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Der Kassensturz

Ich übergehe die einzelnen Szenen, die sich noch weiter im Innern des Rathauses abspielten, und bemerke nur noch, daß sich unterdessen auch ein stellvertretender Bürgermeister bei mir einfand. Das geschah so: Es hatten sich die Stadtverordneten, Stadträte und städtischen Beamten, soweit sie im Rathaus anwesend waren, auf die Gänge hinausgewagt und beobachteten aus den Winkeln heraus die weitere Entwicklung der Affäre mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.

Ich mußte wiederholt die Herren darum ersuchen, sich in ihre Zimmer und an ihre Arbeit zu begeben.

Als nun wieder einmal eine solche Gruppe sich gebildet hatte, löste aus derselben sich ein Herr und ging die Treppe hinunter auf mich zu.

Vor mir angekommen, stellte er sich als der stellvertretende Bürgermeister vor und wünschte zu wissen, ob ich nicht irgendwelche Aufträge für ihn hätte.

Ich zog die Briefe, die ich eröffnet und gelesen hatte, aus der Tasche und überwies sie ihm zur weiteren Bearbeitung.

Auf seine Frage, ob ich denn von allem Eingehenden Kenntnis nehmen würde, sagte ich: »Natürlich, solange ich hier bin, geht alles durch meine Hände!«

»Haben Sie sonst noch etwas zu befehlen, Herr Hauptmann?«

»Nein, wenn ich Sie brauche, werde ich Sie rufen lassen, jetzt können Sie gehen!«

Er kehrte zu den Herren zurück und stattete, wie mir schien, Bericht ab.

Unterdessen hatte mir der Stadtwachtmeister die Meldung gemacht, daß die Wagen da wären.

Ich beschloß, das Spiel zu beenden, indem ich den Bürgermeister und den Rendanten nach Berlin abführen ließ. Das tat ich aber, um der Mannschaft den Weg nach Berlin frei zu halten, da ich selber nicht bei ihr bleiben, auch nicht vorauswissen konnte, was in meiner Abwesenheit passierte.

Um alles unnötige Aufsehen zu vermeiden, hatte ich die Kutschen in den Hof des Rathauses hineinfahren lassen.

Ich stieg die Treppe hinunter und kümmerte mich nicht weiter um das Einsteigen, sondern überließ die Aufsicht dem dort postierten Grenadier.

Ich selbst begab mich ins Kassenzimmer, um auch dem Rendanten die Bestimmung über seine Abreise mitzuteilen.

Zu meinem Erstaunen trat er auf mich zu und bat mich, an den Tisch zu treten, auf dem er die Tageskasse im Betrage von 4 000 Mark aufgezählt hatte.

Dabei ersuchte er mich, ich sollte die Kasse übernehmen!

Ich war ganz erstaunt darüber, denn ich hatte mit keinem Worte und mit keiner Silbe geäußert, daß ich die Kasse übernehmen wollte. Sie wäre ohne diese Übergabe ruhig in Köpenick geblieben. Darauf legte mir der Rendant einen Schein vor und bat mich, denselben zu unterschreiben.

Sowohl der Rendant wie ich waren über den Zweck dieses Scheines der gleichen Ansicht. Er wünschte nämlich, einen Revers darüber zu haben, daß der Kassenbestand richtig vorhanden war, und ich wollte ihm bescheinigen, daß es so sei. Es war das eine rein formelle Sache, der ich bis hierher noch gar keine weitergehende Bedeutung beilegte.

Ich nahm also die Feder, bescheinigte, wie ich glaubte, den Bestand und unterzeichnete monogrammäßig mit meiner augenblicklich angenommenen Charge. Ich wollte eben den Kopf zurückheben, als mein Auge auf die Überschrift des Scheines fiel. Da bemerkte ich, daß dort das Wort »Quittung« stand.

Das änderte die Sachlage. Wenn ich eine Quittung resp. Empfangsbescheinigung ausstellte, dann war ich auch für den Verbleib des Geldes verantwortlich.

Ich war nun zuerst schwankend. Doch mußte ich ja zu der Erwägung gelangen, daß ich das Geld nicht dalassen durfte. Tat ich das, so konnte es mir leicht ergehen wie damals im Kassengewölbe zu Wongrowitz. Von diesem Gesichtspunkte aus nahm ich das Geld an mich. Dann kam der Rendant auf mich zu und übergab mir die Schlüssel zum offenstehenden Geldschrank und sagte zu mir: »Herr Hauptmann, hier liegen noch weitere zwei Millionen, die der Stadt Köpenick gehören.«

Da wandte ich mich zu meinen beiden Grenadieren und sagte: »Sie haben gehört, daß hier zwei Millionen sind. Das geht mich nichts an!«

Ich ergriff nun selbst die Kassenschranktür und schlug sie zu.

Wäre ich nur nach Köpenick des Geldes wegen gegangen, so hätte ich doch wirklich ganz einfältig gehandelt, wenn ich mit 4 000 Mark davongegangen wäre und zwei Millionen hätte liegenlassen. Der Einwurf, daß diese in Staatspapieren bestanden, ist mir gegenüber ganz hinfällig, denn selbst gestohlene Wertpapiere lassen sich in den Nachbarstaaten mit Leichtigkeit zu ihrem annähernd reellen Werte umsetzen, ich besitze Kenntnisse genug, um derartige Unternehmen auch realisieren zu können.

Ich befahl nun den Grenadieren, das Zimmer zu verlassen, dem Rendanten, sich reisefertig zu machen, und ließ durch die Assistenten des Kassenrendanten die äußeren Räume verschließen. Das Geld steckte ich zu mir, die Quittung blieb da. Ich bemerke hierzu, daß bei meiner Verhaftung der Geldbetrag in meinem Wohnzimmer in einem unverschlossenen Fache der Kommode unverbraucht gelegen hat.

Auf dem Korridor rief ich den Gefreiten zu mir und bestimmte, daß er in einer halben Stunde die Wachen einzuziehen hätte, er sollte sodann noch einmal die Mannschaft in eine Restauration führen, dann seinen Marsch zum Bahnhof antreten und per Bahn nach Berlin zurückfahren; Dort hätte er sich bei dem Leutnant der Neuen Wache »Von Köpenick zurück!« zu melden!

Die nötigen Geldmittel händigte ich ihm aus und wollte mich eben aus dem Rathaus entfernen, als von den im Vestibül versammelten Herren sich wieder einer trennte, zu mir die Treppe herabstieg und mich in bescheidenem Tone fragte, ob mein Auftrag dem Bürgermeister oder der Stadt Köpenick gelte?

Ich erklärte ihm, daß die Stadt Köpenick gar nichts mit der Angelegenheit zu tun habe. Auf seine weitere Frage, wie lange die Besetzung des Rathauses noch dauern würde, antwortete ich: »Noch eine halbe Stunde!«

Damit beruhigte er sich.

Vor dem Rathaus winkte ich den Gendarm heran, machte ihn mit meinen Befehlen bekannt und beauftragte ihn nach dem Abmarsch der Mannschaften vorläufig mit der Aufrechterhaltung der Ordnung im Rathause sowie in der Stadt Köpenick.

Ich ging dann zu Fuß zum Bahnhof und fuhr mit dem Zuge nach Berlin.


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