Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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Tagebuch

Also ein Amt! Kann wirken! Recht! Frisch dran! Viel zu ordnen! Will drein fahren! Sollen mich spüren!

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Wie will ich fertig werden? Kann doch meine Bücher nicht ganz liegen lassen. Die Zeit zum Lesen muß her und müßte ich sie an den Haaren herbeireißen. Vier ganze Wochen nicht dazu gelangt, etwas zu lesen. Da entdeck' ich den Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Schon zweite Auflage. Die Welt so schlecht als möglich, Produkt des ganz dummen Urwillens, das Wesen der Dinge nichts. Höchstes Ziel Nirwana. Voll von Widersprüchen, bestechend gut geschrieben, geistreich. Hat doch Tiefe. Verwandt. Wie hab' ich als Student über dem Nichts gebrütet! Oft Pistole schon geladen. Klage einmal dem ordentlichen Kerl, dem Theologen aus Stolpe, ich zweifle eigentlich, ob etwas sei. Der rät mir, Trost bei der Bibel zu suchen, ich sage: wenn ich nur wüßte, ob es eine Bibel gibt.

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Wenn aber nichts ist, ist doch Schlechtes so wenig, als Gutes.

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Der Unsinn mit dem Nichts kommt nur daher, daß man zuerst verlangt, die Einheit aller Dinge solle neben den Dingen auch etwas sein, und dann sich darüber erzürnt, daß sie nichts ist, wenn man die Dinge, deren Einheit sie ist, von ihr wegdenkt. Es ist latenter Theismus. Davon kommt alles her. Man sieht große Uebel in der Welt, negiert einen persönlichen Gott, meint aber doch jemand verantwortlich machen zu müssen, und stürzt in die Narrheit, ihn heimlich zu glauben, aber für einen schlechten Kerl zu halten. Fällt mir der Krämer in Bracknitz ein, Dilettant im Atheismus. Hatte ein Lädchen zu ebener Erde, zwei Stufen unter der Richthöhe der Straße. Wenn der Bach anschwoll, lief ihm das Wasser herein, er mußte dann mit dem ganzen Kram in den ersten Stock ziehen. Pflegte, wenn's lang regnete und das Uebel drohte, zum Himmel hinaufzusehen und boshaft zu sagen: »nun ja, ich kann dir ja den Gefallen tun, wenn es durchaus sein soll!« Einmal, als er hinaufziehen gemußt, stellt er sich ans Fenster und brummt, in den Regenhimmel hinaufblickend: »dir geh' ich noch mehr zum Abendmahl!«

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Um Gottes willen, mein kleiner Finger jückt, linkes Auge glüht, Nasenzipfel brennt – es kommt ein neuer!

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Zum Trost einen Hund gekauft, junger zottiger Dachs; seltener Schlag. Heißt Igelmeyer. Neulich sagt des Oberrichters Sohn: »Gelt, Vater, ohne Hund wär's doch nix auf der Welt.« Gut! Wahr!

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Dieser Nihilismus und Pessimismus ist eigentlich Spätprodukt der Romantik, Erscheinung ihres Zersetzungsprozesses, Schopenhauer ist Heine in der Philosophie. Mit Abzug natürlich; der Philosoph ernster, trauriger. Herkunft der Romantik vom Idealismus. Der verlangte von der Welt mehr, als sie sein kann, forderte überspannt. Nun Weltschmerz, Zerrissenheit. Dann Blasiertheit. Diese nimmt jetzt philosophische Form an: es ist alles nichts. Doch vieles wahr, viel Recht gegen erbauliche Illusionen. Hauptfehler: sie erkennen ganz, wie schlecht es neben so viel Schönem hergeht im unteren Stockwerk, in der Natur, wollen aber nicht einsehen, daß sich über ihm ein zweites aufgebaut, das Gesetze hat, fest über der Willkür, objektiv, nichts fragend nach Lust oder Unlust und doch Seligkeit gewährend im Dienst, in der Arbeit am zeitlos Wertvollen.

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Die Natur hat sich schwer und wild abgemüht, bis sie die jetzigen Typen (Gattungen und Arten) festgestellt hat, an ihrer Spitze den Menschen. Vielleicht kommt noch einer auf den Gedanken, wahrscheinlich zu machen, daß sie nicht nur formell aussehen, als wäre eine Form aus der andern entwickelt (wie die vergleichende Anatomie bei der Tierwelt zeigt), sondern daß es wirklich real so zugegangen, also auch der Mensch vorher Tier gewesen ist. Nun hat dann der Mensch wieder von vorn angefangen, er ist zuerst jedenfalls nicht viel besser gewesen als ein Tier. Wütend, viehisch muß Mensch mit Mensch gerauft haben um Wohnsitz, Speise, Weib, Macht. Ein Kampf, dem analog, durch den einst die Typen, die genera und species geworden sein müssen. Durch eine Reihe furchtbarer Erfahrungen, in unermeßlicher Zeitdauer muß dieser Kampf dahin geführt haben, daß allmählich rechtliche, sittliche, politische Ordnungen sich herausarbeiteten und gründeten, zum Beispiel bis man einsah, daß es Eigentum geben muß, durch Gesetze geschützt, daß die Raserei des Geschlechtstriebs nicht zu zügeln ist, als durch die Ehe. So entstand eine zweite Welt in der Welt, eine zweite Natur über der Natur, die sittliche Welt. Dies heiße ich für meinen Bedarf das zweite Stockwerk. Wie nun jene Naturtypen nach so langen, harten Prozessen festgestellt sind, als wären sie ewig festgestanden, so die sittliche Ordnung. Sie hebt sich über die Zeit aus der Zeit heraus, ist ein Unbedingtes, an sich Wahres, man kann ganz davon absehen, es ist auch gleichgültig, daß sie in der Zeit entstanden ist, – ewige Substanzen, die »droben hangen unveräußerlich und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst«. Sie sind allerdings auch in einer Entwicklung begriffen, aber diese trifft nicht ihren Kern; Eigentum, Recht, Gesetz, Staat muß immer und ewig sein. Und das Höchste in diesem Hohen: die Einrichtungen, Tätigkeiten, die dem Mitleid ihr Dasein verdanken, und Kunst und Wissenschaft. – Mir will es aber immer vorkommen, als sei in dem ersten Stockwerk ein Zorn, ein Gift darüber, daß es das zweite tragen muß, als sei da – ein – ein Etwas, ein Rachegeist, Tücke, nach den höheren Wesen, nach den Zimmerleuten des zweiten Stockwerks mit Nadeln, mit Pfriemen, haarfeinen Dolchen durch die Dielenspalten hinaufzustechen – –

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Noch so jung, ein Eichbaum in Kraft, und diese Schmarotzerpflanze an ihn angesogen, die ihn umschlingt, umgarnt und schmachvoll, langsam töten wird!

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Igelmeyer schon sehr anhänglich. Begrüßt mich sehr, wenn ich vom Amt komme, gerät dann öfters in einen bacchischen Wahnsinn vor Freude, umkreist mich in rasendem Laufe, springt auf Tische, Schränke in tollen Sätzen. In einer italienischen Reisebeschreibung habe ich auch so etwas Dionysisches gelesen. Der Verfasser reist mit einem deutschen Grafen, einem bildschönen jungen Manne, kommt nach Ischia, eine Alte sieht den Jüngling, gerät in Rausch des Entzückens, holt ihr Tamburin und umtanzt ihn trommelnd und singend: quanto è bello! quanto è bello! Er war ihr ein Gott. – So der wieder erscheinende Herr dem Hund. Ja, Tiere und Völker, die noch halbe Heiden sind, die wissen's anders, als wir vernunftledernen Aufklärungschristen.

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Komisch sind gar nicht bloß die starken Irrungen der Tiere, wie gestern, da man den Igelmeyer in der Küche allein fand, vor dem Speiseschrank aufwartend. Ein Tier ist überhaupt den ganzen Tag komisch in seiner Menschenähnlichkeit, die doch nicht zum Menschsein reicht. Jede Gebärde, das Gesicht, die Leidenschaftlichkeit, die Dummheit in der Gescheitheit. Legt man ihnen einen Menschen unter, so gibt es zu lachen auf Tritt und Schritt. Wer die Tiere nicht liebt, dem fehlt die Phantasie, diese Unterlegung zu vollziehen.

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Die Tiere sind ungeheuer neugierig wie leere Menschen. Lieber Gott, was sollen sie auch tun, womit ihren Tag ausfüllen! – Für die Menschen gilt: je weniger Wißbegierde, desto mehr Neugierde.

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Heute etwas freier. Frühstück geschmeckt. Fällt mir da am Tisch der Pessimismus und Nihilismus wieder ein. Habe da einen runden Tisch, trägt mir loyal meine Kanne, Tasse, Krug, Zeitungen, Schüsseln, Teller. Denke manchmal, er könnte auch viereckig sein, aber er ist eben rund und mir doch so gerade recht, bin zufrieden. Kommt da ein Kerl her und sagt: »Du bist ein elender Optimist, du sollst den ganzen Tag daran denken, daß der Tisch nicht zugleich viereckig ist, daß er da aufhört, wo er aufhört, sollst in das Nichtsein des Vierecks in seinem Rund dich vertiefen, verbohren, verbeißen, sollst ferner täglich und stündlich erwägen, daß er nicht ewig dauern kann, sollst also an dem Tisch kein Genüge mehr haben, sollst ferner von ihm Anlaß nehmen, vom frühen Morgen bis zum späten Abend dich zu entsinnen, daß überhaupt alles im Sein auch nicht ist, nein! sollst vom Sein absehend in das Nichts hineinstieren und so denn tagtäglich schon beim Frühstück dich verbittern!« – Den Kerl soll doch der Teufel holen!

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Es ist derselbe Prometheus, der den Menschen das Feuer, die Technik, das Selbstbewußtsein, das Denken, die Vernunft, und der ihnen die Illusion gebracht hat: er gab ihnen die Freude am Augenblick und das Glück der blinden Hoffnung – derselbe. So nimmt es wenigstens Aeschylos. Also Prometheus, der Vordenkende! Er, der uns das Vordenken gebracht, er hat es auch durch die Phantasie begrenzt, begrenzt aus Vordenken darüber, was sonst folgen würde. Die Illusion ist also ein philosophisches Gut.

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Man wird sehen, es taucht gewiß noch einer auf, der aus Schopenhauers blindem Urwillen und der Vorstellung, indem er sie kopuliert, vollends eine ganz niedliche Mythologie herausspinnt! Und ich wette, er wird dabei noch verlangen, man solle ernst bleiben.

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Gestern den rückfälligen störrischen Lumpen Peter krumm geschlossen, er verdiente Feßlung, doch nicht so hart. Bin ungerecht gewesen, hab's in der Katarrhwut getan, da sieht man, wohin es einen bringt. Dennoch werde ich kein Pessimist. Oberer Stock bleibt.

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Welche rasselose Weiber sind doch hier! Schlechter Hals und Nacken, Schultern und Brustkorb abgenagte Gansgerippe u. s. f. – Was geht's mich an! Das Weib ist nicht für mich, bin schon mit Fräulein Schnuppe verlobt.

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Höchstens ein Frauenbild im großen Stil könnte mich aus dem Gleichgewicht bringen – wahrscheinlich zu meinem Unglück. Ich habe auf der Insel Föhr friesische Landmädchen gesehen, groß, aufrecht, in Bewegung und Benehmen vom Naturadel alter Völker. Die altdeutschen Weiber müssen noch stolze Erscheinungen gewesen sein! Fern in Skandinavien muß es noch mehr dergleichen geben. Auf einigen griechischen Inseln soll noch altgriechischer Schlag sein, gewiß auch altmorgenländischer im Orient. Nun, und Italien! Römisches Gebirge – auch mit altklassischen Frauennamen: Valeria, Cornelia und so – man muß doch hin!

Dort, auf jenen Inseln der Nordsee hat sich die schöne Rasse erhalten trotz der Durchsäuerung, welche die menschliche Natur durch die finsteren Zeiten des Protestantismus erfahren hat; merkwürdig, denn sonst ist die Scheidung so scharf, daß man nur durch einen Fluß getrennt verkümmertes Menschenbild in traurigem Schwarz auf dem protestantischen, stilvolle Weiber in erhaltener schöner alter, farbiger Tracht auf dem katholischen Ufer sehen kann. Mehr Heidentum in der katholischen Welt, also auch noch mehr Natur, – auch Augen mit Naturglanz, frische Waldkirschen. Doch dafür auch leidenschaftlicher, leicht wild in Liebe und Zorn; schon die Griechen klagen über die verrückte Leidenschaftlichkeit ihrer Weiber. – Edler Schlag und protestantisch tiefe Bildung vereinigt: das wäre schön. – Auf alle Fälle tut Vorsicht gut.

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Mau muß eben immer und überall dafür sorgen, daß man sich selbst behält. »Sich selbst haben ist der größte Reichtum«, altes Wort von Christoph Lehmann, † 1630. (Florilegium poeticum.)

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Lessings »Nathan«, Goethes »Iphigenie« und Schillers »Don Carlos« sind die drei priesterlichen, hochreligiösen Dichtungen des Aufklärungszeitalters in der reinsten, geläutertsten Form seiner Ideen. Dramen der Humanität, der Menschenliebe.

Alle drei symbolische Gedankenprodukte, das Geschichtliche nur Maske: Orient im Mittelalter, vorgeschichtliches Griechenland, Spanien zur Reformationszeit; überall die Handlung unwahrscheinlich. In allen drei der Gedanke zur tieferen Gefühlsmacht geworden, daher trotz der Symbolik alle drei poetisch, am stärksten wirkend das dritte, weil das Gefühl Feuer, Leidenschaft. Zweien davon fehlt, echt deutsch, das dramatische Leben, am meisten der »Iphigenie«, die darin sehr schwach ist; das dritte voll Spannung und Handlung, dagegen in der Komposition gequält, auch zu rednerisch. Die Menschenliebe ist im »Nathan« religiöse Toleranz zwischen Nationen, Religionen, in »Iphigenie« sittigende, sühnende, fluchlösende Kraft, ausgehend von der Familienliebe (Schwesterliebe), im »Don Carlos« politisch, völkerbefreiend, Staat auf Menschenwürde gründend, mächtig ins Allgemeine wirkend.

Träger: im »Nathan« ein Greis, im »Don Carlos« ein jugendlicher Mann, in der »Iphigenie«, echt Goethisch, ein Weib, reine Jungfrau.

In allen dreien ruht das Werk der Liebe auf Resignation, Frucht schweren inneren Kampfes.

In den zwei ersten ist es still wie in einer Kirche (aber ohne Pfarrer), im »Don Carlos« laut, doch die Lust im Mittelpunkt religiös gestimmt auch hier. (W. Tell reifes Kunstwerk, doch zu klassizierend plan.)

Welches Menschenvolk, das, diese Vernunftwerke an der Spitze seiner Dichtung und Bildung, heute noch nicht weiß, was Religion ist! Sie noch in den Glaubenssätzen sucht! Oder mit ihnen wegwirft!

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Goethe hatte fürs Drama zu wenig Galle. Schiller hatte mehr von diesem Desiderat. Shakespeare das rechte Quantum, und doch gerade bei ihm bleibt die Galle nirgends als bloßer Stoff liegen (außer im Timon von Athen). – Ungeläuterter Stoff findet sich bei ihm auf andern Punkten.

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Goethe hat in die Schlechtigkeit der Menschen schon in früher Jugend zum Erschrecken hell hindurchgesehen. Er sagt irgendwo, es sei ein Wunder, daß ihm das Leben nicht langweilig werde, da ihm die Erfahrung hierin gar nichts Neues bringe. Seine hohe Natur hat ihm darüber emporgeholfen, er hat sich an die Guten gehalten und von da aus – von der »engen Himmelszelle« – die Welt angeschaut. Wobei ihm sein leichtes Frankenblut viel geholfen hat. Nun hat er aber keine rechte Entrüstung, keinen Zornstoß. »Töricht, auf Bess'rung der Toren zu hoffen« – »haltet die Narren eben für Narren auch, wie sich geziemt« – Aber was sagt er von Schiller?

»Es glühte seine Wange rot und röter
    Von jenem Feuer, das uns nie verfliegt,
Von jener Glut, die früher oder später
    Den Widerstand der dumpfen Welt besiegt.«

Goethe war in diesem Sinn zu früh objektiv. Der Dichter soll freilich auch das Schlechte, Dumpfe, Böse ganz objektiv geben, dennoch soll man ihm anspüren, daß er es haßt, daß ein Grimm dagegen in ihm kocht.

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Gestern ein Gespräch mit einem Dichter von großem Talent. Der glaubt an Fernsehen, Fernwirken, Geister. Erzählt mir als ganz beglaubigt eine Geschichte von einem adeligen Schloß, wo irgend eine Ahnfrau, deren Bild im Saale hängt, alle Abend zum Essen erscheint und hinsitzt. »Das ist ein langweiliger und impertinenter Geist,« sage ich; »der Geist Banquos, der weiß, warum er kommt; ein Geist darf erscheinen, wenn ihn ein Dichter brauchen kann; Punktum.« – Es tat mir besonders leid, weil es ein Poet ist. Die Poesie läßt nicht nur in Erfindung von Handlungen, Begebenheiten, sondern in jedem gefühlten und stimmungsvollen Einzelbilde die Kräfte der Seele und der Natur zusammenwirken wunderbar, mystisch, die bekannten unumstößlichen Grenzen, Gesetze durchbrechend, überwiegend; sie kann Wunderwesen erscheinen lassen, wie es ihr dient; ihr einziges Gesetz ist sie selbst und was ihr Gebilde fordert. Ob es außerhalb der Dichtung solches gibt – mit dieser Frage verhält es sich so: es werden wohl Fälle berichtet von mystischen Hinüberwirkungen, die gut bezeugt scheinen. Aber was sollen wir damit anfangen? All unser Tun und Denken ruht unverbrüchlich auf dem Grunde der festen Naturgesetze. Soll ich glauben, die Natur sei bloß ein fadenscheiniger Vorhang, hinter welchem ein Geisterreich laure, um hervorzubrechen, niemand weiß, wann? so wird alles ungewiß und schwankend; ich weiß nicht, ob dieser Tisch, dieser Stuhl, dieser Vogel nicht sich in einen Geist verwandelt oder sein Träger wird; ich lebe wie im Rausche, die Konsequenzen, wenn ich sie vollzöge, müßten mich verrückt machen. Es folgt, daß man sich mit diesen Dingen nicht befassen kann, nicht befassen soll. Ich sag' allemal, wenn man mir derlei bringt: »Mir ist's, als wenn man einem Hund einen Apfel gäbe: er riecht für ihn nicht, er hat keine Beziehung zu ihm, er kann einfach damit nichts anfangen.« Nun aber erst der Poet! Uebel, übel, wenn er anfängt, sich in hölzernem Ernst doktrinell, dogmatisch mit diesen Dingen zu beschäftigen! So viel er sich damit abgibt, so viel ist es Abbruch an seiner Poesie. Was er als Phantasieschein betreiben darf und soll, das betreibt er nun lehrhaft, scheinlos, physikalisch oder eigentlich hyperphysikalisch. Der Dichter läßt das Zentrum alles Daseins aus den Dingen, den Wesen, herausscheinen, glühender, als es je in Wirklichkeit geschieht; in freiem idealem Spiele durchlöchert er für diesen Zweck je nach Bedürfnis die naturgesetzlichen Schranken und läßt zum Beispiel inniges Andenken an die Geliebte magisch in die Ferne wirken. Die Phantasie beseelt die Natur; dies ist Dichtung. sofern die Natur so nicht beseelt ist, wie es fingiert wird; dahinter steht aber die Wahrheit, daß der Geist in der Natur gebunden schlummert. Jene freie Mystik wird pure, auf Kosten des Phantasiespiels geschäftlich betriebene Prosa, wenn man sich ernstlich auf den Wunder- und Geisterglauben einläßt, und jede Viertelstunde, die ein Dichter diesem traurigen Ernste widmet, stiehlt er seinem höheren Tun, wo er denselben Stoff frei symbolisch, im Sinne des gefühlten, ahnungsreichen Symbols allerdings, zu behandeln hat. – Nicht zu reden davon, wie dick man angelogen wird, wenn man einmal auf das Zeug angebissen hat.

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Goethe erfährt, daß Hegel eine Vorlesung über die Beweise vom Dasein Gottes halte, und sagt zu Eckermann, »dergleichen sei nicht mehr an der Zeit«. Das hat nun der alte Herr eben doch nicht recht verstanden, sich gar nicht vorstellen können, was da vorkommt: das reinste Wasser auf die Mühle seiner eignen großen Anschauung: »Das Dasein ist Gott« – und dies als Ergebnis einer Kritik der so genannten Beweise von Gottes Dasein. Das eben zeigt Hegel, daß man eigentlich nicht sagen kann, das Dasein der Welt sei Beweis für das Dasein Gottes, sondern sagen muß: »Das Dasein Gottes ist die Welt.«

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Allerdings mit Unterschied. Die Welt ist das Dasein Gottes nicht in ruhiger Weise, sondern so, daß Gott sein Dasein darin stets verbessert, stets aufs neue eine geringere Form desselben durch eine bessere beschämt. Gott ist eigentlich eben diese wunderbare und heilige Unruhe.

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Gott ist das Beste in allem.

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Seit ich nichts mehr glaube, bin ich erst religiös geworden.

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Neulich sagt einer. das sei doch abscheulich, daß Gott den Juden geboten habe, ganze Städte zu verwüsten, alles, was männlichen Geschlechts, niederzumachen. Sagt ein andrer drauf: »Da war eben der liebe Gott selber noch jung.« Gut.

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Eine der liebenswürdigsten Etappen aus Gottes Weltgang vom Guten zum Bessern ist die Schöpfung des Hundes.

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O weh, jetzt hab' ich mich selbst strafen müssen, weil der Igelmeyer polizeiwidrig gehandelt hat! Wagen angebellt, Pferde scheu gemacht. Hab' ihn fortgeben müssen, den guten; froh, daß gut untergebracht. Sie haben erst so sehr recht, die Köter, aber man darf es ja nicht sagen! Alles schnelle Fahren in Städten ist eigentlich Unfug, Unverschämtheit gegen die Fußgänger, Beschämung, Beleidigung. Wäre ich mächtiger Tyrann, in meiner Stadt dürfte nicht im Trab gefahren und geritten werden. Der Hund ist Polizeimann, höchst polizeilich gesinnt, er erkennt einfach richtig den Unfug, nur natürlich das zu begreifen, daß man ihn nicht verbieten kann, ist ihm zu verwickelt. Er handelt in der tiefsten Ueberzeugung, recht zu tun, der öffentlichen Ordnung zu dienen. Er schläft nach solcher Tat den Schlummer des Gerechten. O, wie rührend ist so ein gutes, ehrliches Hundsgesicht im Schlaf!

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Das Bellen kann sehr störend sein, wohl! aber viel öfter muß es erfreuen. Es ist so etwas Resolutes darin. Ein Schuß. Wie oft, wenn ich in Zweifeln hing und zappelte, in Brüten klebte, hat es mir wohlgetan, mich erfrischt, gelabt, wenn ich den entschlossenen, unzögernden, frischweg vorbrechenden Laut vernahm. Es ist auch der Stolz des Hundes. Ich bin überzeugt, eine Hundsmutter, wenn sie ihren Sohn zum erstenmal bellen hört, fühlt dasselbe, was eine menschliche Mutter, wenn sie ihrem Sohn, welcher Theologie studiert und welcher die erste Predigt tut, mit Mann, Vetter und Base hineingeht.

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Da erfahre ich, daß einer, sonst ein ordentlicher Herr, mir einen Polizeidiener besticht, und zwar erst noch ganz unnötig, da der Mann doch ganz diensteifrig ist und von selbst bereit war, auf begründete Klage über störenden Lärm gegen den Nachbar einzuschreiten. Ich habe die zulässig schärfste Strafe gegen Bestechungsversuch in Anwendung gebracht. – So sind die Menschen! Der  A besticht, der  B noch flotter, der  C überbietet beide, die Menschen in Dienst und Amt werden verderbt und tun endlich ihre Pflicht nicht mehr, wenn ein Armer, der nicht bestechen kann, oder ein Redlicher, der es nicht will, ihrer Dienste bedarf. – Eine allgemeine Kette der Charakterlosigkeit, der breiigen Schlechtigkeit. –

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Ach Gott, wenn ich doch meinen Katarrh hinausbellen könnte! Doch wieder den ganzen Tag gearbeitet. Mit welchem Hindernis, weiß niemand. Das Hirn verwüstet, blöd, ein Halbsimpel, möchte nur schlafen, und muß mich stellen, als wachte ich. Und ein Wetter! Ja, Deutschland! Ist == das Land, wo man neun Monate Katarrh und drei ein Tröpfchen an der Nase hat. – Bruststechen. Doktor fängt an, mich bedenklich anzusehen. Spricht von Urlaub. Was? In meinen Jahren, mit meiner Kraft? – Bringe doch etwas vorwärts. Schon manches aufgeräumt im Bezirk. Unordnung im Abnehmen. Straßen reinlicher. Spitalverhältnisse geordnet. Gefängnisbau. Strammes Landjägerkorps. – Einfluß auf die Wahlen, den die Regierung mir zumutete, abgelehnt.

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Wenn ich im Amte etwas zustande gebracht habe, vergrabe ich mich doppelt gern in meine Bücher. Der gelungene Kampf führt mich hoch in den reinen Aether. Da ist mir dann Spinoza so friedenbringend! Calmo di mare!

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Ich philosophiere gern, bin aber kein Philosoph. Meine Gedanken gehen zu schnell.

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Einen Schandschuft von Weinfälscher erwischt. Seinen ganzen Keller voll herausgerissen, in die Gosse auslaufen lassen! Hätten wir ein strengeres Strafgesetz! Einst stand auf gesundheitsschädliche Fälschung Todesstrafe! O, wie Aepfel im Herbst sollten mir die Schurkenköpfe fallen!

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Habe dem Halunken gesagt, er habe keine Religion, und er hat mich angegrinst und erwidert, er habe mich noch in keiner Kirche gesehen. »Man fälscht die Religion, wie Sie den Wein,« habe ich gesagt.

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Gott ist die Religion.

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Die reine Religion begründet reine Ethik, nicht von außen befohlen.

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Also ist Gott das Gute.

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Wo das Menschliche waltet gegen das Rohe, Wilde, Böse, besonders gegen das Grausame, gegen das Schlechte, da ist Gott.

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Insbesondere aber auch, wo geforscht wird

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»Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!« man kann hinzufügen: »und klar im Geist, ein Denker und ein Künstler!« Damit dies sein könne, muß es eine Welt geben, dem zu lieb ist sie da. Aber warum gar so viel des übrigen? Es ist nicht anders: Gott hat einen Untergrund. Jakob Böhme, Schelling. Schopenhauer haben soweit recht (dunkler Grund, purer Wille und wie sie es nennen). Er mußte sich – muß sich – einen undurchsichtigen Unterbau schaffen, um als Geist aus ihm aufzusteigen, und gerät darüber so ins Zeug, daß er oft ganz vergißt, es handle sich erst um einen Unterbau; daher zum Beispiel alle wild teuflische Grausamkeit in der Natur und im Menschengeschlecht, soweit es bloß Natur. Wo in aller Welt mag währenddessen das wahre Wesen Gottes stecken? Das Grundtätige im Universum weiß zum Beispiel um die Zeit, wo es dem Gattungstrieb seine furchtbare Stärke gibt, nichts davon, daß die Menschen ein Reich der Sitte gründen müssen, wozu unter anderm das Institut der Ehe gehört; es weiß nur, daß jener Trieb ungeheuer stark sein muß, weil sonst aus – stille davon! – kein Mensch gezeugt würde; darüber macht es ihn im Eifer noch stärker als notwendig, und daraus entsteht in unzähligen Kollisionen mit dem Reich der Sitte unabsehliches, fürchterliches Elend.

Dies ist die blinde Wildheit in der Natur, sie ist der schwerste Stein im Wege des Forschens nach dem Geheimnis der Gottheit. Man ziehe nicht das eigentlich Böse, die Empörungen des Willens gegen die sittliche Welt herbei! Da liegt die Sache ungleich klarer. Es wäre kein Gutes, wenn kein Böses wäre. Aus dieser Notwendigkeit des Bösen als Reiz, Ferment und als Objekt des Guten folgt nicht im mindesten, daß der Adler den Hasen, die Katze die Maus stundenlang teuflisch quälen muß, statt die Beute kurzweg zu fressen. Es ist etwas Dämonisches in der Natur – es ist nicht anders, das eben ist »der dunkle Grund«, das traurige Geheimnis im Unterbau. Wem dies Wort sonderbar vorkommt, der möge nur bedenken, wie rätselhaft das ist: aus dem Schoß der Natur kommt ein Wesen, das die Natur (nicht ganz, aber doch in vielem) überwindet. Da nun die Welt keine eigne Substanz neben und außer Gott haben kann, so folgt: es ist eine Selbstsetzung und eine Negation und Verbesserung dieser Setzung im absoluten Wesen. Der Mythus von der Auferstehung Christi, wenn er einen Sinn hat, muß diesen haben. – Aber es ist und bleibt eben unbegreiflich: der Mensch findet unter sich die Natur, als unteren Teil seines Wesens, den er oft genug verächtlich hinabzwingen muß; da der Mensch aber doch aus der Natur kommt und Natur bleibt, so verachtet dann also in ihm die Natur sich selbst. Der Untergrund zieht sich, erstreckt sich in den Oberbau hinaus, der ihn doch absetzt, entsetzt, der Unterbau setzt sich also durch diesen selbst ab. Ich bin kein Raubtier und trage doch ein Raubtier in mir, ich bin wandelnder Sichselbsterhöher und Sichselbstabsetzer und darin ein Bild der Welt. – So viel ist gewiß: das Universum ganz begreifen hieße die ganze Einheit im ganzen Widerspruch begreifen.

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In diesem Dunkel gibt es keine Beruhigung als diese: wo Liebe ist, wo Mitleid ist, dann, wo Klarheit ist, da jedenfalls ist Gott. Da ist denn auch allein wirkliche Lust, und weil alles Gute erarbeitet sein will, also wahre Lust nur in der Arbeit.

Es ist einer der Grundfehler des Pessimismus, daß er eudämonistisch von der unmittelbaren Lust ausgeht, von da aus operiert. Sagt man zum Beispiel: Niemand arbeitet, wenn er nicht muß, so gilt dies richtig vom Menschen, so lange er noch im Untergrund, im untern Stockwerk steckt. Die zweite Ordnung, die sich darüber aufbaut, hat nach der Meinung der Pessimisten keine Bälken, da baut sich kein Objektives, kein Gesetzmäßiges, da kann man also auch nicht wohnen. O alter Hegel, stilvoller Philister, der du großbefohlen hast, daß das Subjekt parieren soll, könnte man das erleben, daß du erständest und mit deinem Stecken über das substanzlose Geschlecht kämest!

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Wenn die Menschen nur nicht immer auseinandersägen, nur nicht in ihrem Denken immer alles trennen würden, was zusammengehört! So meinen sie, sie hätten die Schlechtigkeit der Welt bewiesen, wenn sie aufgezeigt haben, daß Illusion Illusion ist! Daß es ein Wesen gibt, Mensch genannt, dessen Phantasieblick die Natur beseelt, alles in schönere Farbe, reineres Licht taucht, in der guten Stunde über das Elend der Welt hinwegsieht, das gehört ja auch zur Einrichtung der Welt, ohne diese edlen Täuschungen ist ja die Stimmung nicht denkbar, aus der auch das Gute fließt. Im Guten wird freilich ein Teil der Täuschung abgeworfen, da muß dem Elend der Welt hell ins Gesicht gesehen werden, bleiben aber muß die Hoffnung, die zwar mehr vortäuscht als erreicht wird, aber darum nicht ganz Täuschung ist, sondern zur größeren Hälfte Wort hält, indem sie selbst Ursache dessen wird, was sie hofft, nämlich als Sporn des einzig Realen, des Guten.

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Das Bäschen auf einen Ball begleiten müssen. Schrecklich! – Und tanzen tun sie, als sähe man Hühner im Dünger scharren. – Seit ich dazumal in Amtspflegers Töchterlein verliebt war, mit ihr nachts nach den Sternen sah und daraus ein Gedicht machte, – ich erinnere mich gut: in horazischem Odenmaß, und der Schluß hieß:

Ein kurzer Traum war's,
Aber ein schöner –

Und ich schwankte sehr, ob es nicht besser wäre, zu setzen:

Ein schöner Traum war's,
Aber ein kurzer –

ich weiß es wirklich heute noch nicht – seit damals, als ich so klassisch dichtete und als ich ein paar Wochen lang heulte, da sie fortreiste, hab' ich triplex aes circa pectus. Die Liebe kommt mir langweilig vor. – Seele, den Tag nicht vor dem Abend loben! Wenn dir ein Weib erschiene das Stil hat?

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Ich muß recht Philosophie treiben, das wappnet am besten gegen dies und das, gegen mich, gegen mein leidenschaftlich Wesen. Auch Stoiker! Man liest sie zu wenig. Der Mensch ist eine Entelechie. Eine Burg. Will er recht, ihn kann nichts erschüttern. Erschüttern wohl, aber nicht brechen. Starke Türme schwanken, wenn man läutet, gerade Beweis ihrer Festigkeit.

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Aus dem Ball dann weg aus dem Saal in die Wirtsräume. Im Nebenzimmer die Gespräche gehört, die an den Tischen in der Volksstube los waren. Zwischen den Bürgern unzufriedene Arbeiter, unter den Bürgern selbst unruhige Köpfe. Die politische Luft wird schwül. Es flirrt elektrisch. In Frankreich wackelt Louis Philipps großer Regenschirm, bekommt Risse. Wäre gut genug für die Franzosen, aber zu unritterlich und doch auch gemein, krämerhaft.

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Es wird eine große Freiheitsbewegung kommen. Geschrei nach Republik. Eigentlich wäre auch mein Geschmack Republik, aber eine recht strenge, der zuchtlosen Willkür eine Schraube, daß ihr das Blut aus den Nägeln spritzte, und die gibt's nicht mehr. Sie werden nach Republik brüllen und Gesetzlosigkeit darunter verstehen. Alles begreiflich, weil Gesetz und Ordnung jetzt fast überall in unreinen Händen ist.

O Elend! Es ist freilich wahr: »Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein.« Unrecht, ungerechter Druck erzeugt den Schrei nach Freiheit, und Freiheit wird alsbald Willkür. Sie wird niedergeschlagen von der Gewalt und dann fängt das Lied von vorne an, indem die Gewalt das Unrecht (mit dem schnöden Vorrecht) herstellt.

Wer das Geheimnis finden könnte, die Strenge, die Zucht, die der Mensch bedarf, nur in reine Hände zu legen!

Arme, ratlose Menschheit!

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Man wird es sehen, wenn's losgeht, wenn dann gegen wildes Unmaß die Gewalt wieder ans Brett kommt, dann wird sie mit der Spreu das Korn ausfegen. Eine anständige Minderheit in der Bewegung, die da bevorsteht, wird gegen die schlechteste aller Republiken, die Fürstenrepublik: Deutscher Bund, diesen polnischen Reichstag Deutschlands kämpfen. Die siegreiche Gewalt wird sie noch rachsüchtiger verfolgen, als die Schreier nach falscher Volksfreiheit. Die Verfolgung der Einheitsbestrebungen ist der schnödeste, schmutzigste Schmachfleck in der Geschichte unsrer Nation. Wer nicht wollte, daß der Deutsche im Ausland wie ein Hund verachtet sei, dem war Kerker, dem war Vertrauern der besten Jugend in feuchtem Mauerloch gewiß. Der übelriechendste Proletarier, der nach zuchtloser Freiheit schreit, ist so gemein nicht als jene Gewalthaber, die ganze Hekatomben Menschenglücks und Menschenlebens opferten für die zuchtlose Fürstenfreiheit im Deutschen Bunde.

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Ach, vielleicht seh' ich zu schwarz! Geb's der Himmel! Lasse mich, du besserer Stern meines Lebens, mitstreiten, wenn es losgeht, mitstreiten für das Goldkorn im wilden Schutte, den die Bewegung aufwirbeln wird!

Und doch, wie nobel ist selbst die verrückteste politische Leidenschaft gegen die Gelbsucht der Geldsucht! Gestern ein paar solche Gesichter in der Gesellschaft. Zum Erbrechen. Ein grausig Mördergesicht ist flott dagegen. – Und um was drehen sich die Unterhaltungen dieses Geschlechts! Nicht daß sie vom Kleinen reden, ist das Niedrige, sondern daß sie vom Kleinen nicht zum Bedeutenden aufsteigen, vielmehr umgekehrt jedes Bedeutende ins Kleine zerren. Spricht man etwas, das Inhalt hat, so übersetzen sie es gütig nachhelfend erst ins Platte, dann verstehen sie es. – Ihr liebstes Element aber ist der Klatsch.

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Es hilft nichts, mit aller Mühe kann ich das Gemeine nicht begreifen. Ich bin doch gar kein Idealist, glaube mir auch das Zeugnis geben zu dürfen, daß ich läßlich bin, eingänglich, ein herzlicher Feind der Prinzipien-Fanatiker. Ein Gespräch von Hunden, Pferden, richtiger Konstruktion von Oefen ist mir ganz recht und gut genug. Aber das Gemeine! Daß ich durchaus mir nicht abtun kann, alle Menschen für nobel zu nehmen und mich zu wundern, wenn ich das Gegenteil finde! – Es wird daher kommen, daß ich zu sinnlich bin, um Verkünsteltes zu begreifen, denn das Künstlichste, was es gibt, ist das Gemeine.

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Die besseren Menschen sind Gebirgsleute, sie kommen vom Gebirge her, sind gesunde Gebirgsbauern, das Tal mit seiner dumpfen Luft drückt auf ihre Lunge.

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Das Gemeine ist künstlich, weil der Mensch als solcher von Adel ist.

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Die Menschheit hat sich um dies Bewußtsein gebracht, indem sie den Adel als besonderen Stand geschaffen hat. Diesem hat sie aufgetragen, für sie edel zu sein, zu vikarieren. Eine der schädlichsten, menschheitentwürdigendsten Mythenbildungen, die es gibt, und doch so begreiflich wie jeder andre Mythus, und ebenso unvertilgbar.

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Große Freiheitsbewegungen der Völker haben einen ganz andern Charakter als Einheitsbewegungen. Jene beginnen mit einer seligen Trunkenheit, diese sind, sollen sie irgend etwas taugen, auf die prosaische Frage der zweckmäßigsten Form der Einheit gerichtet. Freiheit ist heilig, Einheit ist notwendig. Wer die erste Begeisterung der ersten französischen Revolution erlebt hat, ist zu beneiden. Aber die Freiheitsbewegung berauscht, der Rausch wird in den Mehrheiten ein wüster und die Schönheit der Bewegung verläuft in Schmutz, Schlamm, Blut. Die wahre Freiheit ist die Ordnung. Fällt Freiheits- und Einheitsbewegung in eine Zeit, so reißt leicht die erste die zweite mit sich in den Untergang.

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Gelingt es unsrer Nation noch, die Einheit zu erringen, so ist sehr zu wünschen, daß bei der Verfassung, die dann zu beraten ist, die Stimmung, die jetzt anwächst, so wenig als möglich nachwirke. Die Folge wäre namentlich eine zu milde Strafgesetzgebung. Milde gegen das Verbrechen und besonders Milde in der Subsumtion verschiedener Schlechtigkeiten (wie Fälschung, Beschwindlung, Wucher und dergleichen) unter den Begriff des Verbrechens würde dahin führen, daß die deutsche Nation verlumpt.

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Rekrutierungsgeschäfte. Tabellenarbeit sehr langweilig. Bei der Musterung und Messung anwesend. Mich doch erfrischt; der Schlag geht an; Rasse noch ziemlich. Einige stattliche Bursche, groß und breit. Wenn ich das erleben dürfte, daß die Lümmel auf den Reichsfeind, auf die Franzosen klopfen dürften! Und mit ganz Deutschland! Armer Traum! Gegenwärtig große Verhandlung im Bundestag um gleiches Kaliber für die Muskete. Unser Zwergstaat gibt nicht nach; ist ja Selbstherr, natürlich! Und Kopfbedeckung! Jeder will einen andern Kübel. Könnt' ich ihnen drauf hauen, daß die Reife und Dauben flögen!

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Wenn nur meine Gesundheit hält! Ich bin doch eigentlich nicht »veiclich getân« wie Hagen von Kriemhildens Knaben Ortlieb sagt. Was will der Doktor immer? Ich lass' mir nicht angst machen. Spricht wieder und dringender von einem Urlaub! Soll ich jetzt, jetzt schon von der Arbeit weg?

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Halt! ich folg' ihm. Ein Stück helleres Leben im Weiten, Freien, Großen kann gut tun. Kann mich konservieren, erfrischen für die Zeit, die da kommt.

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