Hermine Villinger
Schulmädelgeschichten
Hermine Villinger

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Knöpfche

Dies ist mein Übername wegen meiner Kleinheit; eigentlich heiße ich Helene und bin in der freien Reichsstadt Frankfurt am Main, im Jahre 1850 geboren.

Ich besuchte die Musterschul in der Friedbergergass' und hatte eine unendliche Verachtung gegen alles was Institutsschülerinnen waren – denn ich war ein echt Frankfurter Kind, das kein affig Gethu' leiden konnt und nichts über sein Frankfurt kommen ließ. Ich hab mich drum einmal mit so einer frechen »Mannemer-wupp-dich-Krott,« die gesagt hatt, mir Frankfurter hätten all' lange Nasen, derart in der Fahrgass' mit dem Regenschirm herumgeschlagen, daß wir aussahen wie zwei gerupfte Gäns'.

32 Meine Schwester Julie war sieben Jahre älter als ich und führte den Haushalt, denn unsre Mutter war früh gestorben. Vater, der Stadtrat ist, hatte nicht viel Zeit für uns, und war der einzige Mensch auf der Welt, vor dem ich Respekt hatte. Drum wenn er mich schalt, ging ich einfach an meinen Wandschrank, steckte den Kopf hinein und sagte ungefähr zwanzig ordentliche Schimpfwörter; das hörte er nicht, und mich erleichterte es sehr.

Als kleines Kind war ich feig, aber Onkel Josef in Rödelheim, zu dem wir im Sommer zu Besuch waren, heilte mich davon; er hatte ein Gut mit einer großen Menge Hunde, die des Morgens all vor seiner Thür lagen. Ich sollte kommen, und ihm guten Morgen sagen und fürchtete mich entsetzlich zwischen den vielen Hunden durchzugehen. Onkel versprach mir ein wunderhübsches kleines Kästchen aus lauter Muscheln, wenn ich Mut faßte. So stand ich viele Morgen hintereinander vor den Hunden, 33 und das Herz klopfte mir wie ein Hammerwerk. Da rief mir der Onkel eines Tages zu:

»Nur frisch drauf los – nicht lang besinnen!«

Ich sprang über die Hunde weg, und von diesem Augenblick an, war ich nicht mehr feig.

Ebenso machte ich es, als ich in Rödelheim in die Strickschule geschickt wurde; hier saßen nämlich lauter kleine Dorfmädchen und glotzten mich sehr verwundert an, so daß ich mich plötzlich meines Hutes schämte und mich nicht getraute, ihn abzunehmen. Einen ganzen Morgen fast saß ich mit einem dunkelroten Kopf und dem Hut da und versuchte zu stricken, auf einmal fielen mir Onkels Worte ein: Nur frisch drauf 1os, nicht lang besinnen – da riß ich meinen Hut vom Kopf und setzte mich darauf.

Am neunten Oktober 1860 erhielt ich eine gewaltige Ohrfeige. Der Grund: ich war unartig gegen unsern Dienstboten, und gab auf 34 Vaters Zurechtweisung die Antwort: »Es ist ja nur ein Dienstmädchen.«

Er stand auf und gab mir die bewußte Ohrfeige; ich schrie und hätte am liebsten die ganze Welt in Brand gesteckt; nachdem ich ausgetobt, sagte der Vater:

»Eine solche Antwort will ich nie wieder hören; merke Dir wohl, mein Kind, es giebt kein »nur« für Dich, einem Menschen gegenüber; das »nur« ist ein schreckliches Wort, so klein es ist; jeder, der es gebraucht, der sich anmaßt zu sagen: es ist ja nur ein Dienstbote – ein Arbeiter – ein Bauer, oder ein Jude – trägt zu all' dem Unfrieden der menschlichen Gesellschaft bei. Denn, indem ich einen Menschen für geringer halte, als ich bin, und es ihn fühlen lasse, kränke und verletze ich ihn und deßhalb gehört jeder, der dieses böse Wort seinen Mitlebenden gegenüber im Munde führt, unwiderruflich unter die Menschenschinder.« –

Das Nächste was passierte, war eine 35 unangenehme Verhandlung mit Vater wegen Erpressung.

Im ersten Stock unseres Hauses wohnten nämlich Weideles; der Herr Weideles war ein guter Freund vom Vater, und die Frau Weideles hat der Julie in allen Haushaltungsangelegenheiten mit Rat und That beigestanden. Sie waren sehr reich, und aßen wunderbar gute Dinge zu Mittag. Drum – wenn der Herr Weideles von der Börs' zu Haus kam, paßt ich ihn auf der Trepp ab und sagte:

»Guten Tag, Herr Weideles, wie stehe die Aktie?«

»Gott, was ä Kindl« rief er, nahm mich bei der Hand und ging mit mir den Vater fragen, ob ich oben essen dürfe.

Frau Weideles, die ein groß weiß' Häubche bis in die Stirn trug, sagte fortwährend: »Nimm der, nimm der, Knöpfche –« und es wär ein sehr schön Familienleben gewesen, wenn der Aron, ihr Sohn nicht gewesen wär; der war so geizig, 36 daß ich mir ihm zu leid jedesmal den Magen verdarb. Den Geiz hätte ich ihm zwar noch verziehen, was ich ihm aber nicht verzieh, war, daß er einmal sagte.

»Gott, der Herr Rat, Dein Vater, was is er denn – reich is er nit –«

Da hab ich gesagt: »Mein Vater ist viel mehr als reich, mein Vater ist tugendhaft.«

»Stuß,« hat der Aron gerufen, »was ä Red, mehr als Geld is kei Tuchend auf der Welt wert!«

Eines Tages verreiste er und kam als Bräutigam zurück:

»Wie sieht sie aus, Aron?« fragte ich.

»Wie werd se aussehen,« rief er, »sie is reich!«

Kaum hatte ich die junge Frau gesehen, paßte ich den Aron ab, wie er oben von seinem Vater kam.

»Pfui Taibel,« sagt ich, »was e wüst' wüst' Frauche hast uns in's Haus gebracht!«

»Nit so laut, nit so laut,« bat er.

37 »Gewiß sag ich's laut, ich sag's ihr sogar in's Gesicht, daß sie wüst ist!«

»Gott, Knöpfche,« jammerte der Aron, »Du wirst doch nit – ich bitt' Dich um alles in der Welt – sag so was nit – wenn ich kann, will ich Dir gern ä Gefallen thun.«

Da hab ich mich eine Weil besonnen und gesagt: »Gut, gieb mir einen Groschen für Pfeffernüss' für die letzt Bank in meiner Class' –«

Er hat geseufzt und mir den Groschen gegeben, und wir haben uns in der Schul gefreut wie die Affen, und die Pfeffernüss' gegessen.

Ein paar Tag später hab ich den Aron wieder abgepaßt:

»Aron« rief ich zur Trepp herunter, »weißte was, ich sag's doch!«

»Gott,« hat er geschrien, »Knöpfche, Du wirst doch nit, – ich geb' Der meintwegen wieder en Groschen, wenn Du schweigst –«

»Nein,« hab ich gesagt, »einer reicht nicht, 38 ich muß auch für die zweit letzt' Bank Pfeffernüss' haben.«

Da hat er geseufzt, lang und tief, und mir zwei Groschen gegeben.

Und so ist's fortgegangen, und ich hab den Aron gesteigert bis auf zehn Groschen, und die ganz dritt' Class' in der Musterschul hat alle Tag Pfeffernüss' gegessen.

Auf einmal ist der Aron weggeblieben, der Herr Weideles aber ist zum Vater gekommen und hat lang mit ihm gesprochen; darauf als er weg war, wurd ich hinein gerufen.

»Ich will Dir mal was vorlesen,« sagte der Vater, »hier aus dem Strafgesetzbuch:«

»Geschah die Erpressung durch Gewalt gegen eine Person oder durch Anwendung von Drohungen, so wird der Thäter gleich einem Räuber bestraft.«

»Kennst Du den Räuber, den ich meine?«

»Gewiß,« sagt ich.

39 »Ja, schämst Du Dich denn nicht,« sagte der Vater, »wie kannst Du so was thun?«

»Weil der Aron so geizig ist, und das Geld über alles setzt, auch über die Tugend.«

»Hältst Du etwa Dein Betragen für tugendhaft?«

Ich gab zu: »nein.«

»Wie viel Geld hast Du Aron nach und nach abgeschwindelt – kannst Du es berechnen?«

Ich überlegte, machte einen Überschlag und sagte: »Ungefähr anderthalb Thaler.«

Der Vater legte das Geld vor mich hin.

»Du wirst das dem Aron zurückgeben, ihm sagen: daß Dir Dein Betragen sehr leid thut, und ihn um Verzeihung bitten.«

»Das kann ich nicht,« erklärte ich, »denn es thut mir nicht leid.«

»Dann komm mir überhaupt nicht mehr unter die Augen,« sagte der Vater, »weder bei Tisch, noch sonst wo – unter keiner Bedingung, bevor Du Deine Sache gut gemacht.«

40 Ich aß an diesem Abend allein im hintern Stübchen; Julie strich fortwährend weinend und seufzend um mich herum und sagte: »Ich begreife Dich nicht!«

Am andern Morgen mußte ich auch allein frühstücken, dann ging ich in die Schul; ich mußte immerfort zum offenen Fenster hinaus in das Feuer der drei Schmieden starren, denn der Schul gegenüber wohnten drei Schmiede, die den ganzen Tag hämmerten; an diesem Morgen aber war mir's, als sagte das Gehämmer immerzu: Aber Knöpfche! aber Knöpfche! aber Knöpfche!

Nach der Schul ging ich in Gottesnamen in die Eschenheimergass, da wohnte der Aron, aber weil ich mir überlegte, daß er sich am End sehr über das Geld freuen könnt, ging ich vorher in eine Conditorei und kaufte für einen und einen halben Thaler Pfeffernüss'; ich bekam ein ganzes Kistchen voll, damit bin ich zum Aron gegangen, bei dem grad seine Mutter saß.

41 »Aron,« sagt ich, »ich bitt Dich meinetwegen um Verzeihung, aber nur dem Vater zulieb – und da hast Du auch Deine Pfeffernüss'.«

»Gott, Knöpfche,« rief er aus, »ich verzeih Dir ja gern, ich bin gerührt – aber was soll ich mit den vielen Pfeffernüss'?«

»Schenk' sie den Buben auf der Gass'« sagt' ich, »denn Du mußt auch Deine Straf' haben, nicht ich allein.«

Da hat mich die Frau Weideles bei der Hand genommen und gefragt:

»Kind, was hast Du gegen meinen Aron?«

Und ich hab's gesagt, daß er über meinen Vater die Achsel gezuckt, weil er nicht reich ist, und daß er das Geld über die Tugend gestellt.

»Aron,« hat die Frau Weideles gesagt, »was e wüst Red vor dem Kind seine Ohre, auf der Stell schämste Dich und nimmst de Pfeffernüss' und schenkst se de Buwe.«

»Ich werd thun, Mutter, wie Du befiehlst,« 42 hat der Aron gesagt und ist mit seinen Pfeffernüssen unterm Arm abgezogen.

Hierauf trat ein neues Ereignis in mein Leben, nämlich meine Freundinnen, Minchen Sulzer und Evchen Klepper erklärten eines Tages ganz unverhofft, sie wollten nicht länger um zwölf Uhr nach der Schule mit mir über die Zeil gehen wegen meinem dummen kindischen Zöpfche, und weil ich so klein wär' und keinen Schatz hätt'.

Besonders letzteres verdroß mich sehr, und ich nahm mir vor, ihnen zu zeigen, daß ich gerad so viel wert war wie sie.

Eines Abends, beim Nachtessen, der Herr Dengler, kam nämlich sehr oft, bei uns essen, sagte ich zu ihm:

»Herr Dengler, möchten Sie mir vielleicht nicht einen Gefallen thun?«

Er sagte: »Mit dem größten Vergnügen.«

»Dann sind Sie so gut,« sagt' ich, »und seien Sie mein Schatz.«

43 Julie wurde dunkelrot, und stieß mich unter dem Tisch an, der Herr Dengler aber sagte:

»Warum denn nicht, sage mir nur, was ich thun soll. –«

»Weiter nichts, als mich des Mittags um zwölf Uhr auf der Zeil grüßen, und ja nicht vergessen!«

Er versprach's.

Am andern Tag nach der Schul, zog ich ein paar nagelneue Handschuhe von der Schwester an und sagte zu meinen Freundinnen:

»Ihr könnt jetzt ruhig mit mir über die Zeil gehen, ich hab einen Schatz.«

Sie wollten mir's natürlich nicht glauben, nahmen mich aber aus Wunderfitzigkeit mit. –

Erst kamen ein paar miserable Gymnasiasten daher und grüßten, und ich lachte laut und sagte: da hab ich einen andern!

Plötzlich sah ich den Herrn Dengler über den Weg auf uns zugehen. Schnell stieß ich meine Freundinnen an.

44 Dort kommt er, der ganz Große, mit dem Bart und dem braunen Hut. –

Da wollten sie sich halb tot lachen und mir's nimmermehr glauben, mir aber klopfte das Herz vor Angst, der Herr Dengler könnt am End nicht Wort halten und mich sitzen lassen und nicht gehörig grüßen. Er zog aber den Hut bis tief auf den Boden und machte ein Gesicht so ernsthaft, als wäre er wirklich mein Schatz.

Da sind meine Freundinnen sehr kleinlaut an der nächsten Eck von mir weg gegangen, und keine hat mehr auf mein dumm kindisch Zöpfche angespielt.

Was nun meine Schwester Julie anbelangte, so hatte ich sie zwar sehr gern, allein elf Sachen an ihr auszusetzen.

  1. war sie langweilig,
  2. viel zu brav,
  3. unangenehm auf Ordnung aus,
  4. weinte sie wegen nichts,
  5. konnte sie sich nicht im geringsten in die 45 Natur eines andern Menschen, zum Beispiel in meine – versetzen,
  6. predigte sie in der unangenehmsten Weise,
  7. war sie nicht von ihrer weiblichen Handarbeit zu trennen,
  8. behauptete sie nichts mit Charakterstärke,
  9. legte sie den ungebührlichsten Wert auf Manieren,
  10. war sie weit davon entfernt, Courage zu haben und
  11. wurde sie immer rot.

Eines Tages hielt ich, nach nicht zu beschreibenden Streitereien meiner Schwester ihre sämtlichen Eigenschaften vor, indem ich ihr sagte, daß sie um Gotteswillen mit einem solchen Mangel an Energie nur nie an's Heiraten denken solle, denn Kindern müsse man vor allen Dingen imponieren, und dazu habe sie nicht das geringste Talent.

Herr Dengler kam gerade zu unsrer 46 Unterhaltung herein, und ich habe ihn zum Schiedsrichter aufgestellt, indem ich ihn fragte:

Herr Dengler, welches ist denn eigentlich die Haupteigenschaft, die eine zukünftige Frau haben soll, doch gewiß nicht »rot werden«, wie's bei Julie alle Augenblick der Fall ist?

Darauf hat sie sich schnell gegen's Fenster gekehrt, und als ich merkte, daß ihr schon wieder die Augen unter Wasser standen, sagte ich Herrn Dengler in's Ohr.

Meintwege trösten Sie sie ein bißchen – und machte mich aus dem Staub.

Was aber erlebte ich, als ich zum Nachtessen in die Eßstube kam! Julie hatte sich mit Herrn Dengler verlobt, und wir tranken Champagner.

Kurze Zeit darauf bin ich in's Institut gekommen; als ich ein Jahr später zur Hochzeit der Schwester, in den Sommerferien zurück kam verwunderte sich ganz Frankfurt über meine Veränderung – hauptsächlich aber Aron Weideles. »Gott,« sagte er, »wo ist denn 's Knöpfche gebliebe 47 – ich kenn ja das groß sittsam Fräuleinche gar nit widder. sage Se mer nur um Gotteswille, wie so ne vorteilhafte Veränderung möglich is?«

»Ja, sehen Sie, Aron,« hab ich geantwortet. »das kommt ganz allein von der Liebe zur Tugend, oder können Sie mir vielleicht zum Beispiel aus der Geschichte oder dem Leben, einen Menschen nennen, den die Liebe zum Geld besser gemacht?«

Da hat er gesagt: »Stuß!« aber mit einem sehr nachdenklichen Gesicht, und ich hab gerufen: »Etsch, da haben wir's, die Tugend ist doch mehr wert!«

 


 

Burgel

Meine Mutter ist die Sternenwirtin in B. im Württembergischen Schwarzwald; der Vater ist lang tot; zwei Schwestern sind verheiratet; ich, die dritte, bin am 11ten Juni 1853 geboren.

Ich bin schon siebzehn, die Älteste im Institut; ich hab nicht früher von daheim fort wollen, denn ich hab keine gute Meinung vom Institutsleben gehabt; jetzt denke ich anders.

Der Sternen ist zur Sommerszeit allemal von Stadtleuten überfüllt; die Mutter ist sehr beliebt; sie ist eine stattliche große Frau und hat für alle Leut ein Herz; das ganze Jahr kriegt sie Briefe von auswärts, obwohl sie keine Zeit zum antworten hat; sie weiß auch gleich 52 was einer wert ist, sie braucht ihn nur anzuschauen. Ihr Lieblingssprüchle ist: Wo die Leut s' Herz auf'm rechte Fleck hänt, redet se überall die gleich Sprach –

Nur mit uns Mädle hat die Mutter gern hoch hinaus gewollt.

Schon von kleinauf haben wir müssen an der Tafel essen, und sie hat uns ein Zimmer eingericht mit einem Fortepiano. Der Lehrer aus dem Dorf drunten hat jeden Sonntag den Berg herauf müssen, und uns Stunde geben. Die Schwestern haben auch mit der Zeit ein paar Tänze gelernt, ich hab aber zum Lehrer gesagt: I laß mi auf des Dudle net ei, mir wöllet was G'scheits treibe.

Und so ist es geschehen, und dem Lehrer sein Sohn ist alle Sonntag mit der Weltkugel auf dem Buckel mit herauf gekommen, und wir haben miteinander recht die Erde kennen gelernt, der Gustel und ich, und sind mit den Fingern in ganz Afrika, Amerika und Australien herum gewesen.

53 Viel gekränkt hat mich's im Stillen, daß die Mutter so gar viel mehr auf die Schwestern gehalten hat, und mich bei jeder Gelegenheit einen verdruckten Schwobeschädel genannt hat, weil ich lieber davon gelaufen bin, wenn's an's präsentieren vor den Leuten gegangen ist.

Weil ich außerdem nie hochdeutsch sprach, gab's immerfort Händel mit den Schwestern, und es war ein rechtes Glück, als sie eines Tages in's Institut kamen. Ich bin um jene Zeit viel allein gewesen, denn auch der Gustel war fortgekommen, auf's Seminar, hat aber jeden Samstag an seinen Vater geschrieben, der mir die Briefe mit herauf gebracht. Durch den Gustel ließ ich mir allerlei herrliche Bücher über fremde Länder und Völkerschaften anschaffen, denn dabei ist mir immer s' Herz aufgegangen.

Über einmal kommt an einem Sonntagnachmittag die Mutter mit ein paar Gäst', wie ich mit dem Lehrer gerad in den Tropenländer der Wildnis bin.

54 »So, Burgele,« sagt die Mutter, »no möcht i emol was von der höre.«

Da hab ich's gerad herausgestanden:

I kann nix, i hab's Pianofort net a' g'rührt, mer hänt Länder und Völkerkunde mitenander triebe, der Lehrer und ich –

Da ists scharf hergegangen, und die Ohrfeigen und Schwobeschädel sind mir nur so um den Kopf geflogen. Beim Fortgehen hat die Mutter noch gesagt:

Laß mi's net erlebe, daß i wie selbe Frau sage muß: z'erscht tretet d' Kinder eim uf der Schoos und dann uf's Herz.

Das sind grausame Worte gewesen, die mir arg zugesetzt haben, daß ich zum Lehrer gesagt:

D' Mutter ischt doch an akurat wie se von Natur ischt, worum sollet denn mir Mädle anderscht sei, als mer sen?

Weischt Burgele, hat er gesagt, Verblendung ischt Menscheloos, dodran leidet die G'scheite wie die Dumme.

55 Nach zwei Jahren sind die Schwestern wieder heimgekommen, und da ist's erst recht losgegangen mit der Afferei im Sternen. s' Mariele hat man sollen Maria rufen, und's Lottele, Lotta. Die Mutter aber hat gestrahlt, denn jetzt hat sie's gehabt, weil jeder von den Fremden immer gleich gefragt: Wer sind die schönen Mädchen?

Gleich im Sommer drauf hat sich's Mariele mit einem Offizier, s' Lottele mit einem Assessor verlobt.

Ich bin einmal in die Küch' gekommen, wie die Mutter mit ihren aufgestülpten Ärmeln am Herd gestanden ist, und die zwei Herren haben ihr Flatusen gesagt, immer umschüchtig, so daß wenn einer fertig war, der andre angefangen hat, und wenn die Mutter mit ihrem roten Gesicht sich über den Herd gebückt, haben sie heimlich mit einander gelacht.

Draußen auf dem Gang hab ich sie abgepaßt:

Daß ihr's nor wisset, ihr Herre, hab ich zu 56 ihnen gesagt, mir macht ihr's net weiß, ihr nemmt die Mädle doch nor wegerm Geld; do ischt's wenig am Platz ober't d' Mutter z' lache, die's herschafft, und von der ihr's annemmt: so ein will emol net!

Da hat's bös Blut gegeben, und die Mädle haben zur Mutter gesagt, eine Magd red' nicht gemeiner als ich, und daß sie sich zu Tod schämen müßten ob meiner vor ihren Verlobten.

Es war gerad um diese Zeit die Frau Brauhämmerle im Sternen, und der haben die Mädle ihr Leid geklagt, und sie hat zur Mutter gesagt:

Wisset Se was, Sternewirtin, i nemm d' Burgel mit in d' Stadt, bei mir lernt sie Manier – ihr sollet emol gucke, wenn die heimkommt!

Also ich hab müssen, ob ich hab wollen oder nicht, mit der Frau Brauhämmerle in die Stadt. Ihr Berthele war mit unsern Mädle im Institut gewesen und hat einen Fabrikanten geheiratet.

57 Sodele, hat die Frau Brauhämmerle gesagt, als wir vor ihr Haus kamen, no sollscht emol sehe, bei uns ischt's ferstlich; s' Berthele wohnt obbe, mir unte, und dorch's ganz Haus geht e Telegraph.

Am Haus hab ich nichts auszusetzen gehabt, aber an den Leut' drin recht viel. Der Herr Brauhämmerle hat den ganzen Tag hemdsärmelig zum Fenster hinausgeschaut; das thun die Bauern bei uns auch, aber dann hängen keine gelben Damastvorhänge an den Fenstern, und die Magd bringt die Briefe und Zeitungen nicht auf einem silbernen Teller herein und sagt nicht – gnädiger Herr.

Die Frau Brauhämmerle ist in ihrem violettseidenen Boudoir gesessen und hat alle paar Minuten geklingelt, und ist die Magd gekommen, hat sie mit der Hand so einen vornehmen Winker nach der Thür gethan, und zu mir gesagt. Merk der's, Burgele, detscht Manier, des heißt: naus!

s' Berthele droben hat sie nie besucht, ohne 58 vorher die Magd hinein zu schicken, die sagen mußte:

Die Frau Mutter lassen sich anmelden – worauf das Berthele erwiderte: Sehr angenehm.

Die junge Frau ist in ihren schönen Stuben fast gestorben vor Langerweil, und hat den ganzen Tag von nichts als von einer Frau Bankier gesprochen, mit der sie fürs Leben gern umgegangen wäre.

Einmal, als michs Berthele mit ins Konzert nahm, und wir im Saal sind, rufts auf einmal: Um Gotteswillen, dort ist noch ein Platz frei neben der Frau Bankier! und laßt mich stehen.

Ich hab gleich hinten dran meinen Platz gefunden, von wo ich sehen konnt, daß die Frau Bankier blitzwenig Freud hatte an ihrer Nachbarschaft und kaum aufs Berthele hin hörte, das ganz echauffiert war vor Vergnügen. Auf einmal ist Leben in die Frau Bankier gekommen.

Ach, hat sie gerufen, die Frau Baronin! und ist aufgesprungen, hats Berthele sitzen lassen und 59 sich neben die Frau Baronin gesetzt. Die aber hat gerad auch so einen steifen Kopf gemacht, wie vorher die Frau Bankier, hat ihr alsfort den Rücken zugedreht und einer andern Dam', die vor ihr saß, ins Ohr gezischelt.

So, hab ich gedacht, das wird wohl eine Frau Gräfin sein.

Grundelend ist mir zu Mut worden unter dem dummen Volk, und ich bin vor Heimweh fast gar gestorben, und hab der Mutter geschrieben, ich wollt' abreisen. Die Antwort ist aber vom Lottele gewesen, ich soll nur fortbleiben, die Schwester von ihrem Bräutigam sei im Sternen und wohne in meinem Zimmer, und das wüßten sie alle, daß es nur wieder Unfriede gäbe, wenn ich heimkomme.

Ich war aber schon mit mir im reinen; Berthele hatte es nämlich dahin gebracht, daß die Frau Bankier wirklich eine Einladung von ihr angenommen, und das ganze Haus war wie verrückt darüber vor Aufregung. Ich sagte, es 60 sei mir nicht gut, und niemand hatte etwas dagegen, daß ich von der Gesellschaft weg blieb. Wie alles bei Tisch saß, hab ich meinen Hut in ein Tuch gewickelt, den Koffer auf den Kopf genommen, und bin zur Hinterthür hinaus; einen Zettel ließ ich zurück, ich sei heim.

Ich hab mich in den Zug gesetzt und bin des Morgens in der Frühe beim Schullehrer angekommen. Es traf sich gut, daß gerad die Herbstferien waren, da hat mich niemand gesehen außer der alten Magd, und die hat mich nicht verschwätzt.

Am Abend bin ich dann hinauf in's Wäldle, hinterm Sternen; es waren gar schöne Mondscheinabende, daß der Bach wie ein silberner Streifen den Berg herunter schoß. Vom Wäldle aus kann man gerad in die Küch schauen, und das Herz hat mir geklopft, wie ich endlich die Mutter wieder gesehen hab über ihrem Herdfeuer. Über einmal ist's geschehen, daß sie sich gegen's Fenster kehrt, und wie in Gedanken steht; 61 dann ist sie langsam aus der Hausthür getreten und über die Wies' geschritten, und über den Weg am Bach, gerad dem Wäldle zu, wo ich gestanden bin. Da hab ich mich nicht länger halten können und bin vorgetreten und hab gesagt:

»Grüß di Gott, Mutter, i bin scho lang beim Schullehrer, hab's nimmer länger ausg'halte –«

Da hat sie gelacht und mir eins auf die Schulter gegeben und gesagt:

»Bischt und bleibscht halt e Schwobeschädel!«

Wie sie mich in's Haus geführt hat, ist mir himmelangst gewesen vor der Assessor's Schwester, sie war aber zu meiner großen Verwunderung ein sehr nettes Mädle, und ist am liebsten mit mir gegangen und hat mir von ihrem Institut am Bodensee erzählt, und daß die Vorsteherin dort ein wahrer Engel sei.

Zur Hochzeit der Schwestern kam eine Menge vornehme Verwandtschaft in's Haus, und ich bin am Polterabend wie ein verlorenes Huhn dazwischen gesessen. Nur der Schullehrer unten 62 am Tisch, den die Mutter mir zu Lieb eingeladen, war mir ein Trost in meiner Verlassenheit. Über einmal ist die Thür aufgegangen, und ich glaub', ich träum', denn herein kommt niemand anders als der Gustel.

Da bin ich vor Freuden aufgesprungen und hab' ihn tausendmal willkommen geheißen und dorthin gezogen, wo sein Vater gesessen ist, und wir haben uns erzählt und erzählt, und alles um uns her vergessen. Und wie beim Nachtisch ein allgemeines Schmollistrinken unter der Verwandtschaft losgegangen ist, haben wir uns schnell aus dem Staub gemacht, hinaus in's Freie, und dies war der schönste Abend in meinem Leben, denn der Gustel hat mich gefragt, ob ich in der Zukunft seine liebe Frau werden wolle.

Als aber in der Nacht die Mutter noch einmal zu uns Mädle kam, ist ein großes Geschrei losgegangen, und's Lottele hat gesagt, es sei eine Schand' wie ich mich benähm, und nun gar noch mit dem Lehrersohn im Mondschein 63 promenier', wie eine Magd mit ihrem Schatz; wie sollt's da noch einem ordentlichen Mann einfallen, mich zu nehmen.

»Sei nur still, Lottele,« bin ich ihr in's Wort gefallen, »s' braucht mi au keiner z'nemme, denn der Gustel ischt mir eppe gerad ordentlich g'nueg –«

Nun war auch die Mutter außer sich und hat erklärt, für einen Dorfschullehrer habe sie sich nicht abgeschafft, und daraus werd' nichts, so lang sie lebe, und ich müßt gleich auf der Stell' in's Institut.

Ich hab's dahin gebracht, daß ich nicht in die französische Schweiz gemußt, wo die Mädle waren, sondern die Elisabeth hat an ihre Vorsteherin am Bodensee geschrieben, und die hat nichts dagegen gehabt, mich aufzunehmen.

Hier habe ich von vorne hinein recht trotzig gethan, und es den vornehmen Mädle bei jeder Gelegenheit gesagt, daß ich eine Wirtstochter bin. Es war aber gerad, als wenn man einen 64 Ochs in's Horn pfetzt, so wenig Eindruck hat's gemacht, und ich hab erfahren müssen, daß nicht überall Verblendung ist, sondern die Leut', die's Herz auf dem rechten Fleck haben, auch wirklich überall die gleiche Sprach reden.

Ich hätte können recht glücklich sein, wenn ich nicht fast ein Jahr lang ohne alle Nachricht von der Mutter gewesen wär. Endlich hielt ich's nicht mehr aus und schrieb an den alten Schullehrer, er solle mich's doch genau wissen lassen, wie's der Mutter geht. Er schrieb, er finde sie gealtert und seltsam still, daß er glaube, sie trage an einem Kummer.

Da habe ich der Mutter geschrieben, daß wenn sie nicht auf der Stell komme und mich heimsuche, ich gerad wie dazumals in der Stadt, aufpacke und über Hals und Kopf davon fahre.

Ein paar Tage später, wir Mädle spielten im Garten, seh ich über einmal ein paar schwarze Haubenflügel unter der Thür des Sprechzimmers, 65 und da steht die Mutter, groß und still, wie aus den Wolken gefallen.

Ich habe mich mit aller Gewalt zusammen genommen, und die Mutter in den Garten geführt und gesagt:

Endlich ist sie gekommen, das ist sie! und war so stolz über ihre Art, und wie den Mädle allen die Ehrfurcht aus den Augen schaute.

Darauf sind wir miteinander hinters Haus, in die Anlagen gegangen, und haben lang kein Wort gesprochen, aber die Mutter hat mir die Hand festgehalten, und ich hab sie laut schnaufen hören. Über einmal bleibt sie stehen und sagt:

»Von de Mädle hat no keis g'schriebe, i soll komme, nor wenn se Geld brauchet, denket se an mi –«

Und sie hat mich plötzlich beim Kopf genommen und gesagt:

»Du mein lieber Schwobeschädel, bischt jetzt no mei eizige Freud –«

Aber gleich darauf hat sie's wieder nicht sein 67 wollen, und mir eins auf die Schulter gegeben und gefragt:

»Was ischt, was soll i im Gustel ausrichte?^

Und ich hab gesagt: »E Gruß, und i sei die Alt!«

 


 


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