Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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Zur bestimmten Zeit erschien pünktlich der Druide mit den Gemeindeältesten und den Singknaben. Er lud die Gemeinde feierlich ein, seinen Hymnus nun vollstimmig als Tischgebet zu singen, – nur das erste der drei Glieder, wobei der einfacheren Melodie wegen die Vorsänger genügten. Die Musiker waren schlechtweg zu sehr erschöpft, das zweite und dritte Glied vorzutragen, und ohne ihre Mitwirkung war es unmöglich, diese kunstreichen Gefüge mit ganzer Gemeinde zu singen. Alles Volk hatte sich die alte Weise schnell wieder im Gedächtnis aufgefrischt, und mit wenig Anstoß wurde das ebenso verständige als fromme Festlied abgesungen. Gern setzte man sich jetzt und hob zum leckeren Mahle die Hände.

Wir überlassen nun die tatlustige Gesellschaft im Glanze dreifacher Beleuchtung dem Genusse dieser Herrlichkeiten. Es ist lieblich, im grünen Haine umstrahlt von seenhaftem Lichte zu speisen, und unsre Pfahlmänner bedrängte es wenig, daß die drei langen Tafeln eigentlich keine Tafeln, sondern aus quergelegten Prügeln nicht allzu eben hergestellte Flächen waren; lagen doch Bastdecken darüber gebreitet, welche das so ziemlich ausglichen und den Schüsseln einige Standfestigkeit gönnten. Nur die Männer sehen wir vereinigt; das Frauenvolk mußte zu Hause bleiben; ihnen wurden je nach einem Gang des Festschmauses die übriggebliebenen Brocken zugetragen, woraus sich denn auch die Frage beantwortet, ob denn der Speiszettel für die bloße Hälfte der Gemeinde nicht zu reichlich sei. Die schönere saß in den geräumigeren Häusern des Dorfes zusammen, unter heiteren Gesprächen auf die willkommenen Abhübe wartend, und zwar an solchen Abenden beim Tee. Chinesischer war das freilich nicht; vielmehr ein Sud aus Schlüsselblumen, Holder und Schlehblüte, der mit Met ausreichend versüßt wurde. Da war denn der Genuß der schwatzenden Zunge fast gleich hoch geschätzt wie der schmeckenden, das Gespräch fiel schnell auf dankbare Stoffe, wie die halb bekannten, halb geahnten Vorgänge in Odgals Haus, Sigune, Alpin, der eingetürmte Fremdling, und man kann sich denken, daß schnell genug der Mythus sich beeilte, aus dem Einfachen und dem Dunkeln sein buntes und glänzendes Gewebe zu spinnen. In einem dieser Teezirkel erwartete man vergeblich die Nachbarin Sigune. Eine Frau ging in ihr Haus, sie herbeizuholen, und fand sie mit Packen beschäftigt; sie wickelte eben einige Speisen: Schinken, Wurst, Brot mit einer wohlgepfropften Holzflasche zu einem Päckchen zusammen. »Was machst?« sagte die Nachbarin, »was packst da?« – »Es ist für Alpin,« erwiderte sie, »der morgen weit hinaus in den Wald gehen muß, nach einem verlaufenen Rind suchen, auch nach den Wolfsgruben sehen will, ob keiner sich gefangen hat.« Auf die Einladung, gleich zur Gesellschaft mitzugehen, sagte sie mit befangener Stimme, das Kleine sei so unruhig, sie fürchte, der Scharlach breche aus; wenn das Kind ruhig werde und ordentlich schlafe, komme sie wohl nach. Mit einem fragenden Blick entfernte sich die Nachbarsfrau. – Wer nicht nachkam, war Sigune.

Bei den Männern draußen kam über der ernsteren fachlichen Tätigkeit nur langsam das Gespräch in Fluß; erst als man beim Mittelpunkte, ja eigentlich erst als man bei dessen zweitem Abschnitt, dem Bratenstadium, angekommen, wurde es warm und lebhaft, dann aber schnell anwachsend so mächtig laut wie die brüllende See; denn die Pfahlbewohner hatten gar kräftige Stimmen; man hätte sie Luftstimmen heißen können, weil sie in der Tat für geschlossene Räume nicht angetan waren; sprachen hier auch nur zwei oder drei, so hätte ein Menschenkind unsrer Zeit mit seinem gezähmten Organ nicht mehr daneben aufkommen können und bei dem bloßen Anhören der tief geholten Rachentöne einen Hustenanfall erlitten. Die Getränke taten das Ihrige, die Seelen und Kehlen zu befeuern, und da jegliches Ding, das sich ohne Einhalt steigert, einen Grad erreichen muß, wo es umspringt und überschlägt, so trat nun eine Erscheinung ein, die wir am passendsten schildern, wenn wir am Bilde von der bewegten See festhalten.

Wenn man dem Spiele der Meereswogen zuschaut, so wird das Auge besonders von der Art gefesselt, wie sie, auf ihrer Höhe angekommen, sich auflösen. Die Welle hat zuerst einfache stumpfe Kegelform, dann wächst sie auf der Seite, woher der Wind weht oder die Flutbewegung geht, zu einem Schwanenhals an und bildet auf der entgegengesetzten eine Hohlkehle; jetzt, wenn sie reif ist, fällt der Kamm des Halses schäumend über diese Hohlkehle herunter, und die furchtbare Tönewelt eines Seesturms rührt nicht zum geringsten Teile von dem Donner dieser niederbrausenden Wasserfälle. Die Auflösung der Wogen beginnt bald an einer Stelle, die dem Auge des Zuschauers so entfernt liegt, daß sie ihm als das Ende erscheint, bald in der Mitte, bald aber auch an zwei Enden und so, daß die Bewegungen des Zerschäumens nach der Mitte zugehen und hier zusammentreffen.

So nun begann am einen Ende des mittleren der drei Tische, an welche die Gesellschaft verteilt war, das Gespräch der Männer, auf der Höhe seiner Kraft angekommen, sich in eine Kraftäußerung andrer und zwar jener tätigen Art aufzulösen, welche wir durch das Wort Keilerei zu bezeichnen pflegen; gleichzeitig nahm derselbe Umsprung seinen Ausgang am andern Ende, beide Bewegungen wälzten sich fort nach der Mitte, wo der Druide saß und neben ihm die zwei Barden die Ehrenplätze einnahmen, und rissen auch diese würdigen Personen in ihre Wirbel. Die Ursache des Umsprungs war eine andre am oberen, eine andre am unteren Ende. An jener Stelle hatte sich ein Gespräch über den Wert der beiden Hymnen zum Zank erhitzt. Dort saß Gwalchmai, den wir bereits als ein Mitglied jenes Kreises kennen, welcher vom Druiden die Einladung der zwei Barden von Turik erwirkte. Er kam mit einem Normalhuster, der ihm gegenübersaß, einem alten, aber heftigen Manne, in Streit über den Hochgesang Kullurs. Dies war Morbihan, den wir als einen der Zeugen wider Arthur schon im Hause des Druiden gefunden haben. Derselbe nahm sich eifrig des dreigliedrigen Dichtwerks von Angus an und ließ sich von der Leidenschaft hinreißen, seinen Gegner einen Narren und Schwindelkopf zu schelten, Gwalchmai gab es heim mit: langweiliger und noch dazu giftiger Normalhuster. Dieses Wort, das wir bisher ohne Fährde gebraucht haben, war in der damaligen Gegenwart ein gar hartes, und hatte oft genug die Losung zu Schlägereien gegeben; der Beleidigte ballte die Faust und schlug den Gegner derb über den Kopf, der war nicht faul und gab es mit einer Maulschelle heim. Die zwei saßen sich schief gegenüber; nun wollte es das Unglück, daß neben Morbihan Griffith faß, ebenfalls einer aus jener Gruppe, die wir als eine Art Linke bezeichnen, und wiederum diesem schief gegenüber Avagddu, ein Mann der Partei, die wir nun folgerichtig als Rechte bestimmen dürfen; wir werden ihn wie Morbihan in unsrer Geschichte noch weiterhin beteiligt finden. Diese zwei hatten sich über die Rede Kallars ereifert, Griffith hatte ihn einen zweiten Merlin genannt, was Avagddu so empörte, daß er den Barden einen duckmäuserischen Grippodiener schimpfte, hier war der Mann der Linken der zornigere Teil, schlug mit der knochigen Faust hinüber, und Avagddu blieb den Schlag nicht schuldig. Nun hatte es aber bei dieser Aktion zweier Paare, die sich übers Kreuz schlugen, nicht sein Bewenden, die Nachbarn wollten zuerst Einhalt tun, bekamen dabei Püffe weg, wurden darüber aus Friedensstiftern Mitprügler, und so lief es denn fort wie der ununterbrochene Schaumstreifen der überstürzenden Woge.

Am andern Ende war der Ursprung desselben Aufruhrs nicht ebenso geistiger Art. Hier war einem biedern Holzhauer ein Unschick begegnet. Wir müssen eine kulturhistorische Bemerkung voranschicken. Das Fleisch wurde zerschnitten aufgesetzt. Es gab ja, wie wir längst wissen, keine ordentlichen Messer, und von fassenden Gabeln konnte ohnedies nicht die Rede sein. Ein Vorschneider nahm in der Küche die Zerlegung vor mit einer der äußerst seltenen Klingen, die beim Zerschlagen des Feuersteins lang und scharf genug ausgefallen war, um dies Geschäft damit zu versehen; auch so bedurfte es noch besonderer Kunst, und demnach gab es denn auch in diesem Gebiete Techniker. Auf großen Holztafeln wurde die Frucht der Vorschneidarbeit ausgesetzt und jeder Gast nahm sich seinen Bissen mit dem Naturwerkzeuge der Hand. Löffel aber gab es, aus Horn und feinem Holze gar nicht übel geschnitzt, wiewohl etwas groß. Man bedurfte ihrer doch zu Suppe und Gemüs; gewöhnlich holte sich jeder seinen Schub aus der gemeinschaftlichen Schüssel und führte ihn geradlinig zu Munde. Bei Festschmäusen aber hatte ausnahmsweise, um die würzreiche Brühe, die zu den auserlesenen Fleischspeisen gehörte, mit Ruhe und Verstand genießen zu können, auch der einzelne seinen Teller, d. h. seine mit schwerer Schnitzkunst erträglich konkav gebildete Holzscheibe. Das Abtropfen des Fetts, wenn der Esser seinen Bissen aus der gemeinschaftlichen Schüssel zum Mund herüberhob, hatte zu dieser Neuerung den Anlaß gegeben. Nun aber führte das noch zu einer weiteren Geltendmachung der einzelnen Persönlichkeit: man benützte den Teller, um den Fleischbrocken nach eignem Geschmack noch etwas mehr ins Spezielle zu bearbeiten, als der vielbeschäftigte Vorschneider es getan. Dies geschah mit dem Steinmeißel, den jeder sich mitbrachte. Ueber das Verfahren haben wir unsern modernen Leser bereits aufgeklärt: das Werkzeug wurde am Hirschhorngriff gefaßt, auf das Fleischstück aufgesetzt, und die Hand war hart genug, um als Hammer zu dienen.

Leicht wird man jetzt den Zufall begreifen, der dem guten Holzhauer begegnete. Seine schwere Faust schlug etwas zu stark, stieß Meißel und Fleischklumpen über den Teller hinaus, und die Brühe spritzte dem Nachbar Zimmermann ins Gesicht. Der fuhr auf und schrie: »Kaib!«

Der reißend schnelle Hergang muß einen Augenblick mit einer erläuternden Bemerkung unterbrochen werden, die der Leser billig erwartet. Das Wort Kaib war Entstellung eines hohen Ehrennamens. Der oberste Druide hieß, wie man sich erinnert, Coibhi-Druid, Druidenhaupt. Es kam auf, dies Wort ironisch anzuwenden, so daß es das Gegenteil seines Sinns bezeichnete; um den Frevel zu mindern, sprach man es unrichtig aus, wie wir heute noch mit Wörtern heiligen Sinns verfahren, wenn wir sie zu Fluch oder Schimpf mißbrauchen. Man begreift, daß es in einer Zeit, wo dieser sein Ursprung noch bekannt war, für ein sehr starkes Scheltwort galt. Kein Wunder denn, daß dem bespritzten Zimmermann zu der Brühe alsbald noch eine Ohrfeige ins Gesicht flog. Des Zimmermanns nahm sich tatkräftig der Nachbar Fleischer an, des Holzschlägers der nicht so leibstarke, aber behende Schneider, und das weitere ergibt sich durch Vergleichung mit dem Hergang am andern Ende: die Handlung war im Gang und bewegte sich mächtig in der entgegengesetzten Richtung.

Wir können also sagen: die Wogenschäumung ging von zwei Polen aus, dort einem idealen, hier einem realen. Noch ehe aber diese zwei Sturzbewegungen die Mitte erreicht hatten, wurden sie durch zuwachsende seitliche Strömungen noch wesentlich verstärkt. An dem einen der zwei übrigen Tische saßen die ledigen Bursche. Sie waren bereits nicht besonders nüchtern zum Schmause gekommen und hatten sich dennoch den Met und Obstsuser tüchtig schmecken lassen. Die Unterhaltung galt den Ereignissen des Schützenfestes, den besten Schüssen, den Gewinnen. Manches Hoch wurde ausgebracht, man rühmte sich gegenseitig in blühenden Trinksprüchen; das Andenken sagenhafter Schützen aus der Vorzeit wurde gefeiert, in deren Ruhm die späten Enkel gerne sich sonnten. Aber man neckte sich auch mit verfehlten Schüssen, und der Neid um glückliche glostete als verborgenes Feuer in manchen Gemütern. Dabei entzündete sich anderweitiger Brennstoff: Eifersucht um Mädel, die unter der Decke glomm und gelegentlich zum Ausbruch kam. Einer der Bursche, Dubrach mit Namen, hatte gar ungern gesehen, wie der Tanzdichter Hopp-Hoppodur die reizende Gwennywar zum Tanz aufzog, denn sie war seine Flamme. Der heitere Künstler hatte sich als Junggeselle zu den Burschen gesetzt, obwohl er um etliche Jahre über sie hinaus war. Dubrach fing an, mit Scherznamen wie Tänzerling, Hüpfmeister, Flederwisch herauszurücken, bei letzterem Wort sprang der behende Mann auf, war mit einem Satz über dem Tisch, mit einer flinken Schwenkung saß er dem breiten Spötter auf den Schultern, hatte die Hände an seinen Ohren und zog und zwickte ihn scharf in die Läppchen. Man lachte, aber es blieb nicht lang beim Scherz. Dubrach wurde wild, da er den festeingeklemmten Reiter nicht abzuschütteln vermochte, fand Bundesgenossen, andre sprangen dem Tänzer bei, die Aufregung pflanzte sich auf die übrigen fort, es gab ein Gezerre und schnell ging der Spaß in Ernst, in Taten über. Nun brach es aber auch hier noch auf einem zweiten Punkte los. Zwei Jägdler, schon bejahrtere Hagestolze, die sich aber ebenfalls zu den Burschen gesetzt hatten, ereiferten sich in einem Gespräch über die Frage, was als wesentliches Merkmal der Hirschlosung zu bestimmen sei. Der rothaarige Caractac behauptete, das wahre Kennzeichen sei die Gestalt, bestehend in einer Reihe verbundener, nußförmig runder Körper, wogegen der spitznasige, schwarze Llywelin festhielt, das wichtigere Merkmal sei der weißliche Schleim, womit dieses Gebilde netzartig wie mit Spinnwebe überzogen sei. Man sieht, es war eigentlich ein Gegensatz von plastischer und malerischer oder, genauer zu sagen, zeichnerischer Anpassung. Da keiner den andern überzeugte und keiner nachgab, so war der Streit zwischen dem Plastiker und dem Pittoresken oder Skizzisten bald nahe daran, zu schließen, wie der Disput der Völker zu schließen pflegt, wenn die Gründe und Gegengründe erschöpft sind. Auf diesem Punkte standen denn eben die beiden Gruppen, als das Brausen der Schlacht am mittleren Tisch anhub. Beide vergaßen augenblicklich den eignen Span, dort verlor der Reiter den Schluß, sprang ab, hinüber mitten ins Gewühl, nicht minder beeilten sich die nächsten, die geballte Kraft vielmehr nach jenseits zu entladen, hier die zwei Jägdler machten es ebenso, dann nacheinander, wie Eisen vom Magnet angezogen, flogen sämtliche jugendliche Ansassen dieser Tafel ebenfalls nach der Mitte hinüber und schlugen blind darauf, wo es nur hinging.

Am dritten Tisch saßen Verheiratete, so viel ihrer am mittleren Tische nicht Platz hatten, ältere, jüngere durcheinander. Hier hatten sich, kühn genug, einige Stimmen des Mitleids mit Arthur vernehmen lassen; zuerst der verständige Massikomur, der Finder der uralten Pfahlzeitreste im Seegrund, hatte es gewagt, den vermessenen Redner mit seiner Jugend zu entschuldigen; er hatte in ein Wespennest gestochen, eine milde Rede hatte eine wilde, eine wilde eine wildere gegeben, und so stand auch hier alles in Feuer und Flammen, als der Krieg am mittleren Tisch ausbrach und schnell den zweiten in seinen Krater hineinriß. Da war denn auch für Gesetztere kein Widerstehen mehr und in wenigen Augenblicken die ganze Gesellschaft aller drei Tische nur ein ungeheurer Knäuel wildbewegter, klopfender und klatschender Glieder, worin eine deutliche Form, ein deutlicher Ton nicht mehr zu unterscheiden blieb. Man sah gehobene Arme, man sah auftauchende Köpfe, in der Luft baumelnde Beine, man sah breite Rücken und darüber dreschende Fäuste, aber jegliches Gebilde verschwand blitzschnell vor dem schwindelnden Auge, das in die Schlünde der Charybdis zu sehen glaubte.

»Wessen Auge? Da gab es ja keinen Zuschauer!« O ja, doch! – Wir haben noch keinen Augenblick gefunden, des näheren zu erzählen, wie die Wirbel der Doppelbewegung am mittleren Tische nun dessen Mitte ergriffen, wo zwischen den zwei Barden der Druide saß. Der würdige Mann war nicht so überzart, nicht gegenzuwirken, als er von links und rechts Püffe erhielt; in der Tat erfreute sich jenes ganze Zeitalter noch eines hinreichend frischen Natursinnes, um es nicht gar so fürchterlich zu finden, wenn ein Druide oder Barde einmal in die Wechselwirkungen einer Prügelei hineingerissen wurde. Es konnte als Zufall gelten, daß der Barde Kullur einen seiner ersten Hiebe zu fühlen bekam, dieser jedoch nahm es – aus Irrtum oder nicht, bleibe dahingestellt – als Absicht, zog mit der gedrungenen Kraft seiner kurzen, stämmigen Glieder den großen, etwas fetten und eben nicht abgehärteten Mann über die Bank herüber und bearbeitete gründlich seinen breiten Rücken, gründlicher seinen fetten Sitzmuskel. Es geschah eigentlich nicht aus Unmut wegen der Hymnenkonkurrenz, vielmehr im Grund einfach, weil er ihn und seinesgleichen überhaupt nicht leiden konnte. Des weiteren aber verschwanden beide in den allgemeinen Wogen des Getümmels und waren als einzelne Wellen nicht mehr zu unterscheiden. Anders der Barde Kallar. Er wußte sich mit großer Gewandtheit nach den ersten Zerrungen und Stößen aus dem Gewirre zu entwinden, beiseite zu treten, stand, da niemand Zeit hatte, ihn zu bemerken, ganz ruhig an einem Eichstamm und beobachtete mit übergeschlagenen Armen, gelassen lächelnden Lippen das Schauspiel wie ein merkwürdiges Naturereignis. Das ist die Ruhe, welche die Wissenschaft gibt! Er genoß sie rein, wolkenlos, ohne den geringsten Verdruß über das heißere Blut seines Kollegen.

Jedes Drama hat sein Ansteigen, seine höchste Verwicklung, aber auch seinen Ablauf, seinen Schluß. Die Kämpfer sättigten sich, wurden müde, die Schläge fielen seltener, Ausruf und Schrei begann sich zu legen, und endlich trat Meeresstille ein.

Koch, Knochenschlitzer, Vorschneider mit ihren Gehilfen traten jetzt aus der Schußweite der Küche hervor; sie hatten ein solches Schauspiel nicht zum erstenmal gesehen und beeilten sich nun, die zerzauste Matte wieder zu ordnen, die zerbrochenen Schüsseln und Krüge wegzunehmen, neue aufzutragen, inzwischen verschnauften die Kämpfer und setzten sich dann geruhig wieder an ihre Plätze. Sie hatten eine Erfrischung genossen, die zum jährlichen großen Opferschmaus in Wahrheit niemals fehlen durfte. Wer möchte sie verdammen? Ist nicht das Essen eine träge Art von Genuß, der es gar wohl ansteht, in einer Beigabe mannhafter und aktiv bewegter Art ihre Ergänzung, ihren höheren Schmuck zu finden? Auch waren sich die Pfahlbewohner wohl bewußt, daß dieser bewegungsreiche ornamentive Zusatz zugleich ein Ersatz sei für eine Einrichtung, die ihnen fehlte: gymnastische Uebung; ihr Speiseplatz wurde so ihr Turnplatz; ihre Körper, eckig und schwerfällig von harter Arbeit, wurden durch diese Knetungen (jetzt: massage) geschmeidigt; die Schlägerei hatte eine muskelbildende – sage griechisch: myoplastische –, nebenbei zu erwähnen auch eine entschieden verdauungsfördernde Wirkung; man darf hinzusetzen: sie vertrat durch den gesunden Schweiß, den sie mit sich brachte, die Stelle von römisch-irischen Bädern, welche die Pfahlmänner noch entbehrten; sie badeten ihn ihren Seen, aber der Mensch bedarf von Zeit zu Zeit auch eines Dampfbades. Ja, ungleich Höheres noch dürfen wir behaupten: die Wirkung war auch eine seelenbildende, denn ein gewisser sanfter Friede: ein calmo di mare pflegte nach diesen Stürmen auch auf die Gemüter sich zu senken, und dagegen kamen ein paar Schrammen und Beulen doch wirklich nicht in Anschlag. Unbedingt war freilich solcher Ruhe des Meeres nicht zu trauen. Oft folgt ja auf einen Sturm ganz unerwartet ein zweiter; eine müde, scheinbar erstickte Granatkugel fährt oft noch einmal empor, zerplatzt und tötet rings, was ihr begegnet. Nicht bei allen Mitgliedern der Gesellschaft hatte sich Einnahme und Ausgabe in der Prügelrechnung befriedigend ausgeglichen. Wer konnte wissen, ob es nicht da und dort unter der Asche noch unheimlich nachglimme!

Vorerst sollte sich zeigen, daß dies wenigstens beim Druiden der Fall war.

Körperlich war zwar auch ihm die Motion im allgemeinen ganz gut bekommen. Wir wollen nur verraten, was wir bisher noch rücksichtsvoll verschwiegen haben: sein letzter war nicht so musterhaft verlaufen, wie es für einen voranleuchtenden Druiden sich ziemte; er hatte ihm einen rheumatisch krummen Hals zurückgelassen. Die Durcharbeitung, die gründliche Walkung hatte ihn jetzt kuriert: sein Kopf stand wieder gerade auf seinem Rumpf. Aber sein Inneres war nicht gerade, nicht still und weich geworden. Er hatte vor der motorischen Episode wenig gesprochen, starr vor sich hin gesehen; jetzt, obwohl er die passive und aktive Teilnahme an der Kraftäußerung der Gemeinde im ganzen als eine wohltuende nachfühlte, verhielt es sich doch anders mit einem Bruchstück derselben: im allgemeinen Durcheinander hatte es sich doch seiner Wahrnehmung nicht entzogen, wer es war, der ihm auf seine Sitzgegend so tüchtig aufmaß; das brannte nun empfindlich nach, eine prickelnde Glut stieg aus dem unteren Teil seines Organismus empor und traf oben, in Herz und Hirn, mit dem verhalten gärenden Grolle zusammen. ›Wartet, ihr Barden,‹ dachte er, ›Schlag gegen Schlag! Kann ich euch nicht treffen, euern Freund, euern Gesinnungsgenossen werde ich zu erreichen wissen!‹ Er schwieg, bis alles wieder saß; er selber zog vor – wie ihm dies ohnedem der eben bemerklich gemachte Zustand der Basis seiner Persönlichkeit anriet – sich nicht niederzulassen. So stand er, nicht schmunzelnd wie sonst. Die kleinen Augen waren in die Höhlen zurückgesunken, erst wie erloschen, dann fingen sie an, sich krebsaugenartig hervorzutreiben und wieder zu funkeln. Die Haarstränge, die von hinten über seine Glatze herübergezogen und festgeklebt waren, hatten sich losgemacht und ragten unter der hohen Pelzmütze, die nach den Körperübungen Morbihan wieder aufgelesen und ihm aufgesetzt hatte, lang und fetzig, ein verrückter Zackenkranz, hervor. Er hatte sich das große Trinkhorn mit Metbock füllen und reichen lassen; es war ein altes Erbstück der Gemeinde aus der Stirnwaffe eines Urs, das an hohen Festen umging. Er hob es, er rief: »Der großen Göttin!« stieß ringsum an und tat einen tiefen Trunk. »Den zweiten dem großen, finsteren und heilig zu scheuenden Urwurm Grippo!« Er tat einen zweiten noch tieferen Zug, reichte das Horn weiter und sah dann, als störte ihn etwas im Fortsprechen, hinter sich nach der Feldküche. Hier gab es eine Bewegung, der Koch Sidutop kam jetzt herbei und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Er komme und melde!« sagte Angus; der Koch eilte zurück, und gleich darauf trat ein Mann vor, todesbleich, zitternd an allen Gliedern, in voller Bewaffnung, der Speer schwankte hin und her in seiner schlotternden Rechten. »Sprich!« befahl Angus. Es war einer der zwei Wächter an Arthurs Gefängnis. Er stammelte daher: »Seit einer starken Stunde – dort – unten – oben – neben – in den Lüften – wo? was? ein Ton – Töne – entsetzlich – ein Fauchen – Prusten – Schnarren – Rumpeln – Krähen – lautes Heulen – Brüllen – dumpfes Murren – o! o! au!« Die Sprache versagte ihm, er taumelte an einen Eichenstamm, preßte den Rücken daran und hielt mühsam so die lummelnden Glieder aufrecht. Einige kritische Augen meinten zu bemerken, es sei nicht bloß Entsetzen und Angst, was seine Organe lähme. Der Druide ließ diesen Zweiflern keine Zeit zu näherer Prüfung. Er richtete sich steiler auf und begann feierlich:

»Ihr habt es gehört. Die finstere Gottheit zürnt, verlangt ihr Recht, schwebt grollend um den Kerker des Frevlers! Der gewaltige, dunkle Grippo hat zu lange ein Menschenopfer entbehrt. Darum hat er unser Böcklein verschmäht. Wunderbares Wehen und Rauschen habe ich verspürt, Geisterstimmen habe ich vernommen heut abend im heiligen Innersten des Haines. ›Geuß mich mit Sünderblut!‹ rief hohler Tiefton aus den Aesten des Schauergebildes. ›Versöhne ihn!‹ lispelte es aus zitterndem Birkenlaub. Fromme Metheiden! ein Unheiliger, ein Götterfeind, ein Lästerer weilt in unsrer Mitte. Ihr kennt mich, ihr wißt, ich bin eigentlich ein Mann der Billigkeit. Ich lasse der denkenden Vernunft einen Spielraum. Zweifel ist bis an gewisse Grenzen erlaubt. Wir haben Köpfe in der Gemeinde, welche an den heiligen Zahlen fünfunddreißig und neunundvierzig zu rütteln wagen betreffend die Feen der Göttin Selinur und die Zwerggeister des Grippo. Ich habe diese Grübler nie verfolgt, nur sanft gewarnt. Ich selbst habe mich durch Zweifel zum Glauben durchgekämpft. Aber zu viel ist zu viel. Es darf nicht an den Kern, an die Wurzel, nicht an die Hauptkapitel gehen. Dieser Fremdling hat aber unsre allerheiligste Religion in ihren Grundwahrheiten verspottet, schon ehe er in die wildfrechen öffentlichen Reden ausbrach. Er hat unsre ehrwürdige, hochwichtige Betuchungs- und Ritzungsfeier belacht; er hat giftscharfe Worte fallen lassen, dahin zielend, daß unser Glaube keine Kraft mehr habe, die Völker zu erziehen; sie sind mir von treuen Seelen hinterbracht worden. Ich weiß mehr: er hat einem ehrsamen Jüngling der Gemeinde nach dem Leben gestrebt in höllischer Eifersucht, da er eine Tochter unsrer Gemeinde zu verführen, zu entführen trachtete, die dieser edle, gottesfürchtige Sohn Odgals lieb hat und freien will.« –

Man schaute umher, aller Augen suchten Alpin. Stimmen ließen sich hören: »Wo ist er?« Die ledigen Bursche riefen: »Er fehlt schon den ganzen Abend.« – »Ja, seit dem Festschießen schon.« – »Halt, er wird ermordet sein!« rief eine spitze Stimme aus der Männerschar. Ein Murren, ein Flüstern ging durch die Versammelten, das sich zu tumultuarischer Unruhe steigerte. Vergebens rief Odgal: »Mein Sohn ist gesund und wohl vom Schützenfest zurückgekommen und hat zu Hause gegessen um Mittag; wer sollte ihn denn in der Zwischenzeit ermordet haben, Arthur ist ja gefangen!« – »Der Gauner kann verborgene Helfershelfer haben,« schrie eine heisere alte Kehle. Kurzes allgemeines Stillschweigen, dann neues Flüstern, dumpfer, dunkler, unheimlicher als das vorige; Wechselblicke des Verdachts, gehässige Aufregung von Nachbar gegen Nachbar, anzügliche Reden untereinander, alles zu einem Getöse anschwellend, worin die Mahnungen einiger Nüchternen, namentlich der Barden, man solle doch erst nach dem Vermißten suchen gehen, rein überhört wurden. Ein ruhiger Zuschauer hätte bemerken können, daß eine zusammenhaltende Anzahl von Hetzern geschäftig war, zu schüren und durch wiederholte Ausrufe: »Mörder! Mörder!« die aufgescheuchte Phantasie noch wilder in das dunkle Bild eines vorgestellten Verbrechens, einer geheimen, schleichenden, bösen Macht hineinzuverwickeln. Schon fingen die Vernünftigeren an, selbst beirrt zu werden, sonst hätte sich doch müssen eine Minderheit zusammentun, die stark genug war, durchzusetzen, was die Barden verlangt hatten: daß nach Alpin gesucht werde.

Es war der Druide, dem es gelang, mit gebieterischem Befehl sich eine Stille zu erzwingen. »Vielleicht auch Mörder!« rief er, »aber er ist gerichtet auch ohne das! Er hat in seiner schamlos frechen Rede, den heiligen Wagstein schändend, indem er ihn zu seiner Kanzel machte, unsre Obergöttin zwar gelten lassen, aber nur in bedenklichem, hinterhältigem Sinn. Den furchtbaren Grippo hat er geleugnet. Die Lehre vom unbekannten Gott hat er wahnsinnig ausgedeutet, hat sich vermessen, uns eine undenkbare neue Gottheit aufdrängen zu wollen. Und das Abscheulichste: wißt ihr noch, wie er sprach von drohendem Ueberfall fremden Volkes, das unsre Hütten plündern, sengen, unsre Kinder niedermetzeln, unsre Weiber und Töchter schänden, in Gefangenschaft führen werde? Da predigte er Widerstand durch Menschenkraft ohne Grippos Hilfe! Was? Wie? Wer ist der, der uns des Beistands der Gottheit entblößen will, wenn unser Hab und Gut und Leben und das Leben von Weib und Kind bedroht ist? Nicht nur ein Ketzer, ein Hochverräter ist er! Ihn, ihn fordern, wie die Geistertöne im heiligen Hain, so die furchtbaren Laute, die über den Wassern um sein Gefängnis Luft und Ohr erschüttern! ›Gebt ihn mir,‹ ruft Grippo, ›gebt ihn uns,‹ seine Geister! Verloren seid ihr, wenn ihr das Opfer weigert, gerettet, wenn ihr es bringt! Ihr wißt, daß aus eurem Seelenhirten nicht Leidenschaft spricht, der Verbrecher ist in aller Form abgeurteilt; reiche mir [den Stab], Dyfuwal, du rechtgläubig Frommer, der du mir zuerst jene Hohnworte des Erzketzers getreulich hinterbracht hast!«

Einer der Alten in seiner Nähe erhob sich, jener Unheimliche, den Alpin vor dem Zweikampf nebst andern bei dem Druiden getroffen hat, ein hohläugiger Greis, groß und dürr, vom Alter gekrümmt, mit langem, doch sparsamem weißen Barte, der in zwei Strängen vom spitzen Kinn niederhing; er trat an einen hohen Busch, über den eine Bastmatte gebreitet war, hob sie, wollte hineingreifen, fuhr aber wie von Scheu überwältigt zurück, denn aus dem Busch richtete eine Gestalt sich empor, ganz in Schwarz gekleidet, ein Weib mit gelbem Gesicht, mit starren, weit aufgerissenen Augen, hoch in der Hand einen weißen Stab haltend. Geheimnisvolle Zeichen, eingeschnitten, mit Rot bemalt, waren darauf zu sehen. Es war Urhixidur. Dyfuwal überließ ihr ohne Widerrede, was eigentlich sein Geschäft war. Sie reichte den Stab dem Druiden, zog eine der Fackeln aus der Klamme, die sie am Pfahle festhielt, und beleuchtete den Stab in Angus' Hand. Man konnte jetzt sehen, daß das Rot der Zeichen aus Blut bestand.

»Hier ist das Urteil,« rief der Druide, den Stab hoch emporstreckend. »Wer sind die Richter?« riefen gleichzeitig die zwei Barden, »nur ein Beschluß der Volksgemeinde kann Todesurteil fällen.« – »Das ist nicht Gesetz, nur Brauch,« rief Angus.– »Ererbt, verjährt, durch die Jahre geheiligter Brauch!« entgegnete Kullur. Jetzt trat schnell Sigunens Vater, Odgal, vor und sprach: »Er war mein Gast, verklage ihn, wenn du willst, förmlich vor der Gemeinde, er soll nicht ungehört, nicht unverteidigt gerichtet werden!«

»Das gemeinschaftliche Amt,« erwiderte der Druide, »ist befugter Vertreter der Gemeinde, ich habe zu den zwei Aeltesten, die mir in Sachen des Gottesdienstes zur Seite stehen, vier weitere beigezogen, die vom Volke gewählten, dem obersten Haupt und Richter, dem Druiden, an die Hand gegebenen Berater und Verwalter der weltlichen Dinge – lies,. Urhixidur! lies das Urteil, das nun dem Verbrecher soll verkündigt werden!«

Sie sagte zuerst in trockenem, litaneiartigem Tonfall das Urteil her, als läse sie es vom Runenstabe herunter; in der Tat war sie sehr schwach in der Kunde dieser Schriftzeichen, konnte aber Eingelerntes sehr gut auswendig behalten.

»Im Namen des Coibhi-Druid und kraft der von Seiner Heiligkeit uns übertragenen Gewalt, zu herrschen und zu richten und auf Grund genauer und gesetzlicher, unter Mitwirkung der für Beratung geistlicher und weltlicher Dinge uns beigegebenen Aeltesten unsrer Gemeinde Robanus vorgenommener Untersuchung, auch in Uebereinstimmung mit dem Wahrspruche dieser unsrer Beisitzer erkennen wir dich, Arthur von Nuburik, schuldig der Lästerung unsrer heiligen Religion, der Leugnung der Götter und zugleich des Hochverrats, und sprechen das Urteil, daß du alsbald nach Verkündigung aus dem Kerker an den heiligen Dolmen sollst geführet und zu Ehren der furchtbaren Gottheit Grippo und gemäß dem bejahenden Willen der Weltgöttin Selinur vermittelst Aufschlitzung der Brust und des Bauches vom Leben zum Tode gebracht werden, und es soll aus den Zuckungen deiner Eingeweide die Zukunft unsrer Gemeinde Robanus geweissagt, und es soll hierauf dein Leib, tot oder noch lebendig, zu Asche verbrennet werden.

»So beschlossen in der Gemeinde Robanus und gezeichnet mit dem Blut des Böckleins.

 

Gemeinderat –:     Dyfuwal.
Morbihan.
Avagddu.
Gueyrydd.
Angus, Druide, Gwrtheyrn.
Pfarrer. Galgak.«

Die Vorleserin verstärkte jetzt ihre Stimme und ging in einen andere Ton über, denn sie gelangte an die poetische Fassung des Urteils, die nach damaliger Sitte und Gesetz der prosaischen folgen mußte. Die Anstrengung trieb ihre Stimme in die Höhe, laut und grell wie ein krächzender Nachtvogel kreischte sie in gesangartig gezogenen Tönen:

»Fest steht Stabspruch:
Sterbe, Frevler!
Steche, schlitze
Scharfe Schneide
Langen Leibschnitt,
Daß man Lung' und
Herz und Leber
Zukunftkündend,
Zeichenbringend
Zucken sehe!
Züngle, Flamme!
Zische, zehre
Ihn zu Asche!
Wehe! Wehe! Wehe!«

Diese drei Ausrufe, den hergebrachten Schluß eines Todesurteils, stieß sie mit einem Laute aus, so wild grausig gellend, wie man sich den Schrei des blutigen Kindes im »Macbeth« denken muß, das aus dem Hexenkessel steigt; es kreischt dreimal seinen Namen so entsetzlich, daß er ruft: »Hätt' ich drei Ohren, hört' ich dich!«

Kaum war sie zu Ende, so riß Angus, den Augenblick benutzend, wo Schauer alle Zungen band, eine Fackel vom nächsten Pfahl, schwang sie, rief: »Vorwärts!« setzte sich in Bewegung, ihm nach das geisterhafte Weib, in der einen Hand den Runenstab, in der andern die Fackel, die sie vorhin ergriffen hatte und nun in Kreisen über dem Haupte drehte; an sie schlossen sich rasch die Gemeindeältesten, und hinter diesen drängte sich alles, was streng und feindlich gegen Neuerungen gesinnt war; dagegen die Barden, die Männer, die wir als eine Art von Linker schon kennen, die Unentschiedenen, die sich gern einige Nüchternheit bewahrten: sie alle bedurften nur wenige Minuten, sich vom lähmenden Grausen zu erholen, dann stürzten sie sich nach, abmahnend, klagend, heftig bemüht, die vorwärts Stürmenden aufzuhalten. Durcheinander schreiend, ziehend und stoßend, zerrend und gezerrt, wälzte sich der wirre Menschenknäuel über die Opferstätte hin, wo vor Grippos Bild ein Scheiterhaufen aufgerichtet stand und rötlich im Fackellicht aufglühte, wo auf dem Dolmen schon der Coridwentopf bereit stand, das Blut des Menschenopfers zu empfangen, dann weiter der Brücke zu, worüber zuerst Urhixidur hinraste, die sich auch vor Angus den Vortritt errafft hatte. Mit sausenden Flechten stürmte sie über die polternden Planken, immer die Fackel schwingend, deren Flamme nun auf den dunkeln Spiegel des Sees ihren feuerroten Schein umherstreute – eine Eumenide, ein höllischer Dämon –, ihr nach der Druide, die sechs Aeltesten, dumpf erkrachte unter der wildbewegten, stampfenden Last des nachdrängenden Gewühls der ganze hohle Unterbau des Wasserdorfes, von fern hörte man das Geheul eines Wolfes, ein aufgescheuchter Schuhu umschwebte lautlos das wilde Heer; – jetzt sind die vordersten am Gefängnis angelangt, der eine der zwei Wächter, der auf seinem Posten geblieben, liegt schnarchend am Boden, Angus schwingt eine Steinaxt, die ihm unterwegs schnell gereicht worden, zerhaut den Knoten am Riegel, reißt die Türe auf, rennt hinein, ihm folgen augenblicklich Urhixidur und die Aeltesten. –

Ein dumpfes, klatschendes Geräusch wird vernommen, es wiederholt sich schnell und öfters, und rasch vereinigen sich diese schlagartigen Laute zu einer dunkeln, verworrenen Masse von Gehörseindrücken, die nur von zappelnden heftigen Bewegungen im plätschernden, schäumenden, spritzenden Elemente des Wassers herrühren können. Dazwischen erschallt mehrstimmiges Geschrei, verzweifeltes Hilferufen; die Nächsten, die den Eindringenden hatten folgen wollen, machen wohlweislich Halt, drehen sich um, schreien nach Kähnen, die Nachdrängenden, die noch nicht wissen, was vorgegangen, schieben und stoßen vorwärts, so erleiden noch mehrere Personen das Schicksal der Zugführer; nach und nach lichten sich die Geister zum Verständnis, man eilt nach Einbäumen, kann sie nicht schnell genug lösen, dieser und jener springt aus freien Stücken ins Wasser, um schwimmend die Hineingestürzten zu retten, andre wirft im Gedräng und in der Hast um die Kähne der Zufall in die Wellen, und endlich befindet sich der ganze männliche Teil der Gemeinde in dem wogenden See, die Frauen sind inzwischen aus den Hütten gestürzt, wehklagen wie ein antiker Chor an den Geländern, eines derselben bricht vom Drucke der Menge, und ein Haufen von Müttern und Töchtern stürzt hinab, weit und breit ist nun die Wassermasse bedeckt, durchschossen, durchrauscht von einem dunkeln Getümmel schwimmender, kähnerudernder, drängender, zappelnder, lautschreiender Gestalten; aus dem Schlaf aufgeschreckt flattern schneeweiße Möwen über dem tollen Schauspiel und sagen durch Wimmern und fahrige, verrückte Zickzackflüge ihr Erstaunen über den unbekannten Anblick. Nur drei Menschen stehen unbemerkt ganz ruhig oben und schauen ins das Getrieb hernieder; es sind die zwei Barden und ein Jüngling, der sich soeben erst, stark erhitzt wie von raschem Marsche, zu ihnen gefunden hat und den wir nicht zu nennen brauchen. Sie flüstern; kaum vernimmt man die Worte: »– und Tyras hat sich auch eingestellt, ist mit.«

Anderswo liegt in ihrem Kämmerchen eine Jungfrau mit geschlossenen Augen, mit dem inneren Auge alles sehend, was sich begibt, und alles verstehend; und von Lust und von Bangen zitternd, zieht sie die Decke ihres Lagers über sich her und versteckt darin ihr schönes Lockenhaupt.

Nach und nach wird die Fläche des Sees wieder sichtbar und ruhig, Lärm und Menschengedräng zieht sich ins Dorf hinaus, hier beginnt ein Laufen, Poltern, Herbeischleppen wärmender Pelze, in den Küchen ein Wasser- und Metsieden, auch diese Unruhe legt sich allmählich, und endlich ist es stille.

Ruhig scheint der Mond auf den befreiten glatten Wasserspiegel. Nichts ist mehr zu sehen von all der Menge von Menschen und Dingen; nur eine Zipfelpelzmütze, der Hauptschmuck des Druiden, treibt einsam, träumerisch auf den Wellen dahin. –

*

Drei Jahre sind seit dem Ereignis vorübergegangen. Am Ufer sitzt ein junger Mann, neben ihm ein bildschönes Weib. Sie sehen einem Kinde zu, einem kräftigen Knaben, welcher im Grase mit Blumen spielt und abwechselnd einen alten Schäferhund an Fell und Ohren zaust, der es geduldig sich gefallen läßt. Der Kleine hat des Vaters blonde Locken, aber ganz die dunkelblauen Augen und das schelmische Lächeln der Mutter.

Die beiden sitzen lange schweigend beisammen.

»Wo er wohl sein mag, was wohl aus ihm geworden ist?« sagt endlich, in Gedanken verloren, Alpin.

»Ach,« antwortet Sigune, »es ist besser, ich sage dir's, als daß du es durch andre erfährst. Gestern kam mir ein Gerücht zu Ohren. Männer vom Podamursee, die mit Waren zu uns gekommen, haben es herübergebracht; sie sagen, ihnen selbst sei es auch durch warentauschende Leute zu getragen und diesen ebenso aus weiterer Ferne. Es lautet traurig.«

»Sag nur, ich ahn' es wohl.«

»Weit, weit weg in einem wilden Lande sei er, so heißt es, von grausamen Menschen erschlagen worden, weil er ihnen ihre Götter nehmen wollte. Ach, wenn's so ist, du hast ihn umsonst gerettet!«

Alpin ließ das Haupt sinken, zog dann sein Weib an seine Brust und unterdrückte ein Schluchzen. Dann hob er sich und sagte: »Doch nicht umsonst, lieb Herz! Was er ausgestreut, wird aufgehen. Ist ja bei uns auch aufgegangen: nicht zu viel, doch manches. Der neue Druide haßt und verfolgt die Leute nicht, die nicht gerad' alles so glauben.«

»Dem Alten hat doch noch etwas geschwant, als er an der argen Verkältung mit seiner Alten so hinstarb und ich die beiden eben doch pflegen mußte; er richtete sich im Fieber einmal auf, blickte starr nach oben und stöhnte: ›Schau nicht so schwer auf mich hernieder, Geist! vergib mir.‹ Die Alte aber starb unter Flüchen, die hat mich nicht gedauert.«

»Mich beide nicht.«

»Du bist im Herzen doch eigentlich auch fürs Neue.«

»Weißt, ich kann freilich die Steckköpfe und Mucker nicht leiden. Was Arthur gemeint, hat mir stückweis wollen einleuchten, ja sind mir auch schon fast ähnliche Gedanken gekommen, wenn ich so auf meine Schippe gestützt ins Weite hinausschaue oder wenn ich im Regen unterstehe dort in der Höhle, wo Arthur sich verbarg. Da fällt mir immer ein, was er gesagt hat in der Nacht, als ich ihn über den See setzte. ›Warum bist du denn eigentlich aus deinem Versteck heraus?‹ frag' ich ihn. ›Ich weiß selbst nicht recht,‹ sagt er, ›und doch, ich weiß. Als ich in der hohen dunkeln Höhle so dasaß, da kam es über mich; es wehte mich an; es rief etwas über mir hoch herab vom grauen Felsgewölbe und doch in mir: drüben am Dolmen reden sie jetzt, rief es, gehe hin, zeuge vom neuen Gott, den du nicht kennst und doch kennst, sprich, zeuge laut vor allem Volk! Da ließ es mich nicht; ich brach aus.‹ Sieh,« fuhr Alpin fort, »wenn ich nun in der Höhle sitze, da muß ich dieser Worte gedenken, da meine dann auch ich ein Rauschen, ein Klingen zu hören und eine Stimme, die da sagt: eure Götter sind nicht die rechten und euer Sinn und Leben soll erneuet werden, wie die Welt erneuet ist, seit dunkle, wilde Menschengeschlechter gewohnt und gehauset in diesen Kammern! Aber mein Geschmack ist eben nicht, zu schieben und zu treiben an solchen neuen Gedanken. Ich denk' halt: manches Alte ist doch auch gut, und stille Hirten muß es doch immer geben, und ich denk' halt: wer immer recht behalten mag, es ist immer gut, wenn ein Teil Leute noch stet, aber ohne Gift am Alten hängt, und ich fürcht' halt, das laute Klopf- und Hämmerwesen, das Gehaspel und Gesause der vielen Spindeln und Webstühle in den großen Arbeiterpferchhäusern, all der Lärm und das Unsal möcht' immer mehr aufkommen, das mir so arg zuwider ist.«

»Ja, drum hältst du's auch mit denen, die sich so stark gegen die Einführung des Erzes sperren.« Sigune lächelte zu diesen Worten; nachdem alles gut geworden, hatte sie, schelmisch wie sie war, ihren Alpin öfters mit der bewußten Szene geneckt.

Alpin stand auf, hob das Kind auf seine Arme, beugte sich zu Sigunen nieder, hielt ihr das kleine Haupt nah unter die Augen und sagte: »Lieb Weib, ist das nicht ein schönerer Spiegel?«

Sigune bedeckte das Kind und dann den geliebten Mann mit Küssen.

Als sie wieder aufschauten, sahen sie im Hintergrund den Ehegoumer eilig über die Wiese laufen.

»Gelt du,« sagte Sigune, »den brauchen wir nie und nimmer!«

*

Die Fundstücke, die man auf dem Robanus-Seegrund ausgegraben hat, gehören der Steinzeit an, doch befinden sich auffallenderweise zwei Ausnahmen darunter: ein Erzschwert, dessen Schärfe so gezahnt ist, daß es offenbar als Säge gedient haben muß, und ein großer eiserner Bohrer, beide stark vom Rost angefressen, doch mit Sicherheit noch bestimmbar. An einigen Dielen, die man an einer Stelle noch ziemlich erhalten beisammen fand, lassen sich Spuren von Bohrlöchern und von da auslaufend starke Eingriffe eines rauhdurchschneidenden Werkzeugs erkennen.


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