Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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Goethe hat gesagt, der Humor sei zwar ein Element des Genies, aber sobald er vorwalte, begleite er die abnehmende Kunst, zerstöre und vernichte sie zuletzt. Dies ist doch nur dann wahr, wenn man unter »vorwalten« außer dem Ueberhandnehmen besonders versteht eine Einmischung in das Dichtwerk auf Kosten der Objektivität. Belehrend ist hierin J. Paul; das humoristische Ich des Dichters drängt sich zersprengend in das Bild, das er geben soll. Er verwechselt Dichter und Gedicht. Er will Narren oder seltsame Begebenheiten vorführen und statt dessen führt er seltsam und närrisch vor. So wird der reiche, herrliche Geist ungenießbar und niemand liest ihn mehr, – leider! Sollte es aber nicht eine schöne Aufgabe sein, zu zeigen, daß es auch einen Humor gibt, der dieser Versuchung widersteht und ein Bild des Närrischen mit der Objektivität des Künstlers entwirft und durchführt? Zweite verbesserte Auflage J. Pauls, der mit Unrecht zu den Toten geworfen ist? Auferstandener, genießbar gewordener J. Paul?

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Sei's, wie es kann, geh hin, mein Kind! Und ich kann auch gehen. Abschied wie von einer lieben Heimat. Noch einmal den Colleoni gesehen, ehern, dunkel ragend im Mondschein. Bleibe mir, Bild, erinnere mich zeitlebens an den Schlachttag! Dürft' ich einen zweiten erleben und dann als so ein eiserner Reitersmann voraus im Pulverdampf: vorwärts! vorwärts! Marsch! Marsch! – Noch einmal Markusplatz in Mitternacht, im Florlicht des blassen Gestirns – ob ich noch einmal herkommen werde? Ich Vergangenheit? – Was bliebe mir noch zu stürmen! – Zu meinem Fenster von der weiten Lagune her köstliche Nachtluft, Seeluft. Dort die Inseln wiegen sich schlafend auf dem weichen, freien, breitergossenen Elemente im Flimmerschleier der leise singenden Nacht.

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Nun wieder zu Haus. Im Winter muß man zu Hause sein. Ofen. Ohne Ofen doch kein Gefühl des wahrhaft Heimischen. Völker, wo bloß Kamin herrscht, haben doch immer irgend einen unheimlichen Zug. – Des Reisens vorerst wieder genug. Reisen ist Schund. Reisen heißt, sich über grobe und spitzbübische Menschen ärgern, von Leuten bedient werden, die zu wenig Zeit für mich haben, weil sie zu viele bedienen müssen, die fortschnurren, wenn ich etwas frage, etwas bestelle. Reisen heißt in Zimmern wohnen, wo der Stiefelknecht fehlt oder zu weit, wo der Schrank nicht schließbar ist, weil der Reisende in Twist oder auch die Gräfin X. gestern aus Versehen den Schlüssel mitgenommen hat, oder der Schlüssel zwar steckt, aber nicht geht. Reisen heißt in dummen Betten schlafen (Italien ausgenommen), auf unsinnig konstruierten Sesseln, in wahnsinnig gepolsterten Coupés sitzen. Reisen heißt schamlos wohnen, in Gasthöfen nämlich, wo überall die Zimmer nur durch eine dünne Türe vom Nachbarzimmer getrennt sind; der hört also jeden Laut, und die Folge ist, daß man notwendig meinen muß, er sehe einen auch, zum Beispiel nackt beim Hemdwechsel; reisen heißt mit absurden Menschen sein müssen, wenn man einsam sein will, am meisten, wenn man mit der keuschen Natur andächtig verkehren möchte, dagegen einsam sein, wenn man sich nach Menschen sehnt; reisen heißt ewig packen müssen, und ein Fürst hat es nur scheinbar besser, ihm besorgt die Sache sein Marschall durch die Bedienten, aber wer besorgt ihm seinen Marschall und wer besorgt ihm, daß er nicht besorgt, sein Marschall besorge es ihm nicht recht? Dennoch muß man reisen, denn der Schund stärkt den Charakter. Und übrigens nachher vergißt man all die Not und eine Welt neuer Anschauungen – wenn anders man zu schauen wußte – bleibt. – Nebenher auch Argument gegen den Pessimismus.

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Eine Art zu reisen, ja, die ist Genuß an sich, wohl der reinste Lebensgenuß, vorausgesetzt gut Wetter, gute, wohl ausgetretene Schuhe und kein Hühnerauge; eine Fußreise ohne Begleiter außer einem Hund. Nur ja niemand mit, und wäre es der Busenfreund, der eigne Bruder, der eigne Sohn – nicht, nicht! Man hat ungleichen Schritt, will sich gern nach dem Begleiter einrichten, vergißt es immer wieder nach wenig Minuten, und der eine oder andre zappelt sich ab, ist gehetzt; der eine will einkehren, der andre nicht, der eine reden, der andre schweigen, dieser gibt nach, und man verschwatzt die herrlichsten Landschaftspunkte, die schönsten Beleuchtungen. Es ist Entbehrung, sich nicht mitteilen zu können, aber dies negative Uebel viel kleiner als jene positiven. – Wandern, wandern, seiner Rüstigkeit froh, Diogenes mit federleichtem Gepäck, schauen, träumen, viel denken und nichts denken, bei Sennen einkehren, im ländlichen Wirtshaus übernachten, wo es noch einen Hausknecht gibt, der mit der Innigkeit edler Leidenschaft die Stiefel wichst, in dessen Gesicht nicht jeder Zug Trinkgeld heißt, – freundlich plaudern mit Landvolk, mit Haustieren, schlafen wie ein Sack, in Morgenfrühe weiter, von Lerche, Fink, Amsel begrüßt – kurz, man lebt. – Leider geht's in Italien, wenigstens auf den Hauptlinien, nicht; brennende Landstraßen, zu wenig Feldwege, zu wenig Grün, zu wenig reinliche und zuverlässige Landherbergen.

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Warum fährt es manchmal wie ein Blitz in mir auf: gleich wieder fort und hin!? Hast Wahnsinn begangen dort in Assisi! Das einzige Glück für dein gebrochenes Leben. – Nein, nein, so spricht nur der alte Adam in mir! Besser so, es bleibe des Schmerzes Reinheit!

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Was aber nun tun? Nachdem die Pfahldorfgeschichte fertig ist? Die Reiseerinnerungen niederschreiben? Gar drucken lassen? Pah! Diese Flut vermehren, unter die Schmierer gehen, die nichts leben können, ohne es zu schreiben? Wieder etwas komponieren? einen Roman, Drama? Pah! als ob dazu dein Talent reichte! Und überdies – aufwühlen? aufwühlen? – Könnte es ohne das abgehen? – Wie dann noch den Stoff beherrschen?

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Philosophie? Etwas zu bauen suchen? Reicht nicht. Ueberdies das Unglück: die Diskreditierung der Philosophie durch die Systeme. System ist immer Ausbau eines Gedankens, der als Gedanke eines Kopfs, wenn auch auf und über vielen Schultern und Köpfen, doch immer nur dieses einen Menschen Gedanke ist. Und trotzdem das Erhabenste, was ein Mensch leisten kann: Versuch, das Weltall in Begriff nachzubauen. – Amphibolische Sache.

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Er kommt, der Bürgerkrieg. Dialektik darin, die mich rasend machen könnte. Großdeutsch gewesen lange. Immer mit Eifer behauptet: ein Teil kann und darf nicht das Ganze werden, werden wollen. Wird nichts sein, falsche Anwendung der Logik auf das Reale, das aus zu vielen Fäden besteht, um direkt logisch vermessen zu werden. Auch das preußische Wesen nicht leiden können, Essigsäure, Wohlweisheit, Herr Doktor Gscheitle. Zuneigung zu Oesterreich, wußte nicht, wie liederlich. Antipathie, Sympathie – keine Politik. Nun Preußen sehr gute Nase: wittert, daß die deutsche Kaiserkrone im Dünensand Schleswig-Holsteins verborgen liegt, dort anszugraben ist. Oesterreich niedlich drangekriegt, hineingelockt, um graben zu helfen, – dann aus der Hand schlagen! – Begreife, es will aus Unrecht ein neues Recht aufstehen. Wohl, aber die Menschheit würde charakterlos, schlecht, wenn in solchem Fall niemand für das alte Recht kämpfte, ob auch hoffnungslos. Und dann – Politik und Privatmoral freilich zweierlei: aber Sieg neuer, politischer Form, auf Gewalt gebaut, die durch Listgewebe eingeleitet ist, doch immer auch von entsittlichender Nachwirkung – Moral der Nation trägt eine Schlappe davon. Man wird's sehen, wenn die neue Form wird. – Dennoch –

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Die Politik ist doch ein merkwürdiges Gebiet, Theater, worin wie ein Narr sitzt, wer nicht hinter die Kulissen sieht. Und was dort hinten spielt, ist die List. Sie ist keine kleine Kraft, namentlich wo sie mit sehr vielen und verwickelten Fäden zu schalten hat, aber sie ist doch ein Element niedriger Art. Viel sapientia und doch nur quantilla. Die Katze ist listiger, weit mehr Diplomat als der viel gescheitere und viel edlere Hund. Verdient ein Staatsmann groß zu heißen, so verdient er es trotzdem, daß er in diesem Elemente sich bewegen muß. Den großen Staatsmann führt die Idee, sie ist sein Zweck, die List sein Mittel, – Edles im Unedlen, Hohes im Gemeinen. Man muß nur zum Beispiel bedenken, was da alles gelogen wird! – Reineke Fuchs – ein Heil, wenn er zugleich ein Löwe ist. – Doch ist jedem Glück zu wünschen, der mit der ganzen krummen Partie nichts zu tun hat. Was ist Kunst, Wissenschaft, einfache, gerade Amtsarbeit dagegen für ein reines Element!

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Es fängt an, spielt sich in unsre Nähe – glaube, Hannover wird eingesackt werden – dies wäre jedenfalls hochkomische Episode – würdig, einen Aristophanes zu finden. – »Bis ans Ende der Tage!«

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Kann in diesem Netz messerspitziger Fragen zappelnd nichts arbeiten. Aus Verzweiflung dummerweise wieder mehr in Gesellschaft. Da die pure Parteikonfusion, links, rechts, überall; mir schwindelt das Hirn, wenn ich mich in die undialektischen Köpfe versetze. – Noch dummer: nehme gestern einmal wieder eine Einladung an in patente Gesellschaft. Nobles Haus, gastfreundlich, aber wie alle. Wer bewirtet, trägt bei aller Güte doch meist eine Tücke im Herzen; denkt: das alles erweise ich euch nun, und ihr dürft keinen Heller dafür zahlen; aber dafür verlange ich eines: ihr sollt euch verkälten. Es werden im Sommer Fenster, im Winter Türen aufgerissen, die einen Zug geben. Der arme Gast zahlt die Zeche nach mit Elend! o Elend! – 's fängt schon an, beißt in der Nase, ich spür's. O großer Buchbinder Weltgeist, warum hast du mich zu fein eingebunden! – In dieser Welt braucht's Schweinsleder, wenigstens Ruck und Eck.

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Diesmal war's ernst. Schnupfen nicht genug, Zahnweh, acht Tage Gesichtsschmerz. Zwar darin doch Fortschritt: doch der Mühe wert. – Und hat mir über's ärgste draußen in der Welt hinübergeholfen. Blutbad von Sadowa. Entschieden! – Was jetzt kommt? eine gute Weile schließ' ich die Augen.

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Nach innen fühle ich ein Etwas befördert, beschleunigt, das freilich auch von selbst die Jahre mit sich bringen. Geht etwas vor in mir. Es ist wie eine Art Zahnen im Geist. Die Menschen werden mir durchsichtig. Es fällt mir wie Schuppen vom Auge. Eigentlich ein gar schwerer Uebergang! Denn seit die Menschen nackt vor mir stehen, weiß ich erst recht, daß die Mehrheit Lumpenpack ist. Kommt dazu das sichtbar beschleunigte Wachstum der Schlechtigkeit in jetziger Zeit. Es ist schon zum Bitterwerden. War einst so zutraulich, auch Polizeiberuf machte mich lange nicht mißtrauisch, dachte: das sind Ausnahmen, ging namentlich gern mit dem Bürger um, der Stand kam mir so recht kernhaft vor; fragte nicht lange nach Personalien. Jetzt kann man nicht mehr wohl mit einem Unbekannten sich einlassen, – vielleicht Gründer, – Sattler, der Roßhaar herausnimmt, Seegras hineinsteckt, – Fälscher von Waren, Lebensmitteln, Kassendieb – und weiß der Teufel, was alles.

Dennoch soll man sich nicht verbittern lassen. Wenn man nicht zählt, sondern wägt, so wiegt ja doch die anständige Minderheit die schlechte Mehrheit auf; wohl selbst jetzt noch. Ferner: du darfst kein Menschenverächter werden, weil du nie wissen kannst, wer aus der schlechten Mehrheit fähig, empfänglich ist, in die Minderheit heraufgehoben zu werden. Die Grenze zwischen beiden ist flüssig. Man kann also heiter bleiben trotz der Weltlumperei, und man braucht diese Stimmung, eben um jene Grenze flüssig zu erhalten. Umgekehrt soll man auch der Festigkeit der Grenze von oben nach unten nicht trauen. Zählst du dich zur guten Minderheit: du magst recht haben, aber zupfe dich an der eignen Nase, besinne dich auf die Blindheit deiner Jugend, falle nicht in Sicherheit und Dünkel, insbesondere prüfe dich daran, ob du aktiv bist. Hochmut kommt vor dem Fall. Eine Minderheit, die nur klagt und schilt, taugt gar nichts, verliert ihren Wert. Nicht ob moralische Uebel vorhanden sind oder nicht, ist die Frage, – sie sind immer vorhanden, weil die Mehrheit schlecht ist, – sondern ob sie bekämpft werden oder nicht, ob die bessere Minderheit tätig ist oder untätig. Ist sie untätig, so verkommt sie selbst. Das Menschenbataillon hat eben wie jedes mehr Gemeine als Offiziere. Erst wenn diese faul werden, steht es schlecht.

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Wer die Gemeinheit der Welt, den maschinenhaft rohen Druck der Verhältnisse in diesem stoßenden Gedräng, wo alles vom Interesse geschoben wird und dazwischen die eiserne Schraube der Notwendigkeit läuft, wer dies mit grausam täuschungslosem Auge gesehen hat wie kein andrer, das ist Shakespeare. Die Gröblichlichkeit der Welt nennt er's einmal, Buckingham sagt's in Richard III.: grossness of this age; this age ist aber jedes age. Alle tragische Literatur aller Zeiten gibt dies Bild nicht in so unerbittlicher Schärfe; mit Shakespeare verglichen herrscht überall ideale Beschönigung, die nicht vollkommen ideal ist, eben weil sie noch beschönigt. Gegen diese Wildschweinwirtschaft der Welt brennt nun in ihm wie glühend Eisen der heilige Zorn und läßt er in seinen furchtbaren Tragödien die himmlische Gerechtigkeit mit blitzendem Flamberg durchhauen, und nicht von außen, sondern von innen. Er weiß sehr wohl, daß es so nicht wird in der Mehrzahl der einzelnen Fälle, im besten nicht so leuchtend; aber er vertraut und glaubt, obwohl er es so wenig beweisen kann als irgend ein Sterblicher, er glaubt, daß ein solches Gesetz geheimnisvoll, weil ein nicht übersichtliches Unendliches beherrschend, unserm Auge oft verschwindend, im großen waltet, und als Dichter faßt er diese zerstreuten Strahlen in den Fokus eines einzelnen Falls, der dadurch, wie durch jenes fürchterlich wahre Bild der Welt, hochsymbolisch wird. Dabei werden die tragisch Beteiligten und schuldig Gewordenen nicht, nur die Gesellschaft wird gerettet, die Wahrheit der über alles Einzelne übergreifenden Mächte: Ehre, Liebe, Recht, Vernunft, Menschlichkeit; unter ihrem mit so teurem Blut begossenen Baum können nun Unzählige in Frieden leben. Diese Mächte bleiben, während das Endliche verglühen muß. Shakespeare will durch die Häufung von Leiden und Leichen in seinen letzten Akten den Eindruck der Götterdämmerung, des jüngsten Tags hervorbringen. Daher ruft Kent beim Anblick Lears, der die tote Cordelia auf seinen Armen geschleppt bringt: »Ist dies das prophezeite Weltende?« und setzt Edgar hinzu: »Ist's ein Vorbild jener Schrecken?« und Albanien: »Des allgemeinen Untergangs?«

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Und dieser Unerreichbare ist mit den argen, argen Flecken behaftet: Aberwitz und ekelhafte Zoten! Der letztere wird von den Anbetern nicht geleugnet, der erstere etwa einmal so zugegeben, wie man mit bedientenhafter Art von Respekt ein Mängelchen an Erdengöttern zugibt. Was ich doch aber auch nicht ausstehen kann, ist die Pietätsmichelei. An großen Männern werden zu Götzendienern alle und jede, die keine Spur verwandten Geistes in sich fühlen. So entsteht der Nimbus. Die Menschen müssen Götter haben. Es ist wohl wahr, daß die Sprache arm ist, eine Bewunderung auszudrücken, wie wir sie für so große Genien fühlen, sie kann fast nicht umhin, zu vergöttlichenden Namen zu greifen. Aber wer ihres Geists auch nur ein Tröpfchen in sich spürt, wird darüber nie und nimmer unkritisch werden, ja er wird gegen wirklich entstellende Flecken noch schärfer losgehen, als bei gewöhnlichen Sterblichen, denn der Bewunderte hat schwerere Verantwortung, als andre Menschenkinder. Gegen Mittelgut, wofern es bescheiden ist: mild, gegen Große streng! – Ich hätte gute Lust, eine Shakespeare-Absurditätensammlung anzulegen – zur größeren Ehre des Dichters. Nichts schadet ja dem großen Geiste mehr, als wenn man den guten Leuten zumutet, ihn mit Haut und Haar zu bewundern; ihnen soll man sagen: siehst du, das und das ist zugegeben als roh, als abgeschmackt u. s. w., damit plage dich nicht, damit du die Seele frei bekommst für das Große, das rein Schöne! – Es ist nicht leicht ergründen, worin eigentlich das Absurde besteht. Wer vermöchte den Abgrund von Aberwitz in folgendem Prachtstück mit Begriffen zu erschöpfen! Romeo im Sonettenstil über Rosalinde, da Benvoglio sagt, es gebe schönere Mädchen:

»Wenn meiner Augen frommer Glaube trügt,
Dann, meine Tränen, werdet Feuergluten!
Durchsicht'ge Ketzer, nicht ertränkt in Fluten,
Verbrennt in Flammen, weil ihr schnöde lügt.«

Genommen vom Hexen- und Ketzerprozeß: Wasser- und Feuerprobe. – Das sagt nun Romeo zwar im euphuistischen Modeton, man kann sich aber darauf verlassen, daß Shakespeare damit etwas Extrafeines in allem Ernst zu bieten meinte und daß die Gesellschaft seiner Zeit es höchlich bewunderte. Und in keinem deutschen Kommentar auch nur ein Wort gegen den vertrackten, hirnverbrannten Schwulst! – Shakespeare ist mit einem Bein später aus diesem Geschling heraus, mit dem andern nicht, noch in seinen reifsten Werken kommen derart Schnörkel. Zeitgeschmack freilich, aber er hat sichtbar seinen Gefallen daran; der Zug zum Versalzen, allen phantasiestarken Geistern eigen, verführt ihn dazu. – Auch Zote war Zeitgeschmack, dennoch begreift man nicht, wie Shakespeare keinen Ekel davor haben konnte. Er steht doch über der Wachtstube.

*

Habe nebenher leider meinen besonderen Spaß am Absurden. Eigentümlicher Schauer über den Buckel herunter, kitzliges Weh- und Wohltun, Gänsehautreiz. Was nicht Gänsehaut macht, ist noch nicht recht absurd. Möchte eine Abhandlung darüber schreiben, habe aber den Grundbegriff noch nicht finden können: »Maßverletzung, Grenz- oder Taktverletzung« ganz oberflächlich. – Auf die Definition müßte eine Einteilung folgen. Shakespeares Absurditäten sind falsche, querköpfige Bilder, krumme Ideenassoziationen überreicher Phantasie. Eine andre Gattung wäre die wohlweise, die bei ihm nicht vorkommt. Derart habe ich mir einiges ausgeheckt, um für ferneres Nachdenken über das Wesen der Absurdität gute Beispiele bereit zu haben:

Geistreiche Gedanken eines Schulpedanten

Idee 1. Er hat sich die Lehre gemerkt, daß ein Dichter alles individnalisieren muß. Schlägt daher vor, eine Stelle in Schillers »Wilhelm Tell« zu verbessern oder eigentlich zu bereichern. Monolog in der hohlen Gasse. Stelle:

       

»Sonst wenn der Vater auszog, liebe Kinder,
Da war's ein Freuen, wenn er wiederkam,
Denn niemals kehrt' er heim, er bracht' euch etwas,
War's eine schöne Alpenblume, war's
Ein seltner Vogel oder Ammonshorn –«

Hier einzufügen:

»War's Terebratel oder Belemnit.«

                 

Idee 2. Anmerkung zum Schluß des Monologs:

»Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt!
Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen.«

Die ältesten Uhren waren Sand- oder Sonnenuhren. Es gab übrigens auch Wasseruhren. Häufig wird Severus Boëtius im Jahre 510 als Erfinder der Uhren betrachtet, aber er verfertigte nur eine künstliche Wasseruhr. Auch die Uhr, welche der Kalif Harun al Raschid Karl dem Großen schenkte, war wohl eine Wasseruhr, mit welcher jedoch Räderwerk in Verbindung stand, denn sie hatte ein Stundenglas, welches sich alle zwölf Stunden umdrehte. Dem Mönch Gerbert (später Papst Sylvester II., starb 1003) wird häufig die Erfindung der Schlaguhren zugeschrieben; er wurde deshalb als Zauberer verschrien; nach mancher Meinung war jedoch auch dieses Werk nur eine künstlichere Sonnenuhr. Dante zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts beschreibt zuerst eine Schlaguhr. Die ersten bekannten Gewichts- und Schlaguhren sind von Dondi in Italien, von Wallingford in England und von de Wik in Deutschland. Im vierzehnten Jahrhundert hatte man Uhren zuerst in Klöstern, in Städten waren sie bis zu Ende desselben noch eine Seltenheit. – Wieviel mehr in Dörfern! Tell lebte im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts; er hat also höchst schwerlich in einer Stadt (– er besuchte wohl überdies Städte nur selten –), eher etwa in einem Kloster eine mechanische Uhr gesehen. Doch ist wahrscheinlicher, daß Schiller nur eine Sand- oder Sonnenuhr im Auge hat. – Eine Taschenuhr konnte Tell nicht besitzen. Solche sind entweder von dem Nürnberger Peter Hele um 1500, oder nach andern von dem Straßburger Isak Habrecht um 1529 erfunden. – Doch wie, wenn der Dichter dem Schauspieler einen kühnen Anachronismus hätte nahelegen wollen? Von großer, ja ungeheurer Wirkung müßte es freilich sein, wenn der Mime bei obigen Worten eine Taschenuhr – um dem Geschichtlichen etwas näher zu bleiben, Nürnberger Ei –, zöge, einen Blick darauf würfe und dann straff abginge.

Idee 3. Die Hand ist Prototyp für alle Werkzeuge, die der Mensch erfunden hat. So enthält sie im Nagel auch das Falzbein. Dies dürfen wir als Zeichen, Fingerzeig ansehen, daß der Mensch zum Schreiben, Papierbehandeln, zur Gelehrsamkeit bestimmt ist, und so gewinnen wir ein neues, höchst bedeutsames Argument für die teleologische Weltbetrachtung, für die Theodicee.

Idee 4. Von einem übermütigen Offizier beleidigt, dichtet derselbe Schulmann zu seiner inneren Satisfaktion den Vers:

»Wie der Soldat, so hat auch der Zivil
Denken, Begehren und dann das Gefühl.«

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Niemand aber, selbst dieser Schulmeister nicht, tut's in der Abgeschmacktheit dem Traume gleich. Der leistet hierin das Ideale. So träumte mir gestern, ich komme nachts an mein Haus und sehe vor demselben eine große Versammlung von Männern, schwarz angetan, Trauerflor am Hut und mit brennenden Frackzipfeln. Ich frage verwundert, was das bedeute, und erhalte zur Antwort: hiemit werde das Leichenbegängnis des Herrn A. E. gefeiert, und man nenne das einen Frackelzug. Ich war sehr erbaut und belehrt, bestaunte sehr die tiefsinnige Wortbildung, zündete mir selbst den Frackschoß an und ging mir selbst sehr andächtig in der Klage mit. Zugleich wie furchtbar eitel!

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Außer dem Lächeln haben die Pessimisten auch ausgelassen: das Lachen. Sie sind ganz humorlos. Eine Welt, wo so viel gelacht wird, kann so schlecht nicht sein. Gelacht wird über das Verkehrte, auch das Ruchlose, selbst über die größten Uebel, wenn sie nur irgendwie unter den Gesichtspunkt der puren Zweckwidrigkeit gerückt werden können. Vorausgesetzt ist das humoristische Lachen freier, reiner und universal blickender Gemüter. Sie lachen im Bewußtsein, daß schließlich das Verkehrteste der sittlichen Weltordnung nichts anhaben kann, denn eben die so Lachenden sind ihre Schützer, ihre Retter.

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Wir sind von Rätseln umgeben. In dieser Lage ist es das einzig Vernünftige, als wahr anzunehmen, was uns am wohlsten tut, sofern es nur unleugbaren Verstandesgesetzen nicht widerspricht. Dabei ist nur vorher auszumachen, was wahrhaft wohltut. Dies kann ausgemacht werden, denn es ist aus dem Wesen der menschlichen Seele und aus dem richtigen Begriffe der Zeit zu beweisen, daß wahrhaft wohl nur ein gutes Gewissen tut, das man sich erwirbt durch treue Arbeit im Dienste der unzeitlichen Güter. Nun werden wir in dieser Arbeit unendlich bestärkt durch die Annahme, es walte ein unbedingtes Etwas, das aus streng logischen Gründen nicht Person sein kann, das dennoch eine Ordnung erwirke und baue in dem verworrenen Wesen, Welt genannt, und zwar auf dem Unterbau der (auf diesem Auge) blinden Natur und des blinden Zufalls einen Oberbau, worin sich durch immer neue Tätigkeit uuzähliger Menschen die Sitte, das Gute, der Staat, die Wissenschaft, die Kunst herstellt. Indem nun diese Annahme uns in der Erwerbung eines guten Gewissens unterstützt, so kommt dieses unser Wohlbefinden zugleich andern zugut, und das ist Grund genug, zu glauben, was wir nie beweisen können.

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Was ich mir immer und immer wieder vom Werte der Arbeit vorsage, darin bin ich aber gar kein Philister. Gestern abend kam ein Kauz in die Restauration, der Vogelstimmen, auch Stimmen mancher Vierfüßler so ausgezeichnet nachahmte, daß jedermann vergnügt wurde und auch ich aufs heiterste mich vergaß. Es muß alles entwickelt werden, was von Fähigkeiten im Menschen liegt, so auch Seiltanzen, Kunstreiten, Jongleur- und Ballinistenwesen. – Der heitere Schelm hatte sichtbar selbst eine Freude an seinen Leistungen, war ganz dabei. Warum soll das nun nicht auch gelten? Als der Spaßvogel anfing, befand ich mich eben in sehr mißlicher Lage. Saß mir am Tischchen ein Herr gegenüber, der schickt auf einmal aus der Zeitung einen höchst bedeutsamen Blick, einen wahren Couponblick unter der Brille hervor auf mich und sagt: »Amerikaner 70«. Der Mensch war am Ende wirklich fähig, zu meinen, ich verstehe das! Ich werde in solchem Fall leicht unangenehm, und es hätte bös ablaufen können. Da schlug die Wachtel und befreite mich. Wer könnte zweifeln, was höher ist, Vogelstimmen nachahmen oder in Papieren machen und davon sich unterhalten? – Der Künstler ging übrigens von einfachen Rufen zu belebten Szenen über: Plaudern junger Schwalben und Begrüßung der Alten, Gezänke zwischen Vögeln, ganze Katzenkonzerte, große Hunderaufereien, kurz: Idylle, Novelle, Eposfragment, Lyrik, Drama. Wohl interessanter, belehrender als manches Professors Vortrag über Zoologie. Jedenfalls hat der heitere Schelm ein paar Dutzend Menschen in der Abendstunde aus dem Gestrüpp und Sumpfschlamm Zeit herausgehoben. Ist er im übrigen ein Lump, er mag es mit sich abmachen; hier wenigstens hat er mit seiner Arbeit sich ein Verdienst erworben, worüber sein Bewußtsein ihm ein gutes Zeugnis ausstellen darf.

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Ich weiß ein armes Weib von fünfundachtzig Jahren. Sie hat ihr Leben lang das Geschäft des Gassenkehrens getrieben, und zwar mit Eifer, mit Seele. Sie tut über Pflicht; sieht sie auch außer der Arbeitstunde tierische Abfälle liegen, so springt sie nach dem Besen. Das Weib ist heiter, gesund in ihrem Alter, ganz eins mit sich, ganz zufrieden klassisch gediegen. Ihr wird kein Monument errichtet werden, sie weiß sich aber als nützliches Glied in der unendlichen Kette wesentlicher menschlicher Tätigkeiten und ist darin unsterblich.

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Von der Dichtkunst erwartet die Mehrheit der Menschen, sie solle ihnen ihre gewöhnlichen Vorstellungen, nur mit Flittern von Silber und Goldpapier ausgeputzt, angenehm entgegenbringen. Da sie in Wahrheit das gemeine Weltbild vielmehr auf den Kopf stellt, so wäre kein großer Dichter je berühmt geworden, wenn nicht die wenigen, welche wissen, was Phantasie ist, allmählich einen Anhang gesammelt und denselben mehr und mehr erweitert hätten. Sie haben Stein auf Stein in das stehende Wasser der Meinung geworfen, bis die Wogenkreise den ganzen Spiegel in Bewegung setzten. Wäre dies nicht, so stände heute noch Wieland, Iffland, ja gar Kotzebue in der Blüte der öffentlichen Gunst, Goethe und Schiller gälten für Phantasten. Man würde sich nur größere Dosis von Schauer ausbitten, als die alten Lieblinge boten, und in diesem Punkt eine Beimischung aus den Ritterromanen vorziehen; Wieland müßte noch stimulanter werden, als er schon ist. Nun, an solchen Wielanden fehlt es uns ja nicht. Das merkt sich jeder Elende, daß er seiner Wirkung sicher ist, wenn er mit sexualen Reizen operiert, denn wie dickhäutig ein Leser sein mag, Geschlechtsnerven besitzt er ja doch. Unsre Illustratoren schlagen ebenfalls hübsch Münze aus diesem Umstand. – Auch Humor will man haben, aber wenn er kommt, der Wilde, erschrickt man wie vor einem Geist. Er durfte wild sein, aber er soll zugleich zahm, anständig sein. Ja, Poeten vor tausend oder etlichen hundert Jahren, die durften im Humor auch den Zynismus wagen, das ist etwas andres, wir aber, wir Menschen der »Jetztzeit«, wir sind gebildet, und nicht wenige von uns gehören zur »guten Gesellschaft«; zwar eine feine Zote, ja, das ist was andres, das zieht.

Diesem ebenso anmaßenden wie platten Philistervolk liebt nun die Poesie, die Kunst von Zeit zu Zeit recht grundsatzmäßig das Phantastische an den Kopf zu schleudern, damit es merke: die poetische Welt ist nicht die gemeine. Dies ist begreiflich, doch soll der Künstler und Dichter es nicht zum Prinzip erheben, wie unsre Romantiker taten. Das Ideale stellt die gemeine Ansicht von Welt und Leben auch dann auf den Kopf, wenn es die Dinge ganz naturgemäß geschehen läßt. Echtes Kunstwerk hat mitten im klaren doch immer Traumcharakter, ist von »Geisterhauch umwittert«. Goethes Gedichte hören sich wie ein leises Schlafreden, nur um ein weniges, ganz weniges deutlicher. Man kann ihren Inhalt nicht greifen, nicht an den Fingern abzählen. Der Charakter im Dichterbild wurzelt, so bestimmt er sich ausladet, in geheimnisvollen Naturtiefen, und das Sckicksal, die Nemesis, schreitet auch nicht fadengerade, sondern strickt aus gar vielen Maschen unrechenbar das Geisternetz, worin es die vermeintlich frei wandelnden Menschen einfängt. Auch die Zeit ist vor dem Dichter bloßer Schein. Glosters Schicksal steckt ahnbar schon im ersten kurzen Auftritt des ersten Akts des Königs Lear. Goneril blüht, strotzt in ihrer Bosheit und Frechheit. »Gut, gut, – der Ausgang,« sagt Albanien, da sie sich ihrer klugen Berechnung der Zukunft rühmt. In den vier Wörtchen liegt die ganze Lehre vom bloßen Scheine der Zeit. In Gonerils Verruchtheit blitzt schon das Messer, das sie sich, an der Verzweiflung angelangt, ins Herz stoßen wird. Also ist auch ihr Selbstgenuß in ihrer Verruchtheit nur Schein, sie ist schon unselige Selbstmörderin. – Was könnten die Menschen für ihr ethisches Leben lernen, wenn sie den Begriff der Zeit besser studieren würden! Alles Laster, Verbrechen ist schlechte Logik.

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Lust fühlen heißt die Zeit nicht fühlen. Danach jagt nun alle Welt. Aber die Lust ist eine große Kokette; wer sie sucht, den täuscht sie, wer nicht nach ihr fragt, dem hängt sie an und wird am End' eine ordentliche Frau. – Das gibt zu denken über Eudämonismus.

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Die meisten Menschen wissen sich nicht zu behandeln, daher stehen sie mit sich selbst auf so schlechtem Fuße.

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Vorsehung. Man sollte eigentlich sagen: Nachsehung. Es handelt sich doch vom Zufall. Der Zufall ist eine im Moment ihres Auftretens von keiner Intelligenz überwachte, rein irrationale, gesetzlose Schneidung der Linien, auf denen die Natur und die Geisteswelt ihre Tätigkeiten, jede an sich gesetzmäßig, ausüben. Nun aber sind alle diesen zwei Gebieten angehörigen Kräfte stets beschäftigt, den Zufall zu verarbeiten: das Günstige, das er bringt, zu benutzen, auszubilden, das Uebel zu überwinden, zu heilen, selbst zum Gute und Guten zu kehren. Einen Mann, der verdienstvoll wirkt, der Familienvater ist, tötet ein Ziegel, der vom Dache fällt. Der Unfall spornt seine Söhne, der Mutter eine Stütze zu werden, der Staat strengt Kräfte an, die Lücke auszufüllen. Es kann auch schlimm gehen, beides nicht geschehen, dann wird das weitere Unglück Kräfte wecken. Es ist ein unendliches Netz, ein unendliches Weben. Das ganze Leben, die ganze Geschichte ist Verarbeitung des Zufalls. Er wird in das Reich des Naturwirkens und des menschlichen Denkens, Willens und Tuns hinein stetig umgebildet. Vorher, in seinem Eintreten, ist er blind, nachher wird er eine von sehenden Augen geflochtene Masche im unendlichen Netze der Tätigkeiten. Also eigentlich Nachsehung. Aber da die Zeit ja doch nur Schein ist, so ist das »Nach« auch falsch, so falsch wie das »Vor«. Soll man etwa einfach sagen: Sehung? Zusehung? Nicht das Auge eines persönlichen Gottes, aber unzählige Augen sehen den blinden Zufall, und ihnen dienen unzählige Kräfte, etwas aus ihm zu machen, was er in seiner Entstehung nicht ist. In der unendlichen Tätigkeit aller, den Zufall zu verarbeiten, sind nun geheimnisvolle Gesetze tätig, denen die Philosophie der Geschichte mit wenig Erfolg nachforscht. – Gewiß ist freilich eines: unendlich vieles fällt durch die Maschen ins Leere, unzähliges Leben geht elend zugrunde, ohne daß wir eine Frucht absehen. Da ist nicht zu helfen; darein muß man sich ergeben; da gibt es keinen Trost, als den: sollen die blinden Naturgesetze unendliches Leben schaffen und unendliches Wohl, so geht es nicht anders, sie müssen auch ihre Opfer haben. – Und erst der mesquine, der ganz knirpsige, lumpige, nüssige Kleinzufall, der niemals Frucht tragen kann, was ist es mit dem? Nun eben, hier tritt als einzige Auskunft meine Dämonologie ins Mittel. Aber es wird ja auch gegen die Dämonen gekämpft. Die Canaillen haben mich doch nicht untergekriegt, ich habe nie am oberen Stockwerk gezweifelt und treulich daran gebaut, was ich konnte.

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Ueber Freiheit und Notwendigkeit, nachdem ich mir an der Frage fast das Hirn lahm gearbeitet, bin ich endlich bei einem ordinären Behelf angekommen, der mir doch seine Dienste tut. Es sei so, daß es Wahlfreiheit des Willens nicht gibt. Also schwindet die Zurechnung; es gibt nicht Schuld, nicht Verdienst, der Verbrecher muß. Allein, da doch alles notwendig, so müssen die, welche ihn strafen, auch. Sie strafen ihn, weil sie ihn für zurechnungsfähig, für schuldig halten, und da sie ihn strafen müssen, so ist es so gut, wie wenn er es wäre. Geschieht Heilsames, so freuen sich die guten Menschen und lohnen es, – nicht alle, doch viele, – als ob es Verdienst wäre. Sie müssen, und der Mann, der sich verdient gemacht, hat auch gemußt. Aber da beide müssen, so ist es ebensogut, wie wenn beide frei handelten. Und so kann ich ganz getrost nach den gewöhnlichen Begriffen von Freiheit des Willens leben, befehlen, strafen, loben, lohnen, und tut die Menschheit recht, sich an dieselben zu halten; denn da, wenn Notwendigkeit waltet, nicht das eine notwendig ist, das andre nicht, sondern sowohl die Gegenwirkung als die Wirkung, so bleibt gut gut und schlecht schlecht.

Wer in schwerem Katarrh eine Untat begeht, der freilich handelt jedenfalls in Verfinsterung, doch ist zu fragen, ob er nicht vor derselben schuldhafte Gedanken nährte.

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Nennt mich neulich ein junger Fant liebenswürdig. Dieser, Männern gegenüber von Männern gebraucht, unverschämte Ausdruck kommt immer mehr auf. Ich habe dem naseweisen Geck gesagt: Danke, bin nicht liebenswürdig, bin zufrieden, wenn man Respekt vor mir hat.

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In was alles ich mich nicht gefügt, weiß man und rechnet mir dick auf. In was alles ich mich aber still gefügt, weiß oder bedenkt man nicht.

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Ihr verlacht, verachtet mich wegen meines Grimms über die Kreuzung durch das Kleine. Ihr würdet mich verstehen, wenn Größe in euch wäre. Ich will gar nicht stolz reden; – ich meine darum nicht, ich sei Alexander der Große, Karl, Friedrich der Große, oder Plato, Aristoteles, Spinoza, Kant, oder ihr solltet so etwas sein. Aber etwas von Größe, ein Ansatz dazu ist doch in jedem rechten Kerl. Großen Uebeln begegnet das Große in ihm groß, der Schund mit dem Kleinen, dem Winzigen muß ihn empören.

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Ich lasse meinen meisten Zorn an Schubladen, Töpfen, Hemdknöpfen und dergleichen aus. Das kommt den Menschen zugute, daß so viel Wut nach der Seite abläuft. Doch nie den schlechten.

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