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16. Kapitel. Einsegnung.

Das selbsterbaute Jugendheim bildete künftig den Mittelpunkt des Jenaer Wandervogels. Ihr Heinzelmännchenheim zu schmücken war das Ziel aller Mädel. Die Jungen mußten oft dagegen steuern, daß nicht unnötiger Firlefanz – Deckchen und sonstiger überflüssiger Kram – von der schönheitsliebenden Weiblichkeit dort eingeschmuggelt wurde. »Zweckentsprechend«, so hieß das Wort, das Herbert Winter geprägt hatte, und womit er gegen alle Verschönerungsversuche seiner Zwillingsschwester zu Felde zog.

Bis in den Spätherbst hinein verbrachten die Wandervögel in ihrem Heinzelmännchennest die Sonn- und Feiertage. Dort war das Standquartier, von dem aus sie ihre Wanderungen unternahmen. Hier fanden sie sich immer wieder zu Spiel, Sang und Tanz zusammen.

Kalte Winde bliesen von Norden. Da wurde der große, eiserne Ofen zum ersten Male in Betrieb gesetzt. Hei, wie er zog, wie das selbstgeschlagene Holz prasselte und knisterte. Warm und mollig war es im Nest. Nun hieß es aber, den neuangelegten Garten vor dem Winterfrost zu bewahren. Da war Suse, die bescheidene, sich stets zurückhaltende Suse Winter es wieder, deren Leitung sich all die Jungen und Mädel unterstellten. Der einzige, der davon eine Ausnahme machte, war Herbert, ihr Zwilling. Der Besserwisser in ihm gab es nicht zu, daß er etwas nicht so gut verstehen sollte wie Suse, die ganze zwei Stunden jünger war als er.

Die Rosen wurden mit Tannenzweigen eingedeckt, die Dahlienknollen ausgegraben und zur Überwinterung trocken und frostfrei in den Keller gebracht. Dagegen aber wurden jetzt sämtliche Hyazinthen, Tulpen und Krokoszwiebeln, welche die Wandervögel innerhalb ihrer Familie von abgeblühten Pflanzen erbettelt und gesammelt hatten, zu einem Frühlingsbeet gepflanzt. Zu Ostern würde man freudige Auferstehung mit dem der Erde Anvertrauten feiern. Es war erstaunlich, wie sicher und selbständig die schüchterne Suse war, sobald es sich um ihre Pflanzenlieblinge handelte. Aber bescheiden blieb Suse auch, trotzdem sie den andern ihre Anweisungen gab. Darum ordneten sie sich ihr lieber unter als ihrem Zwillingsbruder.

Die ersten Schneeflocken wirbelten übermütig hernieder, als man mit allen Wintervorbereitungen im »Heinzelmännchen« fertig war. Sogar Winterkartoffeln lagen mit Säcken zugedeckt im Keller und warteten auf die hungrigen, jugendlichen Magen.

Eine sanftgeneigte Wiese gab herrliches Skigelände für Anfänger. Lustiges, übermütiges Schneeschuhtreiben entwickelte sich alsbald in der Winterstille um das tiefverschneite Heinzelmännchenheim. Herbert kam auf die Idee, eine Sprungschanze zu errichten und wurde darin lebhaft von Helga unterstützt. Famos, wenn man auf eigenem Boden trainieren und Wettspringen veranstalten konnte. Vorläufig mußte man aber noch davon Abstand nehmen. Man hätte im Herbst daran denken sollen. Jetzt, wo Schnee lag, konnte man keine Schanze bauen. Es war auch ganz gut, daß noch Arbeit für das nächste Jahr blieb.

Zu Weihnachten brannte der schönste Tannenbaum, den man im Walde fand, im »Heinzelmännchen«. Am dritten Festtag fand dort die Weihnachtsfeier mit Bescherung für arme Kinder des nahegelegenen Dorfes statt. Diese Anregung war von Suse ausgegangen. Hilfsbereit hatte die Jugend, die ja so gern hilft, den hübschen Gedanken in die Tat umgesetzt.

Ein fleißiger Winter zog ins Land. Alle Kräfte galt es anzustrengen, um in die Prima zu kommen. Suse wurde doch jetzt manches recht schwer. Besonders mit Mathematik lebte sie auf Kriegsfuß. Ohne die Nachhilfestunden, die Paul ihr dreimal in der Woche erteilte, hätte sie das Pensum wohl nie erreicht. Es war nicht nur die ruhige Art Pauls, mit der er ihr die unverständlichen mathematischen Berechnungen klar zu machen versuchte, mehr noch half Suse sein Beispiel, das vor keiner Schwierigkeit zurückschreckte, jedes Hindernis überwand. Paul ernährte sich jetzt ganz selbständig, trotzdem er nicht wieder in die Zeiß-Werke eingetreten war. Sein Arm war in Ordnung, der hinderte nicht mehr. Aber er konnte die Zeit besser anwenden. Professor Winter hatte seinen Schützling im Planetarium zu seinem technischen Assistenten herangebildet. Dabei verdiente Paul so viel, daß er mit einigen Nachhilfestunden, die er erteilte, und dem Universitätsstipendium für besonders Begabte ganz gut auskommen konnte. Die praktische Arbeit in den Optischen Werken kam ihm sehr zustatten. Darauf baute er seine Examensarbeit zur ersten Physikerprüfung auf. Sie beschäftigte sich mit der Verbesserung des Mikroskops für medizinische Untersuchungen. In diesem Winter brannte das Licht in Pauls Stübchen oft bis tief in die Nacht.

Auch im Sternenhaus war alles fleißig bei der Arbeit. Der Vater diktierte der Mutter in die Schreibmaschine sein neues wissenschaftliches Werk über Erdbebenforschung, wozu er in Korinth Studien gemacht hatte. Die jetzt sechzehnjährigen Zwillinge hatten tüchtig für das Gymnasium zu arbeiten. Außerdem hatten sie noch Konfirmationsunterricht, denn zu Ostern sollten sie eingesegnet werden.

Herbert hätte für sein Leben gern sich in diesem Winter an einem Tanzstundenzirkel, der in den Familien herumging, beteiligt. Zwar waren die Tänzer alle schon Primaner, aber gerade darum hatte Herbert den Ehrgeiz, auch dabei zu sein. Doch die Eltern gaben zu seinem Leidwesen ihre Einwilligung nicht dazu. Das Jahr vor der Konfirmation soll ein Jahr des Ernstes und der Sammlung sein. Da gehörte es sich nicht, daß man Tanzstunde nahm. Suse sah das auch vollständig ein, aber Herbert blieb widerspenstig, wenn es ihm auch nichts nützte. Dagegen wurde viel Musik im Sternenhaus getrieben. Suse hatte sich durch guten Unterricht und Fleiß zu einer tüchtigen Klavierspielerin entwickelt. Auch Herbert gab sich jetzt mehr Mühe, seitdem er Cello spielen lernte. Am Sonntag aber spielte er noch lieber mit Paul Schach.

Als der Krokus einen blauen und gelbgesprenkelten Blütenteppich auf dem Rasen vor dem Sternenhaus webte, war das Ziel erreicht: Aus den Obersekundanern wurden Unterprimaner. Auch Suse hatte in Mathematik ein befriedigendes Prädikat. Am Palmsonntag fand die Einsegnung von Professors Zwillingen statt. In Gemeinschaft mit ihren Freunden und Freundinnen legten sie in der alten Kirche zu St. Michael ihr Glaubensbekenntnis ab.

»Möget ihr brave Menschen werden!« flüsterte die Mutter, ihre Zwillinge nach der kirchlichen Feier in die Arme schließend. Und der Vater setzte hinzu: »Möget ihr als Professorenkinder stets die Wissenschaft in Ehren halten und dabei immer sozialen Gemeinschaftssinn zeigen. Das ist die Pflicht unserer Jugend, so wird sie der Träger des Friedenswerkes, das dem Wiederaufbau unseres Vaterlandes gilt.«

Die kleine Omama aber sagte gar nichts. Die zog ihre schlanken Lieblinge, denen sie nur noch bis zur Schulter reichte, stumm an das Herz.

Suse war sehr gerührt, ernst und weihevoll gestimmt. Was hatte sie für gute Vorsätze gefaßt heute an der Schwelle ins Leben. Hilfreich und gut wollte sie sein, alle Menschen mit Liebe umfassen. Herbert dagegen schüttelte die ernsten Gedanken nach Jungenart schnell wieder ab. Dem war die Uhr, die er von der kleinen Omama zu dem Fest erhielt – der selige Großpapa hatte sie dereinst getragen, und heute sollte sein Enkel sie übernehmen – ungleich wichtiger. Ja, dem Wunsch der Großmama bei Überreichung der Uhr: »Möge sie an einem ebenso braven Herzen schlagen wie bei dem Großpapa«, setzte Herbert ein sachliches: »Sie schlägt ja gar nicht, sondern tickt nur, Omama, und außerdem trage ich sie ja am Arm und nicht am Herzen«, entgegen.

Die Großmama lächelte verständnisvoll. Sie war nun mal anders, die Jugend von heute, man mußte sich damit abfinden. Das Herz auf dem rechten Fleck hatte sie ja trotzdem, wenn sie auch weniger gefühlvoll war als die frühere. Suse war noch vom alten Schlage. Die herzte und küßte ihre kleine Omama und war glückselig mit dem goldenen Medaillon an seinem Kettchen, das die Omama ihr um den Hals hängte. Die Großmama selbst hatte als junges Mädchen diesen Anhänger getragen. Aber was das Schönste daran war, man konnte das Medaillon öffnen. Drinnen war ein Bildchen von der Omama.

Aus Freiburg die Großeltern und Onkel Ernst wohnten ebenfalls der Einsegnungsfeier der Kinder ihrer Fränzel bei. Oh, sie waren ihnen beinahe über den Kopf gewachsen, die »Kinder«, trotzdem der Großpapa und Onkel Ernst durchaus nicht klein waren. Der Onkel vor allem, der mehrere Jahre bei Ausgrabungsforschungen in Griechenland zugebracht hatte, konnte sich nur schwer damit abfinden, daß aus Professors niedlichen, kleinen Zwillingen ein sportgeübter, sehnig schlanker Bursche und eine angehende liebreizende, junge Dame geworden war. Wie lange war es denn her, daß er sie auf seinen Knien geschaukelt hatte?

Eine schöne, harmonische Familienfeier vereinigte den kleinen Kreis, bei dem natürlich auch Paul Liedtke nicht fehlen durfte. Der Großvater aus Freiburg, selbst Professor der Naturwissenschaften, strahlte über die Vornahme seines Enkels, in seine Fußtapfen zu treten und nach dem Abiturium Zoologie studieren zu wollen. »Und unsere Mädi studiert Botanik, gelt?« wandte sich der alte Herr an die junge Enkelin.

Suse schlug die haselnußbraunen Augen voll zu dem Großvater auf und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß ich studieren werde, Großvati. Von dem Abiturientenexamen werde ich wohl schon genug haben.« Eine Gänsehaut überlief Suse bereits jetzt, wenn sie daran dachte.

»Und deine Vorliebe für Blumen, Mädi, willst du die nicht beruflich verwerten?« erkundigte sich die Großmutter aus Freiburg. Sie nannte Suse, trotzdem sie heute konfirmiert worden war, noch immer mit dem Kosenamen der Kleinkinderzeit.

Ehe Suse noch antworten konnte, meinte die alte Frau Winter: »Gott sei Dank, unser Suschen ist noch keins von den modernen Mädchen, die durchaus einen Beruf außerhalb des Hauses haben müssen. Die bleibt bei uns im Sternenhaus und pflegt ihre Blumen im Garten zu ihrer und zu unserer Freude.«

»Nein, Omama«, sagte da Suse voller Bestimmtheit, »das würde mich nicht ausfüllen und befriedigen. Einen Beruf muß ich haben, wie alle andern Jungen und Mädel. Aber als ich damals im Goethehaus in Weimar die Herbarien mit all den getrockneten Pflanzen gesehen habe, da bin ich mir klar geworden, daß ich nicht für das botanische Studium tauge. Ich liebe lebende Pflanzen, pflege sie und behüte sie und bin glücklich, wenn sie gedeihen. Getrocknete Pflanzen sind tot, die interessieren mich nicht, die dauern mich nur.«

»Unsere Suse wird später mal Gärtnerin, dazu eignet sie sich«, bekräftigte auch die Mutter die Auseinandersetzung ihrer Tochter.

»Warum nicht lieber gleich Mistbauer«, lachte Onkel Ernst. »Das Mistbeet und der Komposthaufen spielen eine wichtige Rolle bei der Gärtnerei.« Er wandte sich jetzt Paul zu. »Und Sie, Herr Liedtke? Welches sind Ihre Zukunftspläne?«

Paul wurde rot. Erstens weil man ihn »Herr Liedtke« anredete und zweitens, weil er nicht zu unbescheiden scheinen wollte mit dem Zukunftsziel, das er sich gesteckt hatte. Während er noch überlegte, erwiderte Suse:

»Paul wird Professor.« Sie sagte das so selbstverständlich, als gäbe es gar keine andern Berufsmöglichkeiten für ihn.

Erst sahen sich alle verdutzt an. Und dann lachte man los. Jedoch es lag nichts Verletzendes in dem Lachen, sondern nur eine sich bahnbrechende, harmlose Heiterkeit. Sie kannten alle Pauls Werdegang. Und wenn auch Professor Winter viel von seinem Schützling hielt: von dem armen Studenten im dritten Semester, der mühselig sein Studium durchsetzte, bis zu einer Professur war es doch noch ein recht weiter Weg. Paul selbst lachte herzlich mit. »Wenn es nach Suse geht, werde ich gleich Universitätsrektor«, scherzte er.

Dem Festtage wurde noch eine besondere Auszeichnung zuteil. Der Zeppelin kreuzte Jena. Alles war auf den Beinen und in den Straßen. Wie ein silberner Riesenfisch schwamm das Luftschiff unter den Hurrarufen der begeisterten Menge durch den Äther. Vom Balkon des Sternenhauses aus beobachtete man den Zeppelin durch das große Fernrohr. Herrlich, wie majestätisch er seine Bahn durch das Luftmeer zog.

»Ich wünschte, ich könnte mal mit dem Zeppelin den Ozean überfliegen«, sagte Herbert aus tiefstem Herzensgrunde.

»Muß es gerade der Zeppelin sein, Herbert? Vielleicht tut es ein Flugzeug auch«, meinte Onkel Ernst mit eigentümlichem Lächeln. »Ich fliege in dieser Woche von Erfurt nach Berlin zum Archäologenkongreß. Mein Geschenk für euch zu eurem heutigen Ehrentage steht noch aus. Ich wollte erst mal das Feld sondieren, womit man euch eine Freude machen könnte. Eigentlich hatte ich an einen guten Kodak gedacht.«

»Knorke!« rief Herbert, denn einen anständigen photographischen Apparat hatte er sich schon lange gewünscht.

»Ja, aber nun wollte ich euch vorschlagen, ob ihr statt dessen lieber mit mir nach Berlin fliegen wollt, wenn wir auch dabei nicht den Ozean überqueren«, vollendete Onkel Ernst.

»Noch tausendmal knorker!« schrie Herbert und vergaß ganz seine Würde als Konfirmand. Er faßte Suse um die Hüfte und begann in den ersten langen Hosen, auf die er ungemein stolz war, vor Freude mit ihr durch das Zimmer zu galoppieren.

»Um's Himmels willen«, rief die kleine Omama erschreckt, zu Onkel Ernst gewandt, »das ist doch nicht etwa Ernst?«

»Natürlich ist das Ernst, sogar Onkel Ernst«, lachte Herbert. »Famos – wir haben ja Osterferien, da können wir fein mitfliegen. Und ich wollte sowieso gern nach Berlin. Im Berliner Zoo gibt's jetzt allenthalben Kinderstuben. Ein junger Pavian ist geboren und ein Elefantenküken ist auch dort zu sehen.« Herbert war ganz aus dem Häuschen vor freudiger Aufregung.

»Na, und du, Suse? Du schweigst ja in allen Sprachen. Hast du keine Lust, mitzufliegen?« erkundigte sich der Onkel.

Suse schüttelte verneinend den Kopf mit dem goldbraunen Gelock. Sollte sie es eingestehen, daß sie viel zu große Angst hatte, den festen Erdboden zu verlassen und sich den Lüften anzuvertrauen? Schon im bloßen Gedanken daran wurde ihr schwindelig. Sie mußte sich am Tisch festhalten.

»Kamel!« Herbert gab ihr einen kleinen Rippenstoß zur Aufmunterung.

Suse zuckte zusammen. Diese Bezeichnung, die Herbert allerdings öfters anwandte, paßte doch recht wenig zu einer Konfirmandin.

»Solch eine günstige Gelegenheit kommt nicht so bald wieder, Suse!«

»Soll auch gar nicht – ich will nicht fliegen. Ich würde bestimmt die ganze Zeit seekrank sein«, lehnte die Schwester entschieden ab.

»Du meinst luftkrank«, verbesserte ihr Zwilling.

»Unser Suschen denkt: ›Wasser und Luft hat keine Balken‹«, lachte der Vater.

»Gottlob, daß wenigstens eins von unsern Kindern vernünftig ist und sich nicht unnötig in Gefahr begibt«, seufzte die Omama ein wenig erleichtert. Auch Frau Professor Winter fand die Fliegerei im Grunde ihres Herzens unnötig, man hatte ja Eisenbahnverbindung.

Herbert hatte inzwischen nachgedacht. »Onkel Ernst, dann kannst du der Suse ja den Kodak schenken, wenn sie nicht mitfliegen will.« Das war das Ergebnis seiner Überlegung.

Der Onkel lachte. »Sieh mal an, du Schlauberger. Ich glaube nur, daß du dann mehr an Suses Geschenk beteiligt bist als sie selbst.«

»Wir sind ja Zwillinge – da spielt das gar keine Rolle.«

»Das ist doch auch viel zu teuer, Onkel Ernst«, lehnte Suse bescheiden ab.

»Würdest du dich denn darüber freuen, Suschen, oder hast du einen andern Wunsch?«

Jetzt überlegte Suse. Sie errötete bis an den hellbraunen Haaransatz. Dann gab sie sich einen Ruck. »Geld würdest du mir wohl nicht statt dessen schenken, Onkel Ernst?« fragte sie zaghaft.

»Aber Suse«, rief die Mutter, »wozu brauchst du denn Geld? Du bekommst doch alles von deinen Eltern. Und für die kleinen Ausgaben reicht dein Taschengeld vollkommen aus.«

»Ich weiß es«, ihr Zwilling machte ein pfiffiges Gesicht. »Suse will sicherlich eine Wandervogelfahne für unser Heinzelmännchenheim stiften.«

»Ja, Kuchen!« Suse schüttelte den Kopf.

»Nun, dann handelt es sich gewiß um Anschaffung eines neuen Kleides oder eines modernen Mantels«, versuchte Onkel Ernst zu raten. »Ich glaube, ich habe ins Schwarze getroffen«, fügte er lachend hinzu, denn Suses zartes Gesicht war plötzlich wie in Blut getaucht.

»Du wirst ja ganz rot«, zog Herbert die Schwester auf.

»Gar nicht rot werde ich – kein bißchen rot!« Suse fühlte, wie sie immer heißer errötete. O Gott, nun sprach sie an ihrem Einsegnungstag die Unwahrheit. Aber sie mochte es doch nicht zugestehen, daß es sich zwar nicht um einen Mantel für sie selbst, sondern um eine Windjacke für Paul handelte. Dazu hatte es noch nie bei Paul langen wollen. Es waren immer noch notwendigere Ausgaben gewesen. Mehrere Male war er bei Wanderungen bis auf die Haut durchnäßt worden. Suse hätte dem Freund so gern eine Windjacke aus einem Geschäft senden lassen, ohne daß er eine Ahnung hatte, von wem sie käme.

Zum Glück erlöste ein lautes Surren in den Lüften Suse aus ihrer Verlegenheit. Der Zeppelin kehrte zurück. Er umflog den Fuchsturm und die frühlingsgrünen Höhen um Jena und nahm dann seinen Flug zurück nach Friedrichshafen. Man schwenkte Taschentücher, man schrie Hurra – Suse und ihr Wunsch waren vergessen.

Onkel Ernst aber vergaß ihn nicht. Am nächsten Sonnabend, als Herbert mit dem Onkel nach Erfurt, dem nächsten Flughafen, fuhr, um trotz der Bedenken der kleinen Omama dort ein Flugzeug zu besteigen, brachte der Geldbriefträger eine Sendung für Suse Winter. Es war mehr, als wie sie für Pauls Windjacke brauchte. Und während Herbert hoch in die Lüfte entschwebte, schwebte auch sein Zwilling vor Freude im siebenten Himmel.


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