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XVI.

Worin man eine Menge Neugierige die Gelegenheit benützen sieht, nach Grönland zu reisen, um dem Fall des wunderbaren Meteors beizuwohnen.

 

Am Morgen des 27. Juli drängte sich eine zahlreiche Menge auf den zur Abfahrt bereiten Dampfer »Mozik«, der Charleston, den Haupthafen von Südkarolina, eben verlassen sollte. Der Andrang Neugieriger, die sich alle nach Grönland begeben wollten, war so groß, daß an Bord des fünfzehnhundert Tonnen großen Fahrzeugs schon keine Kabine mehr unbelegt gewesen war, obgleich neben diesem Schiffe noch andre für die Fahrt nach demselben Ziele gechartert waren. Auch eine Anzahl von Paketbooten andrer Nationen hatte sich gerüstet, über den Atlantischen Ozean bis zur Davisstraße und zum Baffinsmeere jenseits des nördlichen Polarkreises hinaufzudampfen.

Bei der übermäßigen Erregung der Geister, die I. B. K. Lowenthals aufsehenerweckende Erklärung hervorgerufen hatte, war dieser Andrang ja nicht zu verwundern.

Der berühmte Astronom konnte sich unmöglich getäuscht haben. Nachdem er den Herren Forsyth und Hudelson so derb die Moral gelesen hatte, konnte er sich doch nicht der Gefahr aussetzen, sich dieselben Vorwürfe zuzuziehen. Sich unter so ganz außergewöhnlichen Umständen leichtherzig auszusprechen, wäre ja gar nicht zu entschuldigen gewesen und das hätte ihm die Mißachtung der Allgemeinheit zugezogen ... das wußte er.

Man mußte also seine Schlußfolgerungen für zuverlässig halten. Die Feuerkugel sollte weder in einem unzugänglichen polaren Gebiete noch in die Tiefen der Meere herunterfallen, wo keine menschliche Anstrengung sie hervorholen könnte, nein, auf dem Boden Grönlands sollte sie in Trümmer gehen.

Dieses ausgedehnte, früher von Dänemark abhängige Land, dem dieses Königreich einige Jahre vor dem Auftauchen des Meteors edelmütig volle Selbständigkeit zugestanden hatte, war es also, welches das Glück, gegenüber allen andern Staaten der Erde, bevorzugen sollte.

Sehr, sehr groß ist allerdings dieses Land, von dem man noch nicht entscheiden kann, ob es einen Kontinent oder eine Insel bildet. So konnte es ja geschehen, daß die goldne Riesenkugel auf einen von der Küste sehr entfernten Punkt, vielleicht Hunderte von Lieues im Innern, niederfiel und dann wäre es sehr schwierig gewesen, zu ihr zu gelangen. Wohlverstanden wäre nicht daran zu zweifeln, daß man doch alle Schwierigkeiten besiegt, der arktischen Kälte und den wütendsten Schneestürmen getrotzt hätte, ja man wäre zur Aufsuchung der Tausende von Milliarden nötigenfalls bis zum Pole hinaufgedrungen.

Immerhin war es ein Glück, zu solchen Anstrengungen nicht gezwungen zu sein, da die Örtlichkeit für den Fall so bestimmt bezeichnet war. Grönland selbst genügte schon allen und keiner beneidete einen Parry, Nansen oder andere Erforscher der hochnördlichen Breiten um ihren »etwas kalten« Ruhm.

Wenn der Leser sich auf dem »Mozik« eingeschifft hätte, unter den Hunderten von Passagieren, zu denen auch einige Frauen gehörten, hätte er fünf ihm nicht unbekannte Reisende bemerken müssen. Ihre Anwesenheit, oder wenigstens die von vier von ihnen, hätte ihn auch gar nicht wundernehmen können.

Der eine war Mr. Dean Forsyth, der in Begleitung Omikrons fern von dem Turme in der Elisabethstraße dahinschaukelte, der andere Mr. Sydney Hudelson, der seine Warte in der Morrißstraße verlassen hatte.

Sobald die von der Sachlage unterrichteten Transportgesellschaften diese Sonderfahrten nach Grönland angekündigt hatten, waren die beiden Rivalen die ersten gewesen, ihre Fahrscheine für Hin- und Rückreise zu lösen. Schlimmstenfalls hätten sie wohl auch ein eigenes Schiff für die Fahrt nach Grönland gemietet, obwohl sie jetzt offenbar nicht mehr die Absicht hatten, die Hand auf den Goldklumpen zu legen und ihn nach Whaston mit heimzunehmen. Sie wollten nur bei dem Falle der Feuerkugel gegenwärtig sein.

Wer konnte überdies wissen, ob die grönländische Regierung, nachdem sie in Besitz der Feuerkugel gekommen war, ihnen nicht einen Teil der vom Himmel gefallenen Milliarden abtreten würde?

Selbstverständlich hatten Mr. Forsyth und der Doktor sich ängstlich gehütet, benachbarte Kabinen zu wählen. Während der Seefahrt sollte doch zwischen ihnen, wie in Whaston, keinerlei Beziehung bestehen.

Mrs. Hudelson hatte sich der Abreise ihres Gatten nicht widersetzt, ebensowenig wie die alte Mitz, die ihrem Herrn sogar zugeredet hatte, diese Reise zu unternehmen. Den Doktor bestürmte seine älteste Tochter so eindringlich mit Bitten, sie mitzunehmen, daß ihn die Empfindung von Kummer, den er Jenny durch seinen Widerspruch in einer andern Gelegenheit bereitet hatte, jetzt zum Nachgeben bestimmte. Jenny begleitete also ihren Vater.

Als sie darauf so eindringlich, wie sie es getan, bestanden hatte, verfolgte sie freilich einen besonderen Zweck. Seit den stürmischen Auftritten, die die beiden Familien endgültig veruneinigt hatten, von Francis Gordon getrennt, vermutete sie, daß dieser seinen Onkel begleiten würde. In diesem Falle wäre es für die beiden Verlobten schon ein Glück gewesen, nahe beieinander zu leben, abgesehen davon, daß es ihnen an Gelegenheit einander zu treffen und zu sprechen im Laufe der Reise nicht fehlen würde.

Ihre Vermutung sollte sich denn auch bestätigen: Francis Gordon hatte wirklich beschlossen, seinen Onkel zu begleiten. Während der Abwesenheit des Doktors hätte er doch das ausdrückliche Verlangen Hudelsons nicht übertreten mögen und hätte sich also in dem Hause der Morrißstraße nicht zeigen können. Da war es besser, er beteiligte sich, ebenso wie Omikron, gleich selbst an der Reise, schon um gegebenenfalls vermittelnd zwischen die beiden Gegner zu treten und jede Gelegenheit zu einer Verbesserung der beklagenswerten Sachlage benützen zu können. Vielleicht milderte sich die Spannung schon von selbst ein wenig nach dem Herabfallen der Feuerkugel, ob diese nun das Eigentum der Regierung Grönlands wurde oder sich in der Tiefe des arktischen Eismeers verlor. Grönland liegt ja zwischen zwei Meeren, und I. B. K. Lowenthal war alles in allem doch auch nur ein Mensch, der nicht gegen jeden Irrtum gefeit war. Schon eine kleine, durch irgendwelche atmosphärische Verhältnisse bedingte Abweichung konnte also recht gut genügen, den Gegenstand so brennender Begierde der menschlichen Habsucht zu entrücken.

Einer, den ein solcher Ausgang nicht befriedigt hätte, war Herr Ewald von Schnack, der Vertreter Grönlands auf der Internationalen Konferenz, der sich auch unter den Passagieren des »Mozik« befand. Sein Land sollte und mußte ganz einfach das reichste der Erde werden. Zur Unterbringung der Trillionen würden freilich die Panzerschränke der Regierung weder groß noch zahlreich genug sein.

Du glückliches Volk, für das es dann keine Steuer irgendwelcher Art mehr geben und unter dem kein Mangel, keine Armut mehr herrschen konnte! Bei der der skandinavischen Rasse eigenen Klugheit würde diese ungeheure Goldmenge gewiß nur mit äußerster Vorsicht dem Verkehre zugeführt werden, und deshalb ließ sich erhoffen, daß der Geldmarkt keine zu starke Erschütterung durch einen gleichen Regen erleiden würde, wie den, den Jupiter – wenn man den mythologischen Erzählungen vertrauen darf – einst über die schöne Danaë niederströmen ließ.

Herr von Schnack war an Bord der »Held«. Die Persönlichkeiten des Herrn Forsyth und des Doktor Hudelson verschwanden vollständig vor der des Vertreters Grönlands, und die beiden Rivalen begegneten sich in dem gemeinschaftlichen Hasse gegen den Repräsentanten eines Staates, der ihnen keinen Anteil, nicht einmal den der befriedigten Eitelkeit, an der unsterblichen Entdeckung übrig ließ.

Die Entfernung von Boston bis zum Hauptorte Grönlands ist etwa auf dreitausenddreihundert Seemeilen, gleich sechstausend Kilometern, zu schätzen. Die Fahrt sollte, unter Einrechnung eines kurzen Aufenthalts in Boston, wo der »Mozik« Kohlen übernehmen sollte, gegen vierzehn Tage dauern. Lebensmittel führte das Schiff für mehrere Monate schon ebenso mit sich wie die andern demselben Ziele zusteuernden Fahrzeuge, da es bei der Zuströmung von Neugierigen unmöglich gewesen wäre, in Upernivik für sie Speise und Trank zu beschaffen.

Der »Mozik« steuerte in Sicht der Ostküste Amerikas nach Norden; als er aber am nächsten Tage das Kap Hatteras, die äußerste Spitze Nordkarolinas, passiert hatte, wendete er sich dem hohen Meere zu.

Im Monat Juli herrscht in diesen Teilen des Atlantischen Ozeans meist eine recht schöne Witterung, und solange eine östliche Windrichtung anhielt, glitt der Dampfer, durch die Küste geschützt, auf ruhigem Meere hin. Leider wehte es aber zuweilen auch von der offenen See her und dann brachte das Stampfen und Rollen des Schiffes seine gewöhnliche Wirkung hervor.

Wurde dadurch auch der Trillionär von Schnack nicht im geringsten belästigt, so war doch bei Mr. Forsyth und dem Doktor Hudelson das Gegenteil der Fall.

Es war deren erste größere Seereise, bei der sie denn auch Neptun ihren Tribut in reichlichem Maße zollten. Doch keinen Augenblick bedauerten sie deshalb, sich auf ein solches Abenteuer eingelassen zu haben.

Wir brauchen wohl nicht zu sagen, daß dieses Unwohlsein, das sie zur Ohnmacht verurteilte, für die beiden Verlobten seine Vorteile hatte. Sie blieben von der fatalen Seekrankheit verschont und so benützten sie auch die Zeit, in der Vater und Onkel unter den erschöpfenden Streichen der hinterlistigen Amphitrite stöhnten. Sie verließen einander, um den beiden Kranken nach Kräften beizustehen. Dabei hatten sie sich aber höchst raffiniert in der Arbeit geteilt. Während Jenny den Mr. Dean Forsyth zu trösten suchte, bestrebte sich Francis Gordon, den Doktor Hudelson bei gutem Mute zu erhalten.

Bei schwächerem Seegange führten Jenny und er die beiden unglücklichen Astronomen wohl auch aus deren Kabinen heraus in die freie Luft auf dem Spardeck und setzten jeden, aber nicht fern voneinander, auf einen Rohrlehnstuhl, wobei sie darauf achteten, die Entfernung zwischen beiden immer ein wenig zu verringern.

»Nun, wie befinden Sie sich hier? fragte dann Jenny, indem sie eine Decke über Mr. Forsyths Beine breitete.

– Ach, noch recht schlecht!« seufzte dieser, ohne recht zu wissen, mit wem er sprach.

Und wenn Francis Gordon dem Doktor das Kissen zurechtrückte, fragte er:

»Nun, wie geht's Ihnen jetzt, Herr Hudelson? und das mit einem so vertraulichen Tonfalle, als wäre er nie aus dem Hause in der Morrißstraße verwiesen worden.

So blieben die beiden Rivalen ein paar Stunden auf dem Deck, ohne sich über diese Reise wirklich klar zu werden. Um sie etwas mehr aufzumuntern, mußte schon Herr von Schnack festen Schrittes, seiner sicher wie ein Marsgast, der über den Seegang lacht, und mit hochgetragenem Kopfe, wie einer, der nur von Gold träumt und in allem nur Gold sieht, gelegentlich an ihnen vorübergehen. Dann leuchtete einmal ein matter Blitz in den Augen Mr. Forsyths und Mr. Hudelsons auf, die dabei die Kraft fanden, einige häßliche Drohungen für sich hin zu stammeln.

»Dieser Feuerkugelräuber!« brummte Mr. Forsyth.

»Dieser Meteordieb!« murmelte Mr. Hudelson.

Herr von Schnack kümmerte sich darum nicht; er schien die Anwesenheit der beiden an Bord gar nicht zu bemerken. Mit hochmütigem Gesichtsausdruck und der stolzen Haltung eines Mannes, der in seinem Lande mehr Gold zu finden überzeugt ist, als es zur hundertmaligen Abstoßung der Staatsschulden aller Staaten der Erde bedürfte, so wanderte er selbstzufrieden zwischen den Passagieren umher.

Die Fahrt verlief im allgemeinen unter sehr günstigen Umständen weiter. Vermutlich steuerten jetzt auch andre, aus den Häfen der Küste ausgelaufene Schiffe dem Norden und der Davisstraße zu, während noch andre mit der gleichen Bestimmung augenblicklich auf dem Atlantischen Ozean schwimmen mochten.

Der »Mozik« passierte New-York ziemlich weit draußen auf offener See, also auch ohne sich hier aufzuhalten, und setzte seinen Weg in nordöstlicher Richtung nach Boston fort. Am Morgen des 30. Juli ging er vor dieser Hauptstadt von Massachusetts vor Anker. Ein Tag genügte, seine Kohlenbunker aufzufüllen; in Grönland hätte er sich in keinem Falle mit frischem Brennmaterial versorgen können.

Obgleich die Fahrt bisher ziemlich glatt verlaufen war, hatten doch die meisten Passagiere mehr oder weniger von der Seekrankheit zu leiden gehabt. Fünf oder sechs von ihnen glaubten aber, daß das für sie gerade genüge, und schifften sich, unter Verzicht auf die weitre Fahrt, hier in Boston aus. Mr. Dean Forsyth und der Dr. Hudelson gehörten zu diesen natürlich nicht. Und sollten sie unter dem Stampfen und Rollen des Dampfers auch ihren letzten Atemzug tun, so wollten sie den wenigstens angesichts des Meteors, des Zieles ihres leidenschaftlichen Verlangens, aushauchen.

Der Weggang jener minder ausdauernden Passagiere machte mehrere Kabinen des »Mozik« frei; es fehlte für diese aber nicht an Bewerbern, die sich die Gelegenheit zunutze machten, in Boston an Bord zu gehen.

Unter ihnen hätte man einen Herrn mit vornehmer Haltung bemerken können, der unter den ersten bemüht gewesen war, sich eine der freigewordenen Kabinen zu sichern. Dieser Herr war kein andrer als Mr. Seth Stanfort, der angetraute und so bald wieder geschiedene Gatte der Mrs. Arcadia Walker, deren Vereinigung und Trennung durch den Richter Proth in Whaston unter den dem Leser bekannten Umständen erfolgt war.

Nach der jetzt schon zwei Monate zurückliegenden Scheidung hatte sich Mr. Stanfort wieder nach Boston begeben. Immer und ewig reiselustig und durch die letzte Mitteilung I. B. K. Lowenthals gezwungen, auf seine Fahrt nach Japan zu verzichten, hatte er inzwischen die bedeutendsten Städte Kanadas, Quebec, Toronto, Montreal und Ottawa, besucht. Es erregte fast den Anschein, als bemühte er sich, seine ehemalige Frau zu vergessen. Die beiden Gatten hatten zwar einander anfänglich gefallen, bald aber ebensosehr mißfallen. Eine ganz wie ihre Trauung originelle Scheidung hatte sie deshalb voneinander getrennt. Damit war alles abgeschlossen. Voraussichtlich würde später keiner den andern wiedersehen, und wenn es doch der Fall wäre, würden sie, ohne einander zu kennen, ihre Straße weiterziehen.

Mr. Seth Stanfort war eben erst von Toronto, der eigentlichen Hauptstadt der Dominion, eingetroffen, als er von der sensationellen Erklärung I. B. K. Lowenthals Kenntnis erhielt. Selbst wenn der Meteorfall hätte in der Entfernung von Tausenden von Lieues, auch in den entlegensten Teilen Asiens oder Afrikas, stattfinden sollen, würde er auch das Unmöglichste getan haben, sich dahin zu begeben, nicht gerade weil ihn diese meteorische Erscheinung besonders interessierte, sondern weil er einem Schauspiele beiwohnen mußte, das nur eine beschränkte Anzahl von Zuschauern haben würde, weil er sehen mußte, was Millionen andrer menschlicher Wesen nicht zu sehen bekämen, das war es, was den abenteuerlustigen Herrn verführt hatte, ihn, der ein warmer Freund jeder Ortsveränderung war und dessen Vermögen ihm erlaubte, die phantastischsten Reisen zu unternehmen.

Hier handelte es sich ja übrigens noch gar nicht darum, sich zu den Antipoden zu begeben; der Schauplatz der astronomischen Feerie lag vielmehr sozusagen vor den Toren Kanadas.

Mr. Seth Stanfort hatte also den ersten Zug nach Quebec und von hier den Anschluß nach Boston benützt, der durch die Ebenen der Dominion und Neuenglands dahinjagt.

Achtundvierzig Stunden nach der Einschiffung dieses Herrn glitt der »Mozik«, immer in Sicht des Landes, an Portsmouth und darauf, in der Tragweite der Semaphoren, an Portland vorüber. Vielleicht konnten diese Apparate Nachricht über die Feuerkugel geben, die jetzt bei klarem Himmel für das unbewaffnete Auge sichtbar war.

Die hiesigen Semaphoren blieben aber stumm und der von Halifax war auch nicht redseliger, als der Dampfer sich gegenüber diesem großen Hafen Neuschottlands befand.

Wie schmerzlich mochten die Reisenden bedauern, daß die Fundybai zwischen Neuschottland und Neubraunschweig keinen Ausgang nach Norden oder nach Osten hatte; da wären sie vor dem heftigen Wogengang bewahrt geblieben, der sie bis zur Insel Kap Breton überfiel. Da gab es unzählige Kranke, unter denen, trotz der Fürsorge Jennys und Francis Gordons, Mr. Forsyth und Mr. Hudelson natürlich nicht fehlten.

Der Kapitän des »Mozik« hatte Mitleid mit seinen so wenig seefesten Passagieren. Er lief in den Saint-Laurent-Golf ein, um erst wieder durch die Belle-Ile-Enge unter dem Schutze von Neufundland aufs hohe Meer zu kommen. Dann schlug er, die Davisstraße in ihrer ganzen Breite kreuzend, einen Kurs nach der Westküste Grönlands ein. Dadurch gestaltete sich die Seefahrt ruhiger.

Am Morgen des 7. August wurde Kap Confort gesichtet. Der grönländische Boden endigt ein Stück weiter östlich mit dem Kap Farewel, an dem die Wogen des Nordatlantischen Ozeans branden, und das mit einem Ungestüm, das die mutigen Fischer von der Neufundlandbank und von Island gar zu gut kennen.

Glücklicherweise kam es hier nicht in Frage, längs der Ostküste Grönlands hinaufzufahren. Diese Küste ist fast unzugänglich. Sie bietet den Schiffen kaum einen einzigen Nothafen und wird von dem Wogenschwall der offenen See ganz entsetzlich gepeitscht. In der offenen Davisstraße fehlt es dagegen nicht an geschützten Zufluchtsstätten. Im Grunde der Fjorde und hinter vielen Inseln kann man sich leicht in Sicherheit bringen, und wenn der Wind nicht genau aus Süden kommt, ist hier immer auf eine friedliche Fahrt zu rechnen.

So glitt denn der Dampfer auch weiter hin, ohne daß die Passagiere sich besonders zu beklagen hatten.

Der Teil der grönländischen Küste vom Kap Farewel bis zur Insel Disko ist fast überall von sehr hohen Ufern aus Urgestein begrenzt, die die Seewinde abhalten. Auch in der kalten Jahreszeit wird dieser Küstenstrich weniger von den Eismassen versperrt, die die Strömungen vom Pole her aus dem Eismeere heruntertragen.

Unter solchen Umständen arbeitete jetzt die schnelle Schraube des »Mozik« in den Wassern der Gilbertbai. Der Dampfer ankerte einige Stunden vor Godthaab, wo der Schiffskoch leicht eine große Menge frische Fische einkaufen konnte. Die Bevölkerung Grönlands bezieht bekanntlich ihre Hauptnahrung aus dem Meere. Nachher glitt der »Mozik« vor den Hafenmündungen von Holsteinborg und Christianshaab vorüber. Diese Flecken, deren zweiter sich in der Diskobai vollkommen versteckt, liegen von hohen Felsenmauern so dicht umschlossen, daß man von ihrem Vorhandensein gar nichts ahnt. Sie bilden aber nützliche Zufluchtsstätten für die zahlreichen Fischer, die in der Davisstraße umhersegeln und hier Walfische, Narwale, Walrosse und Robben fangen und sich dabei zuweilen bis nach den Grenzen der Baffinsbai hinaufwagen.

Die Insel Disko, die der Dampfer in den ersten Morgenstunden des 9. August erreichte, ist die wichtigste von denen, die wie eine Kette die grönländische Küste begleiten. Die von einem basaltischen Steilufer umschlossene Insel hat als Hauptort das auf der südlichen Küste gelegene Godhavn. Die Station besteht nicht aus Stein-, sondern aus Holzhäuschen mit Wänden aus kaum rechtwinklig behauenen Stämmen, die mit einer dicken, die Luft recht gut abhaltenden Teerschicht überzogen sind. Francis Gordon und Seth Stanfort, zwei Passagiere, deren Gedanken nicht allein dem Meteor gewidmet waren, betrachteten mit lebendigem Interesse den schwarz aussehenden Ort, worin sich nur die Dächer und die Fensterbekleidungen rot abhoben. Wie gestaltete sich wohl das Leben in dem so harten Winter dieser Gegend? Die beiden Reisenden hätten gewiß mit Verwunderung die Antwort gehört, daß es hier ziemlich ebenso wie das der Familien in Stockholm oder Kopenhagen verliefe. Nicht wenige der Häuser sind, wenn auch nicht reichlich möbliert, doch mit Salon, Speisezimmer, zuweilen sogar mit einer Bibliothek ausgestattet, denn die aus Dänemark stammenden »höheren Kreise« – wenn dieser Ausdruck hier erlaubt ist – ermangeln nicht eines gewissen literarischen Interesses. Die Staatsgewalt ist durch einen Abgesandten der Regierung mit dem Sitz in Upernivik vertreten. -

Im Hafen dieser Stadt ging der »Mozik«, nachdem er die Insel Disko hinter sich gelassen hatte, am 10. August in der sechsten Abendstunde vor Anker.


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