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XIII.

Nach einer langen Weile fragte ich:

»Warum habt Ihr das Kind Eures Bruders und der Dionizia fortgegeben? Es hätte gleich Eurem eigenen sein sollen: denn als solches war es Euch überlassen worden und Ihr hattet dafür die Verantwortung übernommen.«

Die gute Frau erwiderte mir mit einem Thränenstrom und vermochte erst nach vielem Schluchzen und Seufzen zum Reden zu gelangen:

»Ach, mein lieber Bruder Angelikus, zu den vielen Sünden, zu denen ich mich bekennen muß und für die Ihr beim Himmel Fürbitte einlegen sollt, gehört auch diese schwere Schuld. Aber – was hätte ich thun sollen? Ueber ein Jahr behielt ich das Kind bei mir, zog es mit Eselsmilch und süßem Brei auf und trug wahrhafte Muttersorgen darum. Denn weil es so jäh von der Brust seiner Mutter gerissen worden, war es überaus jammervoll an seinem Leibe. Auch ließ ich es christlich taufen und ihm den Namen Clelia geben. Vor langen Zeiten hatte eine überaus keusche und tugendhafte römische Jungfrau so geheißen, was mir in der Schule gelehrt worden war. Diese Taufe veranstaltete ich sowohl aus innigster menschlicher Liebe als aus christlichem Erbarmen, weil ich nicht wußte, ob die Dionizia, die eine rechte Heidin gewesen, ihr Kind bereits hatte taufen lassen.

»Das Kind war über ein Jahr bei mir und ich dachte nicht anders, als daß es Zeit seines Lebens bei mir bleiben und gedeihen sollte. Da starb mein Vater und ich erbte viel Geld und Gut.

»Kaum war mein Vater begraben und ich trug noch schwer an diesem neuen Jammer, als mir ein großes Glück zu teil werden sollte: jener redliche Mann, mein seliger Gatte Gentile, bewarb sich von neuem um mich armes, verlassenes Geschöpf. Ach, mein guter und frommer Bruder Angelikus, sagt selbst – was hätte ich ältliches Frauenzimmer thun sollen? Mein Bruder Carlo war in den Volskerbergen unter den Briganten, meine Eltern lagen im Grabe, ich stand gänzlich allein in der Welt, darin ich reichlich Herzeleid erfahren hatte, und endlich wohl auch meinen kleinen Teil an Freuden erleben durfte. Nun war mein guter Gatte ein gar gewaltiger Ehrenmann, obendrein rabiat wie eine wütende Bestie und eifersüchtig wie der Mohr von Venedig. Auch war es keine geringe Sache von ihm – dafür ihm in der Ewigkeit nach Verdienst gelohnt werden mag! – die Filomela di Tomaso zu seinem Eheweibe zu begehren, wo doch mein armer Bruder solchen Schimpf über die Familie gebracht, während die seine aus lauter tugendhaften und ehrenwerten Leuten bestand. So hätte ich denn nächst den Heiligen meinem lieben Gentile auf den Knieen danken und ihm Zeit seines Lebens Gutes und Liebes erweisen müssen, weil er sich zu guter Letzt meiner dennoch erbarmte und mich zu seiner Frau machen wollte.

»Nun war das Kind der Dionizia bei mir, von dem mein braver Gentile nichts wissen durfte, damals nicht und niemals. Denn das hätte Mord und Totschlag gegeben. Mein wackerer Gentile war darin nämlich ganz so, wie mein Vater gewesen, und durfte der Name meines Bruders von ihm nicht genannt werden. Heilige Jungfrau Maria! Und wenn nun von meinem Bruder gar ein Kind im Hause gewesen wäre!

»Als daher mein redlicher Gentile zum zweitenmale um mich warb, brachte ich in großem Jammer, aber in großer Eile das liebe Kind aus Rom fort nach Olevano, woselbst ich die Gevatterin der Dionizia fand – eben die bewußte Ninetta. Das war ein überaus armseliges Weib, schien mir indessen ein recht christliches Gemüt zu haben. Auch hatte die Dionizia, wenn sie des Sommers nach Olevano kam, stets bei diesem Weibe gelebt. Also ich übergab der Ninetta, dieser Seelenverderberin, das Kind, dessen Ursprung ich dem schändlichen Gemüt erzählte. Diese versprach mir denn auch hoch und heilig, dafür Muttersorgen zu tragen, schwatzte und schwatzte, ach, und beschwatzte mich.

»Mit dem vielen Gelde, das ich ihr gab, zog sie aus Olevano fort, nach Subiaco hinunter; denn ich wollte nicht, daß das Kind, wenn es erwachsen wäre, in dem Heimatsort seiner Mutter die Leute von der Dionizia Baldi erzählen hören sollte. Ach, Ihr wißt, wie alles gekommen und daß die Tochter noch schändlicher geworden, als es die Mutter gewesen.

»Ich aber heiratete in Frieden und in Freuden meinen Gentile, den lieben, trefflichen Mann. Und das muß ich ihm im Grabe nachsagen: er behandelte mich recht christlich gut, wenn ich auch die Schande, die nun einmal auf meiner Familie liegt, täglich von ihm zu hören bekam – mein lieber Bruder Angelikus, beinahe zwanzig Jahre jeden Tag!

»Um meinem redlichen Gentile nicht unrecht zu thun, muß ich sagen, daß an einer solchen Bestialität mein bißchen Geld und Gut große Schuld trug, darüber mein ehrlicher Gentile alle Gewalt haben wollte. Indessen, da der Himmel uns keine Kinder bescherte, gedachte ich stets der Tochter der Dionizia und verweigerte meinem armen guten Gentile, was er von mir verlangte – mein lieber und frommer Bruder Angelikus, beinahe zwanzig Jahre jeden Tag!

»Es war ein rechtes Höllenleben.

»Nun ist er tot, der liebe Mann, nun quälen mich seine Leute, die ganze rechtliche Familie Gentile, mit demselben, womit und warum mein teurer Gentile mich Zeit seines Lebens beinahe zu Tode gequält hat: die ganze Familie Gentile wirft mir die Schande der Familie di Tomaso vor und begehrt derentwegen von mir mein Geld und Gut.

»Aber das bekommen sie nicht, die schändlichen, schlechten Menschen! Nicht einen Bajocc' bekommen sie, und sollte mein seliger Gentile sich deswegen im Grabe umdrehen; denn nun ist das Kind der Dionizia Baldi meine Tochter.

»Und so soll es bleiben.«

So sprach die Pflegemutter Clelias, und was hätte ich ihr wohl anderes sagen können, als:

»Sora Filomela, Ihr seid eine treffliche Frau.«

*

Als ich mich noch vor Anbruch des Tages erhob, stand der junge Sabiner bereits draußen vor dem Hause. Ich öffnete ihm die Thüre, ging mit ihm in meine Kammer und fragte ihn: wo er die Nacht kampirt habe? Indem ihm alles Blut zu Gesicht stieg, bekannte er mir, daß er die Nacht unter dem Fenster seiner Verlobten zugebracht. Ich lächelte ein wenig und führte ein letztes langes Gespräch mit ihm, bei welchem der junge, heißblütige Mensch mein ganzes Herz gewann.

Nun erschien auch Sora Filomela unten im Hause. Sie erstaunte nicht wenig, uns zwei bereits beisammen zu finden, schaute sich heimlich nach den erwarteten Liebesspenden um und war gar nicht befriedigt, als sie vernahm, welches Nachtquartier der Verlobte dem Bette in einem guten römischen Gasthause vorgezogen hatte. Darauf sprach ich von meinem nahen Scheiden und wie ich noch in der Frühe gehen wollte, worüber Sora Filomela und der junge Sabiner ein solches Lamento erhoben, als ob ein Sohn und Bruder von ihnen fortgehen wollte. Aber mein sofortiger Aufbruch ward dadurch verhindert, daß ich kein geistliches Gewand besaß und ein solches aus Rom erst beschafft werden mußte, lieber diesen kleinen Aufschub bezeigten die beiden guten Menschen eine solche Freude, als ließe ich ihnen damit eine Wohlthat angedeihen, wie sie denn überhaupt nicht wußten, was sie anfangen sollten, um mir genug Liebes und Gutes zu erweisen.

Sehr betrübt zeigte sich der junge Terenzio, als ich ihn allen Ernstes bat, sogleich nach Rom zu gehen und mir eine Kutte zu holen. Er drohte mir, auf diesem Gange mehrere Tage ausbleiben zu wollen, worauf ich ihm versicherte, daß er ganz gewiß laufen würde, um so rasch als möglich wieder bei seiner Verlobten zu sein.

Und er lief!

Als er fort war, begab sich Sora Filomela zu Clelias Kammer hinauf, kam indessen bald zurück, klagend: Clelia habe sich eingeschlossen und gebeten, sie diesen ganzen Tag allein zu lassen. Sie ließe mich grüßen und mich bitten, erst morgen zu gehen: sie müßte mich noch einmal sprechen.

Gegen Mittag kam Terenzio aus Rom zurück, in Schweiß gebadet und atemlos. Ihn begleitete ein Knabe, welcher in einem Korbe eine Kutte trug und Geschenke für die Verlobte und deren Tante: Geschmeide, seidene Tücher, verzuckerte Früchte und viele andere Dinge; auch für mich ein schönes Brevier und einen prächtigen Agnus. Sora Filomela war über ihre Gaben glückselig wie ein Kind, lief damit hin und her, betastete alles immer wieder von neuem und putzte sich damit auf. Clelia indessen sendete alles zurück und ließ ihren Verlobten bitten, er möge ihr verzeihen, aber sie könne von ihm keinerlei Geschenke annehmen. Das gab einen Jammer! Der leidenschaftliche junge Mensch wollte schier verzweifeln, hätte sich am liebsten ein Leides angethan und warf sich schließlich wie ein ungeberdiges Kind mitten in der Halle auf den Boden nieder.

Nachdem er sich einigermaßen beruhigt, überließ ich ihn der trefflichen Sora Filomela, begab mich in meine Kammer, woselbst ich mich mit sehr langsamer Hand meiner weltlichen Kleider entledigte und das geistliche Gewand anzog. Dabei gedachte ich der ersten Wandlung meines äußeren Menschen, die ich in solcher Seligkeit an mir vollbracht hatte, in solcher Zuversicht – in solchem Glauben! Es ergriff mich eine heftige Sehnsucht nach jenen heiligen Empfindungen, wie man beim Anblick einer verwelkten Blume wünschen möchte, daß sie noch Knospe wäre. Ich band die Sandalen an meine nackten Füße, schnürte den Strick wie einen Bußgürtel um meinen Leib, kniete nieder, um heiß und inbrünstig zu beten. Wie ward mir, als alle frommen Gedanken sich mir versagten, als meine Seele, anstatt dem Himmel zuzustreben, an der Erde haften blieb – als ich nicht beten konnte!

Nach langem Ringen im Gebet mußte ich es aufgeben, mich Gott zu nahen, und ich fühlte mich von einer unsäglichen Angst gefaßt, daß ich das Gebet überhaupt verloren hätte, es auch nicht wieder finden würde und somit von jeder Hoffnung ausgeschlossen wäre, mir jemals den vollen Glauben und das wahre Christentum zu erwerben – also ausgeschlossen bliebe von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes.

Ich wußte aber nicht, wie ich weiter leben sollte, wenn ich nicht mehr durch das Gebet zu Gott gelangen konnte, und ich fühlte, daß ich alsdann sinnlos werden würde.

In meiner Herzensangst verließ ich die Kammer und das Haus, wobei ich Sorge trug, Sora Filomela und dem Verlobten nicht zu begegnen, da ich mich schämte, in der ehrwürdigen Gestalt meines Mönchsgewandes vor sie hinzutreten und in so unwürdiger Verfassung der Seele. Ich schlich durch die Vigna, gelangte ungesehen hinaus, stieg durch das hohe Buschwerk den Berg vollends hinan und jenem Gebäude zu, welches Villa Madama genannt wird und welches ein überaus ödes und trübseliges Bauwerk ist, einstmals von großer Pracht und Herrlichkeit, jetzt aber seit langem lediglich von Geistern und den Tieren der Wildnis bewohnt. Hier, auf einer Terrasse, hinter einem Dickicht, warf ich mich nieder, drückte mein sündiges Antlitz gegen die göttliche Erde und stand nicht eher wieder auf, als bis ich mich geläutert und erhoben fühlte.

Dieses gelang mir nur dadurch, daß ich nicht meines Gelübdes gedachte, welches mich an die Kirche fesselte, sondern des freien Willens, welcher dem Menschen die Macht gibt, nach eigener Wahl gut oder böse zu sein. Aber ach! Wie schwer ist allein das eine: unablässig sein ganzes Leben über in seinem Innern nach dem Guten zu streben – und nun gar erst das Gute auch äußerlich in seinen Thaten zu üben – – Für dieses einemal jedoch half mir die Gewißheit meines festen Willens.

Es war unterdessen Abend geworden, und da ich den Berg hinabstieg, erglühte das ganze weite Land unter mir in dunklem Glanz. In der Vigna kam mir Sora Filomela entgegen, die bei meinem Anblick stehen blieb und mich nicht zu erkennen schien. Da begrüßte ich sie demütig und machte über ihr das Zeichen des Kreuzes, was ich bis dahin niemals gethan. Die gute Frau stand stumm vor mir, blickte mir ins Gesicht und begann bitterlich zu weinen. Auf meine Frage, warum sie weine, erwiderte sie, das wisse sie selbst nicht, indessen weinen müsse sie nun einmal.

Wir gingen miteinander dem Hause zu und ich erkundigte mich, ob Clelia nach ihrem Verlobten gefragt? Nein, das hätte sie nicht gethan; es wäre eben ein gar zu wunderliches Geschöpf.

Wir waren denn auch bereits im Begriffe, uns ohne sie zur Abendmahlzeit niederzusetzen, und ich wollte eben – gleichfalls zum erstenmal, seitdem ich mich in dem Hause befand – ein Tischgebet sprechen, als Clelia erschien, mit geneigtem Haupte dem Gebet zuhörte, alsdann uns alle grüßte und sich zu uns an den Tisch setzte, aber nicht neben ihren Verlobten, sondern neben mich. Ohne selbst etwas zu genießen, bediente sie mich auf das eifrigste, ganz so, wie sie bei jenem einen nächtlichen Mahle gethan, nur daß sie diesesmal ihren Dienst schweigend und mit einer gewissen Feierlichkeit verrichtete.

Nachdem der Tisch abgeräumt worden, saßen wir gleich Menschen, die auf Nimmerwiedersehen auseinandergehen, noch lange beisammen, und da ich nichts zu sagen wußte, so gedachte ich meines Gesanges. Nun hatte man mich um meines Gesanges willen zum Christentum bekehren lassen. Aber seitdem ich Christ geworden, hatte ich es bis zu dieser Stunde nicht über mich vermocht, auch nur einen Ton zu singen; und hätte der Abt mir das Singen geboten, so würde ich ihm darin den Gehorsam verweigert haben. Indessen er hatte es mir niemals aufgetragen, weder in der Klosterkirche vor ihm und den Mönchen, noch beim öffentlichen Gottesdienst vor dem Volk zum Preise des Höchsten meine Stimme zu erheben. Bei jenem schweren Schweigen überfiel mich jedoch eine jähe Sehnsucht nach der Himmelsgabe des Gesanges. Ich begann zu singen, zuerst leise, sodann laut und lauter. Und zwar sang ich kein christliches Lied, sondern einen jüdischen Klagegesang. Darüber entsetzte ich mich selbst, wollte abbrechen, fuhr indessen fort und erschallte zuletzt meine Stimme, als stünde ich am heiligen Feiertag in der Synagoge vor allem Volk, darunter meine Eltern, Mose und Myrrha – –

Ein Wind fuhr durch die offene Thür und löschte die Lampe; doch niemand stand auf, das Licht wieder anzuzünden.

Bei Sonnenaufgang am andern Morgen erhob ich mich in aller Stille vom Lager und verließ das Haus. Da ich hastig durch den Laubgang schritt, erblickte ich Clelia, bereits vollständig angekleidet, einen schwarzen Schleier um den Kopf, mir entgegenschauend, als erwartete sie mich. Ich ging auf sie zu und wußte nur zu sagen:

»Ach, Clelia, seid Ihr es?«

Sie antwortete:

»Ich wußte, daß Ihr um diese Zeit gehen würdet, und ich gehe mit Euch, so weit ich mit Euch gehen kann, das ist bis zur Pforte Eures Klosters. Mein Verlobter weiß davon.«

»So kommt!«

Und wir gingen.

An die Vigna stieß ein Cannenrohrfeld, durch welches ein schmaler Pfad bis zum Tiber führte. Diesen schlugen wir ein, schritten am Fluß entlang, alsdann über Ponte Molle und auf der flaminischen Straße dahin. Sobald die Breite des Weges es erlaubt hatte, war Clelia an meine Seite getreten.

An diesem Herbsttage war es auf der Straße einsamer, als es damals an jenem Oktoberabend gewesen, als die treffliche Sora Filomela mit ihrem Bruder Carlo denselben Weg gegangen war. Jener beiden mußte ich gedenken, als plötzlich Clelia sagte:

»Hier mag es gewesen sein, wo mein Vater meiner Mutter nachgelaufen kam und den Kavalier erstach.«

Ich erschrak bis in mein Herz hinein, suchte mich zu fassen und fragte:

»Was meint Ihr? Ich verstehe Euch nicht.«

Clelia versetzte:

»So muß ich es Euch denn sagen. Ich habe erfahren, was meine Mutter für eine gewesen und daß sie meinen Vater verlassen, da sie mich unter dem Herzen trug. Als meine Tante Euch die Geschichte ihres Bruders Carlo und der Dionizia Baldi erzählte, habe auch ich zugehört.«

Was sollte ich darauf erwidern?

Sie sprach weiter in der ruhigen, gelassenen Weise, die sie nach und nach angenommen hatte:

»Ihr wißt, wofür ich meine Mutter gehalten: für eine tugendhafte, rechtschaffene Frau, zu der ich hätte beten können wie zu einer der Heiligen, ja wie zu der göttlichen Mutter selber. Ach, wie habe ich mich geschämt, so oft ich meiner Mutter dachte, wie habe ich mich geschämt! Damit ist es nun nichts mehr.«

Ich rief:

»Clelia, Clelia, was redet Ihr? Bedenkt, was Ihr redet!«

Mit einem Blicke, der mir durch die Seele ging, entgegnete sie:

»So von seiner Mutter zu reden – es mag sich abscheulich anhören. Aber wie abscheulich ist es erst, so von seiner Mutter reden zu müssen! Wenn ich denke, ich werde das Weib des wackeren Terenzio und ich gebäre meinem Manne Kinder – eine Tochter! Und das Mädchen muß einstmals auch so abscheulich von seiner Mutter reden – oder das Mädchen wird selber, wie seine Mutter gewesen – muß so werden –«

Ich blieb stehen und schaute sie voller Entsetzen an und die Worte wollten mir kaum über die Lippen:

»Muß so werden? Die Tochter wie die Mutter gewesen – Und muß so werden? Muß, muß!«

»Bin ich nicht so geworden?« fragte sie zurück. »Ich will Euch eine Geschichte erzählen – – Da war in Subiaco auch die Tochter einer solchen Mutter, eine Waise wie ich. Die Angehörigen thaten das Mädchen in ein Kloster, woselbst sie eine der Sittsamsten und Frömmsten ward. Als sie siebenzehn Jahre zählte, nahm man sie heraus und verheiratete sie mit einem wackern Mann, und bereits wenige Monate nachher war die Tochter geworden, was die Mutter gewesen. Jenes schändliche Weib heißt Agata Sorani. An diese Agata Sorani werde ich fortan immer denken müssen, wenn ich des wackeren Terenzio Frau geworden. Ach, warum seid Ihr gekommen, um meine Seele zu retten? Besser, sie wäre für ewige Zeiten verloren geblieben.«

Das war ein großes Leid, welches mich noch in dieser letzten Scheidestunde betraf.

Die Straße belebte sich allmälich; wir aber gingen dahin durch die vielen Menschen, langsam, langsam, ohne zu bemerken, daß wir nicht länger einsam waren. Ich vermag mich auch nicht zu besinnen, was ich auf jenem letzten Gange zu Clelia gesprochen habe; ich weiß nur noch, daß es mir zu gelingen schien, sie zu beruhigen und ihren Geist von solchen über die Maßen schrecklichen Gedanken und Vorstellungen abzuziehen. Wenigstens that sie wie neu belebt, war zuversichtlich und hoffnungsvoll. Sie gestand mir: es habe in den letzten Tagen über ihrer Seele gleich einem schweren schwarzen Schleier gelegen, der jetzt von ihr genommen sei; sie fühle sich, seit sie es mir gesagt, ihrer Angst los und ledig, und es sei nun auch dieses von ihr genommen und habe ich sie nun auch von diesem befreit und erlöst.

Wir hatten die Stadt erreicht und unsere Schritte dem Corso zugewendet, der zum Glück eine überaus lange Gasse ist, die wir nicht schneller durchwanderten als die flaminische Straße. Und noch immer glitten die Menschen gleich Schatten an uns vorüber.

In dieser letzten Stunde erzählte ich Clelia von meiner Kindheit, vom Ghetto, von meinen Eltern, von meinem elterlichen Hause, selbst von unserer alten Magd, der Rebekka, und alles von Mose. Auch berichtete ich ihr, wie ich Christ geworden.

Ach, das Mitleid, das aus ihrer leisen Stimme zu mir sprach, aus ihren traurigen Augen mich ansah. Ach, das heilige Mitleid dieses Weibes!

Am venetianischen Palast wies ich ihr die Stelle, wo die beiden vom Volke gehetzten Judenknaben für tot hingefallen waren, und ich wies ihr am Forum den Titusbogen.

Als ich, meiner Pflicht gemäß, durch den Bogen gehen wollte, faßte sie meine Hand und führte mich außerhalb des Bogens an demselben vorüber.

Nun stiegen wir Hand in Hand die Velia hinan, nun waren wir angelangt.

Ich bat sie, sogleich fortzugehen.

Sie löste ihre Hand aus der meinen, sah mich an, nickte mir zu, wendete sich und ging.

Ich stand und schaute ihr nach; aber sie sah sich nicht um nach mir – nicht ein einzigesmal!

In der Senkung der Straße verschwand sie mir, als sänke sie vor meinen Augen in ein Grab. Der goldige Morgensonnenschein flutete über die leere Stelle hin, die Gebüsche grünten daneben auf; ich aber stand einsam, in meiner Hand den Glockenstrang.

Da vernahm ich aus der Ferne leisen Gesang:

»Ach, meine müden Füße! – Ich muß schreiten
Den Weg allein,
Und ruht' am liebsten aus
Im Grab zu Zwei'n.«

Ich zog den Glockenstrang – –

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