Hermine Villinger
Schulmädelgeschichten
Hermine Villinger

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Anna

Genannt Nannele, bin ich in Zell im Wiesenthal, am 26ten Jänner 1835 geboren.

Als ich sieben Jahre alt war, sind wir nach Freiburg im Breisgau gekommen.

Schon zu Haus besaßen die Schwestern und ich ein Tagebuch, in das wir alles, was ein weiser Gott über uns verhängte, gewissenhaft hinein schrieben.

Unsre Familie bestand aus Vater und Mutter und fünf Kindern, von denen Xaver, der Älteste, der Inbegriff eines herrlichen tugendhaften Menschen ist, denn nicht nur, daß er seine sämtlichen Collegiengelder für die Universität durch Unterrichtgeben selbst verdiente, seine Tugend war so über allen Ausdruck erhaben, daß er auch noch 172 seine Geschwister bei jeder Gelegenheit mit einem Buch, einem farbigen Band oder mit der Einladung zu einem Ausflug überraschte.

Schwester Therese, die um zehn Jahre älter ist als ich, gehörte kaum dieser Welt an, denn es war früh ihr einziger Wunsch, sich dem Klosterleben zu weihen; da sie aber zu notwendig im Haus war, durfte sie nicht daran denken, denn Vaters Besoldung, er ist Kreisrat, reichte kaum. Das heißt, es hätte vielleicht knapp gereicht, aber dann wäre nichts für das Vergnügen übrig geblieben. So streng und gewissenhaft jedoch der Vater alles nahm, die Mutter verzweifelte nie. Sie nahm junge Studentle in's Haus, kochte selbst, denn wir hatten nur eine sehr geringe Magd, und die Schwestern bügelten und wuschen und machten die Zimmer, ohne daß die jungen Herrn es ahnten, und wir vor der Welt sehr honett dastanden, und in keinem Vergnügen zu kurz kamen.

Hauptsächlich war es Caton, meine zweite 173 Schwester, die alles um sich her lustig machte, den ganzen Tag wie ein Vogel sang und ein wunderhübsches Gesicht hatte.

Nach ihr kam ich, und dann Hermann.

Mit besonderer Rührung erinnere ich mich an eine wundervolle Beleuchtung am Vorabend des Namensfestes unsres Regenten. Die Musik spielte auf dem Karlsplatz, und auf dem Schloßberg ging ein unvergleichliches Brillant- und Rubinenfeuerwerk los, das Sonnen bildete und Feuerräder.

Die Eltern gingen mit Xaver und Caton auf den Casinoball, und Therese, die weltliche Vergnügungen flieht, bereitete Hermann und mir einen Abend, der zu den schönsten Stunden meines Lebens zählt; sie spielte Guitarre, und wir Kinder durften tanzen wie die Großen; Hermann benahm sich mit großer Geckenhaftigkeit; er führte mich zu Tisch, und es wurde soupiert, einfältig vornehm geplaudert, wieder 174 getanzt und noch einmal etwas colasionirt, in Gestalt einer süperben Speise namens Charlotte.

Am andern Morgen beim Frühstück kamen die Ballberichte.

Die Frau Großherzogin und Prinzessin Luise waren anwesend gewesen; wie eine Fee habe sie getanzt, und im Cotillon wurde die Tour gemacht, wo die Tänzerin ihr Taschentuch in die Höhe wirft, und der Herr, der es auffängt, mit ihr tanzen darf. Unser Xaver fing's! Caton erzählte, er habe der Prinzessin vor lauter Vergnügen auf den Fuß getreten. Sie habe ihn aber ganz fröhlich angelacht.

Von den Feuerwerksgeschichten an hatte Hermann keinen andern Gedanken mehr, als eine kleine Kanone zu besitzen. Xaver schenkte ihm eine zum Geburtstag.

Eines Abends, als ich Hermann zum Nachtessen rufen wollte, war sein Zimmer leer, auf dem Boden aber, unter dem Fenster lag ein Brief mit Bleistift, an den Vater adressiert; wir lasen 175 ihn alle, und ich habe ihn zum ewigen Andenken in mein Tagebuch abgeschrieben; er lautete:

»Lieber Vater!

Mir ist folgendes Dich sehr erzürnendes geschehen:

Ich, Kriegle und Mulbach sind, nachdem wir ausgerissen, auf den Schloßberg; ich hatte meine Kanone bei mir und Kriegle Pulver. Wir stopften nun die Kanone und wollten sie loslassen, aber sie ging nicht los. Als wir nun vergebens versucht hatten, die Kanone loszuschießen, zündete ich ein Streichhölzchen an, aber das Pulver ging wieder nicht los, und als wir aufstanden, stand in geringer Entfernung ein Schütz. Wir liefen fort, aber der Schütz verfolgte uns immer. Wir bogen nun in einen andern Weg ein, der Schütz schnitt uns den Weg ab, ich bemerkte es gleich und sprang fürchterlich schnell und kaum als ich eine Zeit lang gesprungen war, hatte der Schütz Mulbach 176 am Kragen und nahm die Kanone und das Pulver. Ich hatte fürchterliche Angst. Mein Herz begann zu schwanken, als ich an Dich dachte, ich kann meine Verzweiflung nicht schildern. Und Dich, mein lieber Vater, bitte ich um Verzeihung für meine große Sünde. O Vater, vergieb mir und meinen Kameraden, und wenn Du mir nicht vergeben kannst, so schieße mich lieber heute Nacht mit Deiner Pistole tot. O, ich kann nicht nach Haus kommen und Dich in Deinem Schmerz sehen.«

Xaver und unsre jungen Leute waren aufgebrochen, um Hermann zu suchen: zum ersten Mal in meinem Leben krampfte sich mir das Herz so zusammen, daß ich keine Luft hatte, aber ich umklammerte Vaters Hand und sagte immerfort: »Bitte bitte!« Er sah sehr betrübt aus, denn er nahm immer alles so ernst wegen unsrer Zukunft, die Schwestern weinten, die Mutter stand am Fenster.

So wurde es fast dunkel, und niemand 177 zündete ein Licht an. Auf einmal sprang die Thür auf und Xaver kam herein mit Hermann. Da hob ihn die Mutter wie ein kleines Kind in die Höhe und rief:

»Ihr Mädchen, holt aus der Küche, was ihr zu essen habt!« Zum Vater, den wir alle voll Angst anschauten, sagte sie:

»Gelt, ist das ein dummer Bub – wozu sind denn Eltern auf der Welt, als zum verzeihen!«

Da ist ihr Hermann um den Hals gefallen und hat ausgerufen:

»O Mutter, wenn Du nicht wärst, möcht ich nicht auf der Welt sein!«

Und wir haben alle geschrien:

»Wir auch nicht! wir auch nicht!«

Eines Tages hatte Xaver sein Examen glänzend bestanden; Mutter stellte zwei mächtige Flaschen roten Glotherthäler auf den Tisch, und Vater überreichte Xaver eine Pfeife mit seinem Bild; ich hatte ein paar Hosenträger gestickt, 178 und Therese und Caton ein prächtiges gilet, das sie Xaver mit einem Gedicht überreichten, welches anfing:

»O du herrlichster der Brüder!«

Lotte, Caton's beste Freundin, die eingeladen war, hatte für Xaver eine himmelblaue Börse gehäkelt, und unsre Studentle, fünf an der Zahl, schenkten ihm einen Spazierstock mit einem Hundekopf.

Es wurden fortwährend Reden gehalten, sogar die übermütige Caton hielt eine, und zwar über das unermeßliche Glück, sich sagen zu dürfen, ein tugendhafter Mensch zu sein – womit sie natürlich auf Xaver anspielte, der Gesichter schnitt, als wäre er zum weinen gerührt.

Plötzlich sprang Hermann, der zum ersten Mal ein ganzes Glas Wein hatte trinken dürfen, in die Höhe und rief:

»Auch ich will eine Rede halten und zwar – o Ihr lieben Eltern, ich will nichts andres werden als Offizier!«

179 Wir schauten alle voll Angst den Vater an, der die Stirne runzelte und sprach:

»Das schlage Dir aus dem Sinn, mein Sohn, Du wirst Jurist und kein Faullenzer in Uniform.«

»O je, da muß ich den ganzen Tag still sitzen,« rief Hermann, »Mutter, Mutter, das halt' ich nicht aus –«

Sie hielt ihm schnell den Mund zu, während wir alle nicht zu atmen wagten.

Xaver aber sagte: »Hör' mich an; ich weiß Dir einen Rat; Du studierst die Jurisprudenz, wie es der Vater befiehlt, aber Du wirst Militärbeamter wie der Auditor Weiler: der reitet alle Tag auf seinem Schimmel durch die Schiffgass'; das kannst Du dann ja auch thun.«

»Meinetwegen«, entschloß sich Hermann, »ich werde Auditor, aber das sag ich euch, mein Hermännle wird einmal Offizier.«

Unsere Oberländerfußreise, die wir uns so schön ausgemalt, auf die wir uns Wochen und 180 Monate wie unsinnig gefreut, für deren Realisierung ich manches heimliche Vaterunser gebetet – ging wirklich und wahrhaftig in Erfüllung. Eines Morgens zogen wir mit Ridikül, Regenschirm und Shawl und unserm Beschützer Xaver zum Thor hinaus – Therese, Caton, ihre Freundin Lotte und ich – am 18. September, dem glänzendsten Herbsttage der Welt. Noch eine Strecke Wegs begleiteten uns die Eltern und gaben uns gute Lehren und Klugheitsregeln mit in die Fremde, und ihren Segen dazu.

Es ging unter Singen und Lachen durch St. Georgen, am Leimstollen vorüber, nach Kirchhofen, wo wir hungrig und erhitzt im Pfarrhaus ankamen. Der Herr Dekan und seine zwei Niecen empfingen uns auf das Herzlichste, und es gab wundervollen Pfannenkuchen und hinten nach einen ungeheuern Käskuchen, der wie ein nichts verschwand. Wir gingen in die Kirche und auf einen nahen Hügel, und Freiburg lag 181 so wundervoll vor uns da, daß wir glaubten, ordentlich die Trauben an den Rebstöcken glänzen zu sehen, und ein Hoch hinüber schrieen und mit den Taschentüchern winkten. Hierauf ging's weiter nach Krotzingen, Staufen, bis in's Münsterthal; dort wohnten Bekannte der Eltern, die uns ein Stück Wegs entgegenkamen, und bei denen wir einen herrlichen Kaffee tranken. Sie besorgten uns ein Rößlein, das wir den steilen Berg hinauf, der jetzt vor uns lag, abwechselnd benützen sollten. Therese war zuerst an der Reihe, allein sie verschenkte ihr Recht an Hermann, der sich's nicht zweimal sagen ließ und wie der Wind aufsaß und davon trabte.

Nachdem die Bergspitze des Blauen unter großer Hitze erreicht war, ging's durch den Wald, Zell zu. Als das Städtchen vor uns lag, mitten in den Bergen drin, kamen mir plötzlich allerlei Erinnerungen, so beim Anblick des Stegs über den Bach, wo mir einmal ein Zeller Mädele »Krott« gesagt. Der Förster kam uns 182 ein Stück Weges mit seinen Töchtern entgegen, die Therese und Caton jubelnd begrüßten; im ganzen Ort, sagten sie, sei's schon herum, daß Amtmanns Maidele kämen, und kaum saßen wir im Grünen vor des Försters Haus, kam auch schon der Herr Lehrer herangeschritten und hinter ihm, schüchtern und linkisch, die ehemaligen Kamerädle der Schwestern.

Am besten gefiel mir das sonnenverbrannte schwarzhaarige Burgele, das Caton fragte, ob sie noch immer so munter sei »wie e wildi Suh.«

Der Förster war so gütig für uns anzuspannen, so daß wir noch vor Einbruch der Nacht nach Wehr kamen, in's Herrschaftsschloß. Hier war's gerad wie im Märchen, wir saßen im Prachtsaal an einer langen Tafel mit vielen silbernen Leuchtern, und der Herr Baron und die Frau Baronin waren charmant; ein junger Herr Baumeister aus Norddeutschland, der gekommen war, die alte Schloßkapelle frisch aufzubauen, saß neben Caton; neben mir Otto, mit 183 dem ich als Kind gespielt. Der Baron schenkte Xaver, der sein Patenkind ist, einen prachtvollen Ring, und die Baronin verehrte den Mädchen fein gestickte Taschentücher; ich erhielt ein kleines goldenes Herz an einem Kettlein; Otto legte es mir um den Hals und sagte:

»Damit ihr's alle wißt, ich heirate einmal s' Nannele!«

»Allerliebst!« rief der Baumeister, »die Baronin ist vielleicht so gütig und spielt uns zur Feier der Verlobung einen Ländler.«

Die Baronin setzte sich ans Spinet, und wir tanzten bis nach Mitternacht.

Am andern Morgen hatten wir einen Schrecken wegen Hermann; Otto kam zum Frühstück und erzählte, er habe bei seinem Erwachen unter dem Bett gelegen, und Hermann sei nicht mehr dagewesen; wir durchsuchten das ganze Haus, riefen und riefen und gingen endlich in den Garten; dort fanden wir ihn im allerletzten Gartenhäuschen, wo er saß und bitterlich weinte.

184 Auf unsre Frage, was ihm denn fehle, erzählte er: er habe sich einmal in der Nacht rasch umgewendet, da sei plötzlich Otto in die Spalte zwischen der Wand und dem Bett gefallen; er habe ihn mit aller Kraft nicht mehr heraufziehen können und gedacht, das sei recht undankbar von ihm, daß er nun das große Bett allein habe, und darum sei er lieber in den Garten gegangen.

Der Herr Baron lachte und schenkte Hermann einen nagelneuen Gulden zum Trost.

Nach dem Frühstück sprach Xaver eine wundervolle Dankrede, und Baumeister Petersen fuhr uns nach Säckingen, dem eigentlichen Ziel unsrer Reise.

Hier auf der Mühle lebten nämlich unsre nächsten Verwandten, Vaters Bruder und dessen Frau und Kinder, sowie die Bas'!

Petersen, statt mit dem Wagen umzukehren, ließ sich ebenfalls in der Mühle einquartieren, und nun folgten Tage, die uns über alles herrlich erschienen. Wir, die Vetterle und Bäsle und 185 Hermann und ich, trieben uns von früh bis spät in der Mühle herum, wo das »Versteckenspielen« eine nicht zu beschreibende Lust war; Therese saß den ganzen Tag in der heiligen Fridolinuskirche oder droben bei der Bas', im Altjungfernstüble, wo es fürchterlich nach Schnupftabak roch, obgleich die Bas' that, als schnupfe sie nicht, sondern alle Augenblick sagte: »Eh, was hänt se au in der Mühli?« – wobei sie den Kopf zum Fenster hinausstreckte und schnell schnupfte.

Wenn wir Mädchen bei ihr waren, konnte sie es uns nicht genug an's Herz legen »jo keini alte Jüngferli« zu werden.

»Mer därf bigot nit s' Mul ufthue,« sagte sie, »heißt's gli bi de Mannslütt – was witt denn die, die hätt jo nit emol ein' kriegt! –

So konnte sie fortjammern und thun als mache sich kein Mensch etwas aus ihr, und doch keuchte der gute dicke Onkel Stiftmüller alle Tage zu ihr hinauf, streckte den Kopf in die Thüre und fragte: »Wie goht's Bas, wie goht's?«

186 Eines Tages verabschiedete sich endlich Petersen von uns, und wir gingen zu Fuß durch die Hölle und das Himmelreich der Heimat zu. Allein was erlebten wir – Caton, Xaver und Lotte, die bisher so lustig waren, trabten jetzt trauerweidenartig hinter uns her.

»Nannele«, sagte Hermann zu mir, »Du wirst sehen, das bedeutet was – und zwar eine Doppel-Hochzeit.« So daß wir voller Ahnungen der Zukunft entgegen sahen.

Um jene Zeit ist bei Tisch immerfort von der französischen Revolution gesprochen worden, und ihren großen Schrecken, und Vater war unendlich schwarzsehend, weil er befürchtete, es sei auch bei uns eine Revolution im Anzug.

Richtig, eines Tages ging's wie ein Lauffeuer durch Freiburg: die Freischärler kommen!

Hermann hatte die Masern; Xaver holte den Vater des Nachts aus dem Bett und flüchtete mit ihm nach Neu-Breisach, über die Grenze, 187 denn die Freischärler wollten alle Beamte todschießen.

Wir lebten viele Tage hinter geschlossenen Läden, hörten draußen die Freischärler lärmend und schreiend durch die Gasse ziehen, und zuweilen schoß es so fürchterlich, daß alle Scheiben klirrten. Wie haben wir zu Gott gefleht in unsrer Angst und Not, und nicht nachgelassen, ihn zu bitten, Vater und Xaver zu beschützen!

Eines Abends läutete es ganz ganz leise an der Hausthüre, und als die Mutter den Laden ein wenig öffnete, rief eine Stimme herauf:

»Um Gotteswillen, Frau Kreisrätin, machen Sie auf, ich bin es, Petersen.«

Da wurde Caton so blaß wie eine Leiche, die Mutter aber lief hinunter mit dem Schlüssel und kam mit Petersen herauf. Er sagte, er habe keine Ruhe gehabt aus Angst um uns, und sei aufgebrochen mit dem Gedanken, er könne uns vielleicht nützlich sein; nun aber seien die Freischärler hinter ihm her, denn einer habe ihn 188 erkannt, und wenn sie ihn fänden, sei er verloren.

»Nur schnell da hinein,« sagte die Mutter und öffnete die große Mehlkiste auf dem Gang neben der Küche; Petersen kroch in's Mehl, und wir deckten ihn damit zu, daß kein bischen mehr von ihm zu sehen war.

Drunten fing's an, ganz erschrecklich zu läuten.

»Laßt die Kiste aufstehen«, sagte die Mutter, »daß er nicht erstickt – und leg schnell das Nudelbrett auf den Tisch, Therese, und mach' einen Teig an; ihr andern nehmt ein Buch oder eine Arbeit – und nicht gemuckst! – betet im Innern zu Gott.«

Die Mutter lief hinunter, drunten schrieen laute und wüste Stimmen:

»Heraus mit dem Aristokraten, in der Schiffgass' muß er sein – heraus mit ihm!«

Sie kamen herauf, schreckliche Männer, mit 189 Gewehren und Sensen und Federn auf den Hüten.

Die Mutter sagte: »Es ist niemand hier herein gekommen, Ihr mögt das ganze Haus durchsuchen – hier sind die Schlüssel.«

Sie liefen umher und schrieen fürchterlich und stießen mit ihren Säbeln in jeden Schrank hinein. Einer sagte:

»Madame, wenn wir ihn finden, vor Euern Augen wird ihm der Schädel gespalten – Der Preuß' hat die Herrschaft von Wehr gegen die Freischärler verteidigt und zwei von uns niedergeschossen, der soll uns büßen.«

Die Männer wollten in Hermanns Stube dringen, als die Mutter bat, es möchte nur einer hinein gehen und keinen Lärm machen, weil ihr kranker Sohn drin liege. Da schrieen sie alle durcheinander und stießen die Mutter so grob auf die Seite, daß wir laut aufweinten.

In diesem Augenblick ging die Thüre auf und Hermann stand da; er hatte einen von 190 Xaver's großmächtigen Rappieren in der Hand, sein Gesicht war dunkelrot, und er schrie mit heiserer Stimme.

»Wer meiner Mutter was thut, den stech' ich tod.«

Da mußten die Männer lachen, und einer von ihnen sagte:

»Wir sind keine Unmenschen, Madame, steck' Sie Ihren Buben nur wieder in's Bett, wir wollen's glauben, daß der Aristokrat nicht im Haus ist.«

Und sie sind Gott Lob und Dank alle wieder gegangen.

Als Petersen aus dem Mehl kroch, ist ihm Caton mir nichts dir nichts um den Hals gefallen. Die Mutter hat aber gesagt: »Es ist jetzt keine Zeit zu Gefühlsduseleien, sondern beratschlagen wir vor allen Dingen, wie kommt Petersen fort.«

Da wurde mitten in unsre Verlegenheit die 191 Hausthüre von außen aufgeschlossen, gleich darauf ertönte unsres Xavers Stimme: »Ich bin's Mutter, erschreckt nicht!«

Aber fast wären wir doch erschrocken, denn herein trat ein fremder Bauersmann, und nur die Mutter flog gleich auf ihn zu und rief:

»O mein Alterle, mein Alterle!«

Petersen mußte in den Bauernkleidern noch in derselben Nacht fliehen. Xaver blieb bei uns, und zwei Tage später hieß es: »die Preußen sind da!«

Ich schaute durch die Spalten der Läden und habe nie etwas Ähnliches erlebt; aus allen Ecken und Enden, wie aus dem Boden gestampft, sind sie erschienen, die Lanciers, und es dauerte nicht lang, war's in Freiburg wie ausgefegt.

Bei uns aber wurden zwei Verlobungen auf einmal gefeiert; erstens die mit Caton und Petersen, und zweitens die mit Xaver und Lotte.

Als aber gar die Wehrer Herrschaften ihren 192 überlustigen Otto nach Freiburg brachten und bei uns einlogierten, da sagte die Mutter: »Das ist mir zu viel ausgelassenes Volk für meine alten Augen.«

Und so wurde ich in's Institut geschickt.

 


 


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