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Der Bürgermeister von Köpenick

Da das Zimmer des Bürgermeisters nicht geschlossen war, trat ich ein, um zu sehen, was darin vorging.

Hier kam mir der Herr Bürgermeister entgegen und bat mich, daß ich ihm einen Diener zur Besorgung des Gepäcks zur Verfügung stellen solle.

Ich erklärte ihm, da er einen eignen Diener nicht hatte, daß ich ihm unmöglich einen Polizeibeamten der guten Stadt Köpenick mitgeben könnte; dagegen solle sein Gepäck von meinen Grenadieren befördert werden.

Dann wünschte er seine Frau zu sprechen. Auch diesen Wunsch erfüllte ich ihm.

Ich betrat wieder den Korridor und beauftragte einen Beamten, die Frau Gemahlin des Herrn Bürgermeister herabzubitten.

In wenigen Minuten war sie zur Stelle, und ich teilte ihr in höflicher Weise mit, daß ich genötigt sei, ihren Herrn Gemahl nach Berlin zu schaffen, daß sie aber, solange er noch hier wäre, ungestört und ungehindert mit ihm verkehren dürfe.

Ich führte sie nun selbst in das Zimmer zu ihrem Gatten und begab mich wieder nach unten.

Auf dem Korridor angelangt, hatte ich zunächst eine Anzahl Bescheide in Verwaltungssachen zu erledigen, denn sämtliche im Hause arbeitenden Beamten waren sehr neugierig und suchten in der Form von dienstlichen An- und Vorträgen mit mir in Verbindung zu treten, nur um mit mir bekannt zu werden.

Ich erledigte alles stehenden Fußes!

Unterdessen hatte sich auch draußen eine große Volksmenge versammelt, und während ich die Posten revidierte, meldete sich auch der Oberwachtmeister des Kreises Teltow, der zufälligerweise nach Köpenick gekommen war, zum Dienst. Das kam mir natürlich sehr gelegen, denn dadurch wurde meine Position wesentlich verstärkt.

Ich war eben wieder in das Rathaus zurückgekehrt, als der Gefreite mir meldete, draußen stände wieder eine Anzahl von Herren, die in dienstlichen Angelegenheiten ins Rathaus eingelassen zu werden wünschten.

Es war, wie es sich herausstellte, der größte Teil der Stadtverordneten und Stadträte Köpenicks, die sich zu zwei getrennten Sitzungen im Rathaus einzufinden hatten.

Ich wollte sie zunächst nicht eintreten lassen, aber da sie sich darauf beriefen, daß die Sitzungen unter allen Umständen abgehalten werden müßten, ließ ich sie schließlich doch durch, indem ich sie einzeln hineinzählte.

Augenblicklich ist es mir nicht mehr gegenwärtig, ob es vierzehn oder achtzehn waren.

Jedenfalls bestätigte mir der letzte Eingetretene, daß die Zahl richtig sei. Ich konnte mich doch eines innerlichen Lächelns nicht erwehren, wenn ich diesen Vorgang mit analogen auf den Gutshöfen verglich.

Als ich nun wieder zurückkehrte, meldete mir der vor dem Kassenzimmer stehende Posten, daß die Herren sich in auffälliger Weise an ihren Pulten zu schaffen machten. Das wäre doch nicht in der Ordnung.

Um zu sehen, worauf sich die Meldung bezog, betrat ich zum zweiten Male das Kassenzimmer.

Da kam der Herr Rendant auf mich zu und sagte mir: »Herr Hauptmann, ich kann doch auf Ihren Befehl den Kassenabschluß nicht machen, sondern nur auf den des Herrn Bürgermeisters!«

Hierauf erwiderte ich ihm:

»Der Herr Bürgermeister ist verhaftet, ebenso wie Sie selber, und er kann Ihnen darum keine Befehle mehr geben. Die Verwaltung der Stadt ruht jetzt in meinen Händen. Für alles, was vorkommt, bin ich verantwortlich! Ich glaube deshalb, daß Sie auf meinen Befehl den Kassenabschluß doch machen werden, denn es ist doch kaum anzunehmen, daß Sie nach Berlin gehen und hier alles in der größten Unordnung zurücklassen werden!«

»Nun, dann will ich auf Ihren Befehl den Kassenabschluß machen, aber auch auf Ihre Verantwortung!«

»Die Verantwortung übernehme ich!«

Als ich mich eben umwandte, um das Zimmer zu verlassen, rief er mir noch nach: »Ja, Herr Hauptmann, dann müssen Sie aber auch die Sparkasse übernehmen, das ist auch eine städtische Kasse!«

Ich beachtete das nicht weiter und besuchte zunächst das Zimmer des Polizeiinspektors, um mich noch einmal zu überzeugen, ob ich vielleicht da einigen Anhalt für meine Recherchen fände. Aber das Zimmer war ziemlich leer, und so wollte ich wieder nach oben steigen, als mich der Stadtwachtmeister aufsuchte und sich bei mir meldete.

Nach einigen Bemerkungen, die sich auf Dienstangelegenheiten bezogen, fragte ich ihn, ob er geneigt wäre, seinen Bürgermeister nach Berlin zu transportieren, und ob ich ihn ihm anvertrauen dürfe?

Mit Feuereifer ging er darauf ein und versicherte mir seine volle Zuverlässigkeit.

Ich beauftragte ihn zunächst, von einem Fuhrhalter in Köpenick drei Wagen, womöglich gedeckt, zu beschaffen.

Kurz hinterher, nachdem ich noch verschiedene städtische Angelegenheiten erledigt hatte, kam ein junger Mann und legte mir seinen Militärpaß zur Einsicht vor. Als ich dieses Büchlein in die Hand nahm, erinnerte ich mich plötzlich des Augenblicks, in welchem ich meinen Paß in Tilsit in Empfang genommen hatte. Ich hatte ihn nicht im Polizeisekretariat, sondern im Sekretariat des Landratsamtes empfangen und wußte nun, daß ich vergeblich nach Köpenick gegangen war.

Ein Landratsamt ist in Köpenick nicht vorhanden, sonst hätte ich sofort die ganze Geschichte im Landratsamt wiederholt.

So aber blieb mir hier nichts weiter übrig, als allmählich abzubrechen und die Mannschaft nach Berlin zurückzuschaffen, denn eine weitere Reise nach Fürstenwalde schien mir doch etwas bedenklich.

Noch überlegend, wie ich jetzt weiteragieren sollte, schritt ich wieder die Treppen hinauf.

Auf dem Flur meldete mir der Posten, daß dem Bürgermeister der Kaffee gebracht worden wäre, ob er den genießen dürfe. Selbstverständlich gab ich hierzu meine Erlaubnis und betrat noch einmal sein Zimmer, um mich mit ihm ein bißchen zu unterhalten.

Darauf bat mich seine Frau, daß ich ihr gestatten möge, mit ihren Freundinnen außerhalb des Rathauses zu verkehren, ihrer Wirtschaft wegen. Auch diese Bitte gewährte ich ihr, und als sie dann weiterbat, bis zum letzten Augenblick bei ihrem Mann bleiben zu dürfen, machte ich ihr den Vorschlag, sie möge ihren Gemahl selbst nach Berlin begleiten. Nur wünschte ich nicht, daß sie bei der Neuen Wache aussteige. Sie war darüber sehr erfreut; und um auch für das zurückbleibende Kind in genügender Weise sorgen zu können, gestattete ich ihr noch weiter den Verkehr mit einem Stadtrat, der ihre dahingehenden Aufträge in Empfang nahm.

Wie mir schien, hatte der Herr Bürgermeister während der Zeit, da ich nicht bei ihm war, die Sache nach allen Seiten erwogen. Er legte mir nämlich nach einer Einleitung die Frage vor – in Form einer Bitte –, ob ich ihm nicht beweisen wolle, daß ich zu seiner Festnahme, die doch in ungewöhnlicher Form vor sich gehe, auch berechtigt wäre.

Ich drehte mich mit einer halben Wendung nach rechts, zeigte mit der Hand auf die drei draußenstehenden Soldaten und sagte: »Nun, ich glaube, ich bin bei Ihnen doch legitimiert genug!«

Für einen Nichtoffizier ist diese Handlungsweise unverständlich und gibt Anlaß zu der Vermutung, daß ich dem Bürgermeister mit den Waffen habe drohen wollen. Ein Offizier konnte in diesen Irrtum nicht verfallen, denn es waren vertreten: die Uniform des ersten Garderegiments, das nach Potsdam gehört, die Uniform des vierten Garderegiments, das in Berlin steht. Ein Offizier der Potsdamer Garnison kann aber zu einer Diensthandlung in und um Berlin, sofern er sich der Mannschaft aus einer Berliner Garnison dazu bedienen muß, diese nur durch die Stadtkommandantur erhalten haben.

Mithin konnte jemand, der diese Vorschriften kannte, an meinem dienstlichen Auftrage nicht zweifeln. Ich war also dadurch allein dem Bürgermeister, der, wie ich später erfuhr, Leutnant der Reserve ist, genügend legitimiert.

Ob der Herr meine Handbewegung in diesem oder in anderem Sinne gedeutet hat, weiß ich nicht. Da er ganz geknickt schien, tat er mir wirklich leid, und ich begann ihn nach seiner früheren Lebensstellung zu befragen. Dadurch erfuhr ich, daß er Leutnant der Reserve sei. Ich sagte, um ihn zu beruhigen, daß man ihm in Berlin wohlwolle; sonst würde man nicht, um einen Leutnant zu verhaften – einen Hauptmann schicken!

Alsdann forderte ich ihm sein Ehrenwort ab, keinen Fluchtversuch zu machen. Er gab es mir auch bereitwillig. Sodann verließ ich ihn wieder für einige Zeit. Als ich aber später zurückkehrte und er etwas dringlicher an mich herantrat, verwies ich dies ihm mit den Worten: »Sie wissen, Herr Bürgermeister, daß ich Sie bis jetzt sehr freundlich behandelt habe! Es täte mir leid, wenn ich anders auftreten müßte! ... Aber ich kann Sie auch härter behandeln; ich kann Sie zum Beispiel in den Keller führen und einsperren lassen!«

Das machte ihn denn doch etwas stutzig, und er ließ es denn auch nicht darauf ankommen. Mir war das sehr lieb, denn wenn ich auch meine Stellung im Rathause – schon mit Rücksicht auf meine Mannschaft – absolut wahren mußte, so wollte ich mich doch von jeder unnötigen Härte frei halten, wie mir das ja glücklicherweise auch durchaus gelungen ist.


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