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III.

Worin von dem Doktor Sydney Hudelson, seiner Gattin Mrs. Flora Hudelson, sowie von Miß Jenny und Miß Loo, den beiden Töchtern der Genannten, die Rede ist.

 

»Wenn ihn der Intrigant, der Forsyth, nur nicht auch bemerkt hat! Nur der nicht?« So drückte sich am Morgen des 21. März der Doktor Sydney Hudelson in einem Selbstgespräch in der Einsamkeit seiner Arbeitsstube aus.

Der Mann war eigentlich Arzt; und wenn er in Whaston kaum als solcher tätig war, lag das daran, daß er es vorzog, seine Zeit und seine Intelligenz den weitschichtigsten und schwierigsten Problemen zu widmen. Ein Busenfreund Dean Forsyths, war er doch gleichzeitig dessen Rival. Von der gleichen Leidenschaft erfüllt, hatte er, wie jener, für nichts anderes Sinn als für die Unendlichkeit des Himmels, ganz wie sein Freund scheute er keine Mühe, die astronomischen Rätsel des Universums zu entziffern.

Der Doktor Hudelson besaß ein hübsches Vermögen, das zum Teil von ihm selbst, zum Teil von Mrs. Hudelson, einer gebornen Flora Clarish, herrührte. Verständig verwaltet, genügte es, die Zukunft der Ehegatten und ihrer beiden Töchter Jenny und Loo, die jetzt die eine achtzehn, die andere vierzehn Jahre alt waren, voraussichtlich zu sichern. Was den Doktor selbst betrifft, würde man bezüglich seines Alters schöngeistig ausgedrückt zu sagen haben, daß bereits der Schnee von siebenundvierzig Wintern auf seinem Haupte schimmerte. Dieses schöne Bild wäre nur hier unpassend, weil der Doktor Hudelson so kahl war, daß er mit keinem Messer, keiner Schere eines Figaro etwas zu schaffen hatte.

Die unausgesprochen bestehende astronomische Rivalität zwischen Sydney Hudelson und Dean Forsyth störte auch einigermaßen das gegenseitige Verhältnis ihrer beiden, sonst so freundschaftlich verbundenen Familien. Die beiden Männer stritten übrigens nicht um den oder jenen Planeten oder Fixstern, denn die Gestirne des Himmels, deren erste Entdecker meist unbekannt sind, sind ja sozusagen Gemeingut der ganzen Welt, es kam aber nicht so selten vor, daß ihre meteorologischen oder astronomischen Beobachtungen zum Gegenstand lebhaften Meinungsaustausches wurden, der zuweilen sogar bald in Streitigkeiten ausartete.

Was solche Zwistigkeiten noch hätte verschlimmern, sogar selbst hervorrufen und zu beklagenswerten Auftritten führen können, wäre eine Frau Forsyth gewesen. Zum Glücke existierte eine solche Dame aber nicht, da der, der sie hätte geehelicht haben müssen, Junggeselle geblieben und überhaupt niemals auf den Gedanken gekommen war, sich zu verheiraten Es gab also keine Frau Dean Forsyth, die unter dem Vorwand der Versöhnung die Sachen hätte verschlimmern können, und folglich war alle Aussicht vorhanden, daß kleine Zerwürfnisse zwischen den beiden Astronomen bald eine friedliche Beilegung finden könnten.

Freilich gab es anderseits eine Mrs. Flora Hudelson. Das war aber eine vortreffliche Frau, eine vortreffliche Mutter und ebenso eine vortreffliche Hausfrau, dazu eine höchst friedliche Natur, unfähig jeder übeln Nachrede über andere, eine Frau, die nicht unter Lästerungen frühstückte und unter Verleumdungen zu Mittag aß, wie so viele Damen der höheren Stände in den verschiedenen Gesellschaften der Alten und der Neuen Welt.

Noch mehr: Dieses Musterbild von Ehegattin bemühte sich auch ernstlich, ihren Herrn und Gemahl zu besänftigen, wenn dieser mit vor Erregung rotem Kopfe von einer Auseinandersetzung mit seinem intimen Freunde Forsyth nach Hause kam. Außerdem fand es Mrs. Hudelson ganz natürlich, daß ihr Mann sich mit Astronomie beschäftigte und daß er in den Tiefen des Firmaments lebte, sobald er von da nur herniederstieg, wenn sie ihn darum ersuchte. Weit entfernt, es Mitz gleich zu tun, die ihren Herrn geradezu plagte, belästigte sie ihren Gatten in keiner Weise. Sie ertrug es, daß er zur Essenszeit auf sich warten ließ. Sie schmollte nicht, auch wenn er sehr spät zu Tisch kam, sondern bemühte sich vielmehr, die Speisen in bestem Zustand für ihn zu erhalten. Sie respektierte seine Zugeknöpftheit, wenn er in Gedanken war. Sie beunruhigte wohl auch sich selbst wegen seiner Arbeiten und das gute Herz diktierte ihr aufmunternde Worte, wenn der Astronom sich in unbegrenzte Fernen so weit verirrte, daß er den Rückgang nicht wieder fand.

Kurz: Das war eine Frau, wie wir sie allen Männern wünschen, vorzüglich wenn diese Astronomen sind. Leider gibt es solche Musterfrauen gewöhnlich nur in Romanen.

Jenny, ihre älteste Tochter, versprach in die Fußstapfen der Mutter zu treten und denselben Lebensweg wie diese einzuhalten. Offenbar war Francis Gordon, der zukünftige Gatte Jenny Hudelsons, bestimmt, einer der glücklichsten Ehemänner zu werden. Ohne die amerikanischen Damen herabsetzen zu wollen, muß man doch sagen, daß es Mühe kosten würde, in ganz Amerika ein reizenderes, anziehenderes, mehr mit allen guten menschlichen Eigenschaften ausgestattetes junges Mädchen als Jenny Hudelson zu finden. Sie war eine liebenswürdige Blondine mit blauen Augen, frischem Teint, hübschen Händen, niedlichen Füßchen und von schlanker Gestalt, und von Natur mit ebensoviel Grazie wie Bescheidenheit, mit ebensoviel Güte wie Verstand beschenkt. Francis Gordon schätzte sie auch nicht weniger, als sie diesen. Mr. Dean Forsyths Neffe erfreute sich überdies der Hochachtung der Familie Hudelson, einer gegenseitigen Wertschätzung, die bald in Gestalt eines – gern angenommenen – Heiratsantrages zutage trat. Die beiden jungen Leute paßten ja so gut zueinander. Jenny würde mit ihren vortrefflichen Eigenschaften das Glück in den neuen Hausstand mitbringen. Francis Gordon würde von dem ihm einst zufallenden Vermögen des Onkels schon jetzt reichlich bedacht werden. Doch ziehen wir einen Schleier über diese Zukunftsbilder. Vorläufig haben wir es mit der Gegenwart zu tun, die ja alle Vorbedingungen wolkenlosen Glücks erfüllt.

Francis Gordon war also der Verlobte Jenny Hudelsons, Jenny Hudelson die Verlobte Francis Gordons, und die Trauung, die man nicht so lange hinauszuschieben gedachte, sollte in der Kirche Saint-Andrew, der Hauptkirche der glücklichen Stadt Whaston, vom Reverend O'Garth vollzogen werden.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Feierlichkeit eine große Zahl Teilnehmer zuströmen werden, denn die beiden Familien genießen wegen ihrer Ehrenhaftigkeit überall eine unbegrenzte Hochachtung; ebenso sicher ist es, daß die Lustigste, Lebhafteste an diesem Tage die niedliche Loo Diminutiv von Louise. sein wird, die bei ihrer geliebten Schwester als Ehrenjungfrau dienen wird. Sie zählt noch nicht ganz fünfzehn Sommer, hat also ein Recht darauf, jung zu sein. Und davon wird sie Gebrauch machen, das bedarf kaum der Versicherung. Sie ist immer und ewig, leiblich und geistig, in Bewegung, ein Schalk, der sich nicht geniert, über »des Papas Planeten« zu scherzen. Man vergibt dem Wildfang aber alles. Der Doktor Hudelson ist der erste, der über sein Töchterlein lacht und ihr als einzige Strafe ... einen Kuß auf die frischen Wangen drückt.

Mr. Hudelson war im Grunde ein kreuzbraver Mann, nur etwas starrsinnig und ziemlich empfindlich. Außer Loo, deren unschuldige Späße er übersah, respektierte jeder seine Liebhabereien und seine Gewohnheiten. Sehr ergeben seinen astronomischen und meteorologischen Studien, recht klar in seinen Demonstrationen und eifersüchtig auf jede Entdeckung, die er machte oder gemacht zu haben glaubte, blieb er doch, bei seiner aufrichtigen Neigung für Dean Forsyth, der Freund eines so furchtbaren Rivalen. Zwei Jäger auf demselben Felde, die einander ein seltenes Stück Wild streitig machen. Vielmals war daraus eine gewisse Erkältung entstanden, die sich zu wirklichen Streitigkeiten zu verschlimmern drohte, wenn nicht die besänftigende Vermittlung der Mrs. Hudelson gewesen wäre, die übrigens bei ihrem Versöhnungswerke von ihren beiden Töchtern und Francis Gordon wacker unterstützt wurde. Das friedliche Quartett setzte seine beste Hoffnung zur Ausschaltung aller Scharmützel auf die geplante Vereinigung der Verlobten. Wenn die Verheiratung Francis Gordons und Jennys die beiden Familien noch enger miteinander verbunden haben würde, würden ja auch jene vorübergehenden Gewitter noch seltener und weniger schlimm werden. Wer weiß sogar, ob die zu herzlicher Zusammenarbeit vereinigten Liebhaber-Astronomen dann ihre astronomische Forschung nicht vielleicht gar vereinigt betrieben. Dann konnten sie sich ja gleichmäßig in das auf dem weiten Felde des Himmels entdeckte, wenn auch nicht erlegte Wild teilen.

Das Haus des Doktor Hudelson war eins der hübschesten Gebäude, und eins, das besser instand gehalten gewesen wäre, hätte man in Whaston wohl vergeblich gesucht. Das reizende Wohnhaus zwischen Hof und Garten mit schönen Bäumen und grünen Rasenflächen lag fast in der Mitte der Morrißstraße. Es bestand aus einem Erdgeschoß und einem Oberstock mit sieben Fenstern Front. An der linken Seite des Daches ragte darüber eine Art viereckiger, gegen dreißig Meter hoher Wartturm empor, der mit einer Terrasse mit Geländer endigte. An dessen einer Ecke erhob sich eine Flaggenstange, an der an Sonn- und Festtagen die Flagge mit den einundfünfzig Sternen der Vereinigten Staaten von Amerika gehißt wurde.

Das oberste Zimmer dieses Turmes war für die speziellen Arbeiten des Besitzers bestimmt. Hier standen die Instrumente des Doktors, die Fernrohre und Teleskope, wenn er die transportabeln darunter in einer schönen Nacht nicht nach der Plattform darüber schaffte, von der aus er den ganzen Himmelsdom ungehindert übersehen konnte. Hier war es, wo sich der Doktor, taub für alle Warnungen der Mrs. Hudelson, oft den schönsten Schnupfen oder die vollendetste Grippe holte.

»Wenn nur der Papa, pflegte Miß Loo gern zu sagen, nicht gar seine Planeten mit einem regelrechten Schnupfen ansteckt!«

Der Doktor hörte jedoch auf nichts; er trotzte zuweilen den sieben bis acht Zentigraden unter Null in den eisigen Winternächten, wo das Firmament besonders klar war.

Von dem Observatorium des Hauses in der Morrißstraße konnte man den Turm des Hauses in der Elisabethstraße bequem sehen. Nur etwa dreiviertel Kilometer trennten beide, und zwischen ihnen erhob sich kein Bauwerk oder breitete ein größerer Baum seine Äste aus.

Ohne sich eines weittragenden Teleskops zu bedienen, erkannte man schon mit einem guten Theaterglase ganz leicht die Personen, die sich auf dem einen oder dem andern Turm aufhielten. Dean Forsyth hatte freilich anders zu tun, als nach Sydney Hudelson auszulugen, und Sydney Hudelson hätte gewiß niemals seine Zeit damit verlieren wollen, daß er sich nach Dean Forsyth umsah. Ihre Beobachtungen richteten sich höher, weit höher hinauf. Sehr natürlich war es dagegen, daß Francis Gordon oft sehen wollte, ob Jenny sich auf der Terrasse befände, und oft sprachen beider Augen in diesem Falle zärtlich miteinander. Darin ist ja wohl nichts Schlimmes zu finden.

Es wäre ja leicht gewesen, zwischen den beiden Häusern eine telegraphische oder telephonische Verbindung herzustellen. Ein vom Wartturm zum andern Turm angelegter Draht hätte dann die zärtlichsten Worte von Francis Gordon an Jenny Hudelson und von dieser an ihren Verlobten übermittelt. Vielleicht wurde diese Lücke nach der Vereinigung des Brautpaares noch ausgefüllt: nach der ehelichen auch die elektrische Verbindung, um die beiden Familien noch enger miteinander zu verknüpfen.

Am Nachmittage desselben Tages, wo die vortreffliche, aber zanksüchtige Mitz eine Probe ihrer Zungenfertigkeit abgelegt hatte, machte Francis Gordon seinen gewohnten Besuch bei Mrs. Hudelson und ihren Töchtern ... »und ihrer Tochter, das bitt' ich mir aus!« berichtigte ihn Loo in komischer Entrüstung. Hier wurde er, man kann sich nicht anders ausdrücken, empfangen, als ob er der Gott des Hauses wäre. Jennys Ehemann war er zwar noch nicht – zugegeben, Loo verlangte aber, daß er ihr gegenüber schon gleich einem Bruder wäre, und was sich in diesem kleinen Gehirn festgesetzt hatte, das ließ sich daraus nicht wieder verscheuchen.

Was den Doktor Hudelson betrifft, saß dieser seit vier Stunden in seinem Turmzimmer wie eingemauert. Nachdem er, ganz wie Dean Forsyth, zum Frühstück zu spät erschienen war, hatte er sich eilends – wieder ganz so wie Dean Forsyth – nach der oberen Plattform begeben, als die Sonne für kurze Zeit aus den Wolken hervorgetreten war. Nicht weniger beschäftigt als sein Rival, schien er keine Lust zu spüren, wieder hinunterzugehen.

Und doch war es unmöglich, ohne ihn die wichtige Frage zu entscheiden, über die heute in einem Familienrate verhandelt werden sollte.

»Heda, rief Loo, als der junge Mann kaum über die Schwelle des Zimmers gekommen war, da ist ja der Herr Francis, der unausbleibliche Herr Francis! Auf mein Wort, man sieht hier gar niemand mehr als ihn!«

Francis Gordon begnügte sich, dem Mägdlein mit der Fingerspitze zu drohen, und als sich alle gesetzt hatten, begann das Gespräch wie immer in einfachem, herzenswarmem Tone. Es sah dabei fast aus, als wäre man seit gestern gar nicht getrennt gewesen, und in ihren Gedanken lebten ja wenigstens die beiden Verlobten immer beieinander. Miß Loo behauptete sogar, der »unausbleibliche Francis« wäre stets im Hause, denn wenn er das durch die Tür nach der Straße zu verlassen scheine, schlüpfe er durch die vom Garten her wieder herein.

Man plauderte heute von dem, wovon man immer sprach. Jenny horchte auf das, was Francis sagte, mit größtem Ernste, der ihr doch nichts von ihrem Liebreiz raubte. Beide sahen einander an und entwarfen schöne Zukunftspläne, die sich bald verwirklichen sollten. Wie hätte man auch eine Verzögerung erwarten können? Schon hatte Francis in der Lambethstraße ein hübsches Haus gefunden, das für den jungen Haushalt vortrefflich passen mußte. Es lag im westlichen Stadtteile, mit der Aussicht auf den Potomac und nicht zu entfernt von der Morrißstraße. Mrs. Hudelson versprach, sich das Haus anzusehen, und wenn es für die spätern Bewohner geeignet erschien, sollte es baldigst gemietet werden. Selbstverständlich würde Loo ihre Mutter und ihre Schwester bei dieser Besichtigung begleiten. Sie hätte nimmermehr zugegeben, daß man dabei von ihrem Rate abgesehen hätte.

»Ja ... was ich sagen wollte, rief sie plötzlich, wie steht das mit Mister Forsyth? Wird er denn heute nicht hierher kommen?

– Mein Onkel kommt erst um vier Uhr, antwortete Francis Gordon.

– Seine Anwesenheit ist aber für die heute zu entscheidende Frage unentbehrlich, bemerkte Mrs. Hudelson.

– Nun, wenn er ausbliebe, warf Loo mit einer drohenden Handbewegung ein, dann bekäme er's mit mir zu tun und da würde er nicht leichten Kaufes davonkommen!

– Wo ist aber Mister Hudelson? fragte Francis. Wir brauchen ihn hier doch ebenso nötig wie meinen Onkel.

– Der Vater sitzt oben in seinem Turme, sagte Jenny. Wenn ihn jemand riefe, würde er gewiß sofort herunterkommen.

– Das will ich auf mich nehmen, erbot sich Loo. Ich springe die sechs Stockwerke schnell hinauf.«

In der Tat war es unumgänglich, daß Mr. Forsyth und Mr. Hudelson sich hier einfanden. Handelte es sich doch darum, den Tag für die Trauung zu bestimmen. Daß die Hochzeit bald gefeiert werden sollte, darüber war man wohl einig ... doch unter der Bedingung, daß das schöne Festkleid der jungen Brautjungfer – ein langes Kleid, wie es erwachsene Damen tragen und das Loo an dem denkwürdigen Tage einweihen wollte – fertig geworden wäre.

In bezug hierauf erlaubte sich Francis auch die scherzhafte Bemerkung:

»Ja, wenn sie nun aber noch nicht vollendet ist, die berühmte Robe?

– Dann, erklärte das herrische Persönchen, dann wird die Hochzeit einfach verschoben!«

Dieser Antwort folgte ein so herzliches lautes Lachen, daß es Mr. Hudelson oben in seinem Wartturme jedenfalls hören mußte.

Der Zeiger der Uhr schlich inzwischen über alle Minutenstriche des Zifferblattes hin, Mr. Dean Forsyth erschien aber nicht. Loo mochte sich noch so weit aus dem Fenster, von dem aus der Eingang zum Hause zu übersehen war, hinausbiegen ... kein Mr. Forsyth ließ sich entdecken. Man mußte sich also mit Geduld waffnen, mit einer Waffe, die Loo nicht im geringsten zu handhaben verstand.

»Mein Onkel hat mir zwar fest versprochen, hierher zu kommen, erklärte Francis Gordon, ich weiß aber gar nicht, was er seit einigen Tagen haben mag.

– Mister Forsyth ist doch hoffentlich nicht unwohl? fragte Jenny.

– Nein ... aber so sorgenvoll ... so nachdenklich. Man kann ihm keine zehn Worte entlocken. Ich weiß nicht, was ihm durch den Kopf gehen mag.

– Wahrscheinlich eine Sternschnuppe! rief das drollige Mädchen.

– Mit meinem Manne liegt es nicht anders nahm da Mrs. Hudelson das Wort. Seit einer Woche ist er tiefsinniger als je. Man kann ihn gar nicht mehr aus seinem Observatorium herausbringen. Wahrscheinlich wird am Himmel ein ganz außergewöhnliches Ereignis zu beobachten sein.

– Wahrhaftig, fiel Francis ein, das möchte ich nach dem Verhalten meines Onkels ebenfalls glauben. Er geht nicht mehr aus, schläft nicht mehr, ißt und trinkt kaum noch und verpaßt wenigstens die Essenszeit –.

– Da wird sich Mitz ja heidenmäßig freuen! warf Loo ein.

– Die ... die wütet geradezu, es hilft ihr nur nichts. Mein Onkel, der früher die Standreden seiner alten Haushälterin fürchtete, hört jetzt gar nicht mehr darauf.

– Ganz wie hier bei uns, meinte Jenny lächelnd. Meine Schwester hat ihren Einfluß auf Papa gänzlich verloren, und wie groß war der bisher!

– Ist das menschenmöglich, Fräulein Loo? fragte Francis in demselben Tone.

– Ja, es ist leider nur zu wahr! erwiderte das Mägdlein. Doch Geduld ... nur Geduld! Mitz und ich, wir werden schließlich doch mit dem Vater und dem Onkel fertig werden!

– Was kann denn aber beiden widerfahren sein? fuhr Jenny fort.

– Ach, da wird sich wohl irgend ein kostbarer Planet verlaufen haben, rief Loo. Na, wenn sie ihn nur noch vor der Hochzeit wiederfinden!

– Wir scherzen hier so leicht hin, nahm jetzt Mrs. Hudelson wieder das Wort, und Mister Forsyth erscheint immer noch nicht.

– Ja, eben hat es schon halb fünf geschlagen, bemerkte Jenny.

– Wenn mein Onkel binnen fünf Minuten noch nicht hier ist, werde ich ihn holen,« versprach Francis Gordon.

Im gleichen Augenblicke ertönte aber die Haustürklingel.

»Da ... das ist Mister Forsyth, versicherte Loo. Hört nur, er klingelt immer weiter. Da ist ja das reine Glockenspiel! Ich wette darauf, daß er wohl einen Kometen fliegen hört, doch nichts davon, daß er hier klingelt.«

Wirklich war es Mr. Forsyth. Er trat auch gleich darauf in das Zimmer, wo Loo ihn mit lebhaften Vorwürfen empfing.

»Nachzügler! ... Nachzügler! ... Sie legen's wohl darauf an, daß man auf Sie böse wird?

– Guten Tag, Mistreß Hudelson! ... Guten Tag, liebe Jenny, sagte Mr. Forsyth, der das junge Mädchen in die Arme schloß, und auch hier einen Guten Tag,« fuhr er fort, die Wangen des kleinern Mädchens streichelnd.

Diese Begrüßungen erfolgten aber alle mit sehr zerstreutem Aussehen. Wie Loo angenommen hatte: Mr. Dean Forsyth hatte unbedingt, wie man sagt, »den Kopf wo anders«.

»Lieber Onkel, wendete sich jetzt Francis Gordon an ihn, da wir dich nicht zur verabredeten Stunde erscheinen sahen, nahm ich an, daß du unsere Zusammenkunft ganz vergessen hättest.

– Nicht ganz, doch, ich gesteh' es – ein wenig, und das bitte ich zu entschuldigen. Zum Glück hat mich Mitz in bekannter Weise an meine Verpflichtung erinnert.

– Und daran hat sie wohlgetan! erklärte Loo.

– Schonen Sie mich ein bißchen, kleine Miß! ... Eine ernsthafte Beschäftigung ... ich stehe vielleicht am Vorabend einer der interessantesten Entdeckungen.

– Ja natürlich! ... Ganz wie Papa.

– Was! rief Mr. Dean Forsyth, der mit einem Satze aufsprang, als ob er von einer starken Feder in seinem Stuhle emporgeschnellt würde, Sie sagen, daß der Doktor ...

– Wir sagen gar nichts, bester Herr Forsyth, beeilte sich Mrs. Hudelson einzuwerfen, da sie immer, und nicht ohne Grund, befürchtete, daß hier eine neue Veranlassung zu einer Rivalität zwischen ihrem Gatten und dem Onkel Francis Gordons verborgen liegen könnte.

Dann setzte sie, um weitere Erörterungen abzuschneiden, hinzu:

»Loo, hole nun deinen Vater.«

Leicht wie ein Vogel eilte das Mägdlein nach dem Turme, und wenn sie hier die Treppe benutzte, statt durchs Fenster zu fliegen, geschah das nur, weil sie sich ihrer Flügel nicht bedienen wollte.

Eine Minute später erschien Mr. Sydney Hudelson im Zimmer, aber mit sehr ernstem Gesicht, ermüdetem Auge und mit so stark gerötetem Kopfe, daß man einen ihn bedrohenden Schlaganfall befürchten konnte.

Mr. Dean Forsyth und er wechselten einen leichten Händedruck, während beide einander mit verstohlenem Blicke auszukundschaften suchten. Sie sahen einander an, als ob einer dem andern nicht recht über den Weg traute.

Die beiden Familien waren ja heute aber hier nur zusammengekommen, um den Tag für die Hochzeit oder – um die Ausdrucksweise Loos zu gebrauchen – den für die Vereinigung der Gestirne Francis und Jenny zu bestimmen. Von andern Dingen sollte heute keine Rede sein.

Alle waren darüber einig, daß die Feierlichkeit nach möglichst kurzer Frist vor sich gehen sollte und so dauerte denn die Verhandlung nicht gerade lange.

Ob ihr wohl Mr. Dean Forsyth und Mr. Hudelson mit besonderer Aufmerksamkeit gefolgt waren? Nein, man konnte vielmehr glauben, daß sie auf der Verfolgung irgend eines im Weltraum verschwundenen Asteroiden begriffen wären, wobei sich jeder von ihnen fragte, ob nicht der andere nahe daran sei, ihn wiederzufinden.

Jedenfalls erhoben sie keinen Widerspruch, daß die Hochzeit nach wenigen Wochen stattfinden sollte. Heute war der 21. März; in Aussicht genommen wurde der 15. Mai.

Wenn man sich ein wenig beeilte, war bis dahin Zeit genug, die neue Hauswirtschaft einzurichten.

»Jawohl, und mein neues Kleid fertig zu machen, setzte Loo mit der ernsthaftesten Miene der Welt hinzu.


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