Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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Wer das Leben nach seinem Idealwerte schätzt, ich frage, ob der nicht wütend werden muß, wenn er auch nur ungefähr überschlägt, wieviel Kraft und Zeit uns das Bagatell raubt, ich meine das recht eigentliche Bagatell, das nicht des Nennens wert ist. Wer von jenem Werte durchdrungen ist und doch geduldig bleibt: gut, recht, er soll ein Engel sein. Solange ich aber nicht sonst Proben habe, daß einer engelgleich ist, bin ich so frei zu glauben, daß er den Kampf mit dem Bagatell nur darum leicht nimmt, weil er grobe Nerven hat oder nicht vergleicht, nicht rechnet. Rechnen wir nur sehr schwach: per Tag 1½ Stunden für An- und Auskleiden und dergleichen, hierzu nur ¾ Stunden für speziellen Kampf mit Knöpfen und Anverwandten: macht per Woche 105¾ Stunden. Nehmen wir hinzu, daß nur einmal wöchentlich noch speziellere und ganz tragische Kämpfe sich ereignen, wie verzweifeltes Suchen eines Blatts, einer Notiz, und bedenken wir, daß ein solcher Vorgang das Hirn, das ganze Nervenleben in eine ähnliche Betäubung versetzt, wie Verirren nachts im Walde, also für einen ganzen Vormittag arbeitsunfähig macht, tut 6 Stunden: Summa in der Woche 1056¾ Stunden: welche entsetzliche Zahl!

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Was ich nicht aushalten kann, das ist ein Mensch ohne Leidenschaft, und ein Mensch, der gemeine Leidenschaften hat.

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Nur keine Geschichten, nur keine Szenen! So denken die meisten und so zum unendlichen Schaden der Welt namentlich Staatsmänner. Es soll nichts aufgerührt werden, es soll alles beim alten bleiben, und wenn ein Kind einzusehen vermag: es kann nicht beim alten bleiben, es muß ja doch brechen. Aber: après nous le déluge!

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Das Weib ist schamhafter als der Mann, weil es weniger unschuldig ist. Das Mädchen weiß das Geschlechtliche weit früher als der Knabe, lernt früh, wenn auch noch unbeteiligt, das ganze Listgetriebe des Männerfangspiels kennen, das Weib ist sich des Geschlechts weit bewußter als der Mann und hat dies Wissen zu verbergen, daher muß es mehr Scham haben. Dies ist im geringsten keine Schande für das Weib. Es erhebt sie. Sie ist mehr Naturwesen als der Mann, und wird sittliches Wesen, indem sie es verhüllt, mit Bildungsleben zudeckt.

Bedarf übrigens der Mann weniger Schamhaftigkeit, so ist das lange kein Freibrief für Schamlosigkeit. Ich halte an meinem alten Spruch, den ich mir damals in den norwegischen Bergen eingezeichnet: Scham verloren u. s. w. Wer gemein ist, mag noch manches leisten, aber er ist eben gemein. Den Mann, der darin richtig bestellt ist, wird man besonders daran erkennen, daß er gut unterscheidet, wo Zynismus berechtigt ist, wo nicht, und daß er gut erkennt: der gröbste Zynismus ist unschuldiger als der feinste Obszönismus.

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Darin liegt eine große Schwäche des Weibs, daß es im Gespräch so gern Nebenbeziehungen findet, Anspielungen, Stiche, Ausfälle, wo davon keine Spur ist. Der Mann redet gewöhnlich einfach und ehrlich auf die Sache los und denkt nicht daran, was man dabei sonst und nebenher noch denken könnte.

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Die Frage nach dem Werte des Weibs ist eine der zweiseitigsten, die es gibt. Der Mann ist weit kommensurabler. Mit diesem Wort ist sogleich der Grund der beunruhigenden Schwierigkeit in der Frage ausgedrückt. Inkommensurabler ist das Weib im Guten; Großtaten des weiblichen Enthusiasmus leuchten in Menge wie Sterne am Nachthimmel der Geschichte, inkommensurabler auch im Bösen: »O, undistinguish'd space of woman's will!« (König Lear IV, 6.) Wie sieht es mit der Geduld aus? Das Weib ist sowohl viel geduldiger, als auch viel ungeduldiger als der Mann. Jenes z. B. im Katarrh mit Zubehör und bei Krankenpflege, dieses bei Meinungs- und Willenskreuzungen. Ein Bekannter, der in ganz erträglicher Ehe lebt, sagt mir neulich, er habe so rührend schöne Ideen gehabt, wie er Geduld lernen wolle am sanften Bande der Ehe; »ja, oha!« fährt er fort, »hab' sie wohl lernen müssen, aber anders, als ich meinte: im Widerstand gegen Ungeduld.«

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Gestern an unserm Tisch im Gasthoflokal mischt sich ein Herr ins Gespräch über das Weib und läßt sich sehr gemein aus, erlaubt sich auch Zoten. Sonst formell ganz anständiger Mensch, doch etwas anrüchig wegen Benehmens in Ehrenfragen. Wir schweigen ihn an, er macht fort, und fühlbar keimt und wächst nun im Kreis eine Neigung, ihm die Türe zu weisen. Plötzlich bricht er auf und geht von selbst. Staunen. Sagt X: »Mir scheint, der Mensch hat einen inneren Hausknecht – einen Rest von Scham –, der hat ihn hinausgeworfen.« Gut.

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Nun muß sich aber hintennach in dem Menschen doch die Vorstellung ausgebildet haben, er sei von uns hinausgeworfen worden; er münzt es auf mich und verdächtigt mich politisch in einer Zeitung. »Schmutz riecht sich selber nur,« habe ich erwidert.

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Menschen, die einander ohne tatsächlich klaren Grund nicht trauen, trauen sich selber nicht.

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Diese Art Menschen kann man auch mit ziemlicher Sicherheit daran erkennen, daß sie nicht gern allein sind, obwohl man natürlich den Schluß nicht umdrehen darf, denn die Mehrheit ist nur aus Leerheit nicht gern allein. Auch spazieren können sie nicht recht gehen, denn eine gemeine Seele ist keiner Kontemplation fähig.

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Man muß arbeiten können, man muß aber auch müßiggehen können, nur betrachten. In diesen Momenten muß man sich verhalten können wie bloße Natur oder eigentlich sich selbst betrachtende Natur. In glücklichem Wechsel mit Arbeit sind sie so gut, so wertvoll wie Arbeit.

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Vater und Sohn,

an einem See vorbeigehend.

Knabe. Papa, heute nacht ist der See, glaub' ich, doch ein bißchen unartig gegen mich gewesen.

Vater. Was hat er dir denn getan?

Knabe. In der Schul' hat gestern der Schulmeister gesagt, was ein ordentlicher Mensch sei, müsse auch eine ordentliche Beschäftigung haben; danach müsse man bei jedem fragen. Jetzt hat mir's heut nacht geträumt, ich komm' an den See und frag' ihn: »Herr See, mit was beschäftigen Sie sich?« Jetzt hat der See gesagt: »Ich beschäftige mich damit, naß zu sein.« Ist das nicht ein wenig grob?

Vater. Je nun!

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Wenn ich Poetisches gelesen habe, zum Beispiel Jamben, und komme nachher an Prosaisches, so meine ich einige Minuten lang, es auch als Jamben lesen zu müssen. So ging es mir einmal mit einem Regierungsschreiben. Zufällig liefen die ersten Zeilen ganz ordentlich. Ich las:

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So weit ging's, aber weiter nicht, das Folgende war nicht in Jamben zu bringen, und ich erwachte zur Prosa. Uebrigens belehrender Beitrag zur Psychologie der Rhythmik oder eigentlich der idealen Nervenlehre. Fortschwingen des rhythmusfühlenden Nervs. – Da liegt die Abschrift des Schreibens vor mir, die ich mir zum Andenken genommen habe, – Erinnerung an alte Zeiten.

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Nachts hatte ich dann einen recht kindischen Traum. Ich kam in ein besseres, beglücktes Land, Wohnsitz hochgestimmter Menschen. Hier wurden alle amtlichen Schreiben, Regierungs- und Behördenerlasse, Reskripte, Ausschreiben, Gesetzurkunden, Protokolle, all dieses und ähnliches in Versen abgefaßt und zwar stets in einem zum Inhalt passenden Metrum. Einen Staatsanwalt hörte ich im Geschwornengericht die Anklage gegen einen Mörder in zentnerschweren kurzen Stabreimen vortragen. Das Protokoll über den Tatbestand erklang fürchterlich im Versmaß des Eumenidenchors des Aeschylos. Der Verteidiger suchte in weichen, sapphoartigen Strophen zu rühren. Das Strafgesetz bestand in lastenden Trochäen. Das Dienstreglement für meine Polizeimannschaft bewegte sich in gemessenen Danteschen Terzinen. Ein Gesuch um Freinacht bei Anlaß einer Hochzeit gewährte ich in hüpfenden Anapästen und Daktylen und ging gegen den Schluß in Zeilen über, die in freiem Spiel zwischen gebundener und ungebundener Form dithyrambisch schwebten. Dafür aber bekam ich einen Verweis von der Kreisregierung in taktfesten Alexandrinern, worin mir eröffnet wurde, daß Dithyramben fast eine Einladung zur Trunkenheit und jeder Art von Exzeß repräsentieren. Daran erwachte ich. Den Verweis überbrachte mir ein in die toga hirsuta (Zotteltoga) gekleideter Kanzleidiener. Die Beamten trugen die toga praetexta, untergeordnete mit breitem, höhere mit schmalem, feinem Streifen oder clavus. – Es war kurz vor den Dingen, die mich mein Amt gekostet haben, – ahnungsvoll!

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Das habe ich doch meist bewährt gefunden, daß man den Menschen im Schlaf ihren Charakter ansieht. Seit es Eisenbahnen gibt, hat man mehr Gelegenheit. Da habe ich nun auch eine Gattung Menschen entdeckt, die ein Gesicht machen, als kostete ihnen das Schlafen Mühe. Es sind meist hart arbeitende Leute, denen der Ausdruck vom Wachen her auf den Zügen stehen bleibt. Doch nicht bloß, man kann es auch bei gebildeten und sicherlich nicht schwer beschäftigten Menschen beobachten. Das sind nun offenbar Naturen, denen alle Geistesfreiheit abgeht, denen im Wachen alles, selbst die Freude Geschäft ist, die niemals zu schweben verstehen, daher entbindet auch der Schlaf ihre Züge nicht. Ich nenne den Ausdruck ungernig, sie sehen aus, als schliefen sie ungern.

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Es ist auch deswegen in Ordnung, daß der Mensch endlich stirbt, er soll sich schon deswegen gern darein fügen, weil sich mit der Zeit gar zu viel Sach um ihn ansammelt. Man erfährt das so recht bei einem Umzug. Nicht nur Bücher, – Briefe, Blätter, Blättchen, Zeitungsnummern, Büchsen, Schachteln, Salben, Pulver, tausend Geräte. Wie oft, alter Narr, willst du die alte Papierdüte hinten in der Schubladenecke noch einmal hervorziehen, öffnen, finden, daß ein Rest Holder- oder Wollblumentee darin steckt, dich besinnen, ob du ihn wegwerfen willst, ihn noch einmal behalten? – Mach, geh fort, nimm Abschied auf einmal von all dem Quark!

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Ballast! Ein für allemal zu viel Ballast! – So stark bin ich nicht, daß mir nicht manchmal eine Sehnsucht aufstiege: nur ein Jährchen lang nach dem Tode noch auf einem Planeten, wo man keinen Schneider, Schuster, Schreiner braucht und wo es überhaupt gar kein Wetter, also auch keinen Katarrh gibt! Nicht unsterblich, o nein, nur dies Jährchen! – Aber das sind schwache Stunden.

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Vitam, non mortem recogita! Altes Motto.

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Aber man muß den Tod recogitare, um ihn nicht zu fürchten. Nun ist das nicht die Art der Menschen. Daß sie in Masse überhaupt auf kein Uebel gefaßt sind, hat seinen guten Grund. Sie wären, – so muß der erste Satz von mehreren Sätzen lauten –, sie wären ja Narren, sich das künftig mögliche Uebel vorzustellen, sie würden sich nur die Gegenwart verbittern. Lebe voll und ganz in der Gegenwart!: das ist ja richtig. Wer würde zum Beispiel die Geliebte an den Altar führen, wenn er sich recht darein vertiefte, daß eines von beiden vor dem andern sterben muß! – Allein der zweite Satz lautet: Stelle dir das Uebel dennoch vor, sonst trifft es dich ungefaßt und vor allem das scheinbar schrecklichste, der Tod. Also Widerspruch zwei gleich wahrer Sätze. Folgt, daß es eines dritten Satzes bedarf. Stelle es dir nicht nur vor, sondern durcharbeite, durchbohre, durchsetze, durchätze es ganz mit klaren Gedanken, bis du damit fertig bist, dann schwindet das Drohende des Schattens und du kannst frei die Gegenwart genießen, bist auf unendlich höherer Stufe, was das Tier auf seiner ist: sorglos blind für die Zukunft. »Gefaßt sein ist alles.«

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Schiller hat gesagt, der Tod könne kein Uebel sein, weil er allgemein sei. Man denke sich einmal, ein Teil der Menschen müsse sterben, ein andrer nicht, und niemand wisse, ob er zur einen oder andern Klasse gehört: wie entsetzlich! Stelle dir immer vor, du fallest in der Schlacht, wo das Zusammensterben den Tod so sehr erleichtert. Das Allgemeine ist notwendig, ist ein Gesetz. Ein Gesetz fürchten ist kindisch. Du kannst doch nicht ansprechen, die Gattung zu sein! Was dir aber sicher hilft, das ist: lebe in der Gattung, im allgemeinen, dann stirbst du nicht, obwohl du stirbst, und kannst sagen mit dem Römer: non omnis moriar.

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Träger, schwerfällig trauriger Nachmittag. Unten im Hofe wird Holz gemacht. Ich muß immer dem Sägen zuhören. Zuerst ein scharfkratziger Ton, dann tiefer, breiter, dann kommen hohe Klagetöne des Scheits, als riefe es: jetzt kann ich nicht mehr lange widerstehen! Es folgen noch einige kurze, gerupfte, schnell in der Skala sinkende, mürbe Laute, und man hört die Klötze fallen. – So sind mir die Freuden des Lebens durchgesägt worden, eine um die andre, ich höre jetzt noch die Stümpfe zu Boden rumpeln.

Aber mit dem Holz hab' ich mir doch einen Ofen geheizt, den ich mir selbst gebaut habe.

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Ofen freilich, wie er eben sein kann in Anbetracht der Umstände. Hat einen Riß, raucht. Doch etwas besser als keiner.

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Eine große Gunst ist mir doch widerfahren: ich bin im Krieg gewesen, habe ein Treffen mitgemacht. Habe erfahren, wie es dem Mann in der höchsten Anspannung aller seiner Kräfte zumut ist.

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Beklagen, daß ich damals nicht gefallen bin, wäre gemacht sentimental. Wenn ich aber nur wüßte, ob mir nicht das noch begegnet, daß ich lächerlich sterben muß! Es sähe mir ganz gleich. Oder gar ein Krüppel werden auf solchem Weg? Noch hübscher! Einem Soldaten wird ein Auge ausgeschossen; es geschieht auf dem Felde der Ehre. Ich wette, ich werde noch ein Auge durch ein Knallbonbon verlieren.

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K. v. Suckow »Aus meinem Soldatenleben« erzählt von einem Hauptmann, der sich mit ihm aus Rußland fortschleppte, mit ihm hungerte und unter diesen Leiden nicht aufhörte zu rühmen, was für trefflichen Zwiebelkuchen seine Frau machen könne; es sei sein Leibessen, und wenn er nach Hause komme, müsse das erste sein, daß die Teure ihm einen bereite. Sein Idealtraum ging nicht in Erfüllung, er hat den Zwiebelkuchen nicht mehr gesehen, gegessen, ist in Wilna am Nervenfieber gestorben. Ach, so sterben wir alle, jeder trägt in sich den Traum vom Zwiebelkuchen und muß in die Grube, eh' er Wahrheit geworden!

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Auch ist das ganze Leben ein russischer Feldzug. Allgemeiner wilder Stoß und Schub im Menschengetümmel ist die Beresinabrücke. Kanonenschläge dazwischen: das Unglück rechter Art, das drastische Uebel; dies Glück wäre mir nicht widerfahren. Für mich Lanzen der Kosakenschwärme, die Wespenstiche des kleinen Uebels. Das Aergste soll aber doch gewesen sein ein beständiger, fein messerscharf schneidender Wind, und – wer nicht fiel, nicht verhungerte, nicht am Typhus starb – hinsiechend in beständigem Katarrhfieber.

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Hab' auch wieder einen, werde mir bald die Füße zum Mund heraushusten.

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Frau Hedwig und der Doktor schicken mich noch einmal über die Alpen. Will gehorchen; muß Neapel, Sizilien nachholen – Nachholen? Sonst nichts? – Gesteh dir, Mensch, – eine Unruhe, als ob dein noch etwas wartete. – Willst suchen? – Nein! – Doch?

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Ich muß, ehe es fortgeht, mein Jugendtal noch einmal sehen. Wird zum letztenmal sein. Träumt mir neuerdings mehr als sonst davon.

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Geschrieben in der Felshöhle am Klosterberg in St....l.

       

Da bist du ja im Morgenstrahl,
Mein nie vergeßnes Jugendtal!
    Der Berge Kranz, die wunderblaue Quelle,
    Städtchen und Kloster, alles ist zur Stelle.

Noch immer steigt gezackt und wild
Empor seltsames Felsgebild,
    Burgtrümmer schauen über Höhlenschlünde
    Auf stillen Fluß und zarte Wiesengründe.

So oft hab' ich geträumt von dir:
Fast, liebes Tal, erschienst du mir
    Als Traum, als Märchen, alte, alte Sage
    Vom Morgenland, vom jungen Erdentage.

Hier kennt mich keine Seele mehr,
Fremd sehn die Leute nach mir her,
    Doch bring' ich mit, was Einsamkeit versüßet:
    Ein Völkchen, das mich kennt und das mich grüßet.

Laut reget sich ein Knabenschwarm,
Zu zweien manche, Arm in Arm,
    Mit hellem Aug' und rosenroten Wangen
    Dort aus dem Kloster kommen sie gegangen.

O Duft, o Kelch der Blütezeit!
Der Jugend süße Trunkenheit!
    Die Liebe weint, der holde Mutwill sprühet,
    Die Seele singt, der goldne Himmel glühet.

Wo sind sie hin? Zersprengt, verweht,
Wie Gras des Feldes hingemäht!
    Nur wenige Greise sind noch übrig blieben,
    Zu zählen, wer noch lebt von all den Lieben.

Du dort in der gedrängten Schar,
Du mit dem dunklen Lockenhaar,
    Dich kenn' ich näher, munterer Geselle,
    Ja, du bist ich auf meiner Jugend Schwelle.

Wie lachte ich das Leben an!
Wie sprang ich jauchzend in die Bahn!
    Wie arglos wohnte neben wilden Scherzen
    Gesunder Ernst im frischen, schlichten Herzen!

Fern leuchtet Rom und Griechenland
Durch die geteilte Nebelwand,
    Von Platos Silberfittichen gehoben
    Schwebt fromm und stolz der junge Geist nach oben.

Wie Licht so hell, wie Schnee so rein,
Gelobt' ich, soll mein Leben sein!
    Was wußt' ich von des Weltgangs irren Pfaden! –
    Da bin ich nun, und bin so schuldbeladen.

Nicht daß es bleiern mich beschwert,
Ich kenne meines Lebens Wert,
    Ich weiß, wie ich gestrebet und gerungen
    Und was der sauren Arbeit ist gelungen.

Doch heute, wo herauf zum Wald
Das alte Klosterglöckchen schallt,
    Heut, wo ich aus so ungeteilter Nähe
    Dem frohen Knaben in die Augen sehe,

Der ich einst war, der so vertraut,
So schuldlos mir entgegenschaut,
    Heut weiß ich nichts von meinem Tagewerke,
    Hintaut der Stolz, es beuget sich die Stärke.

Zur Felsenhöhle wandl' ich hin –
Vor Zeiten träumt' ich oft darin –;
    Laß, alt Gestein, mich heut in meinen Tränen
    Ganz still an deine graue Wand mich lehnen.

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München. Zuerst einmal hier verweilen, Kunst ansehen. Pinakothek. O Gott, o Himmel, wie trifft mich's! Da liegt sie unter königlichem rotem Baldachin, konnte die Kerze nicht mehr fassen, die ihr der weinende Johannes reicht; alles rings getreulich nach den Formen der Zeit; Wohnraum, Geräte, Kultushandlung beim Tod einer hohen Person, Weihwasser, Weihrauch, Gebetformeln aus dem Buch, die Apostel hartgemeißelte Köpfe, unfeine Gestalten aus der gröblichen Wirklichkeit, überall voller Schein des Lebens bis hinauf auf den Reflex der Kohlenglut im Gesichte des Jüngers, der ins Rauchfaß bläst. In allen ein Schmerz, der Widerklang dieses Todes in diesen ehrlichen Seelen. Und sie! Seligkeit der Auflösung in den Aether reinen Daseins, Verschweben im seligen Traum! Ein Kopf, Züge – reiner Kristall für durchscheinendes Himmelslicht! O, so, so stürbe – – und ich, ich grobe Erscheinung, ich gemeine Erdbildung, wenn – wenn dies – wenn – dabei Zeuge sein, das schauen – Verwehe, Traum!

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Pisa. Habe widerstanden, bin nicht östlich hinüber von Pistoja; morgen nach Livorno, zur See hinunter. – Wie schön hier alles beisammen: Dom, Baptisterium, Campo santo, und wie gut ruhig, friedlich ringsum! – Komme mir vor wie der schiefe Turm dort, der hält, obwohl geknickt. Im Campo santo – hätte den ganzen Tag da bleiben mögen, ja möchte hier wohnen, mich an den rührenden Bildern freuen wie ein Kind und ganz stille sein.

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Pompeji. Die Gipsformen der Toten – genau in dem Moment, wie sie vor fast zweitausend Jahren im Todeskampf zuckten. Sonderbar – das tut sonst der Bildhauer aus Kunstzweck: er fesselt einen Zeitmoment im Raume. Hier hat die Natur dasselbe getan: die Sterbenden erstickend umhüllt, die Umhüllung verhärtet und nach achtzehnhundert Jahren einem scharfsinnigen direttore degli scavi so die Gußform dargeboten, die er nur ausgießen durfte.

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Ich möchte gerade nicht in einer solchen Todeszuckung nach Jahrtausenden als Gipsfigur wieder aufstehen, übrigens rasch und gewaltsam sterben ist doch auch so übel nicht.

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Gegenwärtige Vergangenheit, vergangene Gegenwart, – aufgehobene Zeit – Traum, wunderbar. Komme mir selbst vor, als sei ich schon lange gestorben und sehe dort aus einem Denkmal der Gräberstraße mir zu, wie ich nun umgehe, schaue, staune. Oder als sei ich gerade vor einer Stunde gestorben und der Tod habe mir noch auf einen Tag Ferien gegeben, da spazieren zu gehen, als alter Pompejaner zu schlendern. Wir haben auch in Wahrheit alle in allen entschwundenen Menschengeschlechtern schon gelebt und werden leben mit den künftigen. Doch möchte ich herausbringen können, wie mir zumute gewesen, als ich noch ein antiker Mensch war, Mensch aus einem Guß, ohne Riß mittendurch, ohne mehr Augen, als nötig. Aber wenn vielleicht doch auch jene Einfachen –? Muß untersuchen, ob man an der Zehenhaut nichts mehr entdecken kann. – In Kleinasien, ja in Aegypten hat man in Schädeln plombierte Zähne gefunden. Also jedenfalls doch auch schon Zahnweh. Gibt sehr zu denken.

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Droben qualmt der Vesuv. Bin doch hinauf zum Krater. Empedokles hat sich in den Aetna gestürzt, das Naturgeheimnis zu ergründen. Könnte man Element werden und zugleich wissen, was Element ist!

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Zuerst Corricolo, dann ausgestiegen. Golf. Wie die Menschen, solche Linien, solche Kurven, solche Farben, solches Rauschen des ewigen Meeres vor Auge und Ohr, ihr Nachbar-Naturwesen, das Tier, so teuflisch mißhandeln mögen – o, fehlte mir nicht die Macht!

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Sorrent. Alles kocht im Segen, man meint, man spüre die Frucht des Oelbaums, die Beeren der Traube sich mit Säften füllen. – Tassos Wohnung – wir kennen uns. – An die Marine. In einer Fischerhütte bildschönen Knaben mitgenommen. Sieht dem putto gleich rechts unten auf Raffaels Sixtina, der den Kopf auf die Aermchen legt und so küssenswert den Zuschauer ansieht. Starke Brise. Wie weit kann man auf die Klippen jetzt hinaus? »Paolo weiß schon.« Brandung wilder und wilder, ein göttliches Wüten. Wir stehen mitten drin auf einer der durchfressenen Klippen. Schaumwelt wie ein wahnsinniger Traum, Riesenfächer ausgebreitet, Federbüsche, breite Wasserraketen aufschießend, bäumende Rosse, Bären, Elefanten, Zentauren, Fabelungeheuer, – Gestalt in Gestalt verrinnend, Zischen, Speien, Pfeifen, Heulen, Klagen, Jauchzen, Kichern, Johlen, Wiehern, Brüllen, Baß und schrille Hochtöne einer Riesenorgel, – Kanonenschüsse, Donnerschläge, – wir zwanzigmal überschüttet, Paolos rote Mütze fort, in den Strudeln umgezerrt – o, so wohl, so frei ist mir's nur in der Schlacht gewesen, mir, der sonst mäßigen Wind nicht erträgt. – Paolo schlägt die großen dunkeln Augen unter den triefenden langen Wimpern doch etwas ängstlich nach mir auf. »Sei ruhig, caro ragazzo, uns geschieht nichts. Das kommt nicht von den Teufeln, kommt von guten Geistern, mir zu Ehren aufgeführt, zur Labung nach all der Qual!« – Ich stürme, jauchze, donnere mit, entbunden, frei alles und jedes, was Kraftahnung in mir ist. Hohe, herrliche Trunkenheit!

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Abends im Albergo geplaudert mit den schönen Wirtstöchtern und ein paar frischen Burschen aus Nachbarhäusern. Fällt den jungen Leuten das Tanzen ein. Ich muß die Kastagnetten dazu schlagen. Es kommt toller und toller, aber stets anständig, wildes Feuer, doch ohne einen Hauch von Frechheit. Vom Saltarello zur Tarantella. Herr meines Lebens, welch mänadisches Sausen! – Plötzlich fällt mir Vikör und die Abendgesellschaft in Bergen ein. Die Kastagnetten entfallen meiner Hand, ich stürze hinaus, höre hinter mir sagen: »pare, che il Signor soffre.« Jawohl, jawohl! – Hinaus in Mitternacht wieder ans Meer. Es ist still, sanft geworden, Mondlicht. – Habe doch schlafen können.

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Von Castellamar über den Monte S. Angelo nach Amalfi. Räuber? Warnt mich nicht! Tun mir nichts. Beglückender Marsch, gerollten Mantel über der Schulter. Oben oft wie deutsch, Dörfer zerstreut, Holzhäuser mit steilem Giebel, Meisen schlagen, Buchfinken schmettern ihr Reitersignal, aber dann weit, weit der Blick hinaus auf diesen, dann auf jenen Golf. So gelöst, so entlassen! Himmelsluft!

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Ravello. Das ist nun aber doch auch ganz wie ein Traum! Hoch, hoch über dem Golf von Salerno alte, einst reiche, mächtige Stadt, ursprünglich maurisch. Paläste, Türme, Stadthaus, Spitäler, uralter, in Zopfschnörkel entstellter Dom. Baustil behielt übrigens im Rokoko immer arabische Anklänge, das Gerollte, Geschweifte lenkt in maurische Motive ein. Brunnen mit geflügeltem Löwen und Adler erzählt von sieben Jahrhunderten. – Nicht zerstört, aber fast ausgestorben. Große Terrasse weit vorspringend, schwebend auf Felsfläche über der steilen Tiefe. Unten tiefblau der Golf, Aussicht drüber hinaus wie ins Unendliche. Einsam, einsam, nur ein paar alte Herren dort, sonnen sich, sind wohl von den wenigen Nachkommen der stolzen Familien, gedenken wohl still an vergangene Zeiten wie an alte Märchen. Dort der Greis ist vielleicht ein Ruffoli aus dem Prachtpalaste da drüben. – Mein Leben wird mir auch ein Vergangenes, eine alte Sage von einem, der – –

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Eigentlich gefällt es mir so ganz doch immer nur da, wo es traumhaft aussieht. Freilich doch auch im Deutlichen, Klaren. Aber beides kann sich ja gut vereinigen.

*

Jetzt durchs Mühltal herab nach dem Golf. Meer schäumt auf an Felsen und alten Sarazenentürmen, Gang zwischen Oliven, Johannisbrotbäumen, Limonen, Orangen, Feigen, Agaven, Piniengruppen, Himmel bedeckt, laue Luft, Vogelsang aus allen Zweigen. –

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Amalfi. Was ist aus dir geworden, stolze, reiche, weitherrschende Republik! Dein alter Andreas dort in seiner Kathedrale, dem verbleichten Reste deiner Pracht, er hat dich nicht geschützt vor Pisas, Genuas Schwert und dem Rachen einstürzender Meerflut. – Da oben aber im einstigen Kapuzinerkloster, wie wohnt es sich so einzig still, so frei gehoben! Als Einsiedler da herabschauen? Nein, nicht Ritter Toggenburg! – Weiter, Salerno zu, immer am Ufer hin, rechts das mächtige Rauschen, der ernst stahlgraue Spiegelglanz des göttlichen Elements, links ein Paradies zwischen Fels, strengem Gebirgszug und all dem herrlichen Grün mit der klassischen Zeichnung und ernsten, gesättigten Farbe. – Mittags im Nest Minari nach Kaffeehaus gefragt; weist man mich da zu der Alten. Enger Raum, Küche und Stübchen zugleich; das Weib am großen Spinnrad. Ganz gemütlich geplaudert und Kaffee gut. Was gibt es behagliches Schwatzen in Italien mit alten Frauen! Gründliche Kinderunwissenheit. Lebt so da eingesponnen im Engen, um sich dies Elysium. Gehört auch in ein altes Märchen.

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Salerno. Lange dem Meer zugehört im Bett. Tempo: stilleres, feierliches Rauschen, dann anschwellen zu Donnerton. Erzählte viel von Völkern, Griechen, Römern, Karthagern, Longobarden, Normannen, Sarazenen; sah die Roßschweife wallen, hörte ihr Allah il Allah! – Aber was raunst du mir, was rufst du mir? Darf ich bald hin ins ewig Große?

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Oder kommt mir noch ein Großes hier auf diesem geballten Weltstoff? Darf ich's noch erleben und dann zerschäumen wie die Woge? – Darf ich, – wag' ich's, zu hoffen? – mein Vaterland noch groß sehen? – Wohin mich die Wanderschritte tragen, von Deutschland ist wie von einem Nichts die Rede. Jetzt zwar Respekt vor Preußen. Gestern abend wieder im Gasthof: Signore è Prussiano? Hab' der Wahrheit die Ehre gegeben: »nein«, und dann, als ich mein Ländchen nannte, gingen den Herren alle Begriffe aus. – Nach Pästum. Schwere, dunkelgraue Wolkenwand, darunter der Himmel offen, feuchtfett, giftig schwefelgelb glühend. Dunkel auf diesen Hintergrund gesetzt die alterbraunen Tempel, voran die stämmigen Säulen des Neptuntempels mit den breit ausgeladenen Wülsten. Da malt sie der Himmel hin, die Elegie des Völkerschicksals. – Bin doch plötzlich wieder aufgebrochen, es ging zu tief jetzt, jetzt, da ich horche, wann die Sonne in Donnergang aufsteige für mein Volk. Und die fiebergelben Menschen, die mich anbetteln, denen ich nicht helfen kann! Da regt sich die alte Zwecknatur wieder: entsumpfen, dann Anbau? reißt mich aus der Betrachtung des Bildes als Bild – in Pein hinweggereist.

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Palermo. Fahrt hierher von Neapel in reinem Aether, alle Götter günstig, Phöbus strahlend, Poseidon lachend, Delphine umher spielend, in Bogenschüssen sich elastisch auf den Wogen schnellend, in unmalbarem Blau schwimmen die seligen Inseln und Vorgebirge. Es war ein Schweben, keine Erdenschwere mehr.

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Das Schönste des Schönen der Monte Pelegrino. Unter allen Berglinien der Welt eine edler und in allem Adel leichter gezeichnete kann es nicht geben. Wie klar und ruhig legt oben die Fläche sich über, wie anmutig biegt sich das Profil ein, ehe es hinabrinnt, sich in die Horizontale von Land und Meer aufzulösen! O, wären die Linien meines Lebens so wie diese, o, senkte es sich so schön herab, in so reiner Kurve, wie dieser Berg sich herniedersenkt zum Meere! Und wäre die Farbe meines Lebens so rein blau wie das Meer, das ihn widerspiegelt!

*

Die Hohenstaufengräber in der Kathedrale kann ich nicht zum zweitenmal sehen. Hic situs est magni nominis Imperator et rex Siciliae Fredericus II. – – Kann nicht zur reinen Anschauung, nicht zur ungeteilten Stimmung gelangen vor dem Porphyrsarg. Der Hohenstaufen schiebt sich mir in die Bildkammer der Phantasie herein, wie ich ihn einst gesehen, in Formen so schön, als stände er nicht neben deutscher Alb, – kahl, matt rötlich beleuchtet von der Abendsonne. Verliere mich in die Frage, ob es geschichtliche Notwendigkeit gewesen, daß diese großen Kaiser Stiefväter ihrem Heimatland waren. Erwäge das vielbesprochene Für und Wider. Es gräbt, bohrt, sticht in mir, daß unsre Geschichte Gipfel hat, die keine Gipfel für unsre Nation sind. Alte Pein, einem belächelten Volk anzugehören, wacht auf. Werde mir nun selber bös, daß ich angesichts des großen Gegenstandes Auge und Gefühl nicht rein gegenständlich stimmen, meinen Vorsatz, die Politik zu lassen, nicht halten kann. Also eben fort, hinaus wieder an den Hafen, meinem Liebling, meinem Herzblatt gegenüber, dem Monte Pelegrino!

*

Die reinen Heiden sind sie doch! Man muß zürnen und lachen, lachen und zürnen. Führen da ihre Heilige als Puppe auf Prachtwagen herum wie die Alten ihre Götter. Blumenwesen, Feuerwerk mit Girandola, Musik, große Gugelfuhr. Wer war wohl einst die heilige Rosalia? Geborene Minerva, Diana, Juno? – Es sind Kinder, enfants terribles, diese guten Leute, gestehen nur ganz, sagen nur heraus, was allerwärts nicht besser ist, nur anderswo mehr inwendig stecken bleibt.

*


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