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IV

Durch den Nebel des Herbsttages wanderte Maria Nikolai. Eilig schritt sie dahin, oft sah sie zurück und ging dann hastig weiter, als fürchte sie, verfolgt zu werden. Sie ging, wie sie gestern in der Eulenpütz am Herde gestanden, im Mieder und in Hemdärmeln; die Schürze hatte sie zum Schutz vor schwer fallenden Nebeltropfen sich über das Haar gebunden. Alles, was sie besaß, hatte sie bei der Buzliese im Stich gelassen, sie traute sich nicht mehr dahin zurück. Vielleicht war die Buzliese gar nicht mehr im Haus, saß schon gefangen und die anderen auch – aber würde man sie nicht als mitschuldig auch in Haft nehmen? Es war bitter, ihr bißchen Habe: das Sonntagskleid, ein paar Hemden und Strümpfe, Schuh und die wenigen Schürzen, so aufzugeben, aber was sollte sie tun? Fort mußte, fort wollte sie, sie konnte sich nicht lange bedenken.

Der Bückler hatte ihr versprochen, sie sollte bald alles ersetzt bekommen und alles viel schöner, aber nein, sie würde nie etwas von ihm annehmen. Warum denn nicht? Er konnte das gar nicht begreifen. Sie hatte ihn angesehen mit einem Blick, aus dem er nicht recht klug wurde. Was ging ihn im Grund das Mädel und seine Launen an, er dachte nur daran, wie und wo er sich mit seiner Julie wieder zusammenfinden könnte.

Sobald am Morgen der Dom aufgeschlossen wurde und einige Soldaten damit beschäftigt waren, vom Heu, das am Hauptaltar aufgeschichtet war, Bündel abzupacken, hatten er und das Mädchen sich am Weihwasserbecken vorbei, von den dicken Pfeilern gedeckt, durch ein Seitentürchen hinausgestohlen. Niemand gewahrte sie, der Domfreihof war noch ganz öde. Es war ein kurzer, flüchtiger Abschied gewesen. Sie hatte Eile fortzukommen: nur weg, weg von der Eulenpütz! Und ihn wiederum trieb es in die Eulenpütz. Er hoffte unbedingt, da eine Spur von Julie zu finden. Ohne ihm ein Zeichen zu lassen, das ihm kundtat, welchen Weg sie genommen hatte, ging die sicher nicht fort. –

Maria Nikolai sah tief aufatmend nach der Stadt zurück, die kaum noch erkenntlich im Nebel lag. Pallien, das winzige Dörfchen, das sich mit seinen wenigen Hütten in die roten Felsen über der Mosel klebt, war ihr bald zur Linken geblieben. Nun hatte sie auch ein größeres Dorf bereits hinter sich, und jetzt war alles ganz unbewohnt weit umher.

Den Weg, den sie einzuschlagen hatte, wußte sie nicht genau, es fehlten auch alle Wegzeichen, sie kannte ungefähr nur die Richtung. Als der Vater sie im Sommer heruntergebracht hatte zur Buzliese, waren sie quer durch die Eifel gewandert, nicht weit von Trier erst aus dem Gewirr der Schluchten und Wälder heruntergekommen. So zu gehen traute sie heute sich nicht – was konnte ihr geschehen im Gebirge so ganz allein? Da war es nirgendwo recht geheuer. Wenn ihr Kleid auch arm und wertlos war, den Allerärmsten konnte ihre Armut noch Reichtum dünken. War doch kürzlich ein Weib, das Beeren suchte, ausgeraubt worden bis aufs Hemd; einem Mädchen hatte man auch das noch genommen. Splinterfasernackt hatte das sich nicht heimgetraut, war hinter einen Busch gekrochen und weinte, bis es, halb erfroren, gefunden wurde. Es war besser, sie blieb auf der breiten Straße, da sah sie wenigstens den Himmel über sich. Hier traute sich auch kein Gesindel her, das hielt sich mehr abseits. Wenn sie wacker zuschritt, auch in der Nacht nur wenig rastete, konnte sie wohl hoffen, morgen spät abend in Krinkhof zu sein.

Eine heiße Sehnsucht überfiel sie plötzlich, eine heißere noch als die, an der sie bei der Buzliese gelitten. Die Einsamkeit, in der sie jetzt wanderte, und ihre Verlassenheit schürten ihr Heimverlangen, ließen ihr die Hütte des Vaters viel schöner erscheinen, als die in Wirklichkeit war. Was würde der Vater wohl sagen, daß sie schon wieder heimkehrte? Er hatte sie gut aufgehoben geglaubt bei der Buzliese – was mußte die dem Vater alles vorgelogen haben, sonst hätte er sein Kind doch niemals zu der hinuntergebracht?! Ihr Vater! Sie sah ihn an seinem Schmiedefeuer stehen, auf den Amboß schlagen. Seine Arme waren nackt bis zur Schulter hinauf, tief auf die Brust herab hing ihm der lange Bart. Er konnte Furcht einjagen, wenn er so stand, groß, größer als alle anderen, vom Rot der Flammen wie mit Blut übergossen. Aber er war ja gut, sie hatte ihn lieb! Langsamer wurde sie in ihrem Schritt: ob es ihm auch recht sein würde, daß sie so ohne Erlaubnis heimkam? Aber was hätte sie anderes machen können? Tränen stiegen ihr in die Augen, sie wurde auf einmal von einer seltsamen Ungewißheit erfaßt. Der Vater sollte nicht denken, daß sie ihm zur Last fallen wollte, sie würde sich sofort nach Verdienst umsehen. Im Tal wohnten Leute, zu denen sie wohl in Taglohn gehen konnte. Die Stunde Weg dahin morgens und abends sollte ihr nicht zu weit sein. Sie sah sich schon den bekannten Pfad gehen durch die einsame Linnich, der war ihr doch längst so einsam nicht wie hier die breite Landstraße. Ängstlich geworden, sah sie sich um, da hört sie Pferdegetrappel.

Um die Biegung der Straße kamen zwei Reiter galoppiert. Gott sei Dank, Wegelagerer waren das nicht, sie waren in Uniform. Es waren Franzosen. Die Pferde dampften, schäumten ins Gebiß, feurig erregt vom scharfen Ritt durch den Nebel.

Maria staunte: Schöne Tiere! Ihr Vater hatte Pferde gern und verstand sich darauf, das Auge dafür hatte sie vom Vater geerbt. Sie blieb stehen und guckte. Als sie so stand in schlanker Haltung, das Haar wehend unter der übergebundenen Schürze, die bräunlichen Wangen rot überhaucht, war sie begehrenswert.

Der Kapitän d'Aubry hielt an, ein Blick genügte: die war hübsch und allein – ein Wild am Wege. Und hier war es todeinsam. » Allons, reit weiter!« Er warf dem Diener die Zügel seines Pferdes zu.

Ohne Arg war das Mädchen stehengeblieben, vertrauensvoll grüßte es. Das Stutzen des Dieners sagte ihm nichts.

Jean-Claude war erschrocken; er folgte nicht dem Befehl des Kapitäns, er ritt nicht weiter, sondern blieb halten. Was wollte der d'Aubry? Oh, er ahnte es wohl, er kannte den ja! Ihm war auf einmal, als stünde dies schutzlose Mädchen hier ihm nahe wie eine Schwester. Armer Leute Kind – und die hatte auch eine Mutter! Starr blickte er seinen Offizier an.

»Reit weiter! Verfluchter Kerl! Schuft! Cochon! Ich lasse dich hängen!«

Unbeweglich blieb der Bursche halten. Totenblaß stierte er unverwandt seinen Vorgesetzten an.

Der stampfte auf den Boden: was, drohen wollte der Lümmel? Der starre Blick war unbequem und unverschämt. D'Aubry lachte roh auf, und die Pferde mit einem Zuruf schreckend, daß sich beide bäumten und davonjagten, griff er die Ahnungslose und faßte sie stark um den Leib. Er riß sie abseits vom Wege.

Maria schrie gellend auf. Sie wehrte sich mit all ihren Kräften. Aber niemand kam ihr zu Hilfe.


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