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Siebentes Kapitel

Unten in der Küche saß Frau Schäfer mit sauerm, verdrießlichem Gesicht und verzehrte ihr Frühstück, während sie Laurine gegenüber prahlte, was für ausgezeichnete »Gerätschaften« man ihr in allen andern Häusern zur Verfügung stelle.

Aber mitten in der schönsten Schilderung erschien Petersen.

»Jetzt dürfen Sie nicht so böse sein, kleine Schäfer,« bat sie. »Sehen Sie unsre armen Töpfe und Pfannen nicht mit so durchbohrenden Blicken an; wir riskieren ja, daß sie Löcher davon bekommen, und wir wissen ja auch, daß Sie selbst mit den schlechtesten ›Gerätschaften‹ das köstlichste Essen herstellen können.«

Frau Schäfer lächelte versöhnt. Sie hatte schon bei Petersens Taufe und auch bei ihrer Konfirmation ›gekocht‹, und Petersen war ihr die liebste von der ganzen Familie Staal.

»Ich komme, um Ihnen zu helfen,« sagte Petersen, indem sie sich eine Schürze umband.

»Na, das lob' ich mir!« sagte Frau Schäfer und nickte Petersen anerkennend zu. »Sonst kommen die Fräuleins meistens nur, um einen aufzuhalten.«

»So, was soll ich tun?« fragte Petersen eifrig. »Darf ich die Mayonnaise rühren, was, liebe Frau Schäfer? O, bitte, lassen Sie mich!«

»Das weiß ich wirklich nicht so recht, Fräuleinchen; denn sehen Sie, eine Mayonnaise muß, wenn ich so sagen darf, mit Gefühl gerührt werden; aber wenn Sie mir hoch und heilig versprechen wollen, immer nur einen einzigen Tropfen Öl auf einmal hineinzugeben, dann dürfen Sie es versuchen – Sie werden schon selbst bald genug davon haben.«

Petersen versicherte, die Mayonnaise solle wie »Samt« werden; dann fing sie an zu rühren, tröpfelte auch das Öl zu Frau Schäfers voller Zufriedenheit hinein, so daß diese nach und nach wieder besserer Laune wurde. Einem kleinen Schwatz war Frau Schäfer ohnedies nie abgeneigt.

»Vergessen Sie ja nicht, für Ihren Sohn ein paar Pastetchen mitzunehmen, Frau Schäfer; ich weiß von meiner Konfirmation her, daß das sein Leibgericht ist.« Petersen dachte, man könne es ihr ebensogut anbieten, mitnehmen würde sie sie ja auf jeden Fall.

»Vielen Dank, Fräuleinchen, aber Amandus macht sich nun nicht so viel aus Gemüsefülle; er ist mehr für Pasteten mit Kalbsmilch oder Champignons oder dergleichen kräftigen Füllungen.«

»Schade, daß es die heute nicht gibt!« rief Petersen bedauernd.

»Na–a–aa,« sagte Frau Schäfer nachsichtig, »Amandus ist allerdings ein Leckermaul.«

Ihr Sohn Amandus war Frau Schäfers ein und alles. Seinetwegen quälte sie sich auf ihre alten Tage noch ab; er verbrauchte alles, was sie verdiente, aber trotz allem sang sie sein Lob in allen Tonarten.

»Ich hätte Sie neulich beinahe gar nicht gefunden, als ich Sie bestellen wollte,« bemerkte Petersen, während sie eifrig rührte. »Warum sind Sie umgezogen? Ich finde Ihre jetzige Wohnung nicht halb so geräumig, und dann drei Treppen hoch – mit Ihrem kranken Bein!«

»Nein,« gab Frau Schäfer zu, »viel Platz ist ja nicht da, aber es war auch mehr wegen der Aussicht, denn wir haben da wirklich eine herrliche Aussicht, nicht allein aufs Wasser, sondern auch auf den Kirchturm – ich kann sogar nach der Kirchenuhr meine Eier kochen – ja – es ist wahrhaftig wahr; und ich sage Ihnen, das ist in der Tat eine Annehmlichkeit.«

Jetzt ging Petersen plötzlich ein Licht auf: Frau Schäfer war weder der Aussicht, noch »des Eierkochens nach der Turmuhr« wegen umgezogen, sondern die kleinere und schlechtere Wohnung ermöglichte es ihr, dem Sohn ein größeres Taschengeld zu geben, von dem er nie genug bekommen konnte.

»War das nicht die Frau des Musikers Nielsen, die ich neulich bei Ihnen traf?« fragte Petersen, um den Eindruck ihrer schlecht angebrachten Bemerkung über den Umzug zu verwischen.

»Jawohl,« versetzte Frau Schäfer, »und Sie haben natürlich bemerkt, daß sie weinte. Es ist sonderbar mit der Frau: wenn der Mann fort ist, weint sie, weil sie nicht weiß, wo er ist, und wenn er nach Hause kommt, weint sie und schilt mit ihm, weil sie meint, er sei wo anders gewesen, als er angibt. Er ist ein sehr lockerer Vogel, das können Sie glauben, Fräulein.«

»So,« sagte Petersen und rührte weiter.

»Wie ich sage immer wieder zu Madame Nielsen,« fuhr Frau Schäfer fort, die nicht so leicht aufhörte, wenn sie einmal in Gang gekommen war, »bei dergleichen Dingen muß man ein Auge zudrücken. So etwas muß man mit Seelenadel hinnehmen – das tun alle feinen und besseren Leute.«

»Seelenadel!« wiederholte Petersen und hörte mit Rühren auf. »Was meinen Sie eigentlich damit, Frau Schäfer?«

»Ach, das ist so etwas, von dem man in den Büchern liest. Ich sage nun, die Liebe kann man nicht kommandieren, und wenn der Mann sich nichts mehr aus ihr macht, so sollte sie sich zu gut zum Lamentieren sein und dafür ihr Los mit Seelenadel tragen. ›Sie sind nicht die einzige, der es so geht,‹ sage ich so oft zu ihr; ›ach nein, es gibt, weiß Gott, viel feinere Leute als Sie, Madame Nielsen, die sich auch darein finden müssen. Nehmen wir zum Beispiel die Gemahlin von König Friedrich VII, sage ich, ›was hat die von ihr, dieser Gräfin Dannermann, alles ertragen müssen! Meine Mutter hat mit ihr auf demselben Hof gewohnt, natürlich ehe der König sie kennen lernte.‹«

»War sie hübsch, Frau Schäfer?« fragte Petersen lebhaft.

»Ja – das war sie wohl. Nach dem, was meine Mutter sagte, muß sie ein Paar maßlos schöne Arme gehabt haben – und ihre Kinder waren ja auch sehr schön – gerade solche Blondköpfe wie der König selbst; aber die Königin mußte sich eben darein finden, und sehen Sie, das ist das, was ich Seelenadel nenne. Aber wissen Sie, was Madame Nielsen sagt? Sie sagt, wenn sie die Königin gewesen wäre, so hätte sie die Dannermann von der Schildwache rausschmeißen lassen – aber sie hat ja keinen Begriff, wie feine Leute sich benehmen, das kann ich Ihnen sagen, Fräulein ...«

Frau Schäfer blieb das Wort im Munde stecken. Sie stand eben am Herd und rührte in der Creme für das Eis; jetzt zog sie den Topf mit einem hastigen Griff vom Feuer.

»Was ist denn los?« fragte Petersen.

Aber Frau Schäfer sagte nicht einen Ton, was im übrigen auch nicht nötig war, denn ein abscheulicher Geruch von Angebranntem sagte deutlich genug, was geschehen war.

Frau Schäfer wandte sich mit einem vor Arger und Scham hochroten Kopf an Petersen.

»Das kommt von den verd ... dünnen Töpfen! Bei so einem Boden muß ja alles anbrennen, er ist so dünn wie Papier. Meinen Sie, Ihre Frau Mutter würde noch einmal Eier und Rahm spendieren?«

»Ich weiß es wirklich nicht, Frau Schäfer, und wir hätten ja nicht einmal mehr Zeit, die Sachen holen zu lassen – auch wäre es sehr teuer. Meinen Sie, man werde es noch schmecken, wenn erst die gestoßenen Mandeln daran sind?«

»Ob ich das meine? Ja, natürlich, die Creme ist ja total verbrannt.«

»Soll ich rasch hinauf und Mutter fragen?«

»Nein,« sagte Frau Schäfer abwehrend, »sagen Sie lieber nichts davon. Ich kenne ja Ihre Frau Mutter, wenn sie große Gesellschaft hat; erfährt sie dies jetzt im letzten Augenblick, dann wird sie gänzlich konfus – nun muß es eben gehen, wie es kann.«

»Ach, das schmeckt kein Mensch!« sagte Laurine, nachdem sie mit einem Teelöffel gekostet hatte. »Wenn man erst beim Eis angekommen ist, können die meisten nicht mehr riechen noch schmecken.«

»Ja, die Herren vielleicht nicht,« gab Frau Schäfer zu, »aber darauf können Sie Gift nehmen, die Damen finden es sofort heraus.«

»Es tut mir Ihretwegen so leid, liebe Frau Schäfer,« sagte Petersen freundlich.

»Ach, das ist nicht nötig,« erwiderte Frau Schäfer überlegen. »Die meisten von denen, die heute kommen, wissen ja, wie die ›Gerätschaften‹ hier im Hause sind.«

Petersen konnte Frau Schäfer eigentlich recht gut leiden; aber diese Bemerkung war ihr doch ein bißchen zu offenherzig. Sie wurde dunkelrot, sagte aber nichts, und nach einer Weile ging sie still hinaus.

* * *

Das Diner war in vollem Gange und schien sehr gut verlaufen zu wollen. Oberst Staal sah gerne Gäste bei sich. Er war so vergnügt und strahlend, als ob es gar keine Geldsorgen gäbe, und der Gedanke, was aus seinen drei unversorgten Töchtern werden sollte, der ihn sonst täglich quälte, war ganz vergessen.

Frau Oberst Staal, die nicht wie Flora im Zweifel zu sein brauchte, in welchem Gewand sie »auftreten« sollte, da sie nur ein Gesellschaftskleid hatte, war hingegen in so großer Angst und Spannung, wie alles verlaufen würde, daß es ihrem Tischherrn ganz unmöglich war, sich richtig mit ihr zu unterhalten; aber er kannte ja die gute Frau Oberst, bei ihren eigenen Gesellschaften kam sie immer erst beim Nachtisch zu sich selber; daher ließ er die arme kleine Frau in Ruhe und wandte seine ganze Aufmerksamkeit Frau Schäfers ausgezeichneten Gerichten zu.

Ejna sah an jenem Abend wunderschön aus. Sie trug ein schwarzes, nur wenig ausgeschnittenes Kleid und als einzigen Schmuck eine weiße Blume an der Brust. Ihr schöner Hals kam voll zur Geltung, und sie sah kaum wie zwanzigjährig aus; selbst Frau From mußte das zugeben.

Flora hatte sich in den letzten Tagen vor der Gesellschaft ein höchst phantastisches Kostüm zurechtgeschneidert. Sie hatte ein schwarzes Kleid, ein ähnliches, wie Ejna trug, von oben bis unten in lauter schmale Streifen zerschnitten, jeden Streifen mit orangegelbem Satin eingefaßt und auf einen alten schwarzen Rock gesetzt. In dem breiten gelben Gürtel saß ein großes Bukett gelber, allerdings etwas zerknitterter künstlicher Rosen. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten, und damit die Eltern nicht Einspruch gegen diese Kleidung erheben könnten, erschien sie erst, als alle Gäste versammelt waren. Auf der Schulter wurde das Kleid von einer Rosenranke von derselben Farbe wie die Blumen im Gürtel zusammengehalten. Die Taille war im Rücken unter einer großen gelben Schleife geschlossen, die à la Watteau bis auf den Rand des Kleides herunterfiel. Sie sah sehr apart aus, hätte auch einigermaßen hübsch aussehen können, wenn das Kleid nicht sehr zerdrückt und überall nur unordentlich zusammengestichelt gewesen wäre.

Flora trug jede Woche eine andre Haartracht, bald eine, die das Gesicht schmal, bald eine, die es breit machte – heute abend war ihr Haar ein Chaos von Locken und Flechten. Sie war von sich selbst und ihrem Kostüm entzückt; allem Anscheine nach war sie in der Rolle einer französischen Herzogin. Frau Staal hatte gerade, ehe man zu Tisch ging, ihrer Jüngsten noch tiefbekümmert anvertraut, daß sie fürchte, das Kleid werde nicht zusammenhalten, bis die Gesellschaft vorbei sei.

Petersen hatte ihr weißes Konfirmationskleid an, sah aber nicht vorteilhaft aus und war auch nicht besonders gut aufgelegt; daran war einesteils die angebrannte Creme schuld, andernteils aber auch die Entdeckung, daß Ström Ejna zu Tisch führen würde.

»Ach, du Ärmste!« dachte sie, als sie sah, wie ihre Mutter erleichtert aufatmete, als das Eis serviert wurde. »Wenn du wüßtest!«

Im übrigen zeigte es sich, daß Laurine nicht so unrecht gehabt hatte, als sie meinte, man werde um die Zeit des Nachtischs das kleine Ungemach nicht sonderlich bemerken, denn wenn die Damen nicht gewesen wären und wenn Frau Staal nicht ein so unglückliches Gesicht gemacht hätte, nachdem sie den ersten Bissen geschmeckt hatte, wäre das Unglück ziemlich unbemerkt geblieben.

Ein Gutes aber hatte das Mißgeschick doch – es stimmte nämlich Frau From wohlwollend. Sie war den Rest des Abends so liebenswürdig, so heiter und unterhaltend, daß sie im höchsten Grad zum glücklichen Abschluß der Gesellschaft beitrug.

Die Herren zogen sich nach dem Kaffee zum Kartenspiel ins Zimmer des Obersts zurück, und die Damen hatten genug über Ejna und Brink zu tuscheln, die den ganzen Abend kein Wort miteinander gewechselt hatten. Dagegen beschäftigte sich Brink recht eifrig mit seiner Tischdame, die von Ejna im stillen scharf beobachtet wurde.

Man konnte sich nicht leicht einen größeren Gegensatz denken, als die hübsche stattliche Tochter des Obersts und die kleine, unbedeutende, häßliche Ester Höjmark, die an Schönheit nichts andres aufzuweisen hatte als eine Fülle glänzend braunen Haares und eine weiche, angenehme Stimme.

Das junge Mädchen war übrigens sehr schweigsam und, wie es schien, auch etwas verlegen. Flora machte viel Wesens aus ihr, und Ejna unterhielt sich natürlich auch mit ihr; während sie unauffällig, aber doch mit einer gewissen Neugierde das Wesen und die Vorzüge des jungen Mädchens studierte, fühlte sie sich wieder ganz beruhigt. Otto Brink sollte sich in dieses kleine, schüchterne Geschöpf, das nicht einmal gerade gewachsen war, verlieben – nein, das war undenkbar!

An diesem Abend sah Ejna Brink zum erstenmal wieder, seit sie mit ihm gebrochen hatte. In Gedanken hatte sie sich dieses Wiedersehen schon häufig ausgemalt, nun fiel es aber ganz anders aus. Es war ihr so sonderbar erwartungsvoll und unruhig zumute, beinahe wie in den längst verschwundenen Tagen, als sie Otto Brink zuerst ihre Neigung geschenkt hatte. Keinem andern hätte sie das eingestanden, aber vor sich selbst spielte sie nicht Versteckens; im tiefsten Innern hatte sie eben doch gehofft, es werde an diesem Abend zu einer Aussprache zwischen ihnen kommen. Aber Otto näherte sich ihr nicht; ungeduldig darüber, folgte sie einer plötzlichen Eingebung und trat zu Brink und Flora, die in einer Fenstervertiefung Platz genommen hatten.

Brink machte aus seinem Erstaunen kein Hehl, aber Ejna war so natürlich, daß auch er sich zusammennahm, und so kam wirklich eine ungezwungene, höfliche Unterhaltung in Gang. Ein nie gekanntes Wohlbehagen überkam Ejna, während sie an seiner Seite stand und über die gleichgültigsten Dinge redete; zum erstenmal in ihrem Leben ließ sie sich herab, zu kokettieren, indem ihre Augen, diese schönen dunkeln Augen, ihm alles erzählten, worüber ihr Mund schwieg.

Und sie war froh und stolz, ja beinahe übermütig, als sie sah, daß die alten Gefühle in Otto neu erwachten und er nach und nach sein zurückhaltendes Wesen abstreifte.

Endlich, endlich hatte sie ihn wieder, und nun ließ sie ihn nicht wieder los, jetzt wußte sie, wie teuer er ihr war! Sie atmete tief auf, das Blut brauste in ihren Adern vor Freude; ach, wie sehr hatte sie gelitten, seit sie auseinandergegangen waren! Es war ihr, als hätte sie schon dem Tod ins Antlitz geschaut und nun sei ihr das Leben plötzlich neu geschenkt; sie hätte vor Freude weinen können. Als Flora sie endlich mit Brink allein ließ und dieser heimlich ihre Hand ergriff, hatte sie nur den einen Wunsch, sich in seine Arme zu werfen und ihm zuzuflüstern, ihre Liebe sei jetzt so stark und groß, daß sie für ihn alles erdulden könne – Armut, Erniedrigung und Entbehrung – alles – wenn sie sich nur nie mehr von ihm trennen und nie mehr seine lieben Augen und seinen hübschen Mund betrübt sehen müsse. Ejna war selbst ganz verwirrt und erstaunt über diese Liebe, die sich mit solcher Heftigkeit Bahn brach und sie gefangen nahm; aber sie hatte so schrecklich gelitten – es hatte sie so große Anstrengungen gekostet, sich der Familie und den Bekannten gegenüber zu bezwingen, daß ihre Kräfte zu Ende waren und sie sich nun ganz ihrem Gefühl hingab.

Für Otto war diese Zärtlichkeit und Hingabe ganz neu, und erstaunt und überwältigt ließ er sich von dem Augenblick hinreißen.

»Ejna,« flüsterte er, »meinst du das wirklich so – darf ich wirklich daran glauben?«

»Ja, ja,« entgegnete sie leise. »Du weißt nicht, was ich gelitten habe; aber jetzt will ich nicht mehr daran denken. Wir wollen glücklich sein, ach, so glücklich, nicht wahr?«

Er nickte, antwortete aber nicht, und plötzlich ließ er ihre Hand los. Sie folgte seinem Blick und sah Ester Höjmark im Zimmer stehen. Ester war totenblaß; die farblosen, aber seelenvollen Augen standen voller Tränen und um den unschönen Mund lag ein tiefschmerzlicher Ausdruck. Als sie Ejnas Blick begegnete, wandte sie sich langsam um und ging hinaus.

Ejna war es sofort klar geworden, daß Ester in Otto verliebt sei, und als sie den verzweifelten, versteinerten Ausdruck im Gesicht des jungen Mädchens sah, fühlte sie auch ein gewisses Mitleid mit ihr – hauptsächlich, da sie Ottos wieder ganz sicher war. Heute war sie jedoch so glücklich, daß sie nur an sich selbst und ihn denken konnte.

Otto und Ejna fanden an dem Abend keine Gelegenheit mehr, miteinander zu sprechen; aber Ejna war in solch glückseliger Stimmung, daß Petersen sie ganz erschreckt ansah.

Was mochte geschehen sein? Sie war das kleine Tete-a-tete in der Fensternische nicht gewahr geworden, und da sie selbst nur an einen der Anwesenden dachte, glaubte sie, dieser eine sei die Ursache von der Schwester strahlenden Augen und er habe das stille, glückliche Lächeln um ihren Mund gezaubert, und da erschien der kleinen Petersen ihr eigenes Leben plötzlich gar traurig und unverständlich.

Endlich ging auch diese Mittagsgesellschaft zu Ende, obgleich der Oberst seine Gäste gerne bis zum hellen Morgen bei sich behalten hätte. Er war jetzt erst recht in Stimmung gekommen, und als Ejna ihn zärtlich umarmte und ihm einen Kuß gab, hätte er vor Freude tanzen können. Seine liebste Tochter – sein Stolz kam aus eigenem Antrieb zu ihm! Sie war liebevoll gegen ihn und dankbar für dieses Fest, diesen kleinen Freudenschimmer in ihrem öden und traurigen Leben. Ach, sie glich ihm selbst, wie gut er sie verstand! Auch sie mußte wie er Menschen sehen, Freude und Lebenslust um sich haben. Ach, könnte er doch mit ihr reisen und sie zerstreuen und ihr über den Schmerz, den sie so tapfer und stolz ganz im stillen niederzukämpfen versuchte, hinweghelfen!

Flora, die ja immer zufrieden war, wenn sie vor einem größeren Publikum hatte »spielen« können, war sofort nach oben gegangen, um sich selbst und ihr Kostüm noch einmal in der Einsamkeit ihres Zimmers gründlich genießen zu können, während Frau Staal, sobald der letzte Gast aus der Tür war, eine inspizierende Runde durch Speisekammer und Küche machte. Als sie schließlich in ihr Schlafzimmer kam, war sie sehr erstaunt, Petersen nicht auf dem gewohnten Platz am Fenster zu einem gemütlichen Plauderstündchen vorzufinden; aber Petersen hatte eine triftige Entschuldigung: sie lag in ihrem Bett, den Kopf in die Kissen vergraben, und weinte, als ob ihr das Herz brechen sollte.

 


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