Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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Ich weiß nicht, welche Rührung in diesem Momente über mich kam. Während der Anblick doch eigentlich komisch war, fiel mir alles ein, was mich an den Mann angezogen, ja, ich muß gestehen, mir imponiert, mich sogar in ein gewisses Verhältnis nicht drückender Unselbständigkeit zu ihm gesetzt hatte; seine Schwächen und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, sondern Teilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtsein, was es doch eigentlich war, das diesen Menschen so peinvoll empfindlich, so schallos gegen die kleinen Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt sogar geneigt, den Ausdruck: Vernunftwut, den er einmal von seiner durchdachten Leidenschaft gegen diese Dinge gebraucht hatte, zu verstehen, zurechtzulegen. Kurz, ich fing an, zu bereuen, daß ich ihm unfreundlich begegnet war, und es tröstete mich noch ein wenig, daß ich ein noch härteres Wort, das mir dort am Axentunnel auf der Zunge lag, unterdrückt hatte, nämlich: alter Kindskopf! Doch, das half nicht viel; ich verzehrte in der Tat mit mehr Hunger als Froheit meine paar Schinkenschnitten und Eier und nahm ziemlich verdrossen, mit wenig Sinn für große und kleine Windgelle und Bristenstock, meinen Weg unter die Füße. Ein Wagen fuhr an mir vorüber, ich erkannte gleich an einem der Knaben, der neben dem Kutscher auf dem Bocke saß, die fremde Familie wieder, ich traute meinen Augen kaum, als mir schien, ich entdecke im Innern neben der anmutigen Britin oder Schottin meinen A. E. Das Fahren an sich schon war es, was mich an ihm wunderte, denn er hatte auf der Axenstraße, als ein Reisewagen an uns vorüberfuhr, gesagt: »Da hocken sie wieder drin im Kasten, der nach Leder riecht, und haben nicht ein Fleckchen Raum, um nur auszuspucken,« wobei er, seiner Freiheit froh, in stolzem, kühnem Bogen die hiermit bezeichnete Tat verrichtete; er hatte ferner bei derselben Gelegenheit das Fahren für die unter allen Umständen unbequemste, dummste und anstrengendste Art der Fortbewegung erklärt. »Was haben doch die Menschen für Begriffe von Freiheit,« rief er aus, »da meinen sie, frei zu sein, weil sie die Beine nicht rühren!« Es lag nahe genug, den Widerspruch zwischen diesem Preise der freien Bewegung und dem jetzigen Tun einfach aus einer Bekanntschaft mit der Familie zu erklären, aber der Zustand meines Gewissens raunte statt dessen mir ein, er werde sich zur Fahrt entschlossen haben, um mit gutem Schick an mir vorüberzukommen; eine Vorstellung, die eben nicht geeignet war, meine Laune zu verbessern. Daß mein Reiseziel der Gotthard sei, hatte ich A. E. gesagt; daß auch er dahin strebe, war keine Frage; es schien mir so die Hoffnung genommen, noch einmal mit ihm zusammenzutreffen und eine Aussöhnung zu suchen. Da ich nun doch einmal zum Nachzügler geworden, blieb ich um so mehr bei meinem Vorhaben, die kurze Seitenwendung von der Hauptstraße ab nach Bürglen zu nehmen.

Der Kellner im Gasthof »Zum Wilhelm Tell« sagte mir, wie ich eintrat, ich könne sogleich am Mittagstisch Platz nehmen, das Essen habe begonnen, er werde mir nachservieren. Ich lege ab, lasse meinen Anzug säubern, trete ein, und mein erster Blick begegnet dem verlorenen Reisegenossen. Er saß mitten unter der englischen Familie, dem Alten gegenüber, zu seiner Rechten die junge Frau oder vielmehr sichtlich Witwe, zu seiner Linken die Gouvernante. Die Tafel war außerdem von Fremden so besetzt, daß für mich nur ein Platz blieb, und zwar neben dem älteren Herrn und den zwei Knaben, dem Meidenden und Gemiedenen schief gegenüber. Er grüßte nicht unfreundlich, doch formell. Er war im Gespräch mit der Lady begriffen. Sie sprachen italienisch, wohl in der Voraussetzung, daß wenige der Tischgäste dieser Sprache kundig seien. Ohne zu horchen, konnte ich wohl vernehmen, daß einige Fragen A. E.'s sich auf einen Todesfall beziehen mußten, dessen Einzelheiten ihm wohl unterwegs schon erzählt worden waren. Ich hörte den Namen Erik. Aus Ton und Mienen der Dame ließ sich erkennen, daß das Gespräch sich auf den verlorenen Gatten beziehen mußte; es war der Ausdruck gehaltenen Schmerzes einer Seele, die mit der Kraft der Sanftmut schweres Leiden beherrscht. Tief bewegt hörte A. E. ihr zu, man sah, daß er diesen Kummer im tiefsten Gemüte teilte und ebensosehr die Schönheit des Schmerzes in dieser anmutvollen Erscheinung bewunderte. Mit Blicken wie Blicke der Andacht schaute er zu ihr auf, und wirklich mußte ich mir nun sagen, daß mir nicht umsonst Cordelia in den Sinn gekommen war, denn niemals wird Wehmut und ein gewisses Lächeln, wie es auf den Lippen, in den Wangengrübchen wohlwollender Seelen zum bleibenden Zuge wird, sich schöner auf einem Angesicht verschwistern. Nicht minder herzgewinnend war die sanfte Stimme und der Klang des Italienischen in diesem Munde. Sie sprach es nicht völlig rein; der Vokal a nahm eine Färbung gegen ae an, aber nur eine ganz leise, weit entfernt von der Quetschung, die dieser reine Laut in der englischen Aussprache sonst erfahren muß. Alle übrigen Buchstaben kamen ganz lauter und richtig, nur viel milder, als aus südlichen Organen; es war eine Süßigkeit, Zartheit, Keuschheit in dieser Mischung, in diesem dämpfenden Lispeln, wobei doch der Bestimmtheit und Klarheit der Laute ihre Geltung blieb, daß ich mir sagen mußte, man könnte nicht nur lingua toscana in bocca romana rühmen, sondern auch lingua toscana in bocca inglese. Die ältliche Dame hatte inzwischen mit dem alten Herrn ein Gespräch über Volk und Natur der Schweiz begonnen, so viel sie auf dieser Reise bis dahin gesehen, und wandte sich jetzt an A. E. mit der Aufforderung, auch seine Meinung zu sagen. Das Volk fand sie etwas viereckig und derb. Sie war bei dieser Anrede vom Englischen ins Deutsche übergegangen und schien gerne zu zeigen, daß sie dieser Sprache mächtig sei, deren Töne in ihrem Mund allerdings stark angelsächsische Trübung annahmen. Die Unterbrechung war ihm sichtbar lästig, es zuckte auf seinem Gesicht und er diente nun der Fragerin mit einer Vergleichung der schottischen Hochländer und der Schweizer, die offenbar zugunsten der letzteren gemünzt war, deren Inhalt ich aber kaum verfolgen konnte, da sein sonderbares Lippenspiel meine ganze Aufmerksamkeit anzog. Er lenkte nämlich das Gespräch wieder ins Englische, und sichtbar trieb ihn der Aerger, die englische Aussprache zu karikieren. Er zog zum Beispiel bei den Silben, wo w und a zusammentreffen, wie bei what, die Mundwinkel um ein gutes weiter zurück als üblich, und brachte so eine Reihe froschähnlich quakender Laute hervor, die die beiden Knaben mit offenem Munde und sichtbar gegen Lachreiz ankämpfend bestaunten, und mir ging es nicht besser. Jetzt kam die säuerliche Dame, die das in ihrem Eifer nicht merkte, auf die Landschaft zu sprechen und dehnte ihre Vergleichung auch auf Norwegen aus. A. E. wurde dabei sichtbar unruhig, und als sie die Schönheit der Wasserfälle rühmte, den Rjukanfoß als den mächtigsten, den Ovsthusfoß als den eigentümlichsten erwähnte, fuhr A. E. sichtbar zusammen, erbleichte, und das Messer entfiel seiner Hand.

Jetzt wendete sich die aschblonde, junge Frau zu ihm her, näherte ihm mit unaussprechlich sanfter Beugung – Johannes auf Leonardos da Vinci Abendmahl fiel mir ein – ihr liebliches Haupt und begann zu flüstern. Ich konnte vernehmen, daß es nicht Englisch und nicht Italienisch war. was sie jetzt sprach; es mußte, wie ich aus einigen Lauten schloß, Norwegisch-Dänisch sein.

Der ernste alte Herr hatte inzwischen mit seinen Enkeln – denn das mußten die Knaben ja sein – ein Gespräch über Wilhelm Tell begonnen. »Laßt sehen,« sagte er, »was ihr von Miß Alton gelernt habt,« und ich erkannte jetzt, was die steife Dame bei der Familie zu tun habe. Sie war Lehrerin der Knaben im Deutschen und zugleich Reisemarschallin in deutsch redendem Land. Diese zeigten sich nicht nur in der Sage, sondern auch in Schillers Drama wohl bewandert, und die Sprachmeisterin nahm nun Anlaß, in volleres Licht zu setzen, wie weit sie es in ihrem Unterricht gebracht habe, sie forderte den älteren, etwa dreizehnjährigen, auf, auch Schillersche Verse in antikem Metrum vorzutragen. Er wählte das schöne Distichon auf das Distichon, und begann, unterstützt von der mitskandierenden Lehrerin:

»Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule –«

So weit kam er.

Die Geschichte ist eine strenge Wissenschaft. Sie kennt nur die Wahrheit. Die Schicklichkeit wird sie beobachten, so lange es tunlich, ohne ein wesentliches Stück der Wahrheit zu unterdrücken. Würde diese leiden, wenn sie jener sich fügte: sie wird, wenn auch mit Wehmut, unerbittlich ihre Bahn verfolgen. Zarte Gemüter, denen diese Strenge unerträglich: sie sind frei, sie können die ernsten Blätter der Geschichte zuklappen, sie können weiter lesen – nach Belieben. Es hatte mir geschienen, A. E. sei des lästigen Uebels, das ihn auf der Reise befallen, ungewöhnlich schnell los geworden; doch das war Täuschung.

Ein Niesreiz just bei jenen Worten – schnelle Seitenwendung von der schönen Nachbarin ab – Taschentuch – vorsichtige Applikation – trotzdem – der Ueberraschte schien im Drang des Augenblicks versäumt zu haben, eine doppelte Ringmauer von Leinwandfalten um den kleinen Geiser der Nase zu bilden, – wenig half es, daß die um Menschenbegriffe so schuldlos unbekümmerte Natur diesmal mehr zierlich, als gröblich, ja mit einer gewissen fein spielenden Zartheit sich einmischte – die Dame zur Linken zuckt hinter ihrem soeben mit Kapernsauce frisch versehenen Teller zusammen und rückt mit dem Stuhl. Die Freundin zur Rechten bemerkt den Vorgang nicht, wohl aber der Alte, der ein Lächeln unterdrückt, und sehr wohl die zwei Knaben, die ein helles Lachen nicht unterdrücken, und nicht minder der Kellner, ein Subjekt mit einem jener Gesichter, die man als ohrfeigenwürdig bezeichnen möchte; er sprach einen abgeriebenen rheinischen Dialekt und war offenbar nur für die Sommersaison herbeschrieben, A. E. hatte ihm ab und zu einen Blick voll Widerwillen zugeworfen; dieser nahm grinsend den Teller schnell weg und schob einen neuen hin.

A. E. war verschwunden, als hätte ihn die Erde verschlungen. Beklommen suchte ich eine Unterhaltung mit der schönen Frau einzuleiten, vermochte aber in meiner Beunruhigung nicht, sie fortzuführen, und brach auf, ehe der Nachtisch kam. Ich erledigte meine Zeche und war unten im Hausflur angekommen, als A. E. die Treppe herabgerasselt kam, hinter ihm der Kellner, der ihm nachrief, er bekomme noch heraus. A. E. hörte nicht, wollte an mir vorüberstürzen, blieb aber plötzlich stehen, faßte mich am Arm und zeigte auf eine Katze, die mit ihrem Jungen auf einem Strohstuhl schlief. Es war ein schönes Tier, von dem seltenen dreifarbigen Schlage, schwarz, rotgelb, weiß, und sie hatte beide Vorderfüße um ihr gleichfarbiges Junges gelegt: eine wirklich rührende Gruppe. »O, sehen Sie,« rief A. E., »aber auch wie eine Raffaelische Madonna!« – Das war Sache eines Moments; im nächsten sieht A. E. den Kellner vor sich stehen, der ihm, noch dasselbe Grinsen auf dem Gesicht, womit er vorhin den Teller der Gouvernante gewechselt und dadurch die leidige Ungeschicklichkeit markiert hatte, nun das übrige Geld hinhält. Ihm versetzt A. E., die Faust ballend, mit dem Gelenk des Mittelfingers einen Stoß unter das Kinn und stürmt aus dem Hause.

Der Kellner war rücktaumelnd auf die Treppe hingestürzt, richtete sich auf, stand zuerst sprachlos und brach dann in heftiges Schelten aus. Ich konnte mich nicht enthalten, dem Menschen zu sagen, ihm geschehe recht; jetzt fährt er wild gegen mich auf, in verspäteter, fehlgehender Rache hebt er die Faust und ich versetze ihm eine Ohrfeige. Es stand nun bedenklich, denn am Türpfosten lehnte der Hausknecht und der doppelt Geschlagene rief ihn zu Hilfe; dieser jedoch verharrte in seinem Phlegma und sagte zu mir: »Schad't nichts, der Herr ist immer naseweis gewesen, gehört ihm schon lang eins hinter die Ohren.« So konnte ich denn ohne weitere Fährlichkeit abziehen und fragte nicht nach den Schimpfworten, die mir der Bestrafte nachrief.

Ich war also wieder allein und hatte Zeit, nachzudenken. Wohl sagte mir nun mein Gefühl, daß hier im Grunde etwas Trauriges vorgegangen sei; mußte an sich schon ein so peinlicher Zufall einen Mann, wie ich A. E. kannte, höchst empfindlich treffen, so waren hier überdies offenbar Beziehungen durchschnitten, deren Tiefe und Zartheit ich gar wohl ahnen konnte. Allein das Mitleid blieb ganz im Hintergrund, ich verspürte zunächst keine Nachwirkung in mir, als eine unbezwingliche Lachlust, mehr allerdings über die Prügelszene am Schluß, als über die Katastrophe bei Tisch. Ja es wollte mir kaum gelingen, angesichts der Begegnenden auf der Straße die Erscheinung der Menschenwürde notdürftig aufrecht zu erhalten; einmal, als eben ein paar rotbackige Bauernmädchen vorübergingen, konnte ich mich so wenig beherrschen, lachte so laut auf, daß ich die eine hinter mir sagen hörte: »Was hat auch der Herr, es ist ja noh nüt Suferzit.« Der trotzige Ernst der furchtbaren Steinpyramiden, Stöcke, Kuppen, der schroffen Wände, die mir näher und näher entgegenstarrten, als ich wieder in das Tal der Reuß eingetreten war, sie vermochten nicht, mein mutwilliges Herz zu bändigen; als ich bei sinkendem Abend in der Nähe von Klus dem eilenden Bergfluß näher trat und sein Rauschen mir stärker und stärker in das Ohr drang, wurde mein Zustand statt ernster nur närrischer. Das dumme, unsinnige Wort Tetem kam mir ins Gedächtnis, und es war mir angetan, daß ich den blöden Laut nicht mehr los wurde. Ein begegnender Bauer grüßte mich und ich antwortete: »Tetem.« Ich blieb öfters stehen und starrte in die dunkel murrende, dem schroffen Felsblock auf gehemmter Bahn entgegenrollende Flut, ich wollte an diesem Bilde mich zum Ernste zwingen, aber es half nichts: als hätte ich die kindische Wortform in den Strudeln gelesen, zöge sie als Resultat meiner Betrachtung aus der wilden Woge, mußte ich denken, sagen: »Richtig, ja, Tetem!« Die Felshäupter, Zacken, Zinken, Ecken hatten Mäuler, nickten und blökten: »Tetem!«, »Tetem!« brummte der Bristenstock, »Tetem!« kicherte der schroffe Gitschen, »Tetem!« gellten die Windgellen.

Ich wurde mir selbst zum Abscheu und fing das Laufen an, um mir zu entspringen; was half es? Nun schlug meine Umhängetasche mit rhythmischen Schlägen mir an die Hüfte: »Tetem! Tetem!« Ich riß sie von der Schulter, es erschien mir als das einzig Rationelle, sie hoch in der Luft zu schwingen und zur Strafe samt ihrem Inhalt an einem Felsen abzuschlagen; der Inhalt fiel heraus, und während ich mich bückte, die sieben Sachen aufzulesen, erschrak ich über mich selbst in der Tiefe meiner Seele. »Um Gottes willen,« rief es in mir, »der Mensch hat dich angesteckt, du wirst verrückt!« Es zogen mir Wolken, Wallungen über das Gehirn her, und als ich in die Wirbel sah, in denen das Wasser zwischen den Granitblöcken sich dreht, um dann schäumend vor- und hinabzustürzen, so wurde mir, als wirble und schäume es mir gerade so in meinem armen Kopfe. Ja, ja! es ist nicht anders, der Mensch hat dir's angetan! Aber während ich innerlich so sprach: der Mensch! stellte sich freiwillig die Vernunft ein: der Mensch! O ja, ein Mensch! ein menschlicher Mensch! Die Stimmung kam wieder, in welcher ich Bürglen zugewandert war: Reue über mein hartes Anlassen dort auf der Axenstraße, Rührung, Mitleid, Liebe, und hinter und über der Liebe Achtung, und je mehr Achtung, um so mehr wieder Mitleid; kreuzweise durchbohrt von all den widersprechenden Gefühlen, aufgeregt im Grunde der Seele und niedergeschlagen zugleich langte ich in Amsteg an, und nur die Ermüdung brachte mir den erwünschten Schlaf, tief und traumlos, wie er nach tüchtigem Marsch den Wanderer erquickt.

Ich stand früh auf und ging rüstig meiner Straße. Mein A. E. schien diesmal wenigstens keine Wetterkassandra gewesen zu sein. Die Luft war hell; der Bristenstock stieg rein gezeichnet in die Höhe und gönnte dem Auge, mit Wohlgefallen an seinem Kegel empor und an dem sanft geschwungenen Sattel seiner linken Abdachung niederzusteigen. Steiler und wilder starrten die näheren Felsen aus dem bewaldeten Fuße hinan und schauten ernst auf die sanften Matten, die friedlichen Dörfer herab. Bald offener fließend, bald in tiefe Schluchten eingewühlt, dumpf tosend und trommelnd wälzte die Reuß ihre milchig hellgraublauen Wogen. Manche Stellen nah am Wege erzählten eine grause Geschichte von Zertrümmerung der Felswelt des Hochgebirges. Da lagen ganze Haufen wild übereinandergeworfener Steinmassen, in allen Richtungen der Stellung verworren hingeschüttet und aufgetürmt; hier und da aber ragte ein vereinzelter Felsblock von ungeheurer Größe, bemoost und etwa von kleinen Tannen bewachsen, die mit den seltsam verkrümmten Wurzeln in die Spalten hineinsuchten, um kümmerliche Nahrung zu finden. Schaute man nach den Gebirgswänden auf, so konnte man bei dem einen und andern dieser niedergestürzten Riesen noch die Stelle entdecken, wo er einst oben hing, da sich die Gleichheit seiner Form mit den Umrissen einer Kluft in dem Felsenkörper, zu dem er gehört haben mußte, klar erkennen ließ. Mit welchem Donner mögen einst diese Lasten, alles rings zerschmetternd, nieder ins Tal gesprungen sein! In der Nähe von Wasen fand ich einen solchen Block am Wege, wohl fünfzehn Ellen hoch, dem das alles bezwingende Geschick eine seltsame Verknüpfung des Furchtbaren mit dem Komischen beschieden hatte: er trug ein Kartoffeläckerchen auf seinem Rücken. Ich mußte geradezu lachen; der Gegenstand schien mir so sehr bedürftig, poetisch behandelt zu werden, daß ich in Wasen, wo ich eine Erfrischung einnahm, trotz allem herzlichen Verzicht auf den Anspruch, ein Dichter zu sein, ein paar Verse darauf schmieden mußte. Der Leser wird erfahren, warum ich so unbescheiden bin, dies anzuführen. Als ich weiter ging, fühlte ich mich über Erwarten müde. Ich hatte doch erst dritthalb Stunden gemacht. Es war eine Schwüle gekommen, die Luft wurde dunstig ohne Wolken, der Dunst nahm einen strohähnlich fahlgelben Ton an, verdünnte sich aber allmählich und wich einer neuen, sonderbaren, unheimlichen Helle, da von den Massen im Mittel- und Hintergrund ganz jener bläuliche Duft hinwegschwand, welcher doch eigentlich allein der Landschaft den malerischen Schein verleiht, der sie vom Stoffartigen entlastet, zugleich aber die Entfernungsgrade klar unterscheidet und dadurch unser Raumgefühl ausweitend lüftet und beglückt. Zufrieden aber, daß man doch deutlich sehen konnte, drang ich vorwärts, denn meiner wartete noch das Größte: die starrste Felswelt und der wildeste Kampf zwischen Wasser und Fels auf der Strecke von Göschenen bis zum Urner-Loch, die schauerliche Schlucht, die den Namen der Schöllenen trägt. »Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?« sang es in mir, als ich in die Biegung eintrat, welche die Straße bei dem genannten Dorf links nimmt, – »in Höhlen wohnt der Drachen alte Brut – es stürzt der Fels und über ihn die Flut.« – Die Phantasie läßt sich den Zwang nicht antun, sich die Art, wie sich einst das Wasser diesen Weg bahnte, als einen Jahrhunderte, Jahrtausende dauernd langsamen Gang vorzustellen, sie muß sich den Durchbruch wie einen fürchterlichen stürmischen Gewaltakt denken, sie wirft sich selbst ins unwiderstehliche Element hinein, stürzt sich tobend mit ihm auf die trotzenden Riesen, zertrümmert sie, schlendert sich ihre ungeheuern Blöcke in den Weg und schäumt zornig zischend, brausend, brüllend über das selbstbereitete Hindernis dahin.

Bei einer der Windungen des Weges bekam ich plötzlich einen Stoß, der mich fast zu Boden geworfen hätte. Auf Geierfittichen war jetzt der Föhn über das Joch herabgeschossen und schrie wütend auf, da er sie an den stahlharten Felswänden zerstieß. Zwischen sein Aechzen, Pfeifen, Kreischen, Heulen mischten die klagenden, grollenden Wasser ihr Weinen, ihr Schelten, ihren Donner; es war, als sei die Hölle losgelassen. Die Sinne wurden betäubt, die Augen brannten in ihren Höhlen, es war, als siedete es mir in den Ohren, als wäre mir höllischer Schwefelbrodem durch alle Poren der Haut in den Leib gepeitscht, glühte mir den Schlund herauf und hauchte Flammen aus meinen heißen Lippen, meine Schritte taumelten und schwankten, als wäre ich betrunken. Und jetzt, – halt, was sehe ich? Täuscht es mir der Schwindel vor? Auf dem Vorsprung eines der granitnen Felsungeheuer eine Gestalt – ist es möglich? kann ein Mensch dort hinaufgelangen – und die Gestalt: ich erkenne sie – A. E.! Den Rücken an die Felswand gestemmt, einen Fuß vorgestellt, die Faust himmelwärts geballt – der Sturm wühlt in seinen Locken – den leichten Mantel, den er auf der Wanderung gerollt über der Schulter getragen, hat er umgenommen, er flattert in den Stößen und Wirbeln der Windsbraut, und sie zaust und zaust, bis er ihm vom Leibe gezerrt ist, dort fliegt er, bleibt an einem Dornbusch hoch an der Felswand wie eine gespießte Fledermaus hängen – aber A. E. selbst – man sieht: er spricht laut – man kann nicht hören –

Ich suchte näher zu kommen, es gelang mir mit schwierigem Klettern so weit, daß ich einige zusammenhängende Worte wenigstens in den Augenblicken vernahm, wo der Sturm, in seinem Anprall an die Hindernisse der Felsschlucht wechselweise nach allen Richtungen stoßend, von der Stelle, wo A. E. stand, nach meiner Seite her blies. Ich suche diese Bruchstücke wiederzugeben. Die Gedankenstriche, die ich dazwischen setze, sollen die Stellen anzeigen, wo das Getöse des Windes und das Rauschen der stürzenden, schäumenden Wasser mir das wilde Selbstgespräch in Stücke riß. Ich habe bisher versäumt, die Erscheinung des Mannes näher zu schildern. Es war mir vom ersten Moment an eine Aehnlichkeit mit Hölderlin aufgefallen; der Leser kennt wohl das Titelkupfer in der Ausgabe der Gedichte von 1843; der unglückliche Dichter ist hier im hohen Alter abgebildet; dieses hat nicht vermocht, dem fast regelmäßigen Profil seinen Adel zu nehmen, aber es hat im Bunde mit dem Wahnsinn die hohe Stirn, die feinen Züge tragisch zerfurcht; man verjünge diese Züge zu etwa fünfzig Jahren, denke sie sich überhaupt markiger, die Stirne etwas weniger steil, doch hoch, weniger gefaltet, doch nicht ohne einige Furchen über der Nasenwurzel, man öffne die Augen etwas weiter, lasse sie aber gleich tiefliegend unter starken Augenknochen, man ziehe die Mundwinkel ums Kennen weniger herab, so wenig nur, daß ein Gepräge von Gewohnheit bitteren Betrachtens nicht ganz aus dieser Linie verschwindet, halte aber im ganzen das wohlgebildete Profil fest, man setze diesen Kopf auf eine muskulöse Gestalt: so kann man sich eine Vorstellung von dem seltsamen Reisefreund machen, um den mich meine Härte gebracht hatte; ich muß beifügen, daß mir die Rückführung erleichtert war, da ich Hölderlin schon zu einer Zeit gesehen habe, wo jene zwei Feinde seine Erscheinung noch nicht so sehr zermürbt und gebrochen hatten. Leicht erkennt der Leser aus dem Bisherigen, daß der Ausgangspunkt der Seltsamkeiten, die er an unserm Manne kennen gelernt hat, in einer Grundstimmung, einer Ideenrichtung liegen mußte, die dem Geiste des früh verdunkelten Dichters verwandt war, aber ebenso leicht, daß der stärkeren Männlichkeit in der Erscheinung des ersteren etwas im Innern entsprach, was dem Zweiten ganz fremd war. Hölderlin war humorlos; ich kann mir nicht denken, daß der unglückliche Dichter aus dem Ernste jemals in solche Derbheit hätte umspringen können, wie A. E. es liebte. Eben an diese Derbheiten, an diese Stöße des Zorns und gröblichen Witze hatte ich schon bisher den tröstlichen Gedanken geknüpft, A. E. könne nicht der Verzweiflung, nicht dem Wahnsinn verfallen, wie der wehrlose schwäbische Sänger. Solche Umsprünge, ja Zynismen wird man nun auch mitten aus den Worten des tiefsten Seelenwehs in diesem verzweifelten Selbstgespräch heraushören, und ich gestehe, daß sie in jenen todesbangen Momenten mir doch eine gewisse Beruhigung gaben, es werde nichts Aeußerstes geschehen; so betröstete ich mich wenigstens bis zu dem Augenblick, wo –

Doch es ist Zeit, den rasenden Redner zu vernehmen, soweit das Brüllen des Sturmwinds, das Donnern der Wasser es uns vergönnt.

»Apollo – deine Kinder – Söhne des Lichts – warum nicht – leichten, rhythmischen Aetherschwingungen – – nicht sterben dürfen an deinen tödlichen Göttergeschossen – oder warum nicht – Drachen Python – warum – mit Nadeln totstechen – Ameisenhaufen – zu Tode kitzeln – Niesen – Husten – Schnäuzen – Qualle – Kaulquappe – widerliche Schnecke – – Und Gott sprach: es werde! und der Katarrh ward –«

Täuschte ich mich nicht, so konnte ich in diesem Moment von all den umgebenden furchtbaren Geräuschen ein ungeheures Räuspern unterscheiden.

»Welt – eine Erkältung des Absoluten – in der Einsamkeit – spuckte aus und die Welt war – die Welt vom Ewigen gehustet, geräuspert – Schandgallert – Brütnest der Plagteufel – Trichinen des Daseins –«

Jetzt ballte er wieder die Faust gegen einen der Felsriesen, die ihm gegenüberstanden.

»– – verhöhnst du mich? Urkerl – Schöpfungstagen – immer gleich – undurchbohrbar – Urlümmel – Schweig! – selbst ein alter Rotzler – Triefnase – – Mensch doch wenigstens Schnupftuch –«

Er gebrauchte es mächtig.

»Warum – warum, ewiger Gott, der du nicht bist – dies tiefe, starke Bewußtsein der Zwecke – Zusammenhangs – daß etwas, auch nur etwas ganz sei – Durchkreuzung – herrliche Gefühle – Kröten – über den Weg laufen – Beinstellen – uns, deren Adlersonnenblick – Ganzes – Harmonie – Freude – einmal – einmal – Blütenkelch – Feldwanze darin – Gespensterangst, Tag und Nacht – Herzensbangigkeit, tiefe – unsichtbaren Feind – Furcht? – Nie, – vor keinem sichtbaren – will endlich frei sein – frei – Angstband zerreißen – in Fetzen vor deine Füße! – Ha! Wie? Du auch da unten im Wasserstrudel, Nixe mit den Fischaugen? Kennst mich noch? Glotzt herauf? Soll ich kommen? Fort! fort! Nicht zu dir, nicht dir zulieb! – – Suwarow – weiß, – Gebrüll der Schlacht – wie so wohl, so frei – Gebeine im wütenden Wasserstrudel bleichen –«

Er tat auf der Spanne Raums über dem Abgrund einen Schritt – eine kupferrot glühende Wolke war über der Schlucht aufgezogen, scharf und dunkel hob auf ihrem Grunde die wilde Gestalt sich ab, über deren Haupt, mit rudernden Schwingen gegen die Sturmwirbel anstrebend und zappelnd und krächzend, ein Rabe flatterte, – tödliche Angst um den Unglücklichen malte mir im Nu das Bild vor, wie er zerschellt in der Tiefe liege, ein Schmaus den Vögeln des Himmels, ich mußte ihn retten, suchte weiter aufzuklettern, gelangte mit äußerster Not langsam um ein paar Schritte vorwärts, aber jetzt wackelte unter meiner Fußspitze das schmale, kaum zollbreit ausgeladene Felsstückchen und unter der greifenden Hand der kleine Zacken – ein Angstschrei – ich fiel, ich verlor das Bewußtsein.

Ich erwachte und fand mich in A. E.s Armen liegend hart am steilen Ufer der tosenden Reuß, nahe der Teufelsbrücke. Er goß mir mit der hohlen Hand eiskaltes Wasser über das Haupt. »Wie steht's?« Ich tastete an mir herum. »Suchen Sie sich zu bewegen!« Ich konnte es, nur in der rechten Hüfte und linken Schulter fühlte ich scharfe Schmerzen; er untersuchte und fand nur starke Schürfungen. Inzwischen sah ich, daß ihm selbst aus einem großen Riß im Rockärmel das Blut hervorschoß. Er zog den Rock aus, streifte den Hemdärmel auf und es zeigte sich eine lange Wunde, von einem großen Dorn oder scharfen Felszacken gerissen. Er wusch sich den Arm mit der niedertriefenden Gletschermilch einer Runse, an der wir uns befanden, und sagte: »Es ist nur eine Fleischwunde, aber verbinden!« Er stöberte in seinen Taschen, und ich mußte in allem Elend einen Augenblick lächeln, als neben zwei gebrauchten zwei ungebrauchte feine Leinwandnastücher zum Vorschein kamen. Ich half ihm den Verband anlegen und freute mich, des Gebrauchs meiner Hände fähig zu sein. Bei dieser Arbeit bemerkte ich eine lange, große Narbe, welche, durchkreuzt von der frischen Wunde, schief über den rechten Oberarm lief. »Was ist denn aber das?« fragte ich. – »Ach,« sagte er, »der Lümmel, der dänische Dragoner bei Krusau – still davon! Das Moralische versteht sich immer von selbst!«

Ich richtete mich langsam auf, tat ein paar Schritte und fand, daß ich auch leidlich gehen konnte. »Wir schleichen nach Göschenen hinunter,« sagte er, »kommen Sie.« – »Warum nicht lieber vorwärts nach Andermatt?« – »Nein, nein! dort sitzt es voll von Fremden; drunten ist's still!« Mit unendlicher Mühe wurden die Hindernisse bis zur Teufelsbrücke überwunden; er schob, zog, hielt mich, während ich weniger kletterte, als auf allen vieren kroch. Endlich war die geebnete Straße erreicht, er gab mir den gesunden Arm und mit langsamen Schritten begann die nun etwas leichtere, doch immer noch schwierige Wanderung. »Aber wie ist's denn gegangen?« fragte ich. – »Nun, ich hab' Sie auf einmal gesehen, wie Sie hingen, dann vorwärts klettern wollten. Wie ich herabgelangt bin, das weiß der Himmel, ich nicht mehr. – Sehen Sie dort!« – Er zeigte nach der Stelle. »Nicht ein Pfad, nur ein Ritzenzug im Fels, der mir für Gemsen zu ungangbar schien, – es gelang mir, just noch im rechten Augenblick unter Sie zu kommen, – Sie schreien – gleiten mir an die Schulter, ich packe Sie, – und nun, dann sind wir eben miteinander heruntergerumpelt, wie's zuging, weiß ich eben auch nicht mehr – es ist ja recht gnädig abgelaufen – nicht immer können die Geister doch das Gute stören. Frau von Vorsehung, geborene Zufall, hat sich diesmal doch ganz ordentlich gehalten.«

Wir schwiegen lange, dann fing er, in den Anblick der stürzenden Wasser vertieft, an: »Wissen Sie, wo die Schönheit liegt in dem Vers: ›Es stürzt der Fels und über ihn die Flut?‹ Gar nicht bloß im Klang der Vokale und Konsonanten und nicht bloß im Kraftstoß der einsilbigen Wörter; nein, hauptsächlich in der Cäsur, die mitten in das Wort ›über‹ fällt. Wie die Woge da – sehen Sie hin – über den glatt gespülten Felsblock rinnt, so das Wort über den Verseinschnitt.«

Eine solche lehrhafte Bemerkung in solcher Stunde wollte mir im ersten Augenblick schulmeisterhaft erscheinen, aber schnell besann ich mich, daß ich darin vielmehr ein Zeugnis sokratischer Geisteskraft zu achten hatte; ich fand die Reflexion fein und richtig und die heilsame Kühle wissenschaftlichen Denkens drang mir beruhigend in die erschütterte Seele, ja ich meinte zu fühlen, daß sie von innen auf die zerstoßene, brennende Haut herausdringe. Ich wollte eben meine Zustimmung aussprechen, als uns ein italienisches Fuhrwerk begegnete, gezogen von einem Maultier, das ganz nach der welschen Art aufgeschirrt war: roter Federbusch, rot gesäumter Pelzbesatz an den Scheuledern, um den Hals ein klingelndes Schellenband. Wir freuten uns des Anblicks. »Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,« zitierte ich. »Ja, wie wir alle,« sagte er, »nur stolpert es weniger.«

Wir verfielen wieder in langes Schweigen, jeder in sich vertieft und bei der Mühe unsrer Bewegung doppelt wenig zum Sprechen aufgelegt. Die Straße war jetzt ganz menschenleer.

Indem wir so dahinschlichen, begegneten uns ein paar Kerle, verlumpte Gestalten, als Landstreicher leicht zu erkennen, gaben sich ein Zeichen, als sie uns sahen, und bettelten uns dann mit einem Tone an, der auch ohne die unheimliche Erläuterung durch die derben Stöcke, die sie führten, nicht mißzuverstehen war. Plötzlich war A. E. ganz verändert; bolzgerad aufgerichtet, nicht mehr ein Hölderlin, sondern ganz Bild des persongewordenen Befehls, herrschte er die Strolche an, verhörte sie wie ihr gesetzlicher Richter nach Namen, Herkunft, Stand, kanzelte sie dann als Lumpen ab und schloß mit der Drohung, sie arretieren zu lassen, wenn sie ihm noch einmal unter Augen kämen. Sie standen überrascht und verschüchtert, doch zaudernd. Jetzt kommandierte A. E. mit lautem und straffem Stoß der Stimme: »Links um! Vorwärts marsch!« Es fuhr ihnen wie ein Blitz in die Beine und sie gehorchten. Ich sah recht, was die Persönlichkeit allein, auch ohne Machtmittel, durch das Gewicht des einfachen Imponierens erreichen kann. »Sie können herrschen,« sagte ich. –»Es lernt sich ein wenig,« war die Antwort, »über Subjekte immerhin, dagegen über Objekte – kaum, – nicht – nie. – Uebrigens hatte ich den Kerlen am Gang angesehen, daß sie Soldaten gewesen sein müssen.«

Darauf ruhten wir kurze Zeit an einer Stelle aus, wo wir auf einen der reißendsten Wasserstrudel hinabsahen. Wie wir uns schweigend das Schauspiel betrachteten, kam ein Gegenstand hergeschwommen, in welchem wir, als er näher war, A. E.'s vom Sturm geraubten breiten Hut erkannten, obwohl er sich allerdings in sehr erschüttertem Zustande befand. Die arme Filzgestalt trieb dem quirlenden Kessel hart an einem der Abstürze zu und spielte hier eine Weile im Kreise. »Was mag nun der Filz wohl denken, daß das für ein rasendes Zeug sei, was ihn da umwirbelt?« sagte ich. »Und was die wilde Reuß,« setzte er hinzu, »daß das wohl für ein Ding sei, das ihr da aufgepackt ist?« – »Nun, was neulich der Mutz im Berner Bärengraben dachte; als ein Hut hinunterfiel, hob er ihn auf, sah ihn lange an, drehte ihn zwischen den Tatzen um, zerarbeitete ihn gründlich und fraß ihn dann auf – geben Sie acht, sie wird's gleich ebenso machen!« – Im selben Moment war das Artefakt vom Stromsturz ergriffen und verschwand. »Doch den Jüngling sah niemand wieder« – oder auch: »Denn die Elemente hassen das Gebild der Menschenhand,« zitierte A. E. und setzte lachend hinzu: »Und so hätten wir uns denn in aller Trübsal doch noch mit unsern zwei Klassikern beschäftigt.« Ich hatte bis dahin vergessen, daß er barhaupt war, und suchte ihm vergeblich meinen Hut aufzunötigen, den ich in eine Felsspalte geklemmt wieder gefunden hatte. Die ruhiger gewordene Luft spielte mit seinem feinen, auf dem Scheitel etwas sparsam gewordenen, nur um Stirne und Hinterhaupt reichlicheren Haare. Es wurde mir eigentümlich weich zumute, als ich dem so zusah. – Wir erreichten nun Göschenen. Das Dorf kannte noch nicht die Unruhe, die da herrschte, als man den Tunnel grub; wir traten in ein ländlich solides Wirtshaus ein, machten dem freundlich und mitleidig fragenden Wirt etwas von einem unglücklichen Kletterversuch vor, und A. E. zwang mich nun ins Bett, verschwand auf kurze Zeit, kam dann mit einem nassen, ausgewundenen Leintuch, wickelte mich kunstgerecht und sagte: »So, jetzt ruhen Sie, schlafen ein Stündchen, ich will inzwischen nach einem Bader umschauen.« Bald meldete sich, als er hinweg war, der Schlummer bei mir, nur schickte er sich, ehe er eintrat, eine Reihe todbanger Traumbilder voraus; ich glaubte von Fels zu Fels ins Unendliche zu stürzen; so müßte es einem Wasserfall zumute sein, wenn er fühlen könnte; ich zerschellte tausendmal in einer Minute zu Staub; ich war der Filzhut, den wir treiben gesehen, ich war zugleich auch sein Träger; das Becken der Reuß, auf dem ich schwamm, erschien mir als Suppenteller, und ich wurde für seine Entweihung verurteilt, mit den jäh abstürzenden Wogen in die Tiefe geschleudert zu werden; ich war ein Leichnam, Raben zerhackten mich, ein Geier schlug seine Krallen in meine linke Schulter, ein Adler seinen Schnabel in die rechte Hüfte, ein Felsblock fiel mir auf die Brust, das tosende Wasser schwemmte ihn weg, fuhr mir zischend in alle Röhren des Leibes, mein ganzes Inneres fing an zu rauschen, zu schäumen, ich wurde selbst zum rasenden Strudel, löste mich in Schaum auf, im Schaum zerstob der Traum und ich sank in das reine Dunkel des ganzen Schlafes.


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