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XX.

Das man vielleicht mit Bedauern lesen wird, das seine Achtung vor der historischen Wahrheit den Verfasser aber so zu schreiben genötigt hat, wie es dereinst in den astronomischen Annalen verzeichnet stehen wird.

 

Die einzelnen Ausrufe verschmolzen zu einem einzigen Aufschrei, zu einem schrecklichen Gebrüll, das aus der Menge hervorbrach, als die große Goldmasse zu erzittern anfing.

Alle Blicke richteten sich nach derselben Seite. Was ging hier vor? War man das Opfer einer Sinnestäuschung gewesen oder hatte sich das Meteor wirklich bewegt? Wenn das der Fall war, was war dann die Ursache dazu? Neigte sich da nicht der Erdboden allmählich, so daß der unermeßliche Schatz in den Abgrund hinabzugleiten drohte?

»Das wäre ein merkwürdiger Ausgang dieser Geschichte, die die ganze Welt in Aufregung gesetzt hat, bemerkte Mrs. Arcadia Walker.

– Ein Ausgang, der vielleicht gar nicht der schlechteste wäre, meinte Mr. Seth Stanfort.

– Nein, sogar der allerbeste,« ließ sich Francis Gordon vernehmen.

Und wirklich, hier lag keine Täuschung vor: die Feuerkugel glitt langsam nach der Seite des Meeres hinunter. Kein Zweifel, der Erdboden gab allmählich weiter nach. Wenn diese Bewegung fortdauerte, mußte die goldne Kugel bald bis zum Rande des Plateaus rollen und dann in die Tiefen des Meeres stürzen.

Das rief eine allgemeine Bestürzung hervor, der sich etwas wie Verachtung des Erdbodens beimischte, der nicht würdig wäre, eine so kostbare Last zu tragen. Welch ein Jammern und Wehklagen, daß der Niederfall auf dieser Insel stattgefunden hatte und nicht auf der unerschütterlichen Basaltuferwand Grönlands, wo diese Tausende von Milliarden nicht bedroht gewesen wären, der menschlichen Habgier zu entgehen!

Ja, es glitt abwärts, das Meteor. Vielleicht war es nur eine Frage von Stunden, noch weniger, nur von Minuten, bis das Plateau unter der ungeheuern Last vollends zusammenbrechen würde.

Welch herzerschütternden Weheruf hatte aber unter dem allgemeinen, durch das sichtlich bevorstehende Unglück hervorgerufenen Geschrei erst der arme Herr von Schnack ausgestoßen! Vorbei diese nie wiederkehrende Gelegenheit, sein Land mit Milliarden zu überschütten, vorbei die glänzende Aussicht, alle Grönländer zu steinreichen Leuten zu machen!

Was Mr. Dean Forsyth und den Doktor Hudelson anging, hatte man alle Ursache, für deren Verstand zu fürchten. Die streckten verzweifelt die Arme empor und riefen um Hilfe, als ob es jemand möglich gewesen wäre, eine solche zu gewähren.

Eine deutlichere Bewegung der Feuerkugel genügte dann dazu, daß sie völlig den Kopf verloren. Ohne an eine Gefahr zu denken, stürmte der Doktor Hudelson, der die Wachpostenkette durchbrach, auf die goldne Kugel zu.

Er sollte dabei freilich nicht weit kommen. Halb erstickt von der glühheißen Atmosphäre, fing er nach den ersten hundert Schritten an zu wanken und brach gleich darauf wie eine leblose Masse zusammen.

Mr. Dean Forsyth hätte ja darüber zufrieden sein können; das traurige Ende seines Mitbewerbers hätte doch mit einem Schlage auch jede Rivalität beendigt. Doch noch mehr als ein leidenschaftlicher Astronom, war Mr. Dean Forsyth ein kreuzbraver Mann, und der Schreck über den Unfall des andern brachte seine wahre Natur zum Durchbruch. Sein künstlicher Haß verschwand wie beim Erwachen ein böser Traum, und in seinem Herzen lebte nur die Erinnerung an die frühern Tage auf; es war so, wie wenn man, ohne besonders daran zu denken, eine leichte Geste macht. Statt sich über den Tod eines Gegners zu freuen, eilte Mr. Dean Forsyth – das sei ihm gern zur Ehre nachgesagt – dem alten, in Gefahr schwebenden Freunde zu Hilfe.

Leider standen seine Kräfte nicht im Einklänge mit seinem Wagemute. Kaum hatte er den Doktor Hudelson erreicht und war es ihm gelungen, diesen einige Meter zurückzuziehen, als auch er, nun selbst von dem Atem dieses Hochofens erstickt, neben dem andern niedersank.

Zum Glück war Francis Gordon ihm gleich nachgeeilt und Seth Stanfort hatte nicht gezögert, seinem Beispiele zu folgen, was Mrs. Arcadia Walker nicht ohne schmerzliche Besorgnis bemerkte.

»Seth! ... Seth!« rief sie unwillkürlich, wie entsetzt vor der Gefahr, die ihren ehemaligen Gatten bedrohte.

Francis Gordon und Seth Stanfort, denen sich noch einige mutigere Zuschauer angeschlossen hatten, mußten, das Taschentuch wegen der unatembaren Luft vor dem Munde, mehr am Boden hinkriechen. Nur mit großer Mühe erreichten sie Mr. Forsyth und den Doktor Hudelson. Sie hoben beide auf und schleppten sie bis hinaus über die Grenzlinie, die man nicht ohne die Gefahr, bis ins Innerste verbrannt zu werden, überschreiten durfte.

Glücklicherweise waren die beiden Opfer ihrer Unbesonnenheit noch in letzter Minute gerettet worden, und dank der Sorgfalt, die ihnen gewidmet wurde, erwachten sie wieder zum Leben, doch leider nur, um dem Untergange ihrer Hoffnungen beizuwohnen.

Die Feuerkugel glitt jetzt nämlich immer langsam weiter fort, teils wohl durch eigne Bewegung auf ihrer geneigten Unterlage und teils weil deren Fläche sich unter ihrem Gewicht noch weiter hinuntersenkte. Schon näherte sich der Schwerpunkt des Meteors der Felskante, von der aus die Uferwand lotrecht ins Meer abfiel.

Aus der Menschenmenge, die dem voller Erregung zusah, ertönte ein wirres Geschrei. Die Leute drängten in allen Richtungen hin, ohne zu wissen warum. Einige davon, darunter auch Mr. Seth Stanfort und Mrs. Arcadia Walker, liefen, was sie konnten, dem Meere zu, um sich wenigstens keine Einzelheit der unmittelbar bevorstehenden Katastrophe entgehen zu lassen.

Da schimmerte doch noch einmal ein schwacher Hoffnungsstrahl. Die Feuerkugel schien aufgehalten zu sein.

Doch nur einen Augenblick. Plötzlich erdröhnte ein furchtbares Krachen, die Felswand hatte nachgegeben und das Meteor versank im Meere.

Wenn das Echo vom Steilufer nicht das Schreien und Toben der Volksmenge wiedergab, lag das nur daran, daß dieser Höllenlärm von einer entsetzlichen Explosion, viel lauter als ein Donnerschlag, übertönt wurde. Gleichzeitig fegte eine Luftwoge über die Insel hin, die die Zuschauer ohne Ausnahme unwiderstehlich zu Boden streckte.

Die Feuerkugel war zersprungen. Das durch die unzähligen Poren ihrer Oberfläche in die ebenso zahllosen Hohlräume dieses goldnen Schwammes eingedrungne Wasser war bei der Berührung mit dem glühenden Metall sofort in Dampf verwandelt worden und das Meteor war explodiert wie ein überheizter Kessel. Jetzt fielen seine Trümmer, einer Garbe ähnlich, unter betäubendem Sausen und Zischen wieder ins Wasser zurück.

Das Meer schäumte bei der Explosion hoch auf. Eine fürchterliche Woge rollte donnernd an die Uferwand heran. Voller Entsetzen ergriffen die Unklugen, die sich dem Ufer genähert hatten, die Flucht und suchten auf die Höhe des Abhangs zu gelangen.

Alle sollten sie ihn nicht erreichen. Zurückgestoßen durch einige Näherstehende, die die Angst zu wilden Bestien verwandelt hatte, wurde Mrs. Arcadia Walker von der Flutwoge ergriffen und umgeworfen. Wenn sich der Wasserschwalch dann nach dem Strande zurückwälzte, mußte sie davon jedenfalls mit fortgerissen werden.

Mr. Seth Stanfort wachte jedoch über sie. Fast ohne die Hoffnung, sie zu retten, wagte er das eigne Leben daran und stürmte ihr zu Hilfe, freilich unter Umständen, die befürchten ließen, daß man hier zwei Opfer statt eines zu beklagen haben werde.

Doch nein, es gelang Seth Stanfort, sich an die junge Frau heranzuarbeiten und sich mit den Ellbogen gegen einen Felsblock stemmend konnte er auch dem brodelnden Wirbel des zurückflutenden Wassers widerstehen. Dann liefen beiden auch noch viele Touristen zu Hilfe und führten sie vollends in Sicherheit zurück. Sie waren gerettet!

Während Mr. Seth Stanfort das Bewußtsein nicht verloren hatte, lag Mrs. Arcadia Walker wie leblos in seinen Armen. Es gelang aber bald, sie wieder zu sich zu bringen. Ihre ersten Worte richtete sie da an den ehemaligen Gatten.

»Wenn ich jetzt aus der Flut vom Tode errettet wurde, war es wohl höhere Bestimmung, daß es durch Sie geschah,« sagte sie, indem sie ihm die Hand drückte und ihm einen Blick voll der innigsten Dankbarkeit zuwarf.

Weniger glücklich als Mrs. Arcadia Walker, hatte die wunderbare Feuerkugel ihrem kläglichen Geschick nicht entgehen können. Dem Zugriff der Menschen unerreichbar, ruhten ihre Trümmer jetzt in der Tiefe des Meeres. Wenn es auch mit unerhörter Anstrengung vielleicht möglich gewesen wäre, eine solche Masse aus unergründlicher Tiefe emporzuheben, mußte man jetzt auf eine solche Hoffnung verzichten. Von dem durch die Explosion vernichteten Kerne hatten sich die Tausende von Sprengstücken weit ins Meer hinaus verstreut. Herr von Schnack, Mr. Dean Forsyth und der Doktor Hudelson suchten am Strande vergeblich nach dem kleinsten Bruchstücke davon. Nein, sie waren verschwunden bis zum letzten Heller, die schönen fünftausendsiebenhundertachtundachtzig Milliarden. Von dem außergewöhnlichen Meteor war kein Staubkörnchen mehr übrig.


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