Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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Norwegen. Christiania. Schlimmes kann doch auch Gutes tragen, zum Beispiel Sorge vor Emphysem ein freies Jahr. Möchte schon lang Italien sehen, aber auch Norwegen. Gut, gut, Herr Doktor, Sie wollen mich nach Italien, aber da ist Juli und August zu heiß, dagegen in Norwegen die Zeit der hellen Nächte, also zuerst Norden, dann Süden! Durchgesetzt und – einmal ein Glück – ein Stellvertreter geschickt zur Hand, Urlaub herausgeschlagen, fort, fort!

Wie freier schon die Brust, seit ich das Meer wieder gesehen! Eigentlich zum erstenmal; denn damals auf Sylt und Föhr habe ich es noch nicht so recht verstanden, brachte noch nicht Ernst genug. Zuerst groß, unendlich in Stille. Dann mäßig bewegt, also alles sehen dürfen: die Großheit der Horizontale, Helldunkel, Farbe, Durchsichtigkeit, Spiel der Reflexe und der herrlichen, schwanenhalsigen Bogenlinien! Die Seele jauchzte mir. O, da gibt es viel Gott!

*

Jetzt bald in die Berge! Hinein zu den Asen, den alten Göttern! Brause mir entgegen, Odin, Lebensatem! Zerschmettere, Thor, mit dem Donnerhammer meine bösen Geister! Baldur, du Guter, du Schöner, laß meine Seele nicht zu stolz und wild werden, wenn sie unter den alten Riesen wandelt, und führe mir Bragi herbei, seine Gattin Idun an der Hand mit den alles verjüngenden Wunderäpfeln! Du aber meide mich, wie ich dich meide, liebreizende Freyja! Behüte mich vor ihr, Heimdall! Warne mich mit dem Gjallarhorn, wenn sie mir naht!

*

Was erlebt!

Von Christiania nach Kongsberg, dann westlich hinein, die Bekanntschaft der Schneegebirge machen, Melfjeld, Liefjeld, Bleefjeld, Riesenhaupt Gousta; den Tindsee, dann den Rjukanfoß sehen! – Pferd genommen vom Hofe Vig, guter Rappe; trägt mich lustig ans Ziel. Ein Kahn mit drei Personen am Ufer des Tindsees, im Begriff abzustoßen; man bemerkt, daß ich mich nach Fahrgelegenheit umsehe, und lädt mich ein. Ich lehne nicht ab. Führer nimmt das Pferd zurück. Ein älterer Herr, ein junger Mann, eine Dame. Stelle mich vor, wer ich sei, der Herr sich und die andern. Gebe kaum Achtung, höre nur, daß der Aeltere Dyring heißt und daß sie in Bergen zu Hause sind. Denn welch ein Weib! Haare, wie ich sie nie gesehen. Rein metallischer, hochgelber Goldglanz, sonderbar, herrlich und unheimlich. Fallen geringelt an der Stirn, den Schläfen herab, darüber rotes Tuch um den Kopf; hat auf dem Bergausflug dies Stück Volkstracht angelegt; Kopftuch sonst blau, würde ihr besser stehen; scheint für Rot gestimmt. Reines Profil, markiges Kinn, Unterlippe ums Merken voller als Oberlippe. Auge zeigt sich noch wenig, läßt einen raschen Blick aus weiter, freier Wölbung über mich hinschießen, senkt dann die Lider wie vorher, und sie schaut still vor sich hin; Gestalt groß, zwar noch verborgen unter faltenreichem Ueberwurf.

Vorderer Arm des Sees in furchtbarer Felsschlucht; die Gipfel scheinen sich oben zusammenzuneigen. Dunkel, unterweltlich, dann eine so schmale Spalte, daß eben nur Raum für die Ruder bleibt, dann ins Offene, Breite, rechts leuchten die fernen Schneekuppen des Bleefjelds herein, links stürzt der Gigantenleib des Gousta herab. Alles Ufer steile nackte Felswand. »Rudre du, Goldrun,« sagt Herr Dyring, »zeig jetzt, was du kannst.« Sie legt den Ueberwurf ab, einer der Schiffer gibt ihr sein Ruder. Welche Gestalt entwickelt sich, welche Kraft und Gewandtheit in der Bewegung und wie mächtig schön treten diese großen Formen, tritt diese energische Schwellung der Hüfte heraus, wenn sie, das eine Bein kräftig vorgesetzt, das Ruder zuckt, eintaucht und drehend nachdrückt! – Wolken, Wind. Schaumbüsche fahren auf an den unnahbaren, unerbittlichen Schroffen der Ufer. »Und nicht wahr, jetzt singen Sie uns etwas?« sagt Arnhelm, der junge Mann. Sie schaut zurück, sieht mit leuchtendem Blick bejahend den Jüngling an, ein zweiter fliegt wieder nach mir hin, dann beginnt sie, während der Wind in ihren Goldlocken wühlt, daß sie bald langgezogen in der Luft spielen, bald wellig mit aufschimmernden Lichtern das stolzgehobene Haupt umwogen. Stimme gegen Alt hin, düstere Melodie:

Herr Olaf reitet im weichen Sand,
Im Wellenschaum am Meeresstrand.
    Merk auf, Herr Olaf!

Die Woge spritzet, die Woge rauscht.
Was klinget dazwischen? Herr Olaf lauscht.
    Merk auf, Herr Olaf!

›Komm, Olaf, zu mir, komm, steige vom Roß!
Komm zu mir herab in mein grünes Schloß!‹
    Merk auf, Herr Olaf!

Es singet so süß, es locket so laut,
Er vergißt zu Hause die treue Braut.
    Merk auf, Herr Olaf!

Er spornt seinen Rappen ins Meer hinein,
Die Sonne geht unter in rotem Schein.
    Merk auf, Herr Olaf!«

Sie ruhte einen Augenblick. Die letzten Töne hallten lang nach an den Felswänden. Weithin hörte man das Rauschen der schäumenden Brandungen. Mitten aus ihnen schien mir jetzt die verhallende Menschenstimme entgegenzukommen, ein Geisterlaut. Mir schwindelte in tiefster Seele. Sie schaute zurück und ihr Auge, erglänzend im Widerschein ungewissen Lichtschimmers, der durch die Wolken brach, ruhte zuerst auf dem einen, dann dem andern der zwei Begleiter – mit einem Ausdruck – o, träfe auch mich ein solcher Blick! Aber mich überging sie, ruderte wieder einige Schritte und fuhr dann fort im Gesange:

»Und heller und heller das Meerweib singt,
Und süßer und süßer die Stimme klingt.
    Merk auf, Herr Olaf!

Laß fahren die Welt, laß fahren den Schwarm,
Laß dich küssen und wiegen in meinem Arm!
    Merk auf, Herr Olaf!

Was sieht er im Strudel? Ein Augenpaar,
Eine schneeweiße Brust, blond Lockenhaar.
    Merk auf, Herr Olaf!

Und er spornt seinen Rappen, der wirft ihn ab,
Und er sinkt hinunter ins feuchte Grab.
    Merk auf, Herr Olaf!«

In diesem Augenblick fuhr ein Fisch von seltener Größe, wohl acht Schuh lang, dunkel, breitmaulig, aus dem Wasser hervor, glotzte sie einen Moment lang an und tauchte wieder unter, sie schlug ihm mit dem Ruder nach und rief: »Das ist ein Wels! Hat dich die Gewitterschwüle heraufgelockt, alter Seeräuber?«

»Auch ein Verehrer,« sagte Dyring.

Die paar Wörtchen wollten mir unheimlich vorkommen. Ich hatte keine Zeit, zu grübeln.

Sie sang zu Ende:

»Schön Ranild schaut zum Fenster heraus,
Ein nasser Rappe steht vor dem Haus.
    Merk auf, Herr Olaf!

O Rappe, o Rappe, dein Sattel ist leer,
Sag an, was bringst du für traurige Mär'?
    Merk auf, Herr Olaf!

›Dein Liebster ist hin, daß Gott sich erbarm',
Ihn wieget die Nixe im schneeweißen Arm!‹
    Merk auf, Herr Olaf!

›Bei den Fischen wohnt er im tiefen Meer,
Die Sonne siehet er nimmermehr.‹
    Merk auf, Herr Olaf!«

Wer könnte die Töne dieses Gesangs beschreiben! Schweres Dunkel, sich verdichtend, anschwellend, war ihre Grundstimmung. Bei den Lockworten der Nixe gingen sie in eine schmelzende Süßigkeit über, wurden heißer und heißer, man meinte den wollüstigen Jubel zu hören, der nach den gezogenen Klagelauten aus den Wirbeln der Nachtigallstimme auflodert. Sie sanken in ein tiefes Weh gegen das Ende, aber wirklich am Ende, beim letzten Verse stieg wie ein Geist aus den gesungenen Tränen des Mitleids ein Etwas hervor und mischte sich unsagbar mit ihnen, – ein Etwas – Triumph und Schadenfreude wären ein plumper Ausdruck; auch wenn ich es umschreiben wollte: »dahin kann ein Weib einen Mann bringen,« es wäre nackt und roh übersetzt, o, es war unheimlich und doch unwiderstehlich! – Die letzten Töne verklangen im Echo der Felsen, und jetzt sah sie wieder zurück, diesmal auf mich. Wer kann sagen, was über ihr Angesicht zuckte! Ein Schatten von Ernst, dann wieder Lust, Reiz, Wonne, Mutwille, Witzgeist, Spott, Uebermut, helles Siegesfrohlocken, das beim Himmel noch etwas andres besagte, als: »so kann ich singen!« Aber wer hätte das triplex aes circa pectus bewahrt! Ja, so konnte sie singen – und? –

»Jetzt aber rasch ans Land!« rief Dyring, »es wird bedenklich; und sitze jetzt zu uns!« Sie gab das Ruder ab, die zwei Bootsmänner strebten mit Macht vorwärts, hinaus aus dem Felsengefängnis, Sanden zu. Goldrun setzt sich aber nicht, sie schaukelt den ohnedies taumelnden Kahn, trunken von Lust schnalzt sie mit den Fingern, als schlüge sie Kastagnetten, und jauchzt in den brausenden Wind hinaus: Evoë! Evoë! Ιακχε, Ιακχε! Wie blitzten ihre großen Augen! Noch mutwilliger als vorhin, halbwild trifft mich ihr Strahl! – Angst wegen des Sturms kann sie mir nicht ansehen. Darum kann sie mich nicht auslachen.

Ein entzückend Weib.

Aber warum fuhr mitten im Entzücken ein paarmal der Gedanke in mir auf: stoße sie hinab zu den schnappenden Fischen, zum phosphoraugigen Wels, da gehört sie hin!?

*

Westjorddalen. Herrliches grünes Tal, Kornfelder, samtene Matten, Saft und Pracht der Bäume, ein Tempe, von Bergen umschlossen, und majestätisch im Silberglanz ragend die Pyramide des Gousta, sechstausend Fuß hoch. Wir wandeln durchs Grüne, an Hütten, Höfen vorüber. Still, ganz still. Nur der dumpfe Donner des Hongafosses von dort herüber. Goldrun ist wie umgewendet. Sanft. Vater und Mutter früh verloren. Nachdenklich. Dann wieder heiter. Scherz; versteht selbst meine Lust am schlechten Witz. Tut mit. Dann wieder ernste Gedanken über Mensch, Leben, Religion. Sie ist doch gut. Nun an einem klaren Bach hin, Erlen. »Der Ilissus mit seinen Platanen ist's nicht, doch anmutig Denken schwebt auch hier,« sagt sie. Diese drei Menschen leben in Platos Ideenwelt. Dyring ihr Lehrer, Freund des früh der Mutter nachgestorbenen Vaters. Er hat sie in die Griechen eingeführt, und jetzt atmen sie in der Bergluft des attischen Philosophen. Arnhelm, Schriftsteller, Dichter, nimmt eifrig Teil an den Lehr- und Gesprächstunden. – Phädrus. Seele am überhimmlischen Ort die Urbilder schauend, das Gute, Wahre, und leuchtender das Schöne. Herabgesunken ins Irdische, und nun, wenn sie ein schön Menschenbild sieht: Erinnerung, Staunen, Entzücken, Begeisterung, heiliger Wahnsinn. Wie hat sie's verstanden! Wahre Liebe, erziehende Seelenliebe. Dabei lange Blicke gewechselt zwischen ihr und Dyring, wie väterlich die seinen, wie dankbar die ihren! Und Arnhelm, welche reine Glut, womit seine Augen bitten, der Dritte im Bunde zu sein!

Diese Liebe, die erziehende, die seelenbildende, ist entsinnlichend, zähmt das dunkle Roß Begierde. Goldrun sagt es ohne Schüchternheit, philosophisch objektiv. Wir gingen um eine Biegung des Wegs, die Zwei auf Augenblicke zurücklassend. Dieser Gesundheit des Geistes kann ich nicht widerstehen, fasse ihre Hand. Ein warmer, langer Druck der ihrigen sagt mir, wie sie mein Verständnis versteht. »Phile Phaidre,« sagt sie lächelnd dazu. »Diotima!« rufe ich.

*

Rjukanfoß, wilde Herrlichkeit des Rauchfalls. – Sie hat's gewagt, mit mir den schwindelnden Fußsteg Maristien hinauf über die fürchterlichen Felswände. Die andern nicht, sind unten geblieben. Sie ist von echtem altem Gotenblut! Ja, so müssen die altdeutschen Heldenweiber gewesen sein. – Hoch oben. Der ganze Fluß Maanelv wütet neben uns herab, tief unten hinein in schwarzen, zackig umstarrten Höllenschlund, wo er verborgen weiter siedet, donnert, dumpf hinbrüllt. Wie sie wirbeln, hochauffahrend schwellen, dem Rauch einer Feuersbrunst gleich, die Dampfwolken des Wasserstaubs! Schwindellos steht das stolze Weib und schaut, und ihr Auge leuchtet. Und ich schaue sie an, fasse und küsse sie. Und wie hat sie's erwidert! Küsse aus der Wurzel gesogen!

Drunten über dem rauchenden Schlund ein dreifacher Regenbogen, glühend, wie ich das Schauspiel nie gesehen. Verkündigst du Frieden? Du brennst auf Dampfsäulen aus Schauertiefen, zitterst an schwarzen Felswänden, schillerst über Todesgrauen – – strahle, Traumbild, streue Schimmerfarben, male Seligkeit über den Abgrund!

Schieße noch höher empor, Gousta, und schau unter dem Schneehelm her auf mein Glück!

*

Hinab mit ihr in den Abgrund! – es schoß mir mitten in der Wonne wie ein Blitz, wie ein langer, dünner Dolch durch die Seele.

*

Im Herabklettern gleite ich auf. Sie hält mich. Nur ein Haar fehlte, und ich zerstäubte, war dahin, lag als Schutt, als Nichts im finsteren Schachte. Aber sie lacht. Spottet, bei den zweien angekommen, über meine Bleichheit. Bleibt spöttisch den ganzen Tag. Bleich? War ich bleich vor Todesangst? Warum blieb ich bleich? Hab' ich jetzt den Tod gefürchtet?

*

Den Kuß und dann die Kralle.
So sind sie alle.

*

Pfui!

*

Fort? – Sie ist wieder gut, strahlt wieder.

*

Kann die Tiere nicht leiden, mag die Hunde nicht. Auch kein guter Zug.

*

Doch wer widersteht! Es geht nach Hardanger. Und soll ich die Gelegenheit nicht benützen? Welt der Prachtwasserfälle, Welt der Gletscher und Gletscherketten soll ich sehen, Hardanger-Jökul, Treßfonn, Folgefonn, weiße Riesenhäupter, ragend, schauend über die Buchten, die grünen Täler.

*

Im Gebirge redet leis, flüsternd und laut im Donnerton die Natur mit sich selbst. Alles spricht. Selbst innen in den Felsen tönt es von geheimen Stimmen der eingeschlossen fallenden, steigenden Wasser. Wie löst sich aber die Zunge im Wasserfall! – Am Vöringsfoß, der mit so wütendem Gebrüll seine Wasser in den Abgrund jagt, da fällt mir der Rjukanfoß wieder ein und will mir unheimlich werden neben dem Weibe, das dort mich entzückt und gehöhnt; aber sie steht ruhig ernst, schaut vom wilden Schauspiel hinüber nach den hohen blauweißen Eismassen des Hardanger-Jökul und sagt: »Das sind Jötunstimmen, Stimmen der alten Riesen, die noch erzählen vom Kampfe mit Thor.« Sie kennt den alten Götterglauben, die Heldensagen. Ich habe ihr auch vom keltischen Glauben erzählt und gesagt, er weise doch eigentlich auf mehr Geist; eine Sage, wie die von Gwyon-Taliesin, habe die germanische Religion nicht, man erfahre kaum von Gründung der Zivilisation, der Humanität. »Ja,« sagt sie, »und doch nein. Thor, mit seinen Gewittern das Eis bezwingend, ist doch Vorarbeiter des Landbaus, also auch der Gesittung, und dann: keine andre alte Religion hat eine Götterdämmerung. Verglühen alles Endlichen, selbst dessen, was ewig schien, ist doch weit, weit mehr als Taliesin; wissen Sie aus der Edda vom Wettgespräch zwischen Odin und dem weisheitsberühmten Riesen Vafthrudnir?«

»Nein.«

»Der weiß auf alle Fragen Odins Bescheid, auf eine nicht; Odin fragt ihn: ›weißt du, was ich meinem Sohne Baldur ins Ohr gesagt habe, ehe er auf den Scheiterhaufen gelegt wurde?‹ Das weiß der Riese nicht. – Wird ein Wort gewesen sein vom neuen Leben nach der Götterdämmerung, Wiedergeburt der Welt, Aufgang der Geistwelt.«

Ich schwieg und dachte: wie konnte ich sie verkennen! Dann sagte ich: »Ja, da liegt Tiefe; im übrigen ist alles wilder, mannhafter, bergiger als im Keltischen; Streitbarkeit ist Grundzug, Heldenkampf, es ist eine Reckenreligion. Doch ist auch ein Geistgott da, ein Apollo: Bragi, der Skaldengott. Und ein Zug von weicher, holder Güte, so recht ein grundguter Zug: Baldur, den alle Götter lieben, durch ihn ist dem Frühling inniges Gemüt geliehen.«

Sie wandte sich heiter zu mir und sagte: »Liebreiz ist ja doch auch, – Freyja, Freyja, die Freundin der Liebenden, die gern ein schönes Liebeslied anhört.«

Ich sagte: »Ein Lied versuch' ich wohl auch noch um einen recht guten Kuß.« Schimmernd erglänzte die Reihe feiner Goldketten an ihrem Hals, wie sie sich umwandte. Freyjas goldenes Halsband fiel mir ein. Sie biegt sich zu mir her, das hohe, stolzfreie Weib, leuchtend, atmend, ich strecke die Arme aus. Da zuckt mir etwas durch die Seele, was mich bannt, ich weiß nicht, welches innere Stocken. Es muß ausgesehen haben wie Schüchternheit, Blödheit. Ich überwinde es, will in ihre Arme stürzen, strauchle über eine Wurzel und taumle wie ein Tölpel. Sie lacht laut auf, gellend, und geht vorwärts.

»Und Katzen ziehen Freyjas Wagen,« rufe ich erzürnt ihr nach. Sie schaut nicht um, man sieht ihrem Schritt, dem Schwenken der Hüfte an, daß mein Wort ihr einen Stich gegeben. – Aber wie herrlich schreitet das Weib! Die kann gehen, was ja doch Tausende nicht können. Ihr Gang ist hoher Wohllaut. Verloren schau' ich ihr nach.

*

Natürlich kein Zweifel, daß unser Planet einmal in Stücke fährt und in die Sonne fliegt oder so etwas. Und unser Sonnensystem geht eben auch einmal in Trümmer. Dem Weltall sehr gleichgültig, denn es entstehen immer neue. Götterdämmerung ist immer. Der Geist steht aus der Verglühung des Zeitlichen nie auf oder immer. Es gibt jetzt Wesen, die es erringen, jetzt über der Zeit zu leben, oder es gibt keine. Gibt es jetzt solche, jetzt ist immer, es werden immer solche Jetzt sein, wo zeitliche, empfindende, denkende Wesen sich erheben in das, was nie und immer, nirgends und überall ist. Ist es so, so ist es um keinen Untergang schade. Fragt man: was wird aus dem ganzen Schatze von Erfahrung, Wissen, Bildung, den das Geschlecht auf unserm Planeten mit unnennbaren Mühen, in furchtbaren, ungezählte Jahrtausende langen Kämpfen gesammelt hat? Geht er mit dem Planeten verloren oder ist ein Weg denkbar, daß er erhalten, anderswo aufgefaßt, dort weiter entwickelt ein Glied bildete in einer unendlichen Kette geistiger Erwerbungen aller denkbaren menschenähnlichen Wesen auf allen bewohnbaren Weltkörpern? Die Antwort ist leicht: verloren geht er, undenkbar ist solch ein Band, solch ein Weg. Das scheint trostlos. Ist's aber gar nicht. Alle ansteigende Bildungsarbeit aller Geschlechter erreicht ja nie das Ziel. Gibt es kein Vollglück auf jedem Punkte mitten in der ewig ansteigenden Bahn, so gibt es überhaupt keines. Jeder Augenblick der Freude, der wahren Freude, also vor allem der Freude im reinen Schauen, Forschen und im reinen Wirken ist aber doch Sein im Ewigen an sich, greift also aus der Kette heraus, unabhängig von ihren Bedingungen, eins mit sich, frei. Jene Schätze haben ihren Wert in sich selbst gehabt. Was Wert in sich hat, das beglückt, beseligt. Jeder Mensch, der sich in die Welt des in sich Wertvollen erhebt, ist in jeder Minute, in der es geschieht, mitten in der Zeit ewig. Wie viele Menschen, wie lange Zeit Menschen so des Ewigen teilhaftig werden, verändert daran gar nichts. Sind auf andern Weltkörpern menschenähnliche Wesen, sie mögen sorgen, daß sie ebenso ins Unzeitliche sich erheben.

So ist es ja auch mit der Frage nach der Unsterblichkeit des einzelnen. Du möchtest der Zeit nach ewig leben, mein lieber Piepmeyer? Aber wenn du auf immer neuen Planeten ewig ein neues Zeitleben lebst, so kommt es in jedem derselben immer nur darauf an, ob du vermagst, ins Zeitlose emporzusteigen. Von der endlosen Zeit, mein Lieber, hast du gar nichts, nicht den geringsten Spaß, sie gähnt dich nur an, ihr gehören ist nicht besser, als ewige Höllenstrafe.

Wir sind nur Bilder; wirklich, buchstäblich nur Bilder. Wir werden ja in jedem Moment erst gewoben, gemalt und auch wieder aufgetrennt, ausgewischt. Was jeden Augenblick erst wird, ist doch kein wahrhaft Seiendes. Wir stehen ja nicht fest, wir schweben ja nur wie ein Traumbild. Wir scheinen so solid wie Bein und Eisen, und sind doch so porös, nur wandelnde Auflösung und Wiederknüpfung.

Wie hoch die Welt sich bäumet,
Wie laut auf breiter Spur
    Das Leben schäumet,
Uns alle träumet
    Der Weltgeist nur.

Das braucht aber niemand bange zu machen. Sorge du nur dafür, daß du Bild wirst in einem zweiten und besseren Sinn. Laß dich nicht bloß von der Natur hingepinselt, hingestickt sein! Sorge dafür, daß du Bild wirst, aufbewahrt im Geiste der Menschen. Sein ist Schein. Das wahre Sein verdient man sich durch nicht mehr Sein, – wer nämlich gut vorgearbeitet hat. Das kann auch der Geringste machen, daß ein gutes Bild von ihm in den Seinigen fortlebt. Der große Mann freilich hat als die Seinigen ein ganzes Volk, ganze Völker. Aber man braucht kein großer Mann zu sein; das kleinste Scherflein zum Kapital der Menschheit wuchert fort und fort. Das Brot, das ich heut esse, das Kleid, das mich wärmt, die Gerechtigkeit, die mich schützt im Verein mit vielen: vor tausend und tausend Jahren haben schon gute Menschen daran gearbeitet. Kannst du's so machen, daß du auch deinen Namen ins Gedenkbuch der Menschheit einschreibst: gut, aber nicht notwendig; mag dein Gedächtnis nach wenigen oder mehreren oder vielen Generationen es löschen, geht der Planet auch unter und mit ihm das Gedächtnis der Größten, die unsterblich heißen: Wert und Zeit sind ja zweierlei; in dem Wissen, es wert zu sein, daß man deiner gedenke, bist du ewig, bist wahres, unvergängliches Bild.

*

Goldrun, du bist eben auch nur ein Bild und darum noch lange kein zweites, kein wahres. Du scheinst es in manchem, jetzt in mir, doch das ist nur Schimmer. Du schwebst nur. Dein Gerippe wird einst im Grab faulen, wie jedes andre auch, und in wem lebst du dann noch?

*

Ach, was hilft mir alle Philosophie gegen das Traumbild! Mir schwindelt, wenn ich es schweben sehe, mein Gehirn wirbelt.

*

Weiter, weiter! Berg und Tal, Fjord herüber und hinüber, Buchten, Ströme, Fels, Gebirge, Wasserstürze; gestern unausstehlich launisch, heute wieder sprühend von Lust, Witz, Reiz. Taghelle Nächte, Mitternachtsonne, Geisterglut, banges, fremdes Entzücken.

*

Gestern! O! – Gelandet in Vikör, Noreimssund. Bauernhochzeit auf Sandven. Tanz. Goldrun verschwindet und erscheint wieder in der Festtracht der Braut, roter Rock, schwarzes Mieder, reiche Ketten um Hals und Brust, »Lilienhaube«: Goldkrone voll schwanker Spitzen, spielender Flitter. Tanzt mit dem Bräutigam, mit zwei andern hübschen Burschen, mit Arnhelm, dann allein. Wer kann da vernünftig bleiben! So hat Herodias des Täufers Kopf weggetanzt. Gehaltene Grazie, dann rascher und rascher, heißer und heißer, endlich Bacchantin, heilige Wut im stolzen Leib, ihre Locken sausen ums hochgetragene Haupt; so mögen sie in Rom, in Neapel die Tarantella rasen. – Will mich aufziehen, ich danke, will mich nicht lächerlich machen, will schauen.

Sie endet. Ich trete Kühlung suchend unter die Türe. Die Welt brennt im Nachtsonnenlicht, in Hochglut feurigen Goldes. Ein heißer, rascher Atem an meinem Ohr und die Flüsterworte: Ovsthusfoß – in einer Stunde.

Wir hatten am Nachmittage den Wasserfall gesehen. Der Fluß springt im Bogen vom Felskamm, man steht unter dem Fall unbenetzt, sieht durch seinen breiten Silberschleier die Welt. Jetzt, in dieser Stunde, alles in mystischem Goldglanz, Wasser und Welt! O, hier! In solcher Grotte! Geborgen! »Die Welt wird nie das Glück erlauben, als Beute wird es nur gehascht; entwenden mußt du's oder rauben, eh' dich die Mißgunst überrascht. – Leis auf den Zehen kommt's geschlichen – die Stille liebt es und die Nacht – O, wölbe dich in breitem Bogen, verschwiegner Strom, um uns herum, und drohend mit empörten Wogen verteidige dies Heiligtum!« –

*

Unerträglich! – Verhext –

*

Fort, verbirg dich, vergehe! verwehe!

*

Ein Teufel! ein Teufel! Nur ein Teufel kann mir das – böse Geister sind – müssen sein –

*

Und der Hohn seither!

*

Doch wieder nachgelaufen – Tropf, der ich bin! Jetzt muß ich laufen wie ein Geist, wie eine arme Seel', die keine Ruh' hat im Grab und verdammt ist, umzugehen und zu suchen vergrabenen Schatz, verscherztes Gut. – Natur sperrt sich gegen so viel gleichzeitigen Vorgang im Gehirn – Denken und geheimes Hassen –, und aber wiederum doch –

*

Bergen. Alter Königssitz; jetzt still trotz Handelsverkehr. Eingemietet in einer »Stube« der alten Hansekaufleute. Getäfelt, behaglich. Deutsche Erinnerungen. Tüchtige alte Stadt; bürgerlich, angenehm philisteriös; Holzhäuser, mit weißer Oelfarbe angestrichen; Almendingsplätze, zum Teil anziehend langweilig mit Gras bewachsen. Festung darüber, hoch auf den mastenreichen Hafen herabschauend. Will arbeiten, einmal wieder etwas lesen, nur selten hingehen. Es regnet viel, mir jetzt recht. Goldrun auf der Herreise lang still, dann voll Spott, höhnte auf Registraturen, Amtsstuben, Sitzen, Verdorren. – Jetzt still und zahm.

Man hat die griechischen Studien wieder aufgenommen; Phädon, dann soll es an den Oedipus König. Ich muß doch teilnehmen; man lädt mich sehr ein.

*

Stille Tage. Gesammelte Abende. Dieser Dyring ist doch dem wilden Wesen ein Halt. Wie sanft ist sie, wenn sie an seinen Blicken hängt, auf seine Worte lauscht! Seine hohe Stirn, sein tiefes Auge breitet Meeresstille aus. Arnhelm in einer wahren Andacht, oft wie verzückt. Das Griechische fließt wie Honig des Hymettus von ihren Lippen; wie ertönt da das klangvolle ος der Endungen!

*

Merkwürdig, wie der Tod Leben entzünden kann! Ueber dem Phädon, dem sterbenden Sokrates gibt's viel zu denken an ihn. Der Tod ist pures Nichts, sage ich; der Tod ist, wobei man überhaupt nichts denken kann. Entweder ich lebe, dann bin ich nicht tot, oder ich bin tot und dann lebt keiner, der es bedauerte, daß er tot ist. Man hat Angst davor, sich einmal tot vorzufinden, aber der Tote sucht und sieht sich ja nicht. Daher ist es purer Unsinn, an den Tod zu denken. Wenn nur die Phantasie nicht wäre, die uns zwingen will, uns vorzustellen als im Tode lebend und uns tot wissend! Eine Witwe hat mir erzählt, sie habe den plötzlichen Tod des Vaters dem kleinen Töchterchen einen Tag lang verheimlicht, dann aber das nicht länger gekonnt. Das Kind schweigt eine Weile und sagt dann: aber da wird der Vater traurig sein, daß er tot ist! – Genau wie die alten Völker: Schattenleben im Scheol, im Hades; – tot und im Tod so viel lebend, um zu wissen, wie unangenehm der Tod sei. – Was ist nun das Uebel? Es braucht Denken, viel Denken, diese Phantasie fernzuhalten, als stäken wir lebend im Tod, und zu begreifen, daß man an den Tod schlechthin nicht denken soll. So kommt es, daß man vor lauter Denken, warum man an den Tod nicht denken soll, zuviel an den Tod denkt.

Das hat nun Goldrun begriffen und mir die Hand gedrückt und mich hat es hoch gefreut, daß sie es begriff. Denn Jugend will ja sonst nichts vom Tode wissen. Vom Alter ja auch nichts. Ich erinnere mich, wie wir als junge Kerle von ungefähr fünfundzwanzig Jahren einen Kameraden auslachten, der dreißig geworden. Dummheit, denkt man, so etwas passiert mir nicht! Man will natürlich fortleben, aber daß man dabei älter wird, das schiebt man einfach aus dem Kopfe weg. Und sterben? Seien wir nur redlich gegen uns: wir sind in Wahrheit Aristokraten des Lebens und sehen spöttisch mitleidig auf den, dem das Sterben passiert, eben doch herab wie auf eine Art von Lump.

Nun hat mich also der Handdruck gar sehr gefreut und ich habe wieder gedrückt und wir haben uns geküßt, und nun ist's wieder im Zug.

*

Dieser Arnhelm – jetzt gibt er wieder ein Bändchen Lyrische heraus. Wird es ihr widmen. Nun ja, wenn nur ich's nicht lesen muß; – schrecklich! Was will sie mit dem Süßling? In seinen Blicken nach Goldrun liegt doch ein Etwas – feucht sentimentaler Art – so etwas Ansaugendes, – hübscher Stutzer, was man schön nennt, Modejournal-Monatrettichgesicht mit aufgedrehtem Bärtchen – Wie, eifersüchtig auf den Wonneflöter? Schäm dich, Herz!

*

Wieder verschnupft. Sie meint mich wie armes Würmlein behandeln zu können. »Ei mit Kandiszucker? – Holdertee? Naß Tuch und wollene Binde um den Hals?« Als ob ich ein Mutterkindel wäre! Spottet auch auf deutsche Verweichlichung, deutsches Wesen, Volk, doch da bin ich gestern sehr grob geworden. Sonst – es soll Humor sein, und man will doch Spaß verstehen. Muß ich die verfluchten Hemdkrägen haben und kann nirgends rechte finden. Die haben ganz den Teufel im Leib, halten nicht hinten, rutschen über die Krawatte heraus, sitzen auf der bloßen Haut; muß zupfen den ganzen Tag. Sie sieht alles mit Sperberblick. Schrecklicher Realismus des Weibs, Falkenauge der Mädel für Komisches, für Ungeschicktes im Aeußern.

Das tät' wenig, aber dann wieder bös launisch, tagelang; will sichtbar mich doch eifersüchtig machen. Wie hat sie gestern Dyrings Locken gestreichelt, mit Arnhelm geäugelt!

Größere gewählte Gesellschaft in ihren Zimmern. Verehrer, einige Damen. Ihr Wesen vornehm, taktvoll unbefangen, das ganze Benehmen jene gesellige Kunst, die Natur ist. – Singt alte Balladen, auch die Olafballade wieder. Dabei Blick nach mir her, wie damals, Blitz im Auge. Dann Vorlesung aus Antigone. Dann Odyssee. Gesang von der Nausikaa. Sie hat nach deutschen Uebersetzungen mit Dyrings Hilfe gut ins Schwedische übersetzt. Liest abwechselnd mit ihm vor. Er singend, langweilig, sie mit ganzem Kothurngefühl, und wie mächtig das Leidenschaftliche in der Tragödie, wie rein und gehalten das gefühlt Ruhige im Epos! – Dann Tanz. Der Arnhelm nimmt sie doch sehr eng um den Leib. Sie tanzt auf Verlangen Solo. Pompejanische Tänzerin, – man meint, wie damals in Hardanger, sie werde jetzt aufschweben. Ich muß mich abwenden, mir wird unheimlich. Jetzt heißer und heißer, wieder die sausenden Tarantellakreise. Klatschen, Beifallstumult – inzwischen – sollte ich mich getäuscht haben? – wie sie atmend stillsteht, – ein Blick zu Dyring hinüber, der am Klavier sitzt – von ihm herüber – über die jungen Leute weg, die ihr die Hände fassen und tätscheln – nur ein Moment –, war das väterlicher Lehrerblick? War das dankbar töchterlicher Blick der Schülerin? – Nicht, als wollten sie sich sagen: nippt ihr immerhin, ihr Fliegen, – wir zwei – ? – Nein, fort mit dem Gedanken, fort! Er kommt aus der Hölle.

*

Will mich am Hafen zerstreuen, am wimmelnden Leben, den Völkertrachten. Schleppt ein schmutziger Bursch einen mächtigen Fisch an einem Wiedring, der durch die Kiemen gezogen, der Schwanz schleift auf dem Boden nach. Wie glotzt die tote Kreatur mich an! Muß an den Wels im Tindsee denken. »Auch ein Verehrer.« – Weg von da! Auch hier ist keine Zerstreuung für mich!

*

Niedlicher Traum das, heut nacht. Den dank' ich dem glotzenden Fisch von gestern. Träumt mir, ich schwimme als Fisch. Sie steht am Ufer und angelt mit goldener Angelschnur, daran hängt eine Goldfliege als Köder. Ich beiße an, zerre, die verfluchte schöne Fischerin zerrt auch, die Angelschnur reißt und ich bin frei mit der Angel im Rachen. Ich fahre umher wie verrückt. Kommt ein Hummer, verhöhnt mich, zwickt mich mit den Scheren, ruft eine Gesellschaft Krabben herbei, die zwicken und kitzeln auch. »He? he? Angebissen? Schmeckt's? Gesegnete Mahlzeit! Gute Verdauung!« Ich will das Hundepack schimpfen, – mummle, mummle – Papageno mit dem Schloß. – »Mummelbrei, Mummelbrei!« spottet die umtanzende Rotte. – Ich will wegschwimmen, bin ja schneller als das Krebsgesindel, – sie kreisen mich ein, bannen mich, klemmen mich – atemlose Angst und Wutpein – ich erwache, finde mich im Bett mich herumwerfend, höre mich noch mummeln. – Jetzt wie gerädert an allen Gliedern. –

Habe übrigens beschlossen, in ein Tierschutzvereinsblatt einen Artikel gegen das Angeln zu schreiben. Man mag Tiere fangen, sie zu schlachten, auch mit List. Diese List aber gar zu schändlich, perfid, giftig. Das Tier wohlig in seinem Element, infam gelockt, getäuscht, in die Luft herausgeschnellt! Geschieht dem Fischer bei Goethe auch recht, daß ihn das Hexenluder hinunterkriegt.

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Heut bringt der Arnhelm das Bändchen Lyrische. Bekommt einen Kuß. Kuß doch zu lang für bloß ornamentalen Kuß! Sie merkt mir etwas an, da geht der Spott wieder los.

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Die Nagelschmiedin.

       

Was klopfet, was schmiedet das reizende Weib?
Zum Amboß gebeuget den schlanken Leib,
Einen zierlichen Hammer sie schwinget;
          Dunkle und helle,
          Süße und grelle
Lieder zum Takt sie singet.

Das Feuer, es sprühet in blutrotem Schein,
Mitunter wohl spritzet sie Wasser hinein,
Doch schnelle zum Blasebalg wieder
          Hebt sie das linke
          Füßchen und flinke
Tritt sie ihn auf und nieder.

Wie strahlet, wie blitzet ihr Auge dazu!
Es stähl' einem Engel im Himmel die Ruh'.
Auf der lächelnden Lippen Grunde
          Glänzen und gleißen
          Schneehell die weißen
Zähnchen ihr aus dem Munde.

Es rollen die Locken ihr übers Gesicht,
Wie blinket und züngelt ihr goldenes Licht!
Das sind ja die funkelnden Schlangen,
          Die mit den Ringen,
          Die mit den Schlingen
Zauberisch mich gefangen.

Was beugt sich, was lächelt, was strahlet und blitzt,
Was klopfet, was hämmert, was glühet und spitzt
Die Geheimnisvolle, die Arge?
          Große und kleine,
          Grobe und feine
Nägel zu meinem Sarge.

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Will mir mit Arbeit helfen. Einmal doch wieder Schellings Abhandlung über die Freiheit vornehmen und gründlich lesen, vielleicht, wenn ich Gedanken darüber zusammenbringe, einen Aufsatz schreiben. Richtig bei einem Antiquar gefunden, da liegt's vor mir: »Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände«. Landshut 1809. Lange her. Noch unaufgeschnitten; werden wenig Philosophen in Bergen sein. Goldrun hat's auch nicht erwischt. Die könnte sich spiegeln; stammt schnurgerad aus dem dunkeln Grund in Gott, den der Philosoph doziert.

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Will nichts werden mit dem Denken und Schreiben. Wollte schreiben, ehe ich recht gedacht, das mechanische Tun der Hand dabei sollte mich an der Stange halten, daß die Gedanken nicht abschweifen. Aber auch dabei stellen mir die Teufel nach. Alles wie verhext. Will ich eifrig fortlesen, so wollen zwei Blätter nicht auseinander. Beim Schreiben ist die Nässe der Tinte, und daß man nicht schon etwas andres hat erfinden können, ein heilloser Umstand. Tags hundertmal ein Fließblatt einlegen! Darüber vergißt man die besten Gedanken. Und Sand? Dies Grüseliche nicht zum Ertragen. Feder will sich nicht schneiden lassen, und mit Metall kann ich nicht schreiben. Alles Papier zu glatt; macht mich nervös, wenn die Feder so rutscht; Spannen in der Herzgrube. Ich liege in einem Ameisenhaufen. Tinte auch klebrig. Und verschüttet, zwei wichtige Seiten im Buch zum Teufel! Drei Blätter zernagt mir des Hausbesitzers junger Hund, sonst liebenswürdig. Alles fällt. Tisch wackelt. Schreibunterlage will sich nicht flach legen. Es ist nicht anders, es muß Teufel geben. Ganze Nester wie Raupennester. Stammen auch aus dem dunkeln Grunde. Hassen den Menschen, weil er aus der Natur heraus – –

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Ja, ja, ich muß eine Mythologie daraus entwickeln, und dazu eine überzeugende, sogar den eignen Urheber überzeugende. Aber doch cum grano. Es soll erlaubt sein, zu lachen, obwohl –

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Mythologie? Werde mir bald selbst zum Mythus! Mich mit dem jungen Schöngeist um das unheimliche Weib als Trabantenpaar herumbewegen! – Der Fant ist auch Romantiker. Spricht da neulich mit Phrasenduft von den Uebertritten der Friedr. Schlegel, Zach. Werner! – Schönfärber. Widerlich! – Dabei ein gewisses Schillern, ein glasiger Doppelglanz im Auge, und das gescheitelte Haar!

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Und sie? Und sie? Ein Mensch oder ein Geist? Solches Metallhaar hat ja doch kein richtiger Mensch. Ist Schmetterlingsflügelstaub oder Vogelfedernschmelz, Fischschuppenglanz. Ihre Augen: blau, grau oder grün? Kann es nicht herausbringen. Es muß eben doch eine Nixe sein. Aber diese Augen antik, das Weiß der Bindehaut über den Sternen sichtbar. Das glüht! Wie die Augen der Juno auf pompejanischem Wandbild.

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Truggespenster um mich! – Treibt sich da seit Wochen eine Figur um mit glattem Elfenbeingesicht und so einem Strich, einem Pli über die Augen herunter, als hätte der Mensch als Magnetiseur sein eigen Gesicht mit der Hand gebügelt; man hält das Ding für einen Jesuiten. Find' ich in der Dämmerung den Armhelm in vertieftem Gespräch mit dem Gespenst, dort in der Nygaardsallee. Höre im Vorbeigehen die Worte: »Heilige Symbolik – Mariendienst –« Sollte das Bürschchen gar ein Krypto – nun, es wird eben ästhetische Leckerei sein.

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Stachelschweinrauschen! – Sie wird mir immer unheimlicher. Gehe wieder hin, erzähle ihr die Beobachtung, rede vom Proselytentum jener widerlichen Seelen, die sich vom Schimmer des Katholizismus fangen ließen, Schönheit und Wahrheit verwechselten, predige ihr vom Ernste protestantischer Bildung, zu dem sie gehöre und einfach halten solle, – ach, wie man ja immer der Tor ist, bessern zu wollen, wenn man unwürdig liebt! – Sie spricht von Pedanterie – eine prédilection artistique sei noch nicht blutiger Ernst, und derlei mehr. Ich sag' ihr, das Wort habe sie aus einem Brief Wilh. Schlegels aufgeschnappt, der sei aber auch schon tief genug im Lügenquark gesteckt, nahe genug am Versinken, verlogenes Pack sei das ganze Gelichter gewesen – Wahrhaftigkeit, rufe ich, Wahrhaftigkeit! mit gehobenem Finger. Sie wird schnell bös, fährt vom Sessel auf, ruft mit Furienblick: Prediger! – und dabei in der kurzen Bewegung ein Rauschen der Kleider, so stark wie bei sausendem Fluge. – Wenn das Stachelschwein drohen will, so treibt es den Wald seiner Kiele auf, man vernimmt dabei ein Rauschen, viel zu stark, als daß es aus dem Aneinanderschlagen der vielen Hornspieße erklärt werden könnte, das Tier vermag Luft in die Röhren dieser Organe zu treiben, um durch den windsbrautähnlichen Ton den Feind zu schrecken. Eine ähnliche Vorrichtung müssen die dämonischen Weiber in den Poren haben, um bei heftigem Aufzucken Luft in ihre Gewänder zu pumpen, daß sie geisterhaft rauschen und sausen. – Sie wird mir physiologisch unheimlich, monströs. Und der Zorn, weil ich an Wahrhaftigkeit mahne! Weiß, warum so beleidigt. Dies Weib ist nicht wahr.

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Tagelang wieder gemieden. Gestern nacht am Haus hin und her gestreift. Sie sang. Das Olafslied. Es schmetterte wie Nachtigallenschlag in die Nacht, und dann klang's wieder wie Drohen und Hohn dunkler Meergeister, und wieder wie Mitleid, o, wie Klage der Okeaniden, die den gefesselten Prometheus beweinen, – ach, dies Weib ist doch entzückend.

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Dyring krank. Sie viel mit Arnhelm allein. Eigentlich nicht hingewollt. Aber es zog mich eben doch. War mir schwül zumute. Doch eben Sehnsucht! Sehnsucht – Und – gefunden in Arnhelms Arm – des Knaben – heiß! heiß! – O, jetzt fort, fort, hinweg aus der Hölle!

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Geschlagen habe ich sie! Aber, – o Schmach! dann – ! – Wie ich sie so gefunden, stürze ich zuerst schweigend fort, kehre nach kurzem Gang wieder um, treffe sie jetzt allein, trete vor sie, sag' ihr die Wahrheit; Metze hab' ich sie genannt. Wie ein schöner gefleckter Panther springt sie gegen mich auf, stößt etwas heraus vom Rechte des freien Weibs – ich packe sie an den Schultern – sie tut einen schüttelnden Ruck mit solcher Brunhildenkraft, daß ich zur Seite schwankend den Kopf an einen Schrank schlage, jetzt muß ich mich erwehren, schleudre sie zu Boden und gebe der Fallenden einen Schlag – sie weint – es reut mich – ein Weib! – ich werde wieder weich, weil ich sie weich sehe – hebe sie auf – die Goldlocken umwallen aufgelöst ihr Haupt und Marmorschultern, ich muß selbst weinen, – ach, es ist ja so schade um sie! – bedecke sie mit Küssen, schäme mich vor mir und renne hinaus und begegne draußen wieder dem Monatrosengesicht mit den Belladonnaaugen, dem Fant, dem gescheitelten Schöngeist-Engelkopf Arnhelm, – ein Lechzen sichtbar auf seinen Kirschenlippen – und nun aber endlich anfgepackt und weit, weit fort!

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