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Zehntes Kapitel

Drei Briefe

St. Maria, April 190...
Mittwoch.

Liebe Eltern und Schwestern!

Ach, wie sehr schämte ich mich gestern, als ich Eure lieben Briefe bekam, weil ich nicht schon längst einen ausführlichen Brief an Euch geschrieben habe. Die wenigen Worte, die ich Euch am Tag nach unsrer Ankunft schickte, sollten Euch ja nur mitteilen, daß wir glücklich und wohlbehalten in St. Maria angekommen waren; von Tag zu Tag habe ich dann meine Absicht aufgeschoben, weil ich wußte, daß mein Brief sehr, sehr lang werden mußte, wenn ich erst einmal anfing, und zu so einer großen Arbeit hatte ich, buchstäblich gesprochen, bis jetzt keine Zeit. In dem Dolce Farniente, das die Europäer immer in den Tropen führen, vergeht die Zeit, als hätte sie Siebenmeilenstiefel an. Aber da ich nun durch Eure Briefe Order bekommen habe, »ausführlichen Bericht« abzustatten, wie es hier »drüben« aussieht, so will ich bis zum nächsten Posttag (Freitag) noch so viel wie möglich von dem Leben und Treiben hier erzählen.

Es machte einen erhebenden Eindruck auf mich – das könnt Ihr mir glauben –, als wir plötzlich Land sahen, nachdem wir viele Tage nur den Himmel über uns und das Meer unter uns gesehen hatten. Wohl eine Stunde fuhren wir zwischen unbewohnten grünen Ufern hin, bis das Schiff plötzlich um eine kleine Landzunge bog und St. Maria vor uns lag. Und ob ich auch noch so alt werde, niemals werde ich diesen Anblick vergessen! Ich kann keine Worte finden, die Schönheit zu schildern. Wie ein wundervolles Blumenbukett lag die Stadt zu Füßen der himmelhohen Berge. Im strahlenden Sonnenschein schimmerten die vielen weißen Villen, die Ruinen aus alter Zeit, die stattlichen Kirchen und die herrlichen blühenden Gärten, dazu rauschten die blauen Wogen – so blau wie der Himmel – leise an die Felsen des Ufers.

Ich weiß wohl, daß Ihr über meine Begeisterung lächeln werdet, ja daß Petersen sich über mich aufhalten wird und behaupten, ich sei überspannt und meine Phantasie gehe mit mir durch – aber dieses Mal irrt Ihr Euch. Die stärksten Ausdrücke sind nicht stark genug, um alles zu beschreiben. Es ist bezaubernd schön hier! Aber wißt Ihr, was das Allerschönste war? Das war, unsre Flagge über dieser herrlichen kleinen Insel wehen zu sehen! Wir waren alle drei tief gerührt, ich geniere mich gar nicht einzugestehen, daß mir die Tränen in die Augen traten.

Es blieb einem aber nicht viel Zeit, sich in seine Gedanken zu vertiefen, denn noch bevor unser Schiff Anker geworfen hatte, kam eine elegante Schaluppe vom Ufer herüber, um uns abzuholen. Frau From und ich hatten natürlich Toilette gemacht, da der erste Eindruck ja meistens der entscheidende ist. Ich glaube mit Recht sagen zu können, daß wir sehr geschmackvoll gekleidet waren. Beide in aparten weißen Pariser Toiletten, elegant und einfach zugleich, so recht passend für die Gelegenheit.

Das Boot wurde von einem jungen schlanken, dunkeläugigen Offizier geführt (jetzt sehe ich, wie Petersen Mutter bedeutungsvoll zunickt, aber sie kann sich gerne die Mühe sparen, er ist verheiratet!) – aber schön war er doch, obgleich er nicht besonders begabt aussah. Dies schreibe ich nun nicht etwa, weil die Trauben sauer sind, sondern weil es mir eben wiederholt aufgefallen ist, daß Männer mit einem flachen Hinterkopf fast immer dumm sind.

Aber nun müßt ihr hören, was weiter geschah; als wir nahe der Landungsbrücke waren, wurde von einem kleinen Fort dicht beim Hafen ein dröhnender Salut geschossen. Imponierend, wie Ihr Euch wohl denken könnt! Das war der Willkommgruß für uns – das heißt für den neuen Gouverneur der Insel. Der einfache, bescheidene From sah beinahe verlegen aus, aber Frau From fühlte sich! Ich wollte, Ihr hättet sie sehen können! Nun, ich muß gestehen, es war auch ein feierlicher Augenblick. Der ganze Kai stand voll neugieriger Menschen, und an der Landungsbrücke erwarteten uns die Beamten und Honoratioren der Stadt mit ihren Damen. Wir hielten eine kurze Cour ab, es wurden uns eine Menge Menschen vorgestellt, und dann fuhren wir in einem bequemen Wagen – der schwarze Diener und ebensolcher Kutscher in himmelblauer Livree – zur Gouverneurswohnung, einem Prachtbau, von dem ich Euch beiliegend ein Bild schicke; Ihr werdet sehen, daß ich nicht übertreibe, wenn ich das Haus ein kleines Schloß nenne.

Das Gebäude ist hübsch und wundervoll kühl; es liegt hoch am Berge, und man hat von seinen Galerieen eine herrliche Aussicht über die Stadt und den Hafen. Wie Ihr Euch wohl denken könnt, haben wir hier – gerade wie zu Hause – eine Schildwache vor der Tür. Eine breite Marmortreppe führt in die von Säulen getragene Vorhalle, auf die die Bureaus münden, die alle im Erdgeschoß liegen. Im ersten Stock befinden sich die Gesellschafts- und Wohnzimmer und im zweiten die großen, luftigen Schlafzimmer. Ich habe zwei nach Osten gelegene entzückende Zimmer mit Türen auf die um das ganze Haus laufende Galerie.

Mein Wohnzimmer ist mit leichten hellen Möbeln eingerichtet. Viele Schaukelstühle – denn das Schaukeln kühlt ab – ein reizender Schreibtisch, ein Klavier, das leider gänzlich verstimmt ist, und ein geblümtes steinhartes Sofa. Hier gibt es weder Glas in den Fenstern, noch Gardinen davor – nur Jalousieen. Das wäre so etwas für Mutter, da brauchte sie keine Sorgen um die Gardinen zu haben!

Das Schlafzimmer wird beinahe ganz von einem riesigen Mahagonibett, das mitten im Zimmer steht, ausgefüllt; das Bett ist so groß, daß man seinen Platz wechseln kann, wenn er zu warm geworden ist, und es liegen wenigstens sechs verschiedene Kopfkissen darin, damit man auch damit wechseln kann. Die Bettlaken von feinem Leinen sind gestärkt, damit sie kühler sind. Von einem Baldachin über dem Bett fällt ein weißes Moskitonetz aus Tüll bis auf den Boden herab. In einem kleinen Toilettenzimmer neben der Schlafstube steht eine weißlackierte Badewanne. Ihr werdet begreifen, daß ich ganz überwältigt war, als ich am Tage unsrer Ankunft hier heraufgeführt wurde und man mir sagte, daß dies mein Reich sei. From hatte ja von Paris aus seine diesbezüglichen Anordnungen getroffen.

Die Wohnung des Gouverneurs ist natürlich viel eleganter eingerichtet als meine Zimmer. Hier ist der Gouverneur ja ein kleiner König, und daß Frau From manchmal beinahe vor Hochmut platzt, könnt Ihr Euch ja auch denken. Ein bitterer Tropfen in dem Freudenkelch ist es natürlich, daß die Garnison daheim sie nicht in all ihrer Herrlichkeit sehen kann; daß man sie nicht beneidet, verringert in ihren Augen den Genuß.

Aber ein Trost bleibt uns: wir können schreiben; ich habe Frau From auch schon versprechen müssen, Euch unser Leben hier ganz genau zu schildern. Sie meinte ferner, Ihr könntet Frau Poulsen, wenn sie mal bei Euch zum Tee sei, Auszüge aus meinen Briefen vorlesen; auf diese Weise würde die Garnison alles am besten und schnellsten erfahren. – Nun sollt Ihr also hören, wie Eure Flora den Tag verbringt.

Des Morgens um fünf Uhr fällt der Wachtschuß von der Plattform des alten roten Forts, und damit beginnt der Tag. Wenn der Schuß über den Hafen hindröhnt und in den Höhen hinter der Stadt das Echo hervorruft, bin ich meistens schon wach, strecke mich aber noch ein wenig unter meinem Moskitonetz. Dann wird auch bald an die Tür geklopft, und das schwarze Zimmermädchen gleitet lautlos herein – auf dem Kopf ein Tablett mit Kaffeekanne, Tasse, Zucker und Rahm, Brot und Biskuit. – Die Neger tragen alles auf dem Kopf, von einer Rolle Garn bis zu einem Wassereimer, während die Hände schlaff herunterhängen oder in die Seiten gestemmt sind, oder zum Gestikulieren gebraucht werden.

Wenn Annie – das ist der Name des Mädchens – den Kaffee in mein kleines Wohnzimmer gebracht hat, schlägt sie das Moskitonetz meines Bettes zurück und öffnet die Jalousieen, so daß die schöne frische Luft hereindringen kann. Ich springe auf, nehme mein Bad und bin in ein paar Minuten angezogen – natürlich ist es ein elegantes, duftiges weißes Morgenkleid. Ich lasse meinen Kaffee auf die Galerie hinaustragen, setze mich in einen bequemen Schaukelstuhl und genieße nun im Schatten der Palmen meinen Morgentrunk.

Die frühen Morgenstunden sind hier immer schön; dann ist es noch angenehm kühl, und daher benutzen wir auch gerne die Zeit zu kleinen Ausfahrten oder Reitausflügen, oder wir machen wohl auch eine Runde durch unsern Garten.

Unser Garten! Ja, den müßtet Ihr sehen! Das ganze Jahr hindurch hat man hier Rosen, Heliotrop und spanische Wicken in Hülle und Fülle und von wunderbarer Farbenpracht. Die Oleander (ich kann mich erinnern, Mutter hatte einmal einen in einem kleinen Holzkübel in der Wohnstube), die Oleander sind hier so hoch, daß sie über das Dach des Hauses reichen, von dem ihre roten, stark duftenden Blütenbüschel herunterhängen. Auch von Kakteen gibt es hier viele verschiedene Sorten von großem üppigem Wuchs. Auch gibt es wunderschöne Blattpflanzen, aber für Levkojen, Reseden und Veilchen ist es zu heiß. Der Garten wird natürlich so oft wie möglich begossen, aber da öfters Wassermangel herrscht, müssen die armen Blumen manchmal vertrocknen. Das Trinkwasser und auch das zum Baden ist lauter Regenwasser. Von den flachen Dächern läuft es durch Röhren in unterirdische Zisternen, aus denen es dann wieder heraufgepumpt wird. Der Wasserstand wird täglich gemessen, und man ist froh, wenn es viel regnet. Damit die Hitze nicht noch vermehrt wird, sind Küche, Wasch- und Plättraum in einem kleinen Gebäude nicht fern vom Wohnhause untergebracht. Hier werden zum Kochen nur Holzkohlen verwendet – das ist umständlich und geht langsam – Ihr mit Eurem Gas habt es besser. Natürlich spielt die Wäsche hier eine große Rolle, da bei dem immerwährenden Sommer mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein alle Menschen in Weiß oder doch in leichte helle Stoffe gekleidet sind und man sehr oft die Kleidung wechselt. Selbst die Neger – ich meine die, die in vornehmen Häusern dienen – erscheinen jeden Morgen in einem frischgewaschenen Anzug.

Wir haben eine Menge Dienstboten, die hier gewissermaßen lauter Spezialisten sind. Die Köchin will nur das Essen bereiten, das Hausmädchen nur die Zimmer in Ordnung bringen, das Waschmädchen nur mit der Wäsche zu tun haben, und sind Kindermädchen im Hause, so bedient und beaufsichtigt jedes Kindermädchen nur das Kind, für das es als »Nana« gemietet ist.

Wenn wir von unsrer Morgentour zurückkommen und Frau From ihre Runde im Hause gemacht, sowie die Befehle für den Tag gegeben hat, nehmen wir unser erstes Frühstück ein und machen's uns danach auf der Galerie, die um diese Zeit am kühlsten ist, bequem; wir nehmen eine Handarbeit vor oder studieren die wohl einen Monat alten Zeitungen mit den »Neuigkeiten« von »daheim«. Zuweilen fahren wir auch aus, um Einkäufe zu machen, und ich wünschte, Ihr könntet so einen amüsanten Ausflug einmal mitmachen. Wir fahren durch die Hauptstraßen der Stadt, wo ein Laden neben dem andern ist. Diese Läden sind große offene Lager, wo die herrlichsten Sachen zum Verkauf ausgestellt sind: schmetterlingsleichte Kleiderstoffe aus Seide und Musselin, duftige Spitzen, Fächer, Sonnenschirme und Schuhe, alles natürlich mit Rücksicht auf das heiße Land, in dem es getragen werden soll, gearbeitet.

Selbstverständlich werden wir auf unserm Weg überall mit der größten Ehrerbietung begrüßt. In den Straßen drängen sich Neger, farbige Diener, aufgeputzte Kinder, sowie Verkäuferinnen mit großen Holzbrettern auf dem Kopf, die mit Kuchen, Zuckersachen, Fischen und Früchten beladen sind. Wir sind gerngesehene Kunden, denn Ihr kennt ja Frau From, die am liebsten alles, was sie sieht, haben möchte; man braucht aber hier auch unglaublich viel, da sich bei der großen Hitze (sechsundzwanzig bis siebenundzwanzig Grad Réaumur im Schatten) nichts lange halten kann. Die Damen sind alle, ohne Rücksicht auf Rang und Stand, sehr elegant gekleidet; das kommt zum Teil vom Klima, zum Teil von den Umständen und Verhältnissen, die hier ja viel leichter und bequemer als zu Hause sind.

Jetzt denkt Ihr wohl, daß wir unsre Besorgungen mit einem Besuch beim Konditor beschließen werden? Aber darin irrt Ihr Euch sehr; hier gibt's nämlich gar keine Konditoreien. Es existiert hier wohl ein Hotel, aber Kuchen bekommt man dort keine. Wie sollte man auch bei so einer Hitze Butterteig machen oder Schlagsahne herstellen können? Ach, unser herrliches schwarzes Roggenbrot und ein recht schöner Konditorkuchen – diese beiden Dinge entbehren wir hier sehr. Es gibt natürlich auch Kuchen hier, aber die sind trocken und zäh, und wenn sie recht gut sein sollen, werden sie mit Marmelade zusammengekleistert. Da wir sie nicht mögen, begnügen wir uns zum Tee mit den übrigens ausgezeichneten Biskuits, von denen unglaublich viele Sorten in Blechdosen von England eingeführt werden.

Also wir fahren direkt nach Hause, und erhitzt und müde, wie wir dann meistens sind, begeben wir uns eiligst auf die Galerie, um uns dort den herrlichsten Labetrunk, den man sich denken kann, zu Gemüt zu führen, nämlich einen Cocktail. Er besteht aus gestoßenen kleinen Eisstücken, etwas Angosturabitter, Wein und etwas Kognak; dies alles zusammen wird so lange geschüttelt, bis das Eis geschmolzen ist und das Ganze schäumt.

Haben wir den Cocktail getrunken, so ist der Lunch oder das zweite Frühstück bereit, und wir gehen zu Tisch. Diese Mahlzeit, die um zwölf Uhr eingenommen wird, besteht aus Suppe, Fisch, einem Fleischgericht und einer Menge Früchten, kleinen gelben Bananen, Mispeln, die ein bißchen wie unsre Graubirnen schmecken, Mangos, Ananas, Guavas, die an Erdbeeren erinnern, und vielen andern schönen Früchten. Aber nicht eine einzige schmeckt nur halb so gut wie eine gute dänische Birne oder ein saftiger Apfel! Doch ja, eine Frucht gibt es hier, von der ich wohl nie genug bekommen kann. Das ist eine große grüne Birne, die man mit Pfeffer und Salz ißt. Sie ist gar nicht süß, aber fett und saftig und schmilzt wie Mark auf der Zunge. Zu den Mahlzeiten wird Rotwein oder eine außerordentlich erfrischende Zitronenlimonade getrunken – und in einer großen silbernen Kanne steht immer Eiswasser auf der Tafel.

Nach dem Frühstück ruht man ein paar Stunden in seinem Schlafzimmer hinter geschlossenen Jalousieen. Gegen drei erheben wir uns wieder und kleiden uns zum Nachmittagstee an, zu dem wir oft Gäste haben, wenn wir nicht selbst eingeladen sind. Der Rest des Tages wird mit Besuchemachen und Tennisspielen verbracht; wenn aber in dem kleinen Park am Hafen Konzerte stattfinden, sind wir natürlich dort. Früher wurde der Sklavenmarkt in dieser kleinen Anlage abgehalten, jetzt ist sie der Sammelplatz von Nanas, das heißt schwarzen Kindermädchen, und von Kindern jeglichen Alters.

Das Mittagessen, eine etwas reichlichere Wiederholung des Frühstücks, findet um sieben Uhr statt; dann ist es hier schon gänzlich dunkel. Nach dem Wachtschuß, der in alten Tagen die Neger in ihre Hütten kommandierte, sind gewöhnlich die Häuser der Europäer für Besuch offen.

Wir haben viel Geselligkeit, und es wird hier oft getanzt. In der Saison von Oktober bis Mai liegen immer eine Menge Kriegsschiffe im Hafen, und dann geht's hier hoch her, wie Ihr Euch wohl denken könnt. Bei unsrer Ankunft bekamen wir gerade noch eine kleine Probe davon; deshalb war auch meine Zeit bisher so sehr in Anspruch genommen. Seit ich hier bin, habe ich jeden Tag getanzt. Entweder gab es einen Tee an Bord eines Schiffes oder einen Ball bei diesem oder jenem Konsul. Wir selbst haben auch schon mehrere Diners und einen großen Ball gegeben. Aber ein Ball an Bord eines Kriegsschiffes ist doch das Schönste, was man sich denken kann!

Stellt es Euch einmal vor, wie das ist: eine wunderschöne Tropenlandschaft mit schlanken Palmen, blendend hellem Mondschein, einem hohen sternenbesäten Himmel und auf dem Wasser ein von oben bis unten illuminiertes, mit Flaggen und Wimpeln geschmücktes Kriegsschiff. Es gleicht wirklich einem schwimmenden Feenpalast; und während die Töne eines Orchesters lockend und schmeichelnd übers Wasser klingen, führt eine Dampfschaluppe nach der andern Damen in Balltoilette und festlich angezogene Herren an Bord.

Die Kreolinnen sind schön und graziös, und sie verstehen sich zu kleiden; aber viele haben gar keine Bildung, obgleich es natürlich auch da Ausnahmen gibt. Am besten können sie tanzen und kokettieren, und eigentlich wird auch nichts weiter von ihnen verlangt. Sie haben durchschnittlich einen guten Charakter und sind stets hilfsbereit.

Moral gibt es hier beinahe gar nicht, und es wird furchtbar geklatscht, ja es werden geradezu giftige Klatschereien und böse Intrigen gesponnen. Es ist ein Glück, daß From so rechtschaffen und brav ist, denn er ist ja hier so weit vom Mutterlande entfernt, eine Art Alleinherrscher. In früheren Zeiten sollen – nach Aussage glaubwürdiger Menschen – schreckliche Dinge hier passiert sein, und wer zufällig in der Gunst des Gouverneurs sicher stand, wurde als mächtiger Mann gefürchtet und umschmeichelt. Nicht die Eingeborenen, sondern die Europäer, unsre lieben Landsleute, haben diese Fehler. Ich glaube, daß sie überhaupt bei einer Verpflanzung in dieses warme Klima nicht gewinnen. Bei weißen Kindern, die hier draußen geboren sind, mag es anders sein, aber die Erwachsenen werden von der großen Hitze nachteilig beeinflußt. Die Männer hauptsächlich bekommen früh zerrüttete Nerven, werden reizbar, leicht aufbrausend, eitel, eingebildet bis zum Größenwahn und – schlecht!

Die Ehepaare sind fast alle schon einmal geschieden worden, und dann haben sie sich wieder untereinander verheiratet, so daß es ein ganzes Studium ist, welches Paar augenblicklich zusammengehört. From ist am Rande der Verzweiflung, wenn er bei unsern Gesellschaften die Tischordnung zu machen hat; einerseits soll er die Rangordnung peinlich einhalten, und anderseits ist es ja unmöglich, einer Dame ihren früheren Mann als Tischherrn zu geben oder auch nur die beiden nebeneinander zu setzen. Und nicht wahr, die jetzige Frau ihres früheren Mannes kann ihr doch auch nicht gegenübersitzen? Ja, die Verhältnisse sind hier sehr verwickelt, aber doch ganz interessant.

Die Umgangssprache ist Englisch, aber mit Französisch kommt man auch durch, da die meisten es verstehen. Frau From ist zu bedauern, sie ist so oft zum Sprechen gezwungen, da sie repräsentieren muß, und sie hat ja niemals mehr Englisch gelernt als ein paar Seiten aus Listows Leitfaden für Anfänger. Manchmal macht sie furchtbare Schnitzer, wie zum Beispiel neulich, als wir Gäste zum Tee hatten. Sie wollte dem Mädchen sagen, sie solle Tee einschenken, wußte aber nicht, was »schenken« hieß; ihr Mann, den sie leise danach fragt, versteht »Schinken« und antwortet: » Ham«, worauf sich Frau From mit einer gebietenden Gebärde an das Mädchen wendet und so laut, daß es im ganzen Saal zu hören ist, kommandiert: » Ham the tea please.« Tableau! Es wurde viel über diesen Irrtum gelächelt und gelacht, aber der armen Frau From war selbstverständlich durchaus nicht wohl dabei zumute.

Im allgemeinen kann ich die Eingeborenen viel besser leiden als unsre Landsleute, und ich habe auch schon einige ganz interessante Bekanntschaften gemacht.

Eine Meile von der Stadt entfernt liegt eine entzückende altmodische Plantage, » My Paradise« genannt; ist das nicht ein bezaubernder Name? Sie gehört einem Mr. James O'Brian. Er ist ungefähr vierzig Jahre alt und wohnt dort allein mit seiner alten Mutter. Sie sind aus altem vornehmem Geschlecht, das in direkter Linie von den schottischen Königen abstammt (von welchen, weiß ich im Augenblick nicht). Zur Zeit des Sklavenhandels war die Familie sehr reich, aber seitdem ist es bei ihnen wie bei allen Plantagenbesitzern hier draußen mit dem Reichtum zurückgegangen. Das Wohnhaus ist allerdings ziemlich verfallen, sieht aber wunderbar romantisch aus, und die Auffahrt kann geradezu königlich genannt werden; sie führt durch eine lange Allee schlanker Palmenbäume, die wie steife Schildwachen dastehen.

Bei meinem ersten Besuch dort war ich ganz begeistert von dem schönen Besitztum, und ich gewann dadurch sofort das Herz der alten Mrs. O'Brian. Ich fahre oft zu ihnen hinaus; es ist so gar idyllisch und ruhig bei ihnen, und trotz all der Geselligkeit, in der wir leben, sehne ich mich oft nach Menschen, die mich ganz verstehen – und das tun Mr. O'Brian und seine Mutter. Ihr dürft mich nicht mißverstehen! From ist die Liebenswürdigkeit selbst, und Frau From ist unaussprechlich gut gegen mich, aber es kann ja nicht ausbleiben – ein bißchen Größenwahn bildet sich doch allmählich bei ihr aus, und das kommt mir bei meinem kritischen Blick recht lächerlich vor. Doch jetzt muß ich für heute aufhören. Wir machen heute abend beim englischen Konsul einen Ball mit, aber morgen schreibe ich weiter. Ich erscheine heute in einem weißen Paillettengewand – einer Pariser Toilette, die mir großartig steht.

Donnerstag.

Liebe Eltern, nur noch ein paar Worte zum Schluß – um Euch meine Verlobung mit Mr. O'Brian, dem Besitzer der Plantage » My Paradise«, zu melden. Mit derselben Post geht auch ein Brief von ihm an Vater ab. Wir haben uns gestern abend auf dem Ball verlobt, und heute hat seine Mutter mich als Schwiegertochter empfangen, nachdem er erst formell bei From um meine Hand angehalten hatte. Ich bin unsagbar glücklich. Durch meine Künstlerpläne habe ich für immer einen Strich gemacht, und ich kann mir nichts Schöneres denken, als bis an mein Lebensende hier auf dieser herrlichen Insel bleiben zu dürfen. Er behauptet, sein schönes Besitztum würde erst dann seinem Namen entsprechen, wenn ich dessen Herrin geworden sei – erst dann werde es » sein Paradies« werden. Brauche ich Euch erst zu erzählen, daß der Gedanke, einen Menschen so glücklich machen zu können, mich wahrhaft berauscht? Mein Zukünftiger ist groß, schlank und dunkel. Ich lege ein Bild von uns beiden bei und will zum Schluß nur noch erzählen, daß unsre Hochzeit schon in drei Wochen stattfinden wird. Euern nächsten Brief müßt Ihr also an »Mrs. Flory (diese kleine Anglisierung meines Namens nehmt Ihr wohl nicht übel?) O'Brian, My Paradise, St. Maria« senden.

Tausend Grüße und Küsse von Eurer glücklichen

Flory.

* * *

Kommandantur St. Maria.

Donnerstag, April 190.

Liebe Frau Staal!

So wenig Zeit ich auch habe, kann ich doch Floras Brief, der die große Neuigkeit meldet, nicht abgehen lassen, ohne selbst ein paar Worte hinzuzufügen. Zuerst meine herzlichsten Glückwünsche. Floras Auserwählter ist ein vornehmer, braver Mann. Allerdings ist er hoch in den Vierzigern, aber wie Sie auf dem Bild sehen, das in unserm Garten aufgenommen wurde, sieht er im Hut jünger aus. Seine Plantage ist ganz entzückend; sie liegt mitten in einem kleinen Akazienhain. Das Wohnhaus gleicht einem kleinen Schloß. Nur schade, daß O'Brian nicht reich ist, denn es müßte eigentlich von Grund aus repariert werden. Aber seine Mutter sagte mir doch, er wolle, um ein wenig Kapital zu bekommen, eins seiner Zuckerfelder verkaufen, damit wenigstens im Wohnhaus neue Fensterhaken angemacht und das Dach geflickt werden kann; denn wenn man sich auch immer nach Regen sehnt, so will man ihn doch nicht gerne durchs Dach hereinströmen lassen. Mein Mann und ich schenken Flora Möbel zu einem Salon und einem kleinen Damenzimmer, sowie ihre persönliche Aussteuer. Sie brauchen sich in dieser Beziehung um nichts zu bekümmern – sie ist ja wie unsre Tochter. Die Hochzeit wird in etwa drei Wochen bei uns stattfinden. Flora ist glücklich, und auf » My Paradise« kann sie ihre Liebhaberei, sich in allerlei Rollen zu ergehen, ungehindert pflegen; Platz dafür ist genug da. – Ihre Schwiegermutter gleicht einer Fürstin.

Nun ist also Flora die erste Ihrer Töchter, die sich verheiratet; das hätte wohl niemand in der Garnison gedacht. Jetzt muß Ejna sich beeilen – falls sie Flora nicht am Ende doch schon zuvorgekommen ist – hier draußen erfährt man die Neuigkeiten ja so sehr spät, und wir warten beständig auf eine Überraschung von ihr. Petersen können Sie damit trösten, daß sie ja auch mal hierher kommen kann; wenn sich dort nichts bietet, könnten wir vielleicht hier einen Mann für sie finden. Jetzt aber, liebe Frau Staal, rufen meine Repräsentationspflichten, und ich muß gehorchen. Die herzlichsten Grüße von Ihrer

Thekla From

* * *

Lieber alter Freund!

Wie Du aus den Briefen der beiden Damen ersehen wirst, habe ich Deine liebe Tochter, die Du mir anvertraut hast, schon in andre Hände geben müssen. Ich kann Dir aber versichern, daß sie einen guten, ehrenwerten Mann bekommt und daß das Brautpaar glücklich zu sein scheint. Seine alte Mutter ist von ihrer Schwiegertochter entzückt, und das ist wohl das größte Kompliment, das man Deiner lieben Flora machen kann, die auch uns während des ganzen Aufenthalts hier eine liebe Tochter gewesen ist. Ich freue mich, daß sie in unsrer Nähe bleibt, und ich brauche Dir Wohl nicht erst zu versprechen, daß ich in jeder Weise mit väterlicher Fürsorge über ihr wachen werde. Grüße Deine liebe Frau und Deine hübschen Töchter herzlich von mir. Wir haben oft Heimweh nach Euch allen.

Dein getreuer Freund

Karl From.

 


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