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XIV.

Worin die Witwe Thibaud, die sich unbedachterweise mit den größten Problemen der Himmelsmechanik beschäftigt, dem Bankier Robert Lecoeur schwere Sorgen verursacht.

 

Hoffnungsfreudige Leute behaupten, daß die Veredlung der Sitten allmählich das Verschwinden der Sinekuren herbeiführen werde. Wir wollen ihnen aufs Wort glauben. Jedenfalls gab es aber noch eine solche zur Zeit wo sich die hier berichteten seltsamen Vorgänge abspielten.

Dieser Sinekure erfreute sich eine Frau Thibaud, die Witwe eines Schlächtermeisters, die jetzt das Hauswesen bei Zephyrin Xirdal zu besorgen hatte.

Die einzige Aufgabe der Witwe Thibaud bestand tatsächlich darin, das Zimmer des aus dem Gleichgewicht geratenen Gelehrten zu säubern und einigermaßen in Ordnung zu halten. Das Mobiliar dieses Zimmers war ja sozusagen die Einfachheit selbst, und dessen Säuberung ließ sich gewiß nicht als eine dreizehnte Arbeit des Herkules bezeichnen. Mit den übrigen Räumen der Wohnung hatte sie fast gar nichts zu tun. Im zweiten Zimmer war ihr unbedingt verboten, aus irgendwelchem Grunde die darin aufgehäuften und an den Wänden umherliegenden Papiere anzurühren, und ihr Besen durfte sich nur über ein kleines Viereck in der Mitte bewegen, wo der bloße Fußboden sichtbar war.

Die Witwe Thibaud hatte eine angeborne Vorliebe für gute Ordnung und peinliche Sauberkeit, daher sah sie nur mit Schmerzen das Chaos, mit dem das Fußbodenviereck, wie ein Eiland auf dem grenzenlosen Meer, umgeben war, und sie wurde fast verzehrt von dem Verlangen, hier einmal gründlich aufzuräumen. Als sie da eines Tages in der Wohnung allein war, erkühnte sie sich, das vorzunehmen. Zephyrin Xirdal, der unversehens nach Hause kam, war darüber aber so wütend geworden, sein sonst so gutmütiges Gesicht hatte sich so unheildrohend verzerrt, daß die Witwe Thibaud hinterher acht Tage lang an einem nervösen Zittern zu laborieren hatte. Seitdem hatte sie niemals wieder einen Einfall auf das ihrer Machtvollkommenheit entzogene Gebiet gewagt.

Die vielfachen Fesseln, die den Aufschwung ihrer natürlichen Talente hemmten, hatten zur Folge, daß die Witwe Thibaud fast gar nichts zu tun hatte. Das hinderte sie aber nicht, täglich zwei Stunden bei ihrem »Bürger« – so bezeichnet sie Zephyrin Xirdal, in der Meinung, damit besonders höflich zu sein – zuzubringen, von denen sieben Viertelstunden mit einer Unterhaltung oder richtiger mit einem ihrem Geschmacke entsprechenden Monologe hingingen.

Mit ihren vielseitigen Eigenschaften verband die Witwe Thibaud ferner eine erstaunliche Zungenfertigkeit. Manche Leute behaupteten, sie sei eine rein phänomenale Schwätzerin. Das war aber nur eine üble Nachrede. Sie sprach eben gern ... weiter nichts.

Ihre etwaige Phantasie steckte sie dabei jedoch nicht in Unkosten. Gewöhnlich bildeten die Verdienste der Familie, die sie zu ihren Mitgliedern zählte, den Gegenstand ihrer Plaudereien. Wenn sie nachher das Kapitel des Unglücks, das sie verfolgt hatte, anschnitt, erklärte sie mit vielen Worten, wie eine Schlächtersfrau durch das Zusammentreffen trauriger Umstände zur Dienerin herabsinken könne. Ob man die rührende Geschichte schon kannte oder nicht, darauf kams nicht an; der Witwe Thibaud gewährte es immer eine hohe Befriedigung, sie erzählen zu können. War dieser Gesprächsstoff erschöpft, so berichtete sie über die Personen, bei denen sie – als Aufwärterin – tätig war oder gewesen war. Mit den Anschauungen, Sitten und Gewohnheiten dieser Personen verglich sie die Zephyrin Xirdals und verteilte dabei unparteiisch Licht und Schatten.

Ohne ihr je zu antworten, verhielt dieser sich wie ein Muster unerschütterlicher Geduld. Freilich hörte er, in seine Träumereien versunken, auch nur sehr wenig von jenem Wortschwall, und das setzte offenbar sein Verdienst herab. Immerhin verlief alles eine lange Jahresreihe in bester Weise: die eine erzählte immer, der andre hörte niemals darauf, und beide waren so miteinander außerordentlich zufrieden.

Am 31. Mai stellte sich die Witwe Thibaud wie gewöhnlich um neun Uhr morgens bei Zephyrin Xirdal ein. Da der Gelehrte am Tage vorher mit seinem Freunde Marcel Leroux abgereist war, fand sie die Wohnung leer.

Die Aufwärterin wunderte sich darüber nicht. Eine lange Reihe ähnlicher Ausflüge machte dieses plötzliche Verschwinden für sie zu einer normalen Erscheinung. Höchstens ärgerte sie sich ein wenig, ihren gewohnten Zuhörer entbehren zu müssen.

Nach Aufräumung des Wohnzimmers begab sie sich in den zweiten, von ihr pomphaft »Arbeitskabinett« genannten Raum ... hier erlebte sie heute aber einen Schreck ohnegleichen.

Ein ungewöhnlicher Gegenstand, eine Art schwärzlicher Kasten, beschränkte sehr wesentlich den viereckigen Teil des Fußbodens, der ihrem Besen sonst freigegeben war. Was sollte das bedeuten? Entschlossen, einen solchen Eingriff in ihre Rechte nicht zu dulden, rückte Frau Thibaud den betreffenden Gegenstand mit fester Hand zur Seite und ging friedlich an ihre tägliche Arbeit.

Da sie etwas schwerhörig war, entging ihr das schwache Geräusch im Kasten, und auch der bläuliche Schein vom Metallspiegel war so schwach, daß sie ihn ebenfalls nicht gewahrte. Einmal erregte aber doch ein sonderbarer Zwischenfall ihre volle Aufmerksamkeit. Als sie, nichts ahnend, vor dem Metallspiegel vorüberging, erhielt sie plötzlich einen unwiderstehlichen Stoß, der sie auf den Boden hinstreckte. Als sie sich dann am Abend entkleidete, überzeugte sie sich voller Verwunderung, daß sie eine derbe Kontusion erlitten und an der rechten Hüfte einen schwarzen Fleck bekommen hatte, was ihr um so sonderbarer erschien, da sie auf die linke Seite gefallen war. Da sie zufällig nicht wieder in die Achse des Reflektors gekommen war, hatte sich der Vorgang nicht wiederholt und deshalb brachte sie ihren Unfall auch gar nicht in Beziehung zu dem Kasten, den sie vorwitzigerweise verschoben hatte. Sie glaubte nur einen falschen Tritt getan zu haben und dachte an die Sache nicht weiter.

Ganz durchdrungen von dem Gefühle ihrer Pflichten, unterließ es die Witwe Thibaud nicht, nach Beendigung des Ausfegens den Kasten wieder auf seine Stelle zu rücken und, zum Lobe sei's ihr nachgesagt, das machte sie auch mit größter Sorgsamkeit, um ihn genau so zu stellen, wie sie ihn gefunden hatte. Wenn ihr dies nur annähernd gelang, verdient sie deshalb keinen Tadel, denn jedenfalls geschah es nicht mit Absicht, daß sie den kleinen Zylinder rotierender Stäubchen in eine von seiner ursprünglichen etwas abweichende Richtung brachte.

Die folgenden Tage verfuhr die Witwe Thibaud in gleicher Weise. Warum sollte einer auch von seinen Gewohnheiten abgehen, wenn sie gut und löblich sind?

Wir müssen jedoch gestehen, daß der schwarze Kasten, unter dem Einflusse ihres Gewöhntseins, in ihren Augen nach und nach viel von seiner Bedeutung verlor und daß sie sich immer weniger bemühte, ihn nach dem täglichen Ausfegen in seine ursprüngliche Lage zurückzuversetzen. Dabei unterließ sie es jedoch nie, ihn ans Fenster zu stellen, weil Herr Xirdal das jedenfalls für angezeigt gehalten hatte, der Metallspiegel wendete sich dabei aber mehr und mehr abwechselnden Richtungen zu. Den einen Tag sendete er seinen Staubzylinder mehr nach rechts, den andern wieder mehr nach links hinaus. Die Witwe Thibaud dachte sich dabei nichts Arges und ahnte natürlich gar nicht, welche grausame Prüfung ihre Mitarbeiterschaft dem halbverzweifelten I. B. K. Lowenthal bereitete. Einmal, als sie achtloserweise den Spiegel auf seiner Achse umgedreht hatte, sah sie nicht das geringste Unpassende darin, daß er jetzt nach der Zimmerdecke gerichtet war.

So nach dem Zenith zielend, fand Zephyrin Xirdal seinen Apparat wieder, als er am 10. Juni zeitig am Nachmittage zurückkehrte.

Sein Aufenthalt an der Küste war sehr angenehm verlaufen und er würde ihn vielleicht noch verlängert haben, wenn er nicht, zehn Tage nach der Ankunft hier, auf den Gedanken gekommen wäre, die ... Wäsche zu wechseln. Das hatte ihn genötigt, sein Paket zu öffnen, und darin fand er zu seiner größten Verwunderung siebenundzwanzig Gläser mit weitem Halse. Da riß Zephyrin Xirdal die Augen weit auf. Was hatten die siebenundzwanzig Glaskelche hier zu suchen? Bald schloß sich aber die Kette seiner Erinnerungen wieder zusammen und er gedachte seiner Absicht, eine galvanische Batterie zusammenzustellen, ein Projekt, von dem er sich so viel versprach und das er doch so vollständig vergessen hatte.

Nachdem er sich da als Buße ein paar tüchtige Rippenstöße versetzt hatte, beeilte er sich, die siebenundzwanzig Gläser wieder sorgsam zu verpacken und, den Freund Marcel Leroux im Stiche lassend, in einen Zug zu springen, der ihn nach Paris zurückführte.

Es hätte recht gut dazu kommen können, daß Zephyrin Xirdal während der Fahrt den so zwingenden Grund seiner Heimreise vergaß, das wäre bei ihm wenigstens nichts Außergewöhnliches gewesen. Ein Unfall erfrischte jedoch sein Gedächtnis, als er im Bahnhofe Saint-Lazare aus dem Wagen sprang.

Er hatte das Paket mit den siebenundzwanzig Gläsern gerade nur so fest verschlossen, daß dieses jetzt plötzlich aufging und seinen Inhalt unter großem Geräusch auf den Asphalt des Bahnsteiges entleerte. Zweihundert Personen drehten sich erschrocken um, weil sie ein anarchistisches Attentat vermuteten. Da sahen sie aber nur, daß Zephyrin Xirdal die Zerstörung mit verdutztem Blicke betrachtete.

Der Unfall hatte jedoch wenigstens den Nutzen, den Besitzer der zerbrochenen Gläser zu erinnern, weshalb er sich jetzt hier in Paris befand. Er ging also, ehe er seine Wohnung aufsuchte, nach der Handlung mit chemischen Apparaten, erwarb sich hier siebenundzwanzig andre, ganz neue Glaskelche und begab sich dann zu dem Tischler, wo die bestellte Armatur für diese, seit zehn Tagen fertig lag.

Beladen mit diesen verschiedenen Paketen und voll brennenden Verlangens, seine Experimente zu beginnen, schloß er hastig die Tür seiner Wohnung auf, blieb aber auf der Schwelle wie angenagelt stehen, als er seine Maschine erblickte, deren Reflektor jetzt nach dem Zenith gerichtet war.

Zephyrin Xirdal wurde sofort von einer Sturzwelle von Erinnerungen gepackt und dabei so erregt, daß seine erschlafften Hände die beiden Pakete fallen ließen. Diese zögerten, dem Gesetze der Schwere gehorchend, nicht, sich geradlinig nach dem Mittelpunkte der Erde zu bewegen. Ohne Zweifel hätten sie den auch erreicht, wenn sie nicht unglücklicherweise durch das Fußbodenviereck aufgehalten worden wären, wobei das Batteriegestell in zwei Stücke zersprang und die neuen siebenundzwanzig Gläser geräuschvoll in Trümmer gingen. Damit waren also in einer Stunde vierundfünfzig Gläser verloren. Wenn das so fortging, konnte es nicht lange dauern, bis Zephyrin Xirdal sein Bankguthaben wieder verringern mußte.

Der seltsame Gläsermörder hatte die Hekatombe aber fast gar nicht bemerkt. Regungslos am Zimmereingang stehend, betrachtete er nachgrübelnd nur seine Maschine.

»Da ... das hat die verwünschte Witwe Thibaud angerichtet,« rief er, als er sich entschloß, einzutreten. Das verriet doch wenigstens die Feinheit seiner Witterung.

Beim Erheben der Augen bemerkte er über der Decke im Dache ein kleines Loch genau in der Achse des Metallspiegels. Dieses Loch, das nur so groß wie ein Bleistift dick war, hatte ganz glatte Ränder, als wäre es mit einem Durchschlag hergestellt worden.

Da verzog sich der Mund Zephyrin Xirdals, den seine Wahrnehmung offenbar zu erfreuen anfing, zu einem freundlichen Lächeln.

»Ah ... gut! ... Sehr gut!« murmelte er.

Dennoch mußte er hier sofort eingreifen. Sich über die Maschine neigend, unterbrach er deren Tätigkeit. Das Schnurren darin hörte auf, der bläuliche Schein erlosch und das Ganze stand allmählich still.

»Ah ... gut! ... Sehr gut! wiederholte Zephyrin Xirdal, man muß nur alles zum Besten zu wenden wissen!«

Mit ungeduldiger Hand schob er einen auf dem Tische liegenden Haufen von Zeitungen u. dgl. zur Seite und las eine nach der andern die Mitteilungen, durch die I. B. K. Lowenthal die Welt mit dem phantastischen, unordentlichen Verhalten der Whastoner Feuerkugel bekannt machte. Zephyrin Xirdal wand sich buchstäblich vor Lachen.

Über den Inhalt einzelner dieser Artikel runzelte er allerdings die Brauen. Welchen Sinn hatte die Internationale Konferenz, deren erste Sitzung nach einigen vorgängigen Beratungen auf den heutigen Tag anberaumt war? Welches Bedürfnis lag denn vor, irgendwem die Feuerkugel als Eigentum zuzusprechen? Sie gehörte doch mit Recht dem, der sie auf die Erde herunterzog, dem, ohne dessen Eingreifen sie ewig im Welträume gekreist hätte.

Zephyrin Xirdal überlegte sich dann aber, daß ja kein Mensch von seinen Maßnahmen etwas wüßte. Das mußte er ändern, damit die Internationale Konferenz ihre Zeit nicht mit von vornherein unfruchtbaren Arbeiten verschwendete.

Sofort stieß er mit dem Fuße die Scherben der siebenundzwanzig Glaskelche zurück und stürmte nach dem nächsten Postamt, wo er die Depesche aufgab, die Mr. Harvey vom hohen Präsidentenstuhle herab vorlesen sollte. Und es war wirklich kein Fehler, wenn er, infolge einer Gedankenablenkung bei einem so wenig zerstreuten Menschen, seine Namensunterschrift vergaß.

Nach Erledigung dieser Angelegenheit kehrte Zephyrin Xirdal in sein Heim zurück, unterrichtete sich hier aus einer wissenschaftlichen Zeitschrift über das Verhalten des Meteors, nahm dann wieder sein Fernrohr zur Hand und beobachtete die Feuerkugel aufs neue so sorgfältig, daß er daraufhin neue Berechnungen aufstellen konnte.

Gegen Mitternacht setzte er, als er damit fertig war, seine Maschine wieder in Gang und sandte mit abgepaßter Intensität und in geeigneter Richtung die Strahlungsenergie in den Weltraum hinaus. Eine halbe Stunde später wurde die Maschine wieder angehalten, er legte sich friedlich nieder und schlief den Schlaf des Gerechten.

Zwei Tage hintereinander führte Zephyrin Xirdal sein Experiment weiter aus, da, als er am Nachmittage seine Maschine zum drittenmal angehalten hatte, klopfte es bei ihm an die Zimmertür. Er öffnete diese und sah sich da plötzlich dem Bankier Robert Lecoeur gegenüber.

»Da bist du ja endlich! rief dieser im Hereintreten.

– Wie Sie sehen, sagte Zephyrin Xirdal.

– Na, das ist ein Glück! erwiderte der Bankier. Wie viele Male bin ich nicht deine sechs Stockwerke vergebens hinaufgeklettert! Wo zum Kuckuck warst du denn?

– Ach, ich war nur kurze Zeit verreist, gestand Xirdal, der dabei wider Willen leicht errötete.

– Verreist! rief Lecoeur in vorwurfsvollem Tone ... Verreist! Aber das ist unverzeihlich! Man bereitet den Leuten nicht eine so schreckliche Unruhe!«

Zephyrin Xirdal sah seinen Paten erstaunt an. Er kannte zwar dessen Zuneigung für ihn, doch daß die so weit ginge ...

»Aber, lieber Onkel, fragte er, was kann das Ihnen antun?

– Was mir das antun kann? wiederholte der Bankier. Du Unseliger, du weißt nicht, daß mein ganzes Vermögen auf deinem Kopfe beruht.

– Das verstehe ich nicht, sagte Zephyrin Xirdal, sich auf den Tisch setzend, während er seinem Onkel den einzigen Stuhl anbot.

– Als du mir deine phantastischen Pläne mitgeteilt hattest, fuhr Herr Lecoeur fort, war es dir schließlich gelungen, mich daran glauben zu lassen.

– Alle Wetter! stieß Xirdal hervor.

– Im Vertrauen auf die sich dir bietenden Aussichten bin ich dann an der Börse sehr umfangreiche Abschlüsse à la baisse eingegangen.

A la baisse? ...

– Ja, ich bin als Verkäufer aufgetreten.

– Als Verkäufer? ... Von was?

– Von Goldminenanteilen. Du begreifst doch, daß diese, sobald die Feuerkugel herabfällt, einen furchtbaren Kurssturz erleiden müssen ...

– Erleiden müssen? ... – Verstehe ich noch weniger ... noch weniger, unterbrach ihn Xirdal. Ich begreife nicht, welchen Einfluß meine Maschine auf den Wert einer Goldgrube haben soll.

– Den innern Wert freilich nicht, gab Lecoeur zu, aber auf den Kurs der Aktien. Das ist etwas andres.

– Nun ja, mag sein! meinte Xirdal, ohne weiter darauf einzugehen. Sie haben also Goldminenanteile verkauft. Das ist doch nicht schlimm, vielmehr nur ein Beweis, daß Sie solche Anteile besaßen.

– Im Gegenteil, ich besaß davon keinen einzigen.

– Bah! platzte Xirdal heraus. Etwas zu verkaufen, was man gar nicht besaß, das ist nicht hübsch. Ich brächte es wenigstens nicht fertig.

– O, das nennt man Termingeschäfte, lieber Zephyrin, erklärte ihm der Bankier. Wenn ich dann die Papiere selbst liefern muß, dann kaufe ich Sie einfach. Das ist alles.

– Welchen Nutzen haben Sie dann aber davon? Zu verkaufen, um zu kaufen, da erscheint mir auf den ersten Blick nichts herauszuspringen.

– Du täuschest dich hier insofern, als die Anteile zur Zeit des Wiederankaufs billiger zu haben sein werden.

– Warum sollten sie billiger sein?

– Weil die Feuerkugel dem Goldumlauf unsrer Erde weit mehr gelbes Metall zuführen wird, als dieser gegenwärtig umfaßt. Der Wert des Goldes muß damit aber wenigstens um die Hälfte herabgehen, und warum sollten dann die Minenanteile nicht auf Null oder fast auf Null sinken? Ist dir das jetzt klar?

– Jawohl, bestätigte Xirdal, ohne es selbst zu glauben.

– Zuerst habe ich mich beglückwünscht, dir vertraut zu haben. Die im Gange der Feuerkugel beobachteten Störungen und ihr als gewiß angekündigtes Herabfallen hatten schon für die Minenanteile eine Kursverminderung um fünfundzwanzig Prozent zur Folge gehabt. In der festen Überzeugung, daß das auch noch weiter der Fall sein werde, bin ich auch noch viel stärkere Engagements eingegangen.

– Was heißt das?

– Ich habe eine viel zu große Menge Goldminenanteile verkauft.

– Immer ohne sie selbst besessen zu haben?

– Ganz recht. Du kannst dir also wohl meine Angst vorstellen, als ich sah, was da geschah: Du verschwunden, die Feuerkugel in ihrem Herabsinken aufgehalten, die Feuerkugel abwechselnd nach allen vier Himmelsgegenden verschlagen! Die Folge davon: Die Minenanteile sind wieder gestiegen; ich verliere dadurch ungeheure Summen. Was glaubst du nun, daß ich von dem allen denken soll?«

Zephyrin Xirdal sah seinen Paten gespannt an. Niemals war dieser kühle, nüchterne Mann so aufgeregt gewesen.

»Ich habe alles, was Sie da sagen, nicht so recht verstanden, sagte er endlich. Derlei Dinge gehen über meinen Horizont. Nur das eine glaube ich begriffen zu haben, daß es Ihnen erwünscht wäre, die Feuerkugel herabfallen zu sehen. Nun, dann beruhigen Sie sich getrost ... die wird herunterfallen!

– Das versicherst du?

– Ja ... gewiß.

– Ausdrücklich?

– Ich stehe dafür ein! Doch, wie liegt es bei Ihnen: Haben Sie mein Terrain gekauft?

– Das versteht sich, antwortete Lecoeur. Alles in bester Ordnung. Ich habe die Eigentumsbestätigung in der Tasche.

– Dann ist ja alles gut, sagte Zephyrin Xirdal. Ich kann Ihnen mitteilen, daß mein Experiment am 5. Juli abgeschlossen sein wird. An demselben Tage reise ich von Paris ab und meiner Feuerkugel entgegen.

– Die dann herabfallen wird?

– Wie Sie sagen.

– Ich fahre mit dir! rief Lecoeur voller Begeisterung.

– Wenn es Ihnen paßt ... willkommen!«

Ob ihn nun das Gefühl seiner Verantwortlichkeit gegenüber Robert Lecoeur erfüllte oder nur ein wissenschaftliches Interesse, das aufs neue in ihm erwacht war, jedenfalls hinderte ihn ein wohltätiger Einfluß, weitere Dummheiten zu begehen. Das begonnene Experiment wurde methodisch fortgesetzt und der geheimnisvolle Apparat schnurrte und tickte bis zum 5. Juli etwas mehr als vierzehnmal binnen vierundzwanzig Stunden.

Von Zeit zu Zeit wiederholte Zephyrin Xirdal eine astronomische Beobachtung des Meteors und konnte sich dabei überzeugen, daß alles ohne Hindernis und entsprechend seinen Voraussetzungen verlief.

Am Morgen des 5. Juli stellte er sein Objektiv zum letztenmal auf einen gewissen Punkt des Himmels ein.

»Da ist er ja zur Stelle, sagte er, vom Instrumente aufstehend, nun mag er getrost sich selbst überlassen bleiben.«

Sofort ging er jetzt ans Einpacken.

Zuerst seine Maschine nebst einigen Reservegläsern und seinem Fernrohr, was er alles sorgfältig einwickelte und in besonderen Behältern unterbrachte, um den Inhalt gegen Beschädigung auf der Reise zu schützen. Dann kamen seine persönlichen Bedürfnisse an die Reihe.

Gleich anfangs trat ihm aber eitle ernste Schwierigkeit entgegen: er wußte nicht, wie er die mitzunehmenden Gegenstände schließlich unterbringen sollte. In einem Koffer? ... Einen solchen hatte er niemals besessen. In einem Mantelsack?

Nach längerem Nachdenken entsann er sich, daß er wirklich einen Mantelsack im Besitze hatte. Daß das richtig war, wurde dadurch bewiesen, daß er ihn, freilich erst nach längerem Suchen, in einer dunkeln Kammer fand, wo eine Menge Plunder – excreta seines häuslichen Lebens – umherlag und worin sich auch der gelehrteste Altertumsforscher nicht mehr zurechtgefunden hätte.

Der Mantel- oder Reisesack, den Zephyrin Xirdal ans Tageslicht brachte, hatte ursprünglich einen Leinenüberzug gehabt. Das war nicht zu bestreiten, da noch einzelne Fetzen dieses Stoffes daranhingen. Tragriemen mochten früher wohl auch daran gewesen sein, das war jedoch nicht gewiß, da sich von solchen keine Spur mehr vorfand.

Zephyrin Xirdal öffnete den Reisesack inmitten seines Zimmers und starrte lange in dessen gähnenden Schlund hinein. Was sollte er da hinein stecken?

»Nur das Notwendigste, murmelte er dann vor sich hin. Hier heißt es aber, mit Überlegung handeln und eine vernünftige Auswahl treffen!«

Unter Beobachtung dieses Grundsatzes begann er damit, drei Paar Fußbekleidungsstücke zu verpacken. Später sollte er es freilich beklagen lernen, daß davon unglücklicherweise das eine aus einem Paar Halbstiefeln zum Knöpfen, das zweite aus einem Paar Schnürschuhen und das dritte aus einem Paar Pantoffeln bestand. Zunächst machte das wenigstens keine Schwierigkeit und es war damit schon ein hübscher Teil des Reisesackes ausgefüllt.

Nach »Verstauung« dieses Schuhwerks trocknete sich Zephyrin Xirdal, sehr erschöpft, die Stirn ab, und dann begann er, weiter zu überlegen.

Als Ergebnis seines Nachdenkens dämmerte in ihm jedoch das unklare Bewußtsein auf, in der speziellen Kunst des Verpackens alles andere als ein Meister zu sein, und verzweifelt, mit seinem klassischen Vorgehen doch zu keinem guten Ende zu kommen, entschloß er sich, jetzt der augenblicklichen Eingebung zu folgen.

Er griff also mit beiden Händen in die Schubladen und nach dem Haufen von Kleidungsstücken, der seine Garderobe bildete. In wenigen Augenblicken füllte ein Wirrwarr der verschiedensten Dinge den einen Teil des Reisesackes zum Überlaufen. Vielleicht war der andre Teil leer, das wußte Zephyrin Xirdal jedoch nicht. Er sah sich auch gezwungen, seine Ladung bis zur Übereinstimmung des verfügbaren Raumes mit den Gepäckstücken zu beschränken.

Hierauf wurde das Ganze mit einem tüchtigen Strick umschnürt und dieser so verzwickt verknotet, daß Xirdal die Knoten später sicherlich nicht wieder aufzulösen vermochte, und als er endlich damit fertig war, betrachtete er sein Werk mit eitler Selbstbefriedigung.

Nun brauchte er sich nur noch nach dem Bahnhofe zu begeben. Ein so rüstiger Fußgänger Zephyrin Xirdal auch war, konnte er doch gar nicht daran denken, seinen Apparat, sein Fernrohr und seinen Reisesack einfach dahin zu tragen. Das setzte ihn in Verlegenheit.

Wahrscheinlich hätte er sich endlich doch daran erinnert, daß es in Paris auch Fiaker gäbe, diese geistige Anstrengung sollte ihm jedoch erspart bleiben, denn eben erschien Robert Lecoeur in der Tür.

»Nun, fragte dieser, bist du bereit, Zephyrin?

– Ich habe nur auf Sie gewartet, wie Sie sehen, antwortete treuherzig Xirdal, der doch völlig vergessen hatte, daß sein Pate mit ihm abreisen sollte.

– Dann also vorwärts, mahnte Lecoeur. Wieviel Gepäckstücke?

– Drei. Meinen Apparat, mein Fernrohr und hier den Reisesack.

– Gib mir ein Stück und nimm du die beiden andern. Unten wartet mein Wagen.

– Welch herrlicher Gedanke!« rief Zephyrin Xirdal noch voller Bewunderung, als er die Vorsaaltür hinter sich abschloß.


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