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5. Kapitel. Böse Absichten, Leberhaken und zerfetzte Hosen.

Nirgends wird man das Erwachen des Frühlings so deutlich gewahr wie im Saaletal. Er hatte sich Zeit gelassen diesmal, der Lenz. Jetzt aber kam er mit Macht, täglich neue Wunder hervorzaubernd. Perlengeschmeide trugen die Pappeln, Baum und Busch schlugen die bräunlichen Knospenaugen auf. Mit winzigen grünen Fingern griffen die lappigen Kastanienblättchen in die große Welt. Mandelbäumchen stand eines Tages in rosenrotem Blütenkleid, als wolle es zum Balle gehen. Suses Schulweg dauerte jetzt noch einmal solange. Sie schaute, staunte und begeisterte sich immer wieder aufs neue an dem Sprießen und Werden ringsum.

Ihr Zwilling aber schaute nur nach Vogelnestern aus. Die waren ihm ungleich interessanter als das Erwachen der Natur, was sich ja in jedem Jahr wiederholte. Im Schwalbennest am Gebälk des Sternenhauses sperrten schon fünf junge Schwälbchen die hungrigen Schnäbel auf. Stundenlang konnten die Zwillinge von ihrem Balkon aus zuschauen, wie die Alten ab und zu flogen, um die Jungen zu füttern. In Herbert erwachte der Wunsch, selbst solchen jungen Vogel zu besitzen. Aber ein Singvogel mußte es sein, am liebsten ein Finklein. Herbert kannte jedes Nest, jede Vogelstimme.

»Paß auf, Suse, wenn ich erst einen Vogel gefangen habe, wie fein ich ihn abrichte. Der soll ganz anders schlagen als dein Kanarienmätzchen.«

»Du hast schon lange 'nen Vogel!« war Suses schlagfertige Antwort, denn etwas färbten Herberts Flegeljahre auch auf sie ab.

Herbert nahm so was nicht weiter krumm. »Ein Bauer zimmere ich mir allein und – – –«

»Erst die Nase, dann die Brille«, meinte Suse lachend. »Denkst du, die jungen Vögel werden dir den Gefallen tun, aus dem Nest zu fallen, wenn du drauf wartest?«

»Schlimmstenfalls hilft man ein bißchen nach!« meinte Herbert verschmitzt.

»Nein, Herbert, das darfst du nicht tun! Nester ausheben ist gemein und Tierquälerei dazu. Dann sage ich es dem Vater, wenn du so was machst!« erregte sich Suse.

»Olle Petze! Dir werde ich es gerade auf die Nase binden. Im Frühling fallen sehr viele Vögel, die noch nicht flügge sind, aus dem Nest. Hast eben keine Ahnung von Ornithologie – das bedeutet auf deutsch Vogelkunde.«

»Wenn du wirklich ein Tierfreund bist, Herbert, dann darfst du kein Junges den Eltern fortnehmen. Die lieben ihr Kind genau so wie die Menschen«, stellte Suse ihrem Zwilling vor.

»Hör bloß mit deiner Backfisch-Gefühlsduselei auf, Suse. Elternliebe bei Vögeln – der Kuckuck legt sogar seine Brut in fremde Nester.«

»Na ja, aber der ist auch der einzige – – –«

Die Unterhaltung konnte nicht weiter fortgesetzt werden. Vom Kirchturm hallten drei Schläge – dreiviertel acht. Man mußte eilen, um noch pünktlich ins Gymnasium zu kommen. Nach verschiedenen Richtungen sah man Professors Zwillinge davonjagen.

Im Carola Alexandrinum, das Herbert besuchte, irrten heut' öfters die Gedanken der Untersekundaner hinaus zu Frühlingssonnenschein und Vogelsang. Wer sollte auch an einem so herrlichen Lenztage Interesse für die alten Römer haben. Wie konnte man aufmerksam den Ovid übersetzen, wenn man an Fußballschlachten und Ruderregatten denken mußte.

Der Ordinarius Dr. Dense, der mit seiner Klasse von der Quarta bis zur Untersekunda ausgerückt war, hatte zum Glück volles Verständnis für seine Jungen. Diese hingen aber auch an ihm wie an einem älteren Kameraden. Sie gingen für den Lehrer durchs Feuer. Wehe dem, der sich gegen Dr. Dense flegelhaft benahm. Die Klasse selbst bestrafte ihn durch Ausschließung von den gemeinsamen Spiel- und Sportveranstaltungen. Und das ging dem Missetäter tiefer als ein Tadel des Lehrers. Musterknaben waren sie alle nicht, Dr. Denses Jungs. Sie befanden sich sämtlich wie Herbert Winter in den Flegeljahren und waren für jeden dummen Streich zu haben. Aber sie waren frische, lustige Jungen, an denen man seine Freude haben konnte. Die sprach auch deutlich aus den Augen des Lehrers, wenn auch mal der Ovid nicht fehlerfrei übersetzt wurde.

»Weiter, Weber«, rief der Lehrer, da er sah, daß Weber unter dem Tisch anderweitig beschäftigt war. Webers blasses Gesicht färbte sich rot bis zu den semmelblonden Haaren. Er versuchte etwas unter dem Tisch zu verbergen und griff nach dem lateinischen Buch. Man sah ihm an, daß er keine Ahnung hatte, wo man stehengeblieben war.

»Sauerteig, zeigen Sie dem Weber, wo es weitergeht«, wandte sich der Lehrer an dessen Nachbar. Auch Sauerteig bekam einen roten Kopf, auch er stand da, ohne zu wissen, wo man anfangen mußte.

»Setzen! Ich will nicht ergründen, was ihr beide da für Dummheiten getrieben habt. Es ist Sache der Klasse, das herauszubekommen. Vertrauensschüler Schmidt kann das untersuchen und für Abhilfe sorgen. So, nun übersetzen Sie mal weiter, Winter.«

Herbert schnellte empor. Er war es noch gar nicht gewöhnt, daß Dr. Dense jetzt in der Sekunda »Sie« zu ihnen sagte. Eigentlich war es netter gewesen, als er sie alle geduzt hatte.

»Wo waren wir denn stehengeblieben?« erkundigte sich Herbert.

»Das gerade will ich von Ihnen wissen. Haben Sie etwa geschlafen, Winter?«

»Geschlafen nicht – aber – – –«

»Aber nicht aufgepaßt. Menschenskind, ihr könnt ja nachher in der Pause noch so viel an eure Sportgeschichten denken, wie ihr wollt – eure Ruderregatta ist bestimmt viel interessanter als die Ovidübersetzung. Aber da wir nun mal in der Schule sind, um zusammen zu lernen, müssen wir die dafür festgesetzte Zeit schon darauf opfern. Seite 27 letzter Absatz, Winter.«

Doch Herbert begann noch immer nicht. »Ich habe überhaupt nicht an die Ruderregatta gedacht«, verteidigte er sich.

»Na, dann an die nächste Wanderung oder an Tennis und dergleichen, stimmt's, Winter?«

»I wo!« piepste Herbert.

»Also meinetwegen an Bratwurst mit Thüringer Klößen. Aber nun los, Winter – dalli – dalli –!« drängte Dr. Dense.

Herbert begann zu lesen und zu übersetzen. Es klappte tadellos. Da Herbert früher bei seinem Aufenthalt in Italien gut italienisch sprechen gelernt hatte, wurde ihm auch das Lateinische sehr leicht. Er bekam eine gute Nummer in Dr. Denses kleinem Notizbüchlein. Nachdem er mit dem Übersetzen fertig war, lösten sich seine Gedanken wieder von den alten Römern. Sie flogen hinaus in das Sonnegeflirr vor dem Fenster, folgten den flatternden Sperlingen, die vom Dachfirst durcheinanderzwitschernd zu der Schullinde auf dem Hofe flogen.

Er mußte sich einen Vogel fangen. Unbedingt. Aber keinen Spatz; Sperlinge waren gemein, dreist und frech. Einen Fink oder ein Rotkehlchen. Oh, er würde schon ein Nest ausfindig machen. Er hatte ja scharfe Augen für alles Getier. Suses Worte fielen ihm wieder ein. Blödsinn – solch Mädel hatte eben keine Ahnung von zoologischen Studien. Das betrachtete nichts vom Verstandes- sondern alles vom Gefühlsstandpunkte aus.

»Sag mal, Krause, wie würdest du es anfangen, wenn du gern einen Vogel besitzen möchtest?« erkundigte sich Herbert auf dem Heimweg von der Schule bei seinem Freunde Hans Krause. Denn wenn ihn etwas beschäftigte, kam Herbert nicht davon los.

»Ich würde ihm Salz auf den Schwanz streuen«, lachte der.

»Quatsch nicht, Krause. Kannst du denn nicht mal eine Sache ernst behandeln, Mensch?«

Hans Krause, ein hübscher, blonder Junge, dachte nach. »Dann würde ich mir einen zum Geburtstag oder zu Weihnachten wünschen.«

»Schafskopp, dazu brauch ich dich nicht.«

»Na, denn kauf dir doch selber einen«, schlug Hans unwirsch vor. »Kommst du heute nachmittag zum Fußballspiel nach der Oberaue, Winter?«

»Weiß noch nicht. Ich möchte mir lieber einen Vogel fangen.«

»Mensch, hör auf mit deinem Piepmatz – bei dir piept es ja!« Hans Krause tippte dem Kameraden etwas nachdrücklich gegen die Stirn.

Das nahm Herbert Winter für eine Aufforderung zum Boxen. Die Bücher auf die nächste, beste Steintreppe abgeworfen und los gegeneinander. Wenn man sechs Stunden Unterricht gehabt hat, wollen junge Glieder sich wieder austoben.

»Feste, Krause, feste auf die Weste!«

»Gib's ihm ordentlich, Winter – doller – der Winter macht's – nein, Krause ist ihm über – nicht gegen den Bauch – au, der hat gesessen!« Im Umsehen hatte eine Zuschauerschar mit bunten Gymnasiastenmützen einen Ring um die beiden Boxer gebildet.

Die kämpften gegeneinander nach allen Regeln der Kunst, nicht, als ob sie die besten Freunde wären.

»Bravo, Winter – knorke war der Leberhaken!« schrien die Zuschauer.

»Nicht doch, Winter – au, das war gemein!« riefen dagegen die Jungen, die für Krause Partei genommen hatten. »Leberhaken ist nicht erlaubt, das ist roh – tut's sehr weh, Krause?« Sie wandten sich dem zur Seite geschleuderten Besiegten zu. Der hielt sich mit verzogenem Gesicht die Seite; Tränen waren ihm von dem heftigen Schmerz aus den Augen gestürzt. Schnell wandte er sich ab, denn ein Untersekundaner darf nicht mehr weinen, wenn es auch noch so weh getan hat.

Der Boxkampf war zu Ende. Puterrot griffen die beiden Kampfhähne nach ihren abgefallenen, bunten Mützen, nach den Büchern.

Herbert reichte seinem Gegner die Hand, als ob nichts weiter geschehen sei. »Wiedersehen, Krause« – »Wiedersehen, Winter.« Solch ein Boxkampf störte die Freundschaft durchaus nicht.

Am Nachmittag zog Herbert mit seinem großen Lederball zum Spielplatz auf die Oberaue hinaus, während Suse daheim im Garten arbeitete. Bubi wäre ganz gerne daheim bei Suse geblieben, er war schon etwas bequem geworden. Aber ein Pfiff seines jungen Herrn brachte ihn auf den Trab. War das ein Tirilieren, Pfeifen und Zwitschern. Lenzfreudig jubilierte die Vogelwelt im jungen Grün. Herberts Wunsch nach einem Vöglein wurde dadurch um so stärker.

Halt – das war ein Fink –, Herbert spitzte die Ohren; ganz bestimmt, dieses Schlagen kannte er. Aber soviel auch Herbert in das lichtgrüne Buchengezweig über seinem Haupte emporäugte, er konnte das Nest nicht entdecken. Er legte sich ins Gras unter einer alten, herrlichen Buche auf Beobachtungsposten. Bubi streckte sich nur allzu gern daneben. Mochten die andern ohne ihn Fußball spielen. Herbert erschien es ungleich wichtiger, sich seinen Vogel zu fangen.

Geraume Zeit hatte er schon so gelegen, ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Langweile kannte Herbert nicht draußen in der Natur. Das kribbelte und krabbelte rings um ihn herum im Grase, das schwirrte und surrte ihm um die Nase, Hunderte von kleinen Insekten, die er mit lebhaftem Interesse beobachtete. Das pfiff und musizierte droben in den grünen Wipfeln, ein ganzes Vogelorchester. Horch – das war ein Pirol, dieses langgezogene Flöten. Jetzt schlug eine Amsel. Da saß sie ja, groß und schwarz, im ersten Stockwerk eines Buchenhauses und äugte dreist auf den Jungen und seinen vierbeinigen Begleiter herunter. Wo aber war der Fink? Soviel Herbert auch spähte, er konnte weder den Vogel noch sein Nest entdecken.

Abenteuerliche Ideen kamen dem Jungen. Sollte er, wie Heinrich der Vogler, den er aus dem Geschichtsunterricht sowohl als auch aus der Gesangsstunde kannte, einen Vogelherd errichten und sich mit Schlagnetz oder Leimrute einen Finken fangen? Aber zuvor mußte er doch zum mindesten einen sehen, ehe er ihn fangen konnte.

Eine dumme Geschichte – wäre es nicht gescheiter, er gäbe die ganze Sache auf und ginge zum Fußballspiel? Nur eine Sekunde kam Herbert dieser Gedanke, dann wies er ihn weit von sich. Was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, verfolgte er auch hartnäckig.

Ein kleines Insekt umschwirrte seinen Kopf, Herberts Augen folgten ihm. Und da sah er, wie es aus der Nachbarbuche flatterte – verschwunden war das Insekt. Ein Vogel mit buntem Gefieder schwang sich in die Buche hinauf.

»Hurra – ein Fink!« schrie Herbert und schlug sich gleich darauf erschreckt auf den Mund. Er konnte ja den Fink damit verscheuchen. Oder er lockte Spaziergänger an, beides gleich schlimm. Auch Bubi hielt sich für verpflichtet, sich an dem Freudenausbruch seines Herrn mit lebhaftem Gebell zu beteiligen. Jetzt kam der Fink bestimmt nicht wieder. Hätte er doch bloß den Hund zu Hause gelassen.

»Ruhig, Bubi, kusch dich! Ganz ruhig!« befahl Herbert flüsternd und legte den Finger auf den Mund. Der kluge Hund verstand seinen Herrn. Beide saßen sie da mit gespitzten Ohren. Aufgeregt, aber mäuschenstill verharrten Junge und Hund, den Blick unverwandt auf die Nebenbuche gerichtet. Da – Finkenschlag aufs neue – ganz deutlich – gleich darauf flog der Fink davon in die blaue Luft. Bubi klaffte kriegerisch hinter ihm drein.

»Still, Hundetöle!« Aber um die Disziplin war es geschehen. Der Hund umkreiste wie besessen die Nebenbuche und bellte dazu feindselig. Es war ein herrlicher, alter Baum, breit ausladend und weit verzweigt. Ob der Buchfink da oben irgendwo sein Nest hatte, oder ob er nur auf dem Baume Rast gemacht?

Eins, zwei, drei, Joppe abgeworfen, ein paar Klimmzüge – schwupp –, da saß Herbert bereits im untersten Geäst. Er war ein guter Turner und hatte das Klettern in die Bäume noch nicht verlernt, wenn er auch schon in der Untersekunda saß. Bubi gebärdete sich wie toll. Ganz jung fühlte auch er sich wieder, als er seinen Herrn in dem Baum herumklettern sah. Von Ast zu Ast, das war eine lustige Reise im goldigen Dämmergrün. Es flirrte und schwirrte um den Jungen herum. Wieviel Tausende von Lebewesen bevölkerten die alte Buche. Immer weiter, immer schwieriger wurde die Klettertour. Aufgescheuchte Vögel flatterten angstvoll davon, als der große Jungenkopf in ihrem grünen Blätterreich auftauchte. Was hatte denn der hier im luftigen Revier zu suchen?

Ganz oben, fast schon im Wipfel, gewahrten Herberts scharfe Augen schließlich das gesuchte Nest.

Auch er war bereits gesichtet, auch auf ihn äugte es mit runden Vogelaugen ängstlich hernieder. Ein grader Schnabel, schmale, spitze Flügel, die sich über das Nest breiteten – das war Frau Finkin! Sicherlich saß sie brütend auf ihren Eiern und wollte dieselben nicht im Stich lassen. Sonst wäre auch sie davongeflogen.

Sollte er das Finkenweibchen fangen, während der Gatte auf Nahrung ausging? Blitzschnell überlegte der Junge. Nee, Weibchen singen nicht, nur die Männchen singen so schön. Er wartete lieber, bis die Jungen ausgekrochen waren. Dann mußte es ja ein leichtes sein, das Nest auszuheben.

»Also rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo, rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!« deklamierte Herbert aus dem Cid von Herder und begann den Abstieg.

Die Buchenzweige knackten bedenklich, auch Herberts Hosennaht begann zu knacken. Aber das half jetzt nichts. Hinunter mußte er. Aus dem Buchenwipfel tönte ihm ein erleichtertes »Piep« nach. So – nun noch an dem glatten, grauen Buchenstamm herabgerutscht, und da stand der Herbert wieder unten – mit zerfetzter Hose. Bubi umsprang ihn mit ungestümem Freudengebell, als ob er von einer Weltreise glücklich heimgekehrt sei.

»Bist du denn total hops, Mensch – hör auf zu blaffen.« Der Ehrenbezeichnung zum Trotz bellte Bubi nur um so lauter, als wollte er dadurch seinen Hundecharakter dokumentieren.

Herbert schielte über die Schulter hinweg auf die geborstene Hose. O weh, an der Sitzgelegenheit war die Hosennaht aufgeplatzt. Wie kam er jetzt bloß nach Hause? Zum Fußballspielen war es sowieso zu spät geworden, und in diesem Zustande konnte er sich auch nicht sehen lassen.

Wäre nur die Suse dagewesen. Die hatte in ihrem Täschchen immer Nähzeug für derartige Fälle. Aber der Vater pflegte ja von ihm zu sagen, er sei findig wie ein Polizeihund, also den Gripps angestrengt.

Herberts Blick fiel auf seinen Fußball im Grase. Da war der Ausweg schon gefunden. Ein Bindfaden, den jeder richtige Junge in der Hosentasche trägt, befestigte schnell den großen Lederball auf Herberts zerfetzter Kehrseite. Ein bißchen merkwürdig mochte es wohl aussehen. Nun, da mußte er sich um die Stadt herum nach Hause pirschen.

Aber erst noch die Buche mit dem Finkennest genau gemerkt. Daß er sie wiederfand, wenn die Jungen ausgekrochen waren. Eine schwierige Aufgabe. Ein Baum sah wie der andere aus. Herbert zückte sein Taschenmesser und ritzte ein großes H in die silbergraue Rinde. So – nun würde er das Finkennest wiederfinden.

Der Seitenweg, an dem Herbert gerastet, schlängelte dem Hauptweg der Saaleanlagen zu. Bubi, der gemächlich hinter seinem Herrn hertrottete, hob plötzlich witternd die schwarze Nase. Dann stieß er ein kurzes Gebell aus und schoß wie ein Pfeil davon.

Was hatte der Köter? Kam da etwa ein Bekannter?

Herbert hielt sich zurück. Es lag ihm nichts daran, in seiner zerfetzten Hose jemanden zu treffen. Aber da rief schon eine bekannte Mädchenstimme: »Herbert – Herbert – wo steckst du?« Und »Herbert – Herbert!« erschallte es dreistimmig – Suse und ihre Freundinnen. Himmel, die Begegnung mit Suses Freundinnen war dem jungen Kavalier in seinem so wenig gesellschaftsfähigen Aufzug äußerst peinlich. Aber es half nichts, Bubi hatte ihn bereits verbellt.

Zu dreien untergeärmelt kam ihm Suse mit den beiden Martinsgänsen entgegen. Das war Herberts Spitzname für die Martinschen Schwestern.

»Na, wo kommt ihr denn her?« fragte Herbert, nicht gerade begeistert über die Begegnung. Guten Tag zu sagen und die Mütze zu ziehen, hielt er Suses Freundinnen gegenüber nicht für nötig.

Sein Zwilling ärgerte sich über seine wenig ritterliche Begrüßung. »Hast du Vögel unter der Mütze?« fragte sie.

Diese harmlose Frage für einen unhöflichen Menschen, der nicht den Hut zieht, ließ Herbert bis an die Haarwurzeln erröten.

»Gequackel!« sagte er noch weniger höflich. »Was habt ihr denn hier zu suchen?«

»Na, erlaube mal«, begehrte da Helga Martin auf, »hier sind öffentliche Anlagen, und jeder Jenaer Bürger hat das Recht, sich darin zu ergehen.«

»Ich denke, du bist zum Fußballspiel«, begann Suse wieder.

Herbert zuckte die Achseln. Das sah sie ja, daß er nicht dort war. Wenn er bloß erst glücklich vorüber wäre!

»Warum hast du denn deinen Fußball hinten aufgeschnallt?« Da war sie, die gefürchtete Frage.

»Weil ich ihn nicht tragen will. – Laßt euch nur durch mich nicht stören, ihr könnt ruhig weiter eures Weges gehen«, drängte er.

Aber Suse kam die Sache nicht geheuer vor. Da stimmte was nicht. Sie kannte doch ihren Zwilling.

Ein Gedanke durchblitzte sie. »Herbert, du hast doch nicht – – –.« Sie riß ihm die bunte Gymnasiastenmütze vom Kopf, um zu sehen, ob er etwa wirklich einen Vogel darunter habe.

»Dummes Ding, was fällt dir ein?« Empört ging Herbert zum Boxerangriff über. Dabei löste sich der Bindfaden, der den Lederball auf seiner Hinterseite festhielt, und »Herbert, du hast dir ja deine Hose zerrissen«, riefen Helga und Inge Martin lachend.

Das war zuviel. Helga und Inge, die er trotz seiner Flapsigkeit heimlich verehrte, lachten ihn wegen seiner zerfetzten Hose aus! Selbst das Boxen vergaß Herbert über diese Schmach. »Alberne Gänse!« knurrte er, packte den schuldigen Ball und verzog sich wie ein Krebs rückwärts in die Büsche.

»Bleib doch da, Herbert«, rief Suse gutmütig, »ich habe Nadel und Garn bei mir, ich nähe es dir – – –«

Aber ihre Worte verhallten. Denn Herbert gab, sobald er den kritischen Backfischaugen entronnen war, Fersengeld. Kaum konnte Bubi ihn einholen. Hinter ihm her erschallte das Lachen der drei Mädel.


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