber sie waren blaß geworden und als ich hinausgeführt wurde, drängten sie sich zu mir, riefen mich bei meinem alten Namen, nickten, und winkten mir zu. Und ich las in ihren Augen, daß sie mir vergeben hatten.

Und ich war glücklich, glücklich!

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