Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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Drontheim. Da wär' ich! Frei! Weit weg! Wie am Ende der Welt! – Wild auf wilden Wegen weiter, immer weiter. – Frei? Wenn nur die Träume nicht wären – auch ins Wachen herein! Diese beständige Bangigkeit, dies Weh in der Herzgrube! Ich fürchte keinen Menschen und bin doch so atemlos zusammengeschnürt – Träume voll Todesangst – ich bin vergeistert, wohne im Reich der Dämonen.

*

Hätte mich das Ungetüm zerrissen bei Jostedalsbrä, mir wäre wohl besser. Die Bärenjagd mitmachen, – ich hoffte eine Kraftkur für die arme Seele. Im ewigen Schnee, am Eis der Gletscher: Ausstürmen, Kühlung! Will es ohne Schuß wagen, mit angepflanztem Haubajonett. Bär steht, Stoß fehlt. Die Rotjacke hat mich mit wohlgezieltem Schusse gerettet. Unkraut verdirbt nicht. Aber Tatzenhieb über die Schulter. Gut, daß der Doktor die Jagd mitmachte, der Schwede Erik hat mich in den Gard bringen lassen, verbunden. Wundfieber. Wilde Phantasien: Goldrun, goldglänzende Bärin, haut mich über die Brust, schleppt mich hinter den Ovsthusfoß, umarmt mich dort als Meerfräulein, verwandelt sich plötzlich in den Wolf Fenrir. – Am andern Tage wieder hell, doch schwach. Der Doktor gar guter, gesund nüchterner junger Mann. Sitzt an meinem Lager, der Ton seiner Stimme, der Blick seiner Augen so ehrlich und beruhigend; erzählt: hat sich als Arzt in Bergen nieder gelassen, holt bald seine Braut von Schottland herüber. Wird nicht müde, sie zu rühmen, wie reiches Seelenleben, und dabei so sanft, gut, brav; Vater ein Schotte, Mutter auf Perugia; heißt Cordelia, »und,« sagt er, »ist auch Cordelia«. Malt sich rührend sein nahes Glück auf, – wie die Zimmer einrichten – alles. Mir tönt das wie ferne Glocken, wie alte Sage von der ins Meer versunkenen Stadt. Einfaches Menschenglück! – Für mich nie!

*

Geheilt weitergewandert. Ueber wüste Hochebenen, todeseinsam. Oft hungernd fortgeschleppt, bis ein ärmlicher Säter mich aufnahm. Ein Schneehuhn flattert auf, ein Fuchs schleicht, keine Menschenseele. An Bergseen schwerträumend. Hinab? Unter? Nein, weiter! Ich sehe Gestalten im Geist über diese Wüsten schreiten, kriegerische, abgemagert, zerlumpt, ungebeugt, ein jugendlich Haupt ihr Führer. König Sverrir, der du mit deinen kühnen Banden einst hier ringend mit Kälte, Schnee, Hunger umhergeirrt, Kriegern in Birkenrinde gekleidet, oft der Verzweiflung nahe, sich fragend, ob sie sich nicht lieber hoch von den Klippen stürzen oder gegenseitig töten sollten, – hast ausgehalten mit deiner Schar, ein halb Jahrhundert gekämpft gegen Priesterherrschaft, drunten im Sognefjord in blutiger Seeschlacht gesiegt, – o, so etwas! wer mir das brächte! – Aber will aushalten! Will mich nicht schämen vor euch Heldengeistern. Bin Mann.

*

Hinüber dann ins Jötunfjeld, von den alten Riesen getürmt gegen die Asen, Gipfel an Gipfel, Zacken an Zacken, ewiges Eis, wütende Wasserstürze, Hochtal dazwischen schauerlich schön –, geisterhafte Seen –, ich schaue empor an den unerbittlichen Kristallen – fällt mir ein aus der Edda, wie es von Brynhild heißt:

»Oft geht sie mit Argem
Innen erfüllet,
Eilt ob Eisbergen
Nächtlich dahin –«

Die Wilde dort in der Stadt könnte ich mir auch so denken. Muß ich sie überall finden?

*

Was soll ich aber hier in dem Drontheim da wieder unter den Menschen? – Einst, welchen Zauber hätte für meine Phantasie gehabt so uralt, fremd, fern hochnordische Krönungsstadt! – Jetzt, was geht's mich an, was es hier gegeben hat seit Olaf Trygvessön? Die Domkirche studieren, ihre alten Königsgräber? Norwegisch gotische Zickzackornamente nachzeichnen? Zickzack genug in mir selbst. – Auf dem Fjord im Sturm gefahren, hat wohlgetan; doch, wo Wasser, fällt mir der Tindsee wieder ein, immer, immer –

*

Ja, wenn's noch Vikinger gäbe! Hinaus auf dem Wellenroß in Sturm, in blutigen Krieg! Das wäre für mich!

*

Warum nicht hinweg? Jetzt auf, fort, hin nach Italien? Es hält mich mit Geisterknoten; es bannt mich. Ich mache mir vor, ich müsse Stimmung abwarten, innen austoben lassen, bis Sammlung zu ruhiger Kontemplation –, als ob man die nicht suchen müßte durch Weithinwegeilen. Aus den Augen, aus dem Sinn! Im selben Land ist immer noch in den Augen. Ist es aber ganz nur Selbstanlügen? Mir ist immer: es fehlt noch ein Punktum. Ach, immer noch der unerlöste Geist von damals!

*

Als sie mich wegschüttelte, als ich den Kopf an den Schrank schlug, da fiel mir Siegfried ein: »Daz im sin Houbet lute an eime Schamel erklank«. Er hat dann das wilde Weib bezwungen, dafür hat sie ihn morden lassen. – Bin ich fertig mit ihr?

*

Daß aber doch auch das Denken nichts, gar nichts helfen will! Besinne mich auf alle Weisheitssprüche – was ich nur aufgraben kann, aus dem gefrornen Gedächtnis heraushauen – Sprüche Salomonis, Weisheit der Brahmanen, Sakja-Munis herrliche Arzneien gegen die Leidenschaft, Konfutses Weisheit, Sieben Weise Griechenlands, Plato – ach, über dem fällt mir der sanfte Gang in Westfjorddalen wieder ein, unsre Plato-Abende in Bergen, jede Stunde, wo sie gut war und vernünftig – – fort, weiter; die Stoiker, Markus Aurelius, der reine Kühlbrunnen seines Εις εαυτον –, Goldworte des Neuen Testaments –: da taute aus Knabenzeit wieder in mir auf: »Denen, die den Herrn lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen,« – die Augen wurden mir feucht –; mein Spinoza – Kant – der fiel mir nach langer Zeit wieder ein, sein ehrliches Schriftchen: »Von der Macht des Gemütes, durch den bloßen Vorsatz seiner kranken Gefühle Meister zu werden«, – u. s. w. u. s. w. u. s. w. – Und alles umsonst! Die Leidenschaft ist eine profunde Sophistin. Was sagt sie? Sie sagt: alles ganz wahr und schön, mag auf alle Fälle passen, nur auf diesen nicht; der ist von absoluter Besonderheit. Das Diese kämpft gegen die Wahrheit und Macht des Allgemeinen, will sich in seiner zäh gebackenen Dichtigkeit nicht von ihm perforieren lassen. Ja die Diesheit, das ist etwas gar Dunkles, Schweres, ein großes Geheimnis.

*

Und diese Einsicht in den Sophismus der Leidenschaft nutzt mir auch nichts, rein nichts, hilft mir nicht, meine Seele wieder holen, die mir abhanden gekommen, die nicht mehr mir gehört. Mein Zentrum ist außer mir, heißt Goldrun, läuft um, wo es – wo sie mag, mißhandelt mich, entehrt mich. Ich bin nicht mehr Ich.

*

Dämonisch ist das Weib, dessen Reiz noch fortwirkt, während man sie schon verachtet – Eine Definition unter andern, es gibt noch mehrere.

*

Oft war sie zwischen Herrschsucht, Siegeshohn ganz untertänig, mehr als recht.

Der Hochmut und der Sklavensinn,
Die sind in einer Schublad' drin.

*

Den ersten habe ich zu wenig bekämpft, den zweiten nie benutzen mögen. Ach, in der Liebe, meint man ja, gelte nur ein Gesetz: unendlich gut sein!

*

Vertrackte Zufälle führen mich ganz gegen meinen Sinn und Geschmack an eine Table d'hote. Rede nach Gewohnheit, weil ich in der Jugend für meine Zutulichkeit gar so schwer Lehrgeld gegeben, am Wirtstisch überhaupt nichts, außer wenn Nachbarn mit mir anfangen. Alles schweigt, nur da und dort kurze gedämpfte Gespräche. Dauert zwei Stunden, hab's eine ausgehalten, weil erst nach einer Stunde das Stückchen Braten kam, das gesunde Nahrung. Dann fort. – Unendlich rohe und gemeine Sitte, zwei Stunden lang stumm fressen, den Magen vollstopfen. Kuh an der Raufe frißt gebildeter.

*

Wieder hinaus in die Berge. Etwas erlabt. Rotmützige, dunkelbraune, schmalaugige Lappen gesehen, Renntiere weidend. Die haben's gut, still bei den stillen Tieren mit den waldfrischen, sanften Augen. Fressen auch beide an keiner Table d'hote.

*

Es ist gar trocken heiß, wir sind stark im August. Alles seufzt nach Regen. Alle Abend Wolken, lang Wetterleuchten und reicht doch nicht, kann doch nichts werden. So ist's in mir. Es muß noch einen Durchbruch nehmen. –

*

Endlich! Ein Prachtgewitter. Wie hat mir's wohl getan! So mächtig durchschlagen! – Da hat sich mir unvermutet die Muse einmal wieder eingestellt.

           

Es glüht das Land, es lechzet
    Die ausgebrannte Au,
Jedwedes Wesen ächzet
    Nach einem Tröpfchen Tau.

O Himmel, brich! Entschließe
    Dies Blau aus sprödem Stahl,
Nur Regen, Regen gieße
    Herab ins schwüle Tal!

Er hört. Im Westen webet
    Und spinnt ein grauer Flor,
Er ballt sich, schwillt und schwebet
    Als Wolkenberg empor.

Jetzt mit den Feuerzügeln
    Fährt auf der jähe Blitz
Und aus den luft'gen Hügeln
    Löst er sein Feldgeschütz.

Heut hat man baß geladen,
    Es zuckt wie gestern nicht
In fahlem Schwefelschwaden
    Ein stumm verglühend Licht.

Es kracht. In Ketten wandern
    Die dumpfen Donner fort,
Von einer Wacht zur andern
    Rollt hin das Schlachtenwort.

Was atmet, rauscht und sauset?
    Frisch auf! Der Sturmwind naht.
Der Wald erbebt und brauset,
    In Wogen geht die Saat.

Schon dampft ein Meer von Würzen
    Aus der behauchten Welt
Und satte Wetter stürzen
    Auf das geborstne Feld.

*

Mir auch, mir auch so – Schlag, Sturz, Kühlung!

*

Gehe spazieren. Fjord prachtvoll. Luft mild. Selbst Nußbäume. Fluren saftig. Kröne mich mit Stille, salbe mein heißes Haupt mit Oel des Friedens, alte Krönungsstadt Nidaros!

*

Will keine Gesellschaft. Am wenigsten die Engländer da, die ich zum drittenmal in der Speisewirtschaft finde. Verwünschte Sprache. Ein Gott hat sie im Lachkrampf erfunden und gesagt: eine Sprache soll sein, die sei zweckmäßig kurz und doch reich, dadurch fast zur Weltsprache geeignet, aber im Klang so, als brächte man zum Spaß unanständige Töne hervor. – Uebrigens kann man die Sprachen auch so einteilen: das Englische reine Auster, schleimig mit Seegeruch. Das Italienische Rotwein mit Orangen. Das Französische Likör und Biskuit. Das Deutsche gutes Roggenbrot mit Rettich und kräftigem Bier. Das Holländische ganz Hering.

Doch alles dies ist auch wieder gleichgültig, denn jede Sprache hat außerdem noch Nektar im Keller. Da sind die Dichter die Schenken, ideale Kellner. In der lächerlichsten aller Kultursprachen hat Shakespeare geschrieben.

*

Mich einmal wieder über die Menschen empört. Einige Herren, dabei Vater mit Sohn, am selben Tisch drüben im Kaffeehaus. Die Unterhaltung geht in Zoten über, ekelhaft. Man sollte gar nicht mehr unter die Menschen gehen. – Gewiß enthält das Geschlechtsleben des Menschen reichen Stoff des Komischen. Es wäre abgeschmackt, diese Quelle für Lachen und Witz verpönen zu wollen. Wo fängt nun aber das Gemeine, das Wachtstubenmäßige an? Was ist die Grenzlinie? Habe oft darüber nachgedacht, es ist schwer finden. Ungefähr so: das Gemeine beginnt, wo der Stoff nicht mehr durch zufälligen komischen Kontrast oder durch erzeugten, das heißt durch Witz verflüchtigt wird, sondern wo er als Stoff schon komisch interessant sein soll. Es muß ein Plus von komischem Kontrast oder Witz über den puren Stoff da sein. Wie ekeln mich die Kerle an, die meinen, es sei an sich schon witzig, wenn man dies oder jenes auf das Geschlechtliche bezieht! Dann das Augenzwinkern, Zunicken: weißt, wir verstehen, wir kennen das! Dann das stinkige Bocksgelächter. Diese Schweine in Glacéhandschuhen haben sogar vor dem Vater und Sohn, die nebeneinander saßen, Zoten gerissen. Schamlos; es sind Dreckseelen. – Man kann die Menschen nicht keusch machen, aber die Schamhaftigkeit sollten sie sich erhalten, Mann wie Weib. Keuschheit verloren ist noch nicht Scham verloren, sonst wäre ja die Ehe etwas Schamloses. Schamhaftigkeit zum Teufel, so ist die Schwungfeder zu allem Idealen in der Seele zum Teufel. – Das Geschlechtsleben ist an sich ehrwürdig, heilig. Der unverdorbene Jüngling verehrt unbewußt in der Jungfrau das geheimnisvolle Gefäß von Menschenkeimen. Das Geschlechtliche steht also an sich schlechtweg in keinem Kontrast zum rein Spirituellen in der Liebe. Der tiefste Geist kann so Tiefes nicht erfinden, wie das Wunder der Zeugung. Natürlich jedoch müssen Beleuchtungsmomente eintreten, wo scharfer Kontrastschein entsteht. Höchsten ethischen Zwecken, Gefühlen gegenüber fällt auf das Sexuelle das Schlaglicht des Tierischen, ja Mechanischen. Man hat über diesen Kontrast gelacht, solange die Welt steht, auch das reinste Weib. – Gut, dann lacht! Sucht es aber nicht, macht nicht Jagd nach solchen Beziehungen, meint nicht, es sei schon witzig, anzudeuten, daß euch der Geschlechtsprozeß und seine Lust bekannt sei; das ist ja Kot! Das heißt ja: sich freuen, Tier zu sein, unter dem Tier, das Tier reißt keine Zoten!

*

Keuschheit verloren,
Etwas verloren,
In der Ehe etwas gewonnen.
Scham verloren,
Alles verloren,
Die Seele in Schmutz zerronnen.

*

Ihr Götter, was fange ich an zu fühlen! Himmelstau: Langeweile! O gegrüßt, das ist Zeichen der Genesung!

*

Draußen am Lerfoß gewesen, eine Gesellschaft getroffen aus Christiania, wobei ein Prachtweib, groß, durchaus stilvoll gebaut. Weg, will nichts davon! Will kein Rasseweib mehr sehen! Es ist ein Elend, daß unsereinem kein Weibesgebild gefallen kann, wo der Teig sitzen geblieben; bei den Rasseweibern ist er gut gegangen, aber der Teufel hat den Herd geheizt.

*

Sammlung wächst, wenn ich nicht ganz irre. Glaube mich auch gewappnet gegen die heißen und plastischen Weiber in Italien. Muß nun doch bald hin, dort Heilung vollenden. Noch eine, zwei Wochen vorher lateinische Klassiker lesen, wird gut tun. Objektive Sprache; wird kühlen. Dann auf und hin zum Süden.

*

Die Träume sind mir doch noch gefährlich. Diese Nacht vor Einschlafen surrt mir der letzte Vers des Gewittergedichts im Ohr. Träumt mir, das getränkte Erdreich öffne sich und ihm entsteige ein nacktes Prachtgebilde. »Dies ist nicht das Meer,« sage ich, »du bist nicht Anadyomene.« Sie nickt, ich meine das schöne Weib zu erkennen, das ich draußen am Lerfoß gesehen. »Laß mich!« rufe ich. »Komm,« flüstert sie, »ich zeige dir Anadyomene.« Wie magnetisch zieht sie mich, schwebt mit mir über Gebirge, Meere, der Himmel wird tiefer blau, Inseln schwimmen, rein gezeichnet, in Azur getaucht; ein Vorgebirge steigt auf, eine Landzunge ins Meer vorgelagert; »hier ist Knidos,« spricht die geisterleichte Trägerin, läßt mich vor einer Tempelhalle nieder, ich trete ein und da steht sie, die Gewänderablegende, – leuchtend, das Höchste, was kunstgewordene Natur erschaffen kann. Schauen will ich, spricht's in mir, und fernbleiben. Da seh' ich Lebenswärme durch den Marmor rieseln, das Antlitz färbt sich, das Haar wird Gold und ich erkenne Goldrun. Sie regt sich, winkt. Der Boden wankt. Ich versinke.

*

Teurer Phaon!Hier findet sich ein Blatt von fremder, weiblicher Hand, ein Brief in griechischer Sprache. Es geht zur Hälfte ein Riß hindurch; der Empfänger, scheint es, wollte ihn zerstören und ließ wieder ab. Ich gebe den Inhalt in deutscher Uebersetzung. Der Herausgeber.

Hinweggegangen bist Du, und hergeschritten ist mit ehernem Fuß der langhinstreckende Tod, in Hades wandelt der Freund, der Enkel der Hellenen, der Weise, der Deuter des göttlichen Platon; sterbend hat er Dich genannt und gestammelt: er nun Dein Schutz und Hort. – Geschieden ist der Jüngling, der kurze Blindheit hellem Geist hat angehaucht. – Du zürnest, zürne nicht länger!

Aber mein Zorn lodert nicht lange Zeit,
Sondern friedlich und sanft ist mein Gemüt.

Also spricht Psappha, die Lesbierin, also spreche ich, also sprich auch Du, o Freund!

Einsam bin ich, o Guter, wandle seufzend wie Schatten am Acheron.

Der Mond und die Siebensterne
Sind unter und Mitternacht ist's;
Vorüber ist schon die Stunde,
Ich aber bin ganz alleine. –

Vielfach sind die Bewegungen des Eros, sanft die einen, gewaltig die andern, um Dich aber, o Freund –:

Eros schüttelt mir wieder so stark das Herz
Wie der Sturm, der im Forste die Eichen bricht.

Ich habe zu seiner göttlichen Mutter gefleht:

Aphrodite, himmlische, thronumprangte
Tochter Zeus, Listsinnende, hör mein Flehen:
Laß in Gram und schmerzlicher Qual mein Herz nicht,
    Herrscherin, brechen!
Sondern komm, – –

Und gekommen ist sie, Sperlinge, zierlich flinke, die eilenden Flügel schwingend, trugen den goldenen Wagen

Mitten durch den Aether zur dunkeln Erde
    Her vom Olympos.

Und Lächeln im unsterblichen Antlitz, fragte die ewig Heitere:

Was für Leid denn wieder mich plage, was denn
    Wieder ich rufe,
Was ich meinem schwärmerisch heißen Herzen
Jetzt zumeist ersehne. »Wen soll denn wieder
Peitho deiner Liebe gewinnen, wer denn
Kränket dich, Psappha?«

Sende hin zum zürnenden Freunde Peitho,
Sprach ich, redend sänftige sie das Herz ihm,
Führ ihn her zu seligen grünen Auen
    Lieblichen Strandes. –

Wisse, o Freund, am Sjöstrand dort, am Ufer des Sognefjords war Baldurs Hag, und Frithjof, der junge Held, fürchtete nicht des Gottes Zorn, und der gute schöne Gott duldete es, daß er in seinem Haine Götterstunden lebte mit der süßen Pflegschwester Ingeborg, König Belis Kind.

Komm, Du Guter, Teurer, komm, Phaon, in die Arme Deiner

Psappha Chrysostoma.

*

Aus ist's, ich kann nicht widerstehen. Es ist eben doch ein gutes Weib. Kurze Verirrung des Gefühls – warum soll man sie schließlich nicht verzeihen? Wird mit Arnhelm doch nicht zu weit gegangen sein, und übrigens muß man sie eben überhaupt als Griechin auffassen. Und ihr Spott war und ist eben Humor. Solch ein Weib findest du ja doch nicht wieder! Aus! Heute noch vorerst Eisenbahn bis Stören, dann weiter zu Schiff, zu Fuß, zu Pferd, Skyds-Fuhr, im rumpelnden Stolkjären, in schaukelnder Karriole, fort, fort durch dick und dünn, fort zu Baldurs Hag! Nach Haus, ja nach Haus, zu Haus bin ich doch nur, wo sie ist!

*

       

Jetzt schnaube nur, Dampf, und brause!
Jetzt rolle nur, Rad, und sause!
Es geht nach Hause, nach Hause!

Du kannst nicht jagen, o Wagen,
Wie meine Pulse mir schlagen!
Zur Geliebten sollst du mich tragen!

Vorüber, ihr ragenden Stangen!
Verschwindet, ihr Meilen, ihr langen!
Wer ahnt mein Verlangen und Bangen!

Auf den Bänken, wie sie sich dehnen!
Wie sie schwatzen und gaffen und gähnen!
Es ist nichts, wonach sie sich sehnen.

Dort raset der Sturm durch die Tannen,
Zum Dampfe noch möcht' ich ihn spannen,
Daß er rascher mich reiße von dannen!

Hinweg aus dem plappernden Schwarme,
O, hin an die Brust, an die warme,
In die offnen, die liebenden Arme!

*

Lekanger am Sognefjord. Getroffen. – Sjöstrand eine Lustaue, als wäre man in Italien, Fruchtgarten an Fruchtgarten. Vögel girren und schlagen, Eichen und Eschen flüstern, Bäche rieseln, groß brandet die Woge. Aber welche Berge, welche Schneehäupter ragen herüber wie Ewigkeit in den Moment der Wonne! Ja hier, hier! Gönne mir mein Glück in deinem heiligen Hage, deiner alten Friedens- und Opferstätte, du Jugendgott mit den blühenden Wangen, gönne mir's, Baldur! Hast's auch Frithjof nicht mißgönnt, als er herübersteuerte von Framnäs. des Vaters Haus, auf seinem Schiff Ellidi, und sie besuchte, die Gespielin seiner Kindheit, die holde Ingeborg, ihm verweigert von den stolzen Brüdern Helgi und Halfdan und verwahrt in deinem Heiligtum!

*

Selige Tage, nur Tage, denn noch scheint die Mitternachtssonne unsern Entzückungen.

*

Wir rudern her und hin am Fjord, hinüber nach Balholmen an König Belis Grabhügel, hinüber nach Vangsnäs, dem alten Framnäs, wo er seine Kindertage lebte, der starke, der liebende, der treue Held.

*

Welche Großheit wieder, wenn sie das Ruder schwingt, wenn sie vorgestreckt den starken Druck übt, dann die Schaufel dreht, das Ruder zurückzieht und aufrecht wieder in ihrer Gliederpracht steht, herumschaut, und gerötet vom tüchtigen Werk, mich mit den großen Augen anlächelt! So war sie ja auf dem Tindsee, da hat sie mir's angetan, nur hat sie mich so sonnig aufgeblüht noch nicht angeschaut!

*

Gestern Sturm. Wir hatten schwer zu kämpfen. Wie trotzig stand sie wieder, wie herrlich wühlte wieder der Wind in ihren Goldlocken! Frithjof fiel uns ein, wie er auf König Helgis Gebot fort muß, weg vom heißen Glück, und Jarl Angantyr zwingen, daß er Schatzung zahle, und wie draußen in offener See der tobende Schneesturm auf sein Schiff Ellidi gestürzt kommt. Sie sang aus dem alten Liede:

Helgi läßt die Wogen,
Die schaumgemähnten, wachsen,
Nicht ist's, wie da wir küßten
Die Braut in Baldurs Hag.

Ich nahm die Strophe auf:

Ich saß auf Polstern
Im Baldurhag,
Sang, was ich wußte,
Der Königstochter.

Nun soll ich sicher
Rans Bett betreten,
Ein andrer aber
Ingeborgs.

Der Sturm warf Regen und Hagel, die Kälte schüttelte uns. Da lachte sie und sagte: »Auch die Götter froren; als Frithjof zurückkam, fand er Helgis Frau, wie sie Baldur am Feuer wärmte.« – Wie verheißend zuckt es dabei über ihre Züge, welcher süße Frevel spielt auf ihren Lippen!

*

O ihr Asen hoch im Himmel! O Bragi, o Baldur. Nicht zu Ran, nicht zur dunkeln Hel im Abgrund, nein, als ehrlicher Kämpfer mit den Einherien zu Walhalla laßt mich einst fahren! – Es wird unheimlich um mich! –

*

Meine Eisenbahnverse haben wenig Glück bei ihr gemacht. Sie mag den gerührten Ton nicht.

*

Diese Nacht, wie ich so die Schlummernde, Hingegossene beschaute, warum kam denn plötzlich ein Grauen über mich? Ich bin doch so sehr im Vollglück. Und warum beim Anblick von Dyrings Bild, das sie als Medaillon am Busen trägt? Er war doch so eine platonische Natur, so ernst, so edel!

*

Warum wächst denn dies Grauen und muß mir einfallen, wie Faust in der Helena, die ihm der Teufel zuführt, ein Gerippe umarmt?

*

Habe den griechischen Einladungsbrief wieder gelesen. Wo war meine Nase? Zur Lust locken hart am Grabesrande des väterlichen Freundes! – Und sollte er, er sterbend sie an mich –, ist's glaublich, wenn ich mich gewisser Blicke – doch nein, diese Mißgeburt stoße aus, mein krankes Hirn! – Aber der Brief! Ein Geflick aus Lappen der Sapphobruchstücke! –

*

Mit ihrem Griechisch ist es auch so weit nicht her, als ich meinte. Dyring und Arnhelm haben ihr immer geschickt nachgeholfen.

*

Diese anhaltende alte Angst kommt wieder, diese Zusammenschnürung der Herzgrube.

*

Ich meine immer, ich müsse ihr recht fürchterliche Predigten halten und dafür solle sie mich recht küssen. Vereinigter, gleichzeitiger Kußregen und Ohrfeigenregen – so steht's hier ums Wetter, dies wäre meine Losung.

*

Könnte jetzt mit andern Versen aufwarten.

       

Du reizend Ungeheuer,
    Neig her den schönen Leib!
Reich mir den Kelch voll Feuer,
    Du wunderbares Weib!

Willst du mich küssen, drücken,
    Werd' ich mich nicht entziehn,
Spür' ich in meinem Rücken
    Den Dolch auch immerhin.

Wie salzlos wär' die Liebe,
    Wie matt ihr Himmelsgold,
Wenn sie aus einem Triebe
    Allein bestehen sollt'!

Da ist man erst gerühret,
    Das ist der rechte Spaß,
Wenn Haß die Liebe schüret
    Und Liebe schürt den Haß.

In unsrem Liebesorden
    Mag man das Schlichte nicht,
Da möchte man sich morden,
    Wenn man sich heiß umflicht.

Sag, welches Erdgeists Laune
    Hat dich so stolz gebaut?
Mir graut, indem ich staune,
    Ich staune, wie mir graut.

Sag, welcher wilde Dichter
    Hat dich, o Weib, erdacht?
In dir die Himmelslichter
    Gemischt mit Hadesnacht?

Du winkst mir in den Wagen,
    Es ist schon eingespannt,
Zwei Rappen uns wohl tragen –
    Du weißt, in welches Land.

Da bin ich schon zur Stelle,
    Die Geißel schwinge frei!
Nun im Galopp zur Hölle!
    Hurra, ich bin dabei!

Soll ich's ihr zum Lesen geben?

*

Entsetzlich! Unmöglich! Und doch! – »So war ich mit ihm.«

Mit dem Platolehrer! – Sind mit dem Knaben Arnhelm zwei gleichzeitig, drei so gut als gleichzeitig! Denn daß sie mit dem jungen Schöngeist auch »so war«, wie könnt' ich noch zweifeln! – Und hingesagt hat sie's leichtweg, als verstände sich's nur so von selbst!

*

Wirklich, er hat's angenommen. Er muß arg hungrig gewesen sein, der Köter. Mir ist zumut, als nähme kein Hund mehr ein Stückchen Brot von mir an. Der eine wenigstens verachtet mich doch nicht. Bäume, Berge, Schornsteine grinsen auf mich her, Wasser blinzeln nach mir her und sagen: uns ekelt an dir!

*

Sie niederstoßen? – Ein Weib! – Daß ich ihn erreichen könnte – das Messer bis ans Heft in die Brust und zwölfmal darin umdrehen! – Einen Dolch muß ich mir doch anschaffen – einen schönen, spitzen, langen, recht blank – nur öfters ansehen und denken –

*

Lachst du, Heuchelfratze? Verkreuchst dich in deinen Fuchsbau drunten und kicherst heraus? Wart, wart, Larve, man kann auch einen Toten – – Mein Gehirn siedet, – es rieselt mir so oben herüber – Schatten, Wolken – auch der triefende Schweiß zurückgetreten, in dem ich von ihr fortstürzte hinaus in den Sturmwind – verkältet ins Mark hinein – böse, böse Mischung –

*           *

*


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