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Zwölftes Kapitel

Frau Staal benutzte jeden Vorwand, ihre jüngste Tochter in die frische Luft zu schicken. Sie glaubte, die beste Arznei für Petersen seien frische Luft, Stahlpillen und süße Milch, und diese drei Medikamente würden die Rosen auf der Tochter schmalen Wangen bald wieder aufblühen lassen.

An einem schönen Junitage schickte sie Petersen nach dem eine Meile entfernten Dorf Svendrup; sie sollte dort bei einem berühmten Hühnerzüchter einen jungen Hahn für den nächsten Tag kaufen.

Petersen erhob Einspruch und meinte, es sei viel zu heiß zum Radfahren, es könnte auch ein Gewitter im Anzug sein; aber Frau Staal war unerbittlich, und alles, was Petersen erreichte, war, daß sie bis nachmittags vier Uhr warten durfte.

Als sie jedoch erst unterwegs war, freute sie sich doch der gesunden Bewegung; da ihr aber das Wetter nicht ganz zuverlässig erschien, fuhr sie nicht die Landstraße, sondern benutzte einen Richtweg, der um die Stadt herumführte. Auf diese Weise kam sie allerdings nicht an Ströms Haus vorbei, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, auf dem Rückweg dort vorbeiradeln zu können. Als sie außerhalb der Stadt war, traf sie nicht einen Menschen mehr, und trotz der drückenden Hitze fuhr sie ziemlich rasch, um bald das kleine Gehölz zu erreichen, durch das der Weg nach dem Dorf führte.

Mit großem Verständnis und einer Sorgfalt, die man einem verliebten jungen Mädchen gar nicht zugetraut hätte, suchte sie sich dann beim Geflügelhändler ein appetitliches junges Huhn aus, ließ das Paket an ihr Rad binden und trat den Heimweg an.

Während dieses Handels hatte es schon einigemal schwach gedonnert. Dunkle Wolken standen am Himmel, und kaum war sie einige Minuten gefahren, als die ersten schweren Regentropfen fielen.

Petersen ärgerte sich, daß sie ohne Mantel fortgefahren war; sie hatte ein leichtes Leinenkleid an und eine weiße Sportsmütze auf dem Kopf und wußte nur zu gut, wie wenig diese Bekleidung sie gegen das aufziehende Gewitter schützen konnte. Na, das half nun alles nichts, und ohne die Zeit mit unnützen Betrachtungen zu verbringen, beugte sie sich über die Lenkstange, setzte die Füße fest auf die Pedale und sauste dahin. In dem kleinen Gehölz war sie einigermaßen geschützt, aber als sie wieder auf die offene Landstraße hinauskam, stand das Gewitter gerade über ihr.

Blitz auf Blitz zuckte durch die Wolkenwand, und als jetzt auch ein krachender Donner folgte, sah sich Petersen erschreckt nach einer menschlichen Wohnung um, wo sie Schutz finden könnte. Aber nirgends war ein Unterschlupf zu sehen, und auf dem lehmigen Feldweg kam sie mit ihrem Rad gar nicht mehr vorwärts. Plötzlich fiel ihr Ströms Haus ein, das nicht allzuweit entfernt war; das wollte sie zu erreichen suchen.

Ströms alte taube Haushälterin, die schon in seinem Elternhaus gedient hatte, wohnte ja ganz allein dort; zu ihr wollte sie flüchten und sie um Obdach während des Gewitters bitten. Das letzte Stück Weges mußte sie zu Fuß gehen und ihr Rad schieben; zuweilen kam ein Windstoß, der ihr die Kleider zusammenschnürte, daß sie kaum ausschreiten konnte.

Endlich erreichte sie die Gartentür, die offen stand. Hastig lief sie die kleine Allee hinab und zog energisch an der Hausglocke; sie wußte ja, daß man kräftig klingeln mußte, wenn das alte Fräulein Hallanger es hören sollte. Sie war so eifrig damit beschäftigt, ihr Paket vom Rad loszubinden, daß sie gar nicht achtgab, ob sich jemand der Tür näherte, und sich erst umwandte, als der Schlüssel im Schloß klirrte und die Tür geöffnet wurde. Da erst schaute sie auf und – ließ vor Schreck das Huhn fallen, ja, sie mußte sich am Treppengeländer festhalten, um nicht die steinernen Stufen hinunterzutaumeln. Nicht Fräulein Hallangers rundliche Gestalt, sondern Hauptmann Ström in eigener Person stand unter der Tür.

»Nein – Hauptmann Ström – Sie sind wieder da!«

Petersen hatte nicht Floras Schauspieltalent. Ein Kind hätte sehen können, daß sie im siebenten Himmel war. All ihr Kummer war in demselben Augenblick vergessen, wo sie den Mann, den sie liebte, wiedersah. Ihre Stimme zitterte vor Freude, ihre Augen strahlten, und das Blut schoß ihr wie eine warme Woge in die Wangen.

»Petersen!« Dieser Ausruf klang unwillkürlich über seine Lippen, und im gleichen Augenblick wußte Petersen, warum er sie in der kleinen Nachschrift in Ejnas Brief bei ihrem Taufnamen genannt hatte. Er, der so klug war und so reich an Menschenkenntnis, hatte sie natürlich längst durchschaut! Er kannte ihr Geheimnis, und da er gutmütig und zartfühlend war, wollte er ein junges unglücklich verliebtes Mädchen nicht verletzen, indem er sie bei einem häßlichen und sinnlosen Spitznamen nannte. Außerdem klang ›Fräulein Ida‹ nicht halb so vertraut, und es war ja auch nur natürlich, wenn er zurückhaltend war.

Sie sah ihm wohl an, es war ihm unangenehm, daß ihm das »Petersen« entschlüpft war, denn er räusperte sich verlegen, fand sich aber schnell zurecht und fuhr munter fort: »Und Sie, Sie sind die erste, die ich nach meiner Rückkehr sehe, gerade wie Sie die letzte waren, der ich Lebewohl sagte; das ist doch merkwürdig! Aber kommen Sie schnell herein, es wird gleich fürchterlich regnen! Ich werde das Rad hereinholen.«

»Ja – ich wollte ja gerade hier Schutz vor dem Gewitter suchen,« stammelte Petersen. »Ich glaubte ja – ich wußte ja nicht – daß Sie hier waren.«

»Nein, natürlich nicht,« rief Ström lachend, und schon hatte er das Rad ergriffen.

»Bitte, lassen Sie das Rad nur stehen, Herr Hauptmann!« sagte Petersen, und sie lief schnell hinter Ström drein. »Es ist gewiß am besten, ich mache, daß ich nach Hause komme.«

»Davon kann keine Rede sein,« erwiderte Ström, während er das Rad die Treppe hinauftrug und in den Flur stellte. »Vor meiner Reise waren Sie, soviel ich mich erinnere, eine sehr vernünftige junge Dame. Das müssen Sie wirklich auch bleiben. Bitte schön!« Mit diesen Worten öffnete er die Tür zu einem großen dreifenstrigen Zimmer, das Petersen von Frühstücksgesellschaften her, an denen sie mit den Eltern teilgenommen hatte, genau kannte. »Es sieht hier etwas unordentlich aus, bitte, entschuldigen Sie das, aber ich bin erst mit dem Zweiuhrzug angekommen und habe gerade angefangen auszupacken.«

»Ach, dann habe ich Sie ja gestört!« rief Petersen ganz verwirrt. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so verlegen gewesen wie jetzt, und doch fand sie es herrlich, hier allein mit ihm zu sein. Wenn sie ganz ehrlich sein sollte, mochte es ihretwegen bis in die tiefe Nacht hinein regnen.

»Naa – aa –« sagte er lächelnd. »Ich habe ja beinahe noch einen Monat Urlaub, also Zeit genug, auszupacken. Was suchen Sie, darf ich Ihnen helfen?«

»Ach, nur das Huhn,« erklärte Petersen. »Ich hab' es vorhin auf der Treppe vor Schrecken fallen lassen.«

»Vor lauter Schrecken, als Sie mich sahen, nicht wahr?« versetzte Ström mit herzlichem Lachen. »Sie können sich jedoch beruhigen, das Paket liegt im Flur auf dem Tisch. Aber wollen Sie nicht Ihre Mütze abnehmen? Sie ist ganz naß – und die kleine Jacke oder wie immer Sie diesen Ersatz für einen Mantel nennen mögen, mit dem Sie sich in so ein Unwetter hinausgewagt haben, auch.«

»Ich danke,« stammelte Petersen, »aber –«

»Natürlich müssen Sie die Jacke ablegen,« erklärte Ström bestimmt. »Wenn Sie sie anbehalten, können Sie sich eine Lungenentzündung holen, so durchnäßt ist sie.«

Er half ihr den kleinen Bolero abnehmen, der sie doch einigermaßen gegen den Regen geschützt hatte, und als ihm dann auch die Mütze anvertraut war, ging er damit zur Tür hinaus, sagte aber noch im Hinaustreten: »Fräulein Hallanger wird uns eine Tasse Tee machen, und während wir ihn trinken, soll sie versuchen, diese Sachen zu trocknen.«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer.

Petersen ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf einen Stuhl fallen. Sie war ganz verwirrt. Heute morgen noch war sie so müde und mißmutig gewesen, hatte sich höchst widerwillig auf die Radtour begeben, und nun war sie hier in seiner Stube; im nächsten Augenblick würde er wieder hereinkommen, sie konnte ihn ansehen, soviel sie wollte, und seine Stimme hören! Ja, ja, wie rasch sich doch alles ändern kann!

Sie sah sich im Zimmer um.

Dort drüben stand sein Koffer, und auf dem Tisch vor dem Sofa lagen allerlei ausgepackte Kasten und Schachteln. Ihr Blick streifte den Schreibtisch. Da stand das Bild seiner Mutter, das sie schon immer so schön gefunden hatte. Aber was war das? Dicht daneben erblickte Petersen ein neues Bild, das sie noch nie dort gesehen hatte – es war wohl eben erst ausgepackt worden. Ach, wie schön es war!

Es war das Brustbild einer nicht ganz jungen, aber sehr schönen Dame, die wunderbar schöne große dunkle Augen von besonders freundlichem und fröhlichem Ausdruck hatte – so kam es Petersen wenigstens vor. Um den Mund spielte ein schelmisches Lächeln, und das ganze Gesicht hatte etwas Strahlendes, Siegesbewußtes.

Ach, wer konnte das nur sein?

Ei, ei, sollte Petersen – die jüngste Tochter des Regimentskommandeurs – nicht wissen, daß es sehr unpassend ist, alles zu untersuchen, was auf Tischen und Stühlen herumliegt, wenn man in einem fremden Zimmer einen Augenblick allein gelassen wird?

Ja, das wußte Petersen sehr wohl, und sie schämte sich auch ihrer Neugierde, aber sie konnte sie nicht bezwingen. Es gibt eben Augenblicke im menschlichen Leben, wo die Wohlerzogenheit auf eine allzu harte Probe gesetzt werden kann.

Petersen schlich sich also auf den Zehenspitzen zum Schreibtisch hin und sah sich das Bild näher an.

Ach, welch ein wunderbar schönes Gesicht! Nicht weil es regelmäßig schön war – das von Ejna war zum Beispiel viel klassischer –, aber es bezauberte durch das Leben und die Schelmerei, die darin ausgedrückt war. Ganz unten auf dem Bild stand etwas mit sehr kleiner Schrift; ob das wohl der Name war?

Petersen wußte wohl, daß das, was sie jetzt tat, ganz unverantwortlich war – ebenso schlimm wie Stehlen, Horchen und Lügen –, aber trotzdem nahm sie das Bild vom Schreibtisch.

» Dis moi, soldat, dis moi, t'en souviens tu?« stand dort in feiner, steifer Damenhandschrift.

Französisch war Petersens starke Seite nicht, aber diese Worte verstand sie doch. Außerdem kannte sie sie auch. Es war der Refrain eines alten französischen Soldatenliedes, das die Napoleonskriege besang. Ström hatte es oft bei ihnen daheim gesungen.

» Dis moi, soldat, dis moi, t'en souviens tu?« Was mochten das für Erinnerungen sein, die diese schöne Dame mit Ström gemeinsam hatte? An was wollte sie ihn erinnern?

Mit zitternder Hand stellte Petersen das Bild an seinen Platz zurück. Sie fühlte sich plötzlich ganz matt und betrübt. Noch vor einem Augenblick war sie erwartungsvoll und froh gewesen, jetzt war das vorbei. Sie hatte verstanden, was die Worte bedeuteten, jetzt fand sie den Ausdruck in den Augen der Dame nicht mehr mild und freundlich, sondern dreist, und das Lächeln, das sie zuerst so reizend gefunden hatte, war gar nicht schelmisch, nein, viel eher hinterlistig und kokett!

Petersen konnte trotz aller Mühe, die sie sich gab, ihre Blicke nicht von dem Bild losreißen, und erst, als die Tür geöffnet wurde, drehte sie sich rasch dem Fenster zu, damit es aussehen sollte, als sehe sie in den Garten hinaus.

Ström hatte sich umgekleidet. Er trug einen dunkelblauen Zivilanzug, und Petersen fand, daß dieser seiner schlanken, elastischen Figur vorzüglich stand. Jetzt sah sie auch, daß er sich etwas verändert hatte. Sein Gesicht war tüchtig sonnverbrannt, auch war es magerer und schärfer geworden.

»In einer knappen halben Stunde bekommen wir den Tee,« meldete Ström beim Eintreten. »Früher sei es nicht möglich, sagt Fräulein Hallanger, denn wir haben ja hier draußen kein Gas. – Aber Sie schauen nach dem Wetter?« fuhr er fort und trat dicht neben sie. »Jetzt hat es wohl seinen Höhepunkt erreicht – oh, dieser Blitz hat gewiß eingeschlagen!«

»Meinen Sie?« fragte Petersen erstaunlich gleichgültig.

Ström sah sie mit einem schnellen Blick an, drehte an seinem Schnurrbart und schaute verstohlen nach dem Damenporträt auf dem Schreibtisch.

Petersen bemerkte alles und wurde dunkelrot.

»Nun, Fräulein Staal, wie fühlen Sie sich jetzt?«

Damit wandte Ström sich wieder an Petersen, und er sprach in einem Ton, als wolle er sich mit Gewalt von einem bestimmten Gedanken losmachen.

»Danke, gut! Mir fehlt nichts,« antwortete Petersen ein wenig abweisend. Aber dann fiel ihr plötzlich der Gruß ein, den er ihr geschickt hatte, und so fügte sie hinzu: »Ach, das ist wahr – vielen Dank, daß Sie nach mir gefragt haben – und für Ihren Gruß in Ejnas Brief.«

Er verbeugte sich leicht.

»Der scheint Ihnen ziemlich gleichgültig gewesen zu sein, da er Ihnen jetzt erst einfällt.«

»Nein – wissen Sie was –« sagte Petersen vorwurfsvoll, indem sie die dunkeln Augen ernst auf ihn richtete; aber dann verstummte sie plötzlich: er sollte nur wissen, wo sich der kleine Papierstreifen mit seinem Gruß befand!

»Warum schrieben Sie mir nicht eine einzige Zeile?«

»Ich?« fiel es verwundert von Petersens Lippen. »Aber Ejna schrieb ja.«

»Deshalb hätten Sie doch auch schreiben können.«

»Würden Sie sich wirklich etwas daraus gemacht haben?«

»Ja, viel sogar.«

Das klang ganz ernst, und als Petersen aufsah, war kein Lächeln auf seinem Gesicht, aber seine Augen sahen sie mit einem so innigen Ausdruck an, daß Petersen die ihrigen niederschlagen mußte.

»Ich schreibe so schlecht,« erklärte sie, »meine Briefe sind wenig interessant, und – ich kann ja auch nicht Französisch wie Ejna.«

»Nun – ganz ohne Kenntnis der französischen Sprache sind Sie doch gewiß nicht?«

Petersen sah scheu zu ihm auf, und nun war sein Blick, mit dem er zuerst das Bild auf dem Schreibtisch streifte und dann sie ansah, voll Schelmerei.

»Ja« – Petersen war so wenig Weltdame, daß sie meinte, sich entschuldigen zu müssen – »ich habe vorhin zufällig das Bild dort betrachtet, als ich – als ich nach dem Wetter sehen wollte – und so viel Französisch kann jedes Schulmädchen.«

Ström nickte lächelnd.

»Ja, natürlich. Aber wohl nicht jedes würde die Worte so deuten wie Sie. Die Dame ist übrigens eine sehr gute Freundin von mir. Ich habe als Junge für sie geschwärmt – sie ist nur wenige Jahre jünger als ich. Sie ist schon seit vielen Jahren verheiratet, und ich bin jetzt in Paris mit ihr und ihrem Manne zusammengetroffen; sie wollten nach Italien, ich war auf dem Heimweg. Wir haben einen vergnügten Tag zusammen verbracht, und beim Abschied schenkte sie mir das Bild, das eben in Paris gemacht wurde und das ihr sehr schmeichelt. Sie hatte ihrem Mann von meiner jugendlichen Verehrung für sie erzählt, und zur Erinnerung an die Torheit jener Tage schrieb sie die bekannten französischen Worte unter das Bild.«

Ach, wie gut das tat! Petersen sah jetzt mit herzlichem Wohlgefallen nach dem hübschen Damenbildnis hinüber. Sie hätte es am liebsten geküßt!

»Aber,« fing Ström wieder an, »Sie hätten ja nicht französisch zu schreiben brauchen, nur weil Ihre Schwester es tat.«

»Nein – natürlich nicht; ich hätte auch gerne geschrieben, aber –«

»Aber – was?«

»Ich mochte nicht, Ejnas wegen.«

»Warum denn nicht?« fragte Ström langsam.

»Das weiß ich nicht,« sagte Petersen und sah zur Seite.

»Soll ich es Ihnen sagen?« fragte Ström. »Weil Sie glaubten, Ihre Schwester und ich würden uns verloben, nicht wahr?«

Petersen biß sich auf die Lippen und nickte, antworten konnte sie nicht.

»Aber – warum glaubten Sie das? Sie wußten doch genau, daß Ihre Schwester mir schon einmal einen Korb gegeben hat.«

»Ja, wie konnte sie nur!« entfuhr es Petersen. Dann schwieg sie erschrocken und sah rot und verlegen zur Seite; sie zerbrach sich den Kopf, wie sie es anfangen sollte, das Zugeständnis, das in ihrem Ausruf lag, abzuschwächen. Ach, wenn doch jetzt ein Blitz herniederfahren und sie treffen würde! Oder wenn sie nur da draußen in dem strömenden Regen wäre, oder sonst irgendwo – nur nicht hier, dem Manne gegenüber, dem sie beinahe in klaren Worten ihre Liebe gestanden hatte.

In ihrer Verwirrung war sie aufgestanden; sie wußte nicht, was sie tun sollte.

»Ida –«

Die Tränen traten ihr in die Augen; noch nie hatte jemand ihren Namen mit so innigem Klang ausgesprochen.

»Ida – Sie würden also nicht nein sagen, wenn ich Sie um Ihre Hand bitten würde?«

»Ach Herr Hauptmann,« rief sie, und nun brach sie wirklich in Tränen aus. »Sie dürfen mich nicht zum besten haben!«

»Mein liebes kleines Mädchen,« flüsterte Ström zärtlich, indem er sie an sich zog und mit der Hand liebkosend über ihr glänzendes schwarzes Haar strich, »das könnte ich auch niemals. Hast du denn gar nicht geahnt, daß ich dich seit Jahr und Tag lieb habe und nur auf eine Gelegenheit, es dir sagen zu können, wartete?«

Er hob ihr Gesicht empor und sah sie liebevoll an.

»Ist das wahr?« Petersens Antlitz war ein strahlendes Lächeln.

»Du allzu bescheidenes süßes Geschöpf!« Damit zog er sie an sich und küßte sie. Und Petersen dachte mit einem kleinen Seufzer, nun könne auf der weiten Welt niemand glücklicher sein als sie in diesem Augenblick.

»Ich kann es noch immer nicht begreifen,« sagte sie, als sie ein paar Minuten später an Fräulein Hallangers Teetisch saßen, dessen appetitlichen Sachen sie zum Kummer der alten Haushälterin nur wenig Ehre antaten. »Nein, ich kann es noch immer nicht glauben, daß du mich liebst! Ich bin ja weder schön noch begabt – wie ist es möglich, daß Sie –«

»Du –« berichtigte Ström.

»Nun ja – du – daß du in mich verliebt bist?«

»Ja, sieh mal, verliebt ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck – sieh nicht so erschrocken aus – es ist sehr gut, daß wir darauf zu sprechen kommen. Ich habe dich von Herzen lieb, kleine Ida, aber es soll nicht den geringsten Anschein haben, als wollte ich dich, die du selbst so offen und ehrlich bist, betrügen. Bedenke, du bist noch nicht achtzehn Jahre alt und ich bin sechsunddreißig – also doppelt so alt wie du. Du darfst nicht erwarten, daß ich romantisch in dich verliebt sein soll, wie man es ist, wenn man – ja, wenn man in deinem Alter ist, oder vielleicht etwas älter. Du gibst mir ja so viel – deine junge starke Liebe, dein gläubiges Vertrauen, deinen Lebensmut und das schöne strahlende, frische Wesen, das der Jugend angehört – und du mußt dir klarmachen, liebe Ida, daß nicht ein fröhlicher junger Leutnant um dich wirbt, sondern ein ältlicher Hauptmann von ernster Lebensanschauung, dem schon manche Illusion zerstört worden ist. Ja, ja, selbst wenn du jetzt blind dagegen bist, so weiß ich selbst recht gut, daß dem so ist. Ich würde also lügen, wenn ich behauptete, ich sei in dich verliebt, nämlich so sentimental verliebt, wie man es nur in der Jugend sein kann, wo man die Fehler der Geliebten gar nicht sieht. Ich kann zum Beispiel gut sehen, liebe Ida, daß deine Nase ein wenig schief ist« (schnell gab Petersen ihrer Nase einen kleinen Schubs), »aber deshalb habe ich die Besitzerin dieser schiefen Nase doch ebenso lieb.«

»So etwas hättest du bei Ejna nicht sehen können, als du in sie verliebt warst?«

»Sag mir einmal aufrichtig, Ida, glaubst du, daß Ejna ja gesagt hätte, wenn ich jetzt als Bewerber zu ihr gekommen wäre?«

»Ja, gewiß,« antwortete Petersen überzeugt.

»Nun, wenn ich also nicht um sie, sondern um dich geworben habe, so geschieht es doch wohl, weil ich dich liebe – nicht wahr?«

Petersen nickte, aber trotzdem lag ein Schatten auf ihrem Gesicht.

»Liebe kleine Ida, du mußt mich nehmen, wie ich bin,« fuhr Ström fort, indem er sie wieder an sich zog. »Und ehe ich mit dir zu deinen Eltern gehe, muß ich dich noch einmal darauf aufmerksam machen, daß ich fast ein alter Mann bin. Über das Alter, in dem man große, glühende Worte gebraucht, bin ich hinweg. Mit sechsunddreißig Jahren hat man nicht dieselben Gefühle wie mit sechsundzwanzig. Aber – das wiederhole ich dir nochmals – wenn es ein Menschenkind auf dieser Welt gibt, das ich lieb habe, so recht von Herzen lieb habe, dann bist du es, liebe Ida; und wenn du deine Zukunft in meine Hand legen willst, werde ich alles tun, was in der Macht eines schwachen Menschen liegt, dich glücklich zu machen.«

Petersen ist nachdenklich geworden. Die jubelnde Freude, von der vorhin ihr Herz zum Zerspringen voll war, ist verschwunden. Sie ist nicht gerade traurig, aber sie kann sich nicht verhehlen, daß sie enttäuscht ist. Unschlüssig richtet sie ihre Augen auf den Mann an ihrer Seite. Wieder begegnet sie dem ernsten, liebevollen Blick; da fühlt sie sich plötzlich ganz sicher und sie hat ihr Gleichgewicht wiedergewonnen.

»Stell dich nicht an, Petersen, sondern sei vernünftig!« ermahnt sie sich selbst. »Der einzige Mann in der ganzen Welt, den du liebst, will dich heiraten, und du bedenkst dich, weil er ehrlich ist und bekennt, daß er dich nicht auf dieselbe Art liebt, wie vor zehn Jahren deine Schwester. Wer weiß denn, welche Liebe die beste ist? Vergiß nicht, Petersen, du bist keine Schönheit, selbst wenn man dich ganz nett findet. Sei froh, daß dir das Glück die Tür ein wenig öffnet – versäume deine Zeit nicht damit, beleidigt zu sein, daß sie nicht sperrangelweit vor dir aufgeschlagen wird – schlüpfe hinein, solange es Zeit ist!«

Und als Petersen sich diese kleine Mahnung erteilt hat und wieder aufsieht, begegnet sie Ströms fragendem Blick. Sie nickt und tritt dicht zu ihm hin. Verlegen spielt sie mit einem seiner Rockknöpfe, und in ihren Augen stehen Tränen.

»Ich danke dir, daß du ehrlich gegen mich bist,« flüstert sie. »Ich will mir gar nicht den Kopf darüber zerbrechen, in welchem Grad du mich lieb hast oder auf welche Weise – die Hauptsache ist, daß du mich überhaupt lieb hast – nicht wahr?« (Ström nickt bejahend.) »Und ich kann dem lieben Gott nicht dankbar genug dafür sein, denn ich glaube nicht, daß ich ohne dich hätte leben können.«

»Meine liebe kleine Braut!« sagte Ström gerührt. »Auch ich kann nicht ohne dich sein. Jedenfalls bin ich auch nur deinetwegen einen ganzen Monat vor Ablauf meines Urlaubs zurückgekommen.«

»Wirklich?« fragt Petersen glückselig, und es ist wieder eitel Sonnenschein in ihr.

»Ja, als deine Schwester schrieb, du seiest krank, konnte ich es so weit entfernt von dir nicht länger aushalten – ich mußte zurück und dich sehen.«

»Ach – mir fehlte gar nichts; ich war nur traurig und sehnte mich nach dir.«

In diesem Augenblick trat Fräulein Hallanger mit Petersens Jacke und Mütze herein, die nun wieder trocken waren, und zu ihrem Erstaunen – ja beinahe Schrecken – entdeckte Petersen, daß es beinahe acht Uhr war.

Ström öffnete die Flügeltüren nach dem Garten, und die frische kühle Abendluft strömte ins Zimmer herein. Das Gewitter war vorüber und der Regen hatte aufgehört. Von den Büschen fiel, wenn ein Vogel zwitschernd aufflog, ein Schauer glitzernder Regentropfen, und die Rosen auf dem großen Beet vor der Gartentür erhoben nach dem erfrischenden Regenbad wieder stolz die schweren Blüten.

Ström ging die Treppe hinunter und schritt lange suchend um das Beet herum, schließlich zog er sein Taschenmesser heraus und schnitt eine wundervolle halberblühte La France-Rose ab, mit der er ins Zimmer zurückkehrte.

»Diese sollst du mit meinem ersten Geschenk erhalten,« sagte er.

Petersen sah ihm neugierig zu, als er an seinen Schreibtisch trat und aus einer Schublade ein kleines niedliches Etui herausholte. Er öffnete es und entnahm ihm einen glatten altmodischen Ring, in den ein strahlender Diamant eingesetzt war.

»Dies ist der Verlobungsring meiner Mutter,« sagte er. »Ich habe in Paris den Stein einsetzen lassen. Heute abend, wenn ich mit deinen Eltern gesprochen habe, will ich ihn dir anstecken.«

»O, wie schön ist er! – Und – du willst dich wirklich von dem Verlobungsring deiner Mutter trennen?«

»Wenn ich ihn dir gebe, trenne ich mich doch nicht davon,« antwortete Ström lächelnd mit einem innigen Blick.

Petersen errötete vor Glück, Freude und Verlegenheit. Untersuchend wendete und drehte sie den Ring.

»Es ist etwas darin eingraviert,« sagte sie.

»Ja,« erwiderte Ström, »lies es nur, es ist der Wahlspruch meiner Mutter. Sie behauptete, diese Worte seien ein Talisman, der einem über alle Sorgen und Enttäuschungen dieser Welt hinweghelfen könne, und zwar der einzige, der einem Menschen das verschaffen würde, nach dem alle streben – das Glück.«

Petersen hielt den Ring ans Licht und las: »Das Glück besteht darin, selbst zu lieben – nicht darin, geliebt zu werden.«

Fragend sah sie Ström an. »Ja, meinst du nicht auch, daß sie recht hatte?« sagte er. »Ich mache nicht gerne Komplimente – alle die süßen Liebesworte, die ein junger Mann zu dem Mädchen, das er lieb hat, sagt, darfst du von mir nicht erwarten, aber eins sollst du doch wissen: von allen weiblichen Wesen, die ich kenne und für die ich wärmer gefühlt habe, bist du die einzige, die meiner Mutter darin gleicht – daß sie nicht zuerst an sich selbst denkt, und deshalb sollst auch du diesen Ring haben. Seine Inschrift paßt auf dich!«

Und das sagte er, der sich vorhin gleichsam entschuldigte, daß er nicht »romantisch verliebt sein könne«!

Petersen hätte am liebsten vor Freude gejubelt. Alle seine Gedanken über sie waren ja so schön und liebevoll; sie schalt sich selbst ein Gänschen, weil sie das, was sie für ihn fühlte, nicht in Worte zu kleiden vermochte.

Ström half Petersen in ihre Jacke und öffnete ihr die Tür nach dem Flur, wo das Huhn neu eingepackt auf dem Tisch lag.

Petersen bedankte sich bei Fräulein Hallanger und sah sie dabei verstohlen, aber doch forschend an, um zu sehen, ob sie wohl eine Ahnung von dem Vorgefallenen hätte; aber das Gesicht der alten Dienerin sah so gleichmütig aus, als nähme sie nicht im allergeringsten teil an ihres Herrn Erlebnissen.

Das Rad sollte Ströms Bursche am nächsten Tag nach der Kaserne bringen, und nun begaben sich die beiden Neuverlobten auf den Weg.

Petersen war schweigsam, und Ström ließ seinen Blick eine Weile aufmerksam auf ihr ruhen. Sie sah nachdenklich geradeaus, und um ihren Mund lag ein trauriger Ausdruck.

»Woran denkst du?« fragte er endlich.

Petersen wandte sich ihm mit Tränen in den Augen zu.

»Ach, ich hatte ja Ejna ganz vergessen!« flüsterte sie.

»Du siehst ganz ängstlich aus,« versetzte Ström lächelnd. »Ei, ei, du hast doch wohl deiner Schwester gegenüber kein schlechtes Gewissen, weil du dich mit mir verlobt hast?«

»Ich weiß es nicht,« flüsterte Petersen wieder, »aber ich wünschte – ach wie sehr wünschte ich, daß sie von Herzen glücklich wäre; dann würde ich selbst auch viel froher sein!«

Ström ergriff Petersens Hand und hielt sie fest.

»Ich begreife dich wohl,« sagte er. »Aber keines von uns kann deiner Schwester helfen. Sie hat viele gute Eigenschaften, aber sie ist gewiß von Anfang an zu sehr verwöhnt worden. Es ist, als könnte sich das Gute in ihr nicht Bahn brechen, als wäre es von ihrem Eigensinn und ihrer Selbstsucht erstickt. Ihr erster wirklicher Kummer war die Erkenntnis, daß ihr Brink für immer verloren war; das hätte sie beinahe nicht verwunden. Ich verstand das gut, und da ich nicht wollte, daß sie daran zugrunde ginge, nahm ich mich ihrer an – um ihr darüber hinwegzuhelfen. Aber ich habe ihr nicht die geringste Veranlassung gegeben, zu glauben, ich werde die Frage, die ich vor zehn Jahren an sie stellte, wiederholen. Sie liebt mich auch nicht – selbst wenn sie mich, wie du meinst, jetzt heiraten würde. Wir wären auch nie glücklich miteinander geworden; dafür gleichen wir uns zu sehr in unsern Fehlern. Also, meine liebe kleine Braut, bilde dir ja nicht ein, du habest deiner Schwester etwas genommen, was von Rechts wegen ihr zukäme oder wertvoll für sie wäre. Sie wird ihr Glück finden, wenn sie gelernt hat, sich zu beugen und es dort zu suchen, wo es vielleicht zu finden ist – mit andern Worten, wenn sie die Wahrheit der Inschrift in meiner Mutter Ring verstehen gelernt hat.«

Petersen nickte ihm ernst zu und erwiderte: »Wenn dieses Lernen ihr nur nicht allzu schwer fällt. Denn wenn es sich so verhält, wie du sagst, sind wir alle mit schuld, daß sie so geworden ist.«

»Ja, aber deshalb wollen wir ihr ja auch alle gerne helfen,« antwortete Ström und drückte seiner Braut beruhigend die Hand. »Sieh, da fällt eine Sternschnuppe! Wünsch dir etwas, Ida – schnell!«

Petersen sah zum Himmel auf.

»Ich habe mir etwas gewünscht,« sagte sie ruhig.

»Aber nicht für dich selbst,« versetzte Ström, »und auch nicht für mich.«

»Nein,« räumte Petersen mit liebevollem Blick ein. »Ich brauche mir ja nichts mehr zu wünschen.«

»Du süßes, liebes Mädchen,« flüsterte Ström gerührt. »Du bist doch immer natürlich und bescheiden.«

Rasch hob er sie auf seine Arme und trug sie über den schmutzigen Weg auf die Landstraße, die zur nahen Stadt führte. Als er sie niedersetzte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen – und er küßte sie!

Aber das war sehr unvorsichtig von ihm, so nahe der Stadt, und die Strafe blieb auch nicht aus.

Kaum hatte er Petersen losgelassen, als Adjutant Poulsen und Frau um die Ecke bogen.

Sie lächelten süßlich und starrten die tieferrötende Petersen neugierig an; Ström aber trat rasch auf sie zu, begrüßte sie und beantwortete ihre überströmende Freudenbezeigungen über seine Rückkehr mit einem kurzen Dank.

Als er und Petersen eine Strecke an ihnen vorbei waren, sagte er lustig: »So, meine liebe Ida, jetzt ist unsre Verlobung veröffentlicht. Wir müssen uns beeilen, zu deinen Eltern zu kommen, sonst erleben wir es, daß sie die Neuigkeit von andrer Seite als von uns erfahren.«

Petersen sah sich verstohlen um. »Ja, sie kommen schon zurück,« seufzte sie, Ström aber lachte nur.

* * *

Als sie vor Oberst Staals Wohnung standen und Ström gerade klingeln wollte, ergriff Petersen plötzlich seinen Arm.

»Ich möchte dich gerne etwas fragen, ehe wir hineingehen.«

»Nun?« fragte Ström ermunternd.

Petersen drehte die Rose hin und her und sagte schließlich leise: »Warum nennst du mich Ida?«

Ström faßte sie unter das Kinn, hob ihr Gesicht sanft zu sich empor und zwang sie dadurch, ihn anzusehen, während er antwortete: »Weil das dein Name ist, weil du als Petersen allen andern gehörst – als Ida jedoch mir allein. Bist du jetzt zufrieden?«

»Ja,« flüsterte sie und drückte ihr Gesicht an seine Schulter, »ja – jetzt verstehe ich. Aber dann mußt du ja – dann mußt du ja – wirklich in mich verliebt sein.«

»Das glaube ich selbst auch beinahe,« versetzte Ström lachend und zog die Glocke.

Das Mädchen, das die Tür öffnete, meldete, die Familie sei schon beim Tee, man habe lange auf das »gnädige Fräulein« gewartet und sich um sie geängstigt. Sie öffnete Ström die Tür zur Wohnstube, aber ehe er eingetreten war, kam der Oberst schon eilig aus dem Eßzimmer heraus.

»Aber Petersen, wo bist du denn in dem furchtbaren Wetter gewesen?« rief er aus, ohne Ström zu sehen. »Mutter ist vor Angst um dich ganz außer sich gewesen. Du –« Weiter kam er nicht, denn jetzt hatte er den unerwarteten Gast erblickt. »Ström!« schrie er beinahe. »Nein – das nenne ich eine Überraschung! Nur schnell herein!«

»Entschuldigen Sie, Herr Oberst,« unterbrach ihn Ström, »aber ich möchte erst gerne ein paar Worte mit Ihnen reden.«

»Mit Vergnügen!« antwortete Oberst Staal ein wenig verwundert, und sein Blick wanderte von Ström zu Petersen, die ihnen ins Wohnzimmer gefolgt war.

»Herr Oberst, ich möchte um Ihre Einwilligung zu meiner Verlobung mit Ihrer Tochter Ida bitten.«

Ström stand »stramm« und sprach kurz und dienstlich.

»Mit Ida!« wiederholte der Oberst ganz überwältigt. »Sie haben sich mit Petersen verlobt – mit Ida, meine ich? Aber lieber Freund – na ja, natürlich haben Sie meine Einwilligung und die meiner Frau auch – ich kann nur nicht begreifen – nun, hm – meinen herzlichen Glückwunsch, wollte ich sagen.«

Dann wandte er sich Petersen zu, die ihm sofort um den Hals fiel.

»Und das hast du so still mit dir herumgetragen? Nun – ja – ich gratuliere, Kind! Dir kann ich ja gratulieren, denn einen willkommeneren Schwiegersohn könntest du mir gar nicht gebracht haben.«

Er streichelte ihr flüchtig die Wangen, und Ida löste sich wieder aus seinen Armen. Sie wußte wohl, wo des Vaters Gedanken waren, und wandte sich mit Tränen in den Augen ab; aber während der Oberst nun nach dem Eßzimmer ging, ergriff Ström rasch Petersens Hand und sah ihr tief in die Augen, als wollte er sagen: »Nicht verzagt, Ida, nun haben wir uns ja.«

»Mutter und Ejna!« rief der Oberst schon in der Eßzimmertür aus. »Es gibt eine große Neuigkeit! Hauptmann Ström ist zurückgekommen, und er und Petersen haben sich verlobt!«

Frau Staal war sprachlos vor Erstaunen. An das hätte sie doch niemals gedacht! Petersen, ihre liebste Tochter – ihre Jüngste – dieses Kind – verlobt! Und mit Ström! Und die Tochter sah nicht mehr blaß und kränklich aus. Sie hatte rote Wangen, und ihre Augen strahlten. Also das war es gewesen, was ihr gefehlt hatte! Und ihr armes kleines Mädchen war einsam und allein gewesen mit seinem Herzenskummer, während alle nur an Ejna gedacht hatten?

Die Mutter schloß ihren Liebling in ihre Arme, und jetzt bekam Petersen ihre erste wirklich herzliche Gratulation. Darauf kam die Reihe an Ström, den Frau Staal ohne weiteres umarmte und küßte.

»Sie haben mir heute einen großen Schatz weggenommen, Ström, wahren Sie ihn gut,« sagte sie mit Tränen in den Augen.

»Ich will mir Mühe geben, sie zu verdienen,« antwortete er und sah Frau Staal ernst an.

Petersen hatte sich inzwischen fast furchtsam ihrer Schwester genähert, die blaß und steif, sich auf ihren Stuhl stützend, dastand; aber als Petersen den harten Ausdruck in Ejnas Augen sah, blieb sie stehen. Die Freude erlosch in ihrem Blick, das Lächeln verschwand von ihrem Mund, und hilflos, beinahe demütig sah sie die Schwester an.

»Ejna!« bat sie mit klagender Stimme, die jeglichen Triumphs so gänzlich bar war, daß Ejna unwillkürlich gerührt wurde.

»Liebe kleine Petersen,« flüsterte Ejna und sah mit tränenvollen Augen die bange kleine Braut an, »ich freue mich über dein Glück; möchtest du recht, recht glücklich werden!«

Und dankbar und erfreut fiel Petersen ihr um den Hals und küßte sie.

Dann tranken Petersen und Ström zum zweitenmal Tee, und später wurde das Wohl des Brautpaares in schäumendem Champagner getrunken. Zum erstenmal seit ihrer Konfirmation war Petersen die Hauptperson des Festes, und sie war so glückselig, wie ein kleines verliebtes siebzehnjähriges Mädchen an seinem Verlobungstag nur sein kann.

Und doch mußte sie selbst an diesem Tage empfinden, daß für einen guten, mitfühlenden Menschen kein Glück hier auf Erden vollkommen ist. Der Anblick von Ejnas blassem Gesicht und ihren schwermütigen Augen war der erste Schatten, der über Petersens strahlend hellen Himmel hinglitt.

 


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