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Der Kapitel achtes.

Unser Held ist nunmehr ein politischer Gefangener und durchlebt verschiedene Stadien des Erstaunens über die Methoden eines französischen Untersuchungsrichters.

 

Am nächsten Morgen wurde Brown dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Er wäre diesem Beamten sehr gerne möglichst gefaßt und würdevoll gegenübergetreten, aber er verspürte leider keine Spur von Würde. Er war sehr elend nach der schlaflosen Nacht, die er verbracht hatte, und konnte sich nicht einmal überwinden, sein Frühstück zu verzehren. Keinen Bissen mochte er anrühren. Dann schien es mit einigen Schwierigkeiten verbunden zu sein, einen Barbier herbeiholen zu lassen, und als er endlich kam, wurde Brown gerade aufgerufen, sodaß es ihm nicht möglich war, die gelben Bartstoppeln entfernen zu lassen, die geschäftig gewesen waren, während er sich schlaflos auf hartem Pfühl gewälzt hatte. Das Bewußtsein äußerlicher Tadellosigkeit trägt entschieden zur Erhaltung des Selbstrespekts bei. Aber selbst dieses bescheidene Hilfsmittel blieb Brown versagt. Es war ihm sehr unangenehm, vor dem Untersuchungsrichter mit Bartstoppeln erscheinen zu müssen.

Zwei riesige Gendarmen stellten sich neben ihm auf, eine durchaus genügende Bewachung für den kleinen Mann. Hinter einem mit Akten bedeckten Tisch saß der Untersuchungsrichter, ein sehr eleganter Herr, dessen blondes Schnurrbärtchen sorgfältig gepflegt schien und dessen Straßenanzug aus dem Atelier eines Schneiders ersten Ranges stammen mußte. Aber obgleich er von sehr kleiner Statur war und etwas vom Dandy an sich hatte, so lag doch in seinen Zügen harte Energie und starke Willenskraft. Er sah Brown scharf ins Auge, als er eintrat, und flüsterte dem an der Seite des Tisches sitzenden Gerichtsschreiber etwas zu. Dieser lächelte – ein unangenehmes Lächeln. Aus dem Tische lag, halb unter Akten versteckt, das Paket, das die Polizei im Hause des Marquis beschlagnahmt hatte.

»Man gebe dem Gefangenen einen Stuhl«, befahl der Richter, auf Französisch natürlich; um dann, zu Browns größtem Erstaunen und noch größerer Erleichterung in ausgezeichnetem Englisch fortzufahren:

»Be seated, I beg you, Monsieur!«

Brown dankte und setzte sich – mit einem Seufzer tiefer Befriedigung. Endlich ein Mensch, der ihm mit ausgesuchter Höflichkeit begegnete, der ihm zugestand, daß er kein gewöhnlicher Verbrecher war, der ihn so behandelte, wie es einem Mann gebührt, der sich eines politischen, aber keines gemeinen Verbrechens schuldig gemacht hatte! Und dann sprach dieser liebenswürdige Richter auch noch Englisch. Gutes Englisch!

»Es tut mir außerordentlich leid«, sagte der Untersuchungsrichter gütig, »mich in meiner amtlichen Eigenschaft mit Ihnen beschäftigen zu müssen. Wir in Mouleville kennen die Engländer eigentlich nur als Badegäste, die uns herzlich willkommen sind und denen wir gerne das Beste geben, das unser kleines Städtchen zu bieten vermag. Frankreich zeigt sich gerne gastlich; wird diese Gastfreundschaft jedoch mißbraucht, so weiß Frankreich auch zu strafen – um sich selbst zu schützen sowohl als auch im Interesse jener harmlosen und liebenswürdigen Fremden, die La France mit offenen Armen empfängt.«

Brown genierte sich furchtbar, denn der Vorwurf, Gastfreundschaft mißbraucht zu haben, traf ihn an einer empfindlichen Stelle. Er begann, die Dinge in einem neuen Licht zu sehen. Er war ja zweifellos einer Verschwörung gegen die Republik schuldig; einer nicht gerade schönen Handlungsweise, wenn er sich als Gast betrachtete. Doch hoffte er, den Untersuchungsrichter davon überzeugen zu können, daß nur Neugierde und seine Vorliebe für französische Dinge seine Motive gewesen waren. Er sah ein, daß er sich lieber mit den üblichen Touristenerlebnissen hätte begnügen sollen, und daß es ein großes Unrecht gewesen war, gegen die Republik zu konspirieren. Aber er war wirklich nicht böswillig, sondern nur gedankenlos gewesen. Und da ja ein eigentlicher Schaden nicht angerichtet worden war, so –

»Ich bedauere meine Handlungsweise außerordentlich, mein Herr,« sagte er. »Ich sehe vollkommen ein, daß ich sehr unrecht gehandelt habe. Ich wurde verführt durch –« Er schwieg. Es fiel ihm nicht im Traum ein, irgend jemand zu verraten.

»Sie ließen sich verführen«, ergänzte der Untersuchungsrichter in tiefernstem Ton, »durch Ihre kriminellen Instinkte, Ihre Gewinnsucht, Ihren Hang zu verschwenderischem Leben und Ihre brutalen Gelüste!«

»Heh?« sagte Brown.

Er war wie aus den Wolken gefallen. Das war doch – jawohl, das war unerhört!

»Antworten Sie in zusammenhängenden Sätzen,« mahnte der Richter scharf.

»Nun, Sie irren sich. Ich ließ mich durch meine Neugierde verführen, und, wenn ich so sagen darf, durch meine Vorliebe für Frankreich.«

»Keine Scherze, Monsieur,« mahnte der Richter. »Es würde am besten für Sie sein, alles einzugestehen.«

Brown schien dies ein sehr vernünftiges Begehren, und er hatte nicht das Geringste dagegen, seine Sünden ehrlich einzugestehen. Soweit er selbst in Betracht kam. Die andern durfte er als anständiger Mensch natürlich nicht verraten.

»Ich glaubte, die Idee des Kaisertums sei populär in Frankreich – –« begann er, aber der Untersuchungsrichter schnitt ihm sofort das Wort ab.

»Wir wollen uns nicht mit Politik beschäftigen«, sagte er mit einem eisigen Lächeln.

Brown kam das sehr komisch vor und er wartete neugierig, auf welche Weise der Untersuchungsrichter wohl das schwierige Kunststück vollbringen würde, einen politischen Gefangenen zu verhören, ohne sich mit Politik zu befassen!

Doch der Untersuchungsrichter öffnete das Paket, das auf dem Tisch lag, das Paket aus dem Hause des Marquis, und legte eine Reihe von Schmucksachen und Juwelen vor Brown hin.

»Geben Sie zu, diese Schmucksachen zu kennen?« fragte er.

»Die Tiara glaube ich zu erkennen; ebenso das Halsband,« antwortete Brown. »Die anderen Gegenstände sehe ich jetzt zum ersten Mal.«

Der Untersuchungsrichter richtete sich tiefernst auf, einen drohenden, anklagenden Zeigefinger gegen Brown ausstreckend, und mit schallender Stimme rief er:

»Es wird Ihnen nicht das Geringste nützen, Monsieur, mir Sand in die Augen streuen zu wollen. Ich warne Sie. Geben Sie sich ja keine Mühe, mir weismachen zu wollen, daß Sie nur eine untergeordnete Rolle in diesem Drama spielten. Wir kennen Sie. Helfershelfer haben Sie ja allerdings gehabt; diese Helfershelfer sind auch gewiß nicht verführte Anfänger und der Polizei wohlbekannt. Wir warten schon lange darauf, sie überführen zu können. Sie aber waren der Führer; Ihrem Hirn ist der Plan zu dieser Affäre entsprungen; wären Sie nicht gewesen, so wäre das Verbrechen niemals geschehen!«

»Heh?« sagte Brown.

»Wir haben Beweise!«

Brown fand, daß dieser Untersuchungsrichter doch ein sehr unangenehmes und sehr bombastisches Individuum sei. So schlimm waren seine Verbrechen wirklich nicht, wie dieser Mann mit der bedeutenden Rednergabe sie hinstellte. Die Idee, dem republikanischen Frankreich einen Victor Napoleon aufzuhalsen, stammte wirklich nicht von ihm. Ganz gewiß nicht. Und die Anschuldigung, daß er Duveen und Monsieur Georges verführt haben sollte, besonders Monsieur Georges – darüber hätte Brown beinahe gelacht. Es war auch komisch. Monsieur Georges! Da aber der Herr Untersuchungsrichter offenbar noch mehr auf dem Herzen hatte, so schwieg Brown vorläufig.

»Sie sind zweifellos desperat und zu allem fähig«, fuhr der Untersuchungsrichter fort, »und nur ein glücklicher Zufall hat Sie davor bewahrt, ein noch schwereres Verbrechen zu begehen, als das, dessen Sie angeklagt sind. Als Sie verhaftet wurden, hielten Sie eine Pistole in der Hand, die Sie zweifellos gebraucht haben würden, wären Sie nicht überrascht worden.«

Brown grinste unwillkürlich.

»Sie trugen ferner einen Ring, wie Sie verhaftet wurden; einen Ring, der mit anderen Dingen den Gegenstand dieser Untersuchung bildet.«

»Jawohl«, sagte Brown. »Ganz richtig. Den Ring des Getreuen. Ich erinnere mich.«

»Das freut mich. Sie werden sich noch an viele Dinge erinnern müssen, und sollte Ihr Erinnerungsvermögen Sie im Stiche lassen, so bin ich mit Vergnügen bereit, Ihrem Gedächtnis nachzuhelfen.«

»Grober Kerl!« dachte Brown.

»Wie nannten Sie den Ring?«

»Den Ring des Getreuen«, stammelte Brown. Dieser Untersuchungsrichter mißfiel ihm mit jedem Augenblick mehr und mehr.

»Schreiben Sie das: Der Ring des Getreuen!« sagte der Untersuchungsrichter lächelnd zu dem Gerichtsschreiber.

»Ich möchte noch hinzufügen«, bemerkte Brown, »daß, obgleich der Ring an meinem Finger gefunden wurde, ich kein Recht hatte, ihn zu tragen.«

»Sie hatten kein Recht, ihn zu tragen«, wiederholte der Untersuchungsrichter trocken. »Das glaub ich Ihnen.«

»Nein. Denn ich hatte mich geweigert, das zu tun, was von mir gewünscht wurde und was mich zu dem Tragen des Ringes berechtigt hätte. Ich mag sehr töricht gewesen sein, Herr Untersuchungsrichter. Aber ich habe nicht die Absicht, Ihnen Mühe zu machen und möchte ganz offen sein. Ich habe nichts getan, dessen ich mich schämen müßte. Ich werde auch jede Frage wahrheitsgemäß beantworten; nur wünsche ich, keine Aussage über andere Personen zu machen.«

»Machen Sie sich nur keine Sorgen um die andern«, lächelte der Untersuchungsrichter. »Wir wissen Bescheid. Wir wissen alles über Ihre Helfershelfer, was des Wissens wert ist. Ueber Sie wissen wir allerdings weniger, da Sie Ausländer sind. Wir haben jedoch nach Scotland Yard Das Hauptquartier der Londoner Kriminalpolizei. um Auskunft telegraphiert.«

Scotland Yard! Brown fiel beinahe um.

»Sie werden keine Auskunft erhalten. Ich habe in meinem Leben keine strafbare Handlung begangen. Ich habe nichts zu verbergen.«

»Als sich selbst. Wenn Ihr Gewissen rein ist, weshalb verließen Sie Mouleville in Verkleidung?«

»Weil man mir sagte, ich würde beobachtet.«

»Ah, Sie wußten also, daß Sie beobachtet wurden! Und was kümmerte es Sie, daß Sie beobachtet wurden, wenn Sie nichts Unrechtes taten?« Der Untersuchungsrichter lächelte, und der Gerichtsschreiber murmelte: »Très bien, monsieur le juge«.

»Man sagte mir, ich sähe Napoleon ähnlich«, stammelte Brown.

Nun änderte der Untersuchungsrichter seine Haltung. Bis jetzt war er gelassen und halbwegs höflich gewesen; nun aber sprang er mit zorngerötetem Gesicht auf und schrie:

»Ich werde Sie lehren, sich über mich lustig zu machen! Ich verkörpere die Majestät des Gesetzes, und ich werde Ihnen den Humor schon austreiben. Wir Franzosen haben keinen Sinn für britischen Humor. Sie sind ein Uebeltäter, ein Verbrecher, und beinahe ein Mörder. Nicht viel fehlte, und Sie hätten die Witwe Potin getötet.«

»Heh?« schrie Brown.

»Ruhe, Sie können nichts Besseres tun, als Ihr Verbrechen einzugestehen. Darin liegt Ihre einzige Hoffnung auf Gnade.«

Brown sprang entsetzt auf. Beinahe hätte er die Gendarmen umgerissen, die ihn hielten. Was meinte dieser Mann nur? War der Untersuchungsrichter verrückt, oder war er's. Die Witwe Potin – Mord – –

»Sie sind aufgesprungen! Sie erschrecken! Sie zittern! Sie bekennen Ihr Verbrechen! Erzählen Sie uns wie sich alles zugetragen hat!«

»God bless my soul!« sagte Brown, am ganzen Leibe zitternd, »was zum Teufel meinen Sie eigentlich?«

»Sie wollen es uns also nicht sagen?«

»Scherzen Sie vielleicht?«

Und ein furchtbarer Gedanke stieg mit einemmal in ihm auf. Gedachte die Anklagebehörde vielleicht, die politische Verschwörung totzuschweigen und ihm ein gemeines Verbrechen in die Schuhe zu schieben? Er erinnerte sich, in englischen Zeitungen so und so oft gelesen zu haben, daß es in Frankreich keine Gerechtigkeit gab, und erinnerte sich eines berüchtigten Justizfalles in Frankreich, der die ganze zivilisierte Welt in Aufregung versetzt hatte. War er etwa zum Opfer eines böswilligen Justizirrtums ausersehen?

Der Untersuchungsrichter schien zu zittern vor Wut.

»Da Sie es uns nicht sagen wollen«, fuhr er fort, »so müssen wir es Ihnen sagen. In England ist das nicht Sitte, glaube ich. Bei uns jedoch ist es Sitte, und wir erzielen sehr gute Resultate damit. Wir bekommen die Wahrheit gewöhnlich heraus, dessen mögen Sie sicher sein. Wenn Sie erst einmal erfahren, wieviel wir wissen, so mag es Ihnen nicht der Mühe wert erscheinen, noch länger zu leugnen.«

»Ich protestiere gegen diese Art – –«

»Natürlich. Daß Ihnen diese Art unbequem ist, glaube ich Ihnen gerne. Sie kamen also schon mit der Absicht nach Mouleville, ein Verbrechen zu begehen. Ohne Helfershelfer konnten Sie es nicht ausführen, und so bedienten Sie sich einer Verbrecherbande, die Sie hier kennen lernten. Wie weit die anderen beteiligt sind, werden wir ja sehen; Sie allein jedenfalls haben den Raub ausgeführt, während Ihre Helfershelfer Ihnen nur Späherdienste leisteten und das Diebsgut in Empfang nahmen.«

Der Untersuchungsrichter machte eine Pause und betupfte sich die Stirne mit einem feinen Batisttaschentuch. Der Gerichtsschreiber und die Gendarmen sahen ihn mit bewundernden Blicken an. Zwar verstand nur der Gerichtsschreiber Englisch, doch die dramatischen Gesten und die Wucht der Darstellung wußten auch die Gendarmen zu würdigen. Dieser juge d'instruction war in Richterkreisen geradezu berühmt ob seiner Kunst, ein Verbrechen zu rekonstruieren. In solchen Momenten wurde der Untersuchungsrichter zum wunderbaren Schauspieler, der ganz in seiner Rolle aufging. Und dabei vergaß er doch nie den Zweck seiner Kunst; vergaß nie, die Wirkung zu beobachten, die er auf den Gefangenen machte. Sogar Brown, der doch ein sehr unangenehmes persönliches Interesse an den Vorgängen hatte, wurde fasziniert durch das Talent dieses Mannes. An und für sich war ihm der Untersuchungsrichter unangenehm (aus guten Gründen) – was er sagte, war komisch – aber wie er es sagte: das war faszinierend. Dieser kleine Untersuchungsrichter war ein Genie. Er verstand es wunderbar, sich in die Seele des Verbrechers hineinzuleben, seinen verborgensten Motiven nachzuspüren und doch die Würde und die Wucht des anklagenden Richters auch nicht auf einen Moment einzubüßen.

Wäre Brown nicht persönlich beteiligt gewesen, so würde er die Vorstellung mindestens so interessant gefunden haben, wie das schönste Melodrama, das je in Brixton aufgeführt worden war.

Der Untersuchungsrichter trat nun hinter seinem Tisch hervor und stellte sich dicht vor Brown auf.

»Sie kamen nach Mouleville,« sagte er, »und stiegen im Hôtel des deux Globes ab, herzlich willkommen geheißen von dessen ehrbaren langjährigen Besitzern; in einem respektablen Hotel, das noch niemals ein so schwarzes Schaf wie Sie unter seinem ehrlichen Dach beherbergt hatte. Nach ein oder zwei Tagen verließen Sie das Hotel, ohne Ihre Rechnung zu bezahlen –«

»Heh?«

Der Untersuchungsrichter gebot mit leidenschaftlicher Gebärde Schweigen.

»– ohne Ihre Rechnung zu bezahlen, nachdem Sie durch Duveen, einen Gauner so schlimm wie Sie selbst, aber glücklicherweise der Polizei besser bekannt, Ihr Gepäck hatten abholen lassen. Sie mieteten ein Zimmer in dem Hause, in dem die Witwe Potin wohnte, genau über ihren Räumen, um präzise zu sein. Duveen, genannt »Le Roublard«, alias »Jackson«, verschaffte Ihnen alle notwendigen Auskünfte, und zusammen mit ihm und dem infamen Georges Brouart, alias »Monsieur Georges«, genannt »Trompe la Mort«, sowie mit La fille Durand, genannt »La Duchesse«, alias »La Silencieuse« besprachen Sie Ihre nichtswürdigen Pläne, und mit ihnen trafen Sie Ihre schändlichen Vorbereitungen!«

»Well, I 'll be damned!« schrie Brown.

»Befleißigen Sie sich gefälligst einer anständigen Sprache!«

Der Untersuchungsrichter machte eine Pause, um sein so niederschmetterndes Wissen in das verstockte Herz dieses Verbrechers so recht hineinsickern zu lassen. Brown aber schnappte nach Luft. In seinem Hirn jagten sich die Gedanken. War diese Zierde französischen Richtertums etwa plötzlich verrückt geworden? Wie nannte er seine aristokratischen Freunde? Trompe la Mort – La Silencieuse …, Unglaublich, unerhört, die wundervolle Thérèse de Mérac mit einem Spitznamen zu belegen! Waren diese lächerlichen Beschuldigungen etwa ein Justizkniff der Regierung, um die napoleonische Verschwörung totzuschweigen, die ihr ja unangenehm genug sein mochte? Oder war doch etwas Wahres an all diesem Unglaublichen? Brown wußte nicht aus noch ein. Er war viel zu aufgeregt, um klar und logisch zu denken. Höchstwahrscheinlich war die ganze Geschichte ein böser Traum, und demnächst würde er aufwachen und sich im Bett des Kaisers finden. Es fiel ihm ein, daß er Bücher gelesen hatte, in denen einem Mann die fürchterlichsten Geschichten passierten, und auf der letzten Seite des Buches wachte dann der Mann auf, denn er hatte das ganze Zeug nur geträumt.

Brown zwinkerte mit den Augen und zwickte sich kräftig in den linken Arm, um herauszubekommen, ob er nun eigentlich schliefe und träumte, oder nicht. Schmerz verspürte er keinen – darüber war er hinaus – aber die Tatsache des Zwickens fühlte er deutlich.

Er wachte also!

»Wir kommen nun zu dem Abend des Verbrechens selbst,« fuhr der Untersuchungsrichter fort (sein Ton wurde immer tragischer), »zu jenem Abend, der dem Morgen vorausging, an dem Sie verkleidet aus Mouleville entflohen. Die Beute hatten Sie Ihren Helfershelfern übergeben, die sie dann später unauffällig nach Petite Mouleville schaffen sollten. Sie verbrachten einen Teil jenes Abends im Café de la Vache Enragée – dem berüchtigsten Café in Mouleville, einem Schlupfwinkel von Dieben und Hehlern – und gingen früh nach Hause, begleitet von Duveen, der sie aber sogleich wieder verließ. Dann warteten Sie, bis die Leute im Hause schliefen, bewaffneten sich mit einer mörderischen Waffe und stahlen sich leise die Treppe hinab, bis sie die Türe erreichten, die zu den Zimmern der Witwe Potin führte.«

»Heh?«

»Sie wußten, daß ihre Dienerin die Erlaubnis erhalten hatte, Verwandte zu besuchen, und daß die Witwe allein war. Sie kannten die Geheimnisse oder einen Teil der Geheimnisse ihres sündigen Lebens. Sie zogen die Glocke und warteten …,«

Der sensationellste Kriminalroman hätte nicht interessanter sein können, als die Darstellung des Untersuchungsrichters. Der Gerichtsschreiber lauschte mit glänzenden Augen, weit vorgebeugt. Sogar Brown hielt den Atem an.

»Einige Sekunden vergingen, Sekunden der Angst und des Zitterns für Sie, und dann hörten Sie Schritte. Die Tür öffnete sich ein wenig, und die arme Witwe spähte in die Dunkelheit hinaus. Nun war der Moment für Ihr verbrecherisches Handeln gekommen. Sie stemmten den Fuß zwischen Türe und Schwelle, packten das arme Weib und hielten ihr den Mund zu, sodaß sie nur einen leisen Schrei hervorstoßen konnte. Im nächsten Augenblick waren Sie im Zimmer selbst und hatten die Türe geschlossen. Drinnen brannte eine Kerze. Sie ließen die Frau los und drohten ihr, sie zu töten, wenn sie um Hilfe riefe. Dann verlangten Sie von ihr, sie solle Ihnen sagen, wo sie ihre Wertsachen versteckt hielt. Das Weib bat und bettelte und flehte Sie um Gnade an und behauptete, sie sei arm wie eine Kirchenmaus und habe nichts Wertvolles. Keine Juwelen. Sie bot Ihnen ihr bares Geld an, einige hundert Francs. Vor einem Franzosen hätte sich die Frau vielleicht nicht so gefürchtet, denn ein Gelegenheitsdieb hätte in dieser ärmlichen Wohnung keine großen Werte gesucht. Sie waren jedoch ein Engländer und das Weib ahnte, daß ihre Vergangenheit in England Ihnen bekannt war; daß Sie ihre Geheimnisse wußten. Sie bat und flehte, aber Sie waren taub gegen dieses Flehen. Sie verloren die Geduld und schlugen auf das Weib los, bis sie zusammenbrach. Sie verletzten die alte Frau schwer; wir wissen heute noch nicht, ob die Verletzungen lebensgefährlich sind oder nicht. Sie schleppten die halb Bewußtlose bei den Haaren in das Schlafzimmer, warfen sie zu Boden und drohten ihr mit dem Tode, wenn sie das Versteck nicht verriete. In der Angst um ihr Leben verriet sie es. Und das rettete Ihnen den Kopf, mein Herr Verbrecher. Zitternd und weinend deutete sie auf einen Schrank in der Wand. Sie erbrachen die Türe. Sie fanden die Juwelen, einen Teil des Schatzes wenigstens, aber doch nicht so viel, wie Sie erwarteten. Wieder schlugen Sie die alte Frau und zerrten sie im Zimmer hin und her, und wieder drohten Sie, sie umzubringen, wenn sie Ihnen nicht zeigte, wo die anderen Sachen versteckt seien. Sie weinte und schrie und schwor, es sei nichts mehr im Hause. Aber Ihre Mordstimmung war verflogen; sie sahen nicht mehr rot, wie man wohl in Ihren Kreisen zu sagen pflegt – vor Ihrem geistigen Auge sahen Sie die drohende Guillotine. Männer, wie Sie einer sind, begehen Morde meistens in leidenschaftlicher Erregung. Diebe haben gewöhnlich durchaus nicht die Absicht, die Leute zu morden, die sie berauben, aber plötzlich sehen sie rot und ein dämonisches Etwas treibt sie vorwärts, und sie schlugen zu. Die Witwe Polin war dem Tode auf Haaresbreite nahe in jener Nacht! Schon hatten Sie die Hand erhoben zum tödlichen Streich! Doch Sie ließen die Hand wieder sinken: Sie hörten auf die Stimme der Vernunft. Die alte Frau war einer fürchterlichen Gefahr entronnen. Sie aber waren in Schweiß gebadet; Sie zitterten und bebten. Ihre Einbildungskraft malte Ihnen etwas Entsetzliches aus: Sie sahen sich in kalter Morgendämmerung, mit nackten Füßen, im Armensünderkittel, wie Sie hinausgeführt wurden auf die Richtstätte, um vor allem Volk einen fürchterlichen Raubmord zu sühnen!«

Der Untersuchungsrichter machte eine Pause. Er zitterte an allen Gliedern vor innerlicher Aufregung, und die Hand, mit der er sich das Batisttaschentuch an die nasse Stirne führte, bebte. Brown starrte ihn aus entsetzten Augen ml Dann beugte er sich schlaff vorwärts und stützte den Kopf in die Hände.

Das war der psychologische Moment!

So schien es dem Richter – –. Jener Moment, den er mit so viel Kunst und so viel dramatischer Darstellungsgabe herbeizuführen gesucht hatte. Er trat einen Schritt näher auf Brown zu und sagte mit einer Stimme, die plötzlich weich und gewinnend war:

»Bekennen Sie! Gestehen Sie Ihr Verbrechen ein! Hat es sich nicht so zugetragen?«

Brown war fast am Zusammenbrechen; er begriff nicht, um was es sich handelte, er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, er war ratlos.

»Gestehen Sie Ihr Verbrechen ein und danken Sie einem gütigen Himmel, der Sie vor der Guillotine bewahrte.«

Der salbungsvolle Ton aber fiel Brown derartig auf die Nerven, daß er seine Willenskraft wieder fand.

»Ich protestiere gegen diese Art des Verhörs,« rief er scharf. »Was Sie da erzählen, mag sehr interessant sein –«

»Herr!«

»– mag sehr interessant sein, steht jedoch mit meinen Erlebnissen und meinem Tun nicht im geringsten Zusammenhang. Meiner Ansicht nach werde ich nicht fair behandelt und ich verlange, daß mir Gelegenheit gegeben wird, mich mit dem englischen Konsul in Verbindung zu setzen. Ich bin englischer Untertan.«

»Der englische Konsul ist bereits benachrichtigt worden und hat es abgelehnt, Sie zu sehen. Er wird zwar einen Vertreter zu der Ihnen bevorstehenden Schwurgerichtsverhandlung entsenden, lehnt es jedoch ab, sich in diesem Stadium mit Ihnen zu befassen. Ein englischer Verbrecher, der in einem fremden Lande operiert, muß sich auch mit den Gesetzen dieses Landes zufrieden geben. Sie gedenken also, nicht zu bekennen?«

»Nein,« sagte Brown trotzig.

»Dann müssen wir fortfahren.«

Diesmal sprach er mit vollkommen kühler, ruhiger Stimme, ohne dramatische Hilfsmittel:

»Ihre Mordstimmung war verflogen. Sie erkannten, daß aus der Witwe Potin nichts mehr herauszupressen war, und Sie hielten es für an der Zeit, sich aus dem Staube zu machen. Sie waren aber schlau genug, zuerst dafür zu sorgen, daß Ihr Opfer nicht um Hilfe rufen konnte. Sie rissen die Bettdecke in Streifen, banden das arme Weib mit diesen Streifen an dem Bett fest und knebelten sie, sodaß sie sich weder rühren noch einen Ton hervorbringen konnte. Erst am Nachmittag des nächsten Tages wurde die Bedauernswerte durch ihren Neffen aus ihrer schlimmen Lage erlöst. Die Witwe Potin ist an dem erlittenen Schreck schwer erkrankt und war bis jetzt noch nicht imstande, der Polizei eine ausführliche und zusammenhängende Darstellung zu geben, da der Arzt nicht zuläßt, daß sie irgend welcher Aufregung ausgesetzt wird. Ich bin daher vorläufig nicht in der Lage, Sie mit ihr zu konfrontieren. Sie gab uns jedoch eine ausführliche Beschreibung Ihrer Person, die uns vollkommen genügt hätte, Ihnen auf die Spur zu kommen, wenn wir auch nicht gewußt hätten, daß Sie sich im gleichen Hause ein Zimmer gemietet hatten. Der Fall scheint mir außerordentlich klar. Ich kann Ihnen nur den Rat geben, Ihr Verbrechen einzugestehen. Uns ersparen Sie damit Mühe und Umständlichkeiten; was Sie anbetrifft, so dürfte ein offenes Geständnis einen strafmildernden Effekt haben.«

Brown hatte unterdessen Zeit gehabt, sich zu sammeln. Die ganze Geschichte war ja lächerlich. Die Situation mochte unangenehm genug sein, aber die Wahrheit mußte ja an den Tag kommen. So antwortete er ruhig:

»Das ist mir alles ganz neu. Ich kenne die Witwe Potin nicht; ich habe sie niemals gesehen. Nicht einmal ihr Name ist mir bekannt. Ich nahm das Zimmer in jenem Hause nur deshalb, weil es des Kaisers Zimmer war, und ich verkleidete mich nur deshalb, weil ich glaubte, ich sei für den Prinzen Napoleon gehalten worden.«

»Sie bestehen also auf dieser lächerlichen Geschichte. Meinen Sie denn wirklich, daß irgend jemand Ihnen auch nur ein Wort davon glauben wird?«

Brown schauderte. Was der juge d'instruction da sagte, bestätigte den Eindruck, den das ganze Verhör auf ihn gemacht hatte: daß es offenbar die Absicht des Gerichts war, die politische Verschwörung totzuschweigen und eine kriminelle Anklage dafür zu substituieren. Woher der Untersuchungsrichter die Beweise zu nehmen gedachte, mochten die Götter wissen! Aber die offizielle Version würde natürlich geglaubt werden! Zuerst war Brown schon fast überzeugt gewesen, Duveen und die andern hätten ihn beschwindelt. Nun aber schien es ihm, als seien es die richterlichen Behörden, die ein geriebenes Schwindelmanöver inszenierten!

»Nun?« fragte der juge d'instruction.

»Meine Aussage mag Ihnen lächerlich erscheinen,« antwortete Brown, »Sie hat jedenfalls den Vorzug, wahr zu sein!«

»Was Sie nicht sagen!«

Der Untersuchungsrichter läutete und ein Beamter trat ein.

»Faites entrer Duveen!«

Einen Augenblick später wurde Duveen in das Zimmer geführt. Er sah sehr niedergeschlagen aus.

»Sie sind bereits verhört worden,« sagte der Richter, »und Sie haben sich ebenso widerspenstig und verstockt gezeigt, wie Ihr Landsmann hier. Gedenken Sie, zu gestehen, oder wollen Sie weiter auf Ihrem Leugnen beharren?«

»Ich leugne nichts als den Raub an der Witwe Potin,« antwortete Duveen trotzig. »Und davon weiß ich nichts.«

Brown atmete auf. Dieser Duveen war doch ein anständiger Mensch! Wenn sie alle zusammenhielten und mutig heraussprachen, so konnte dieser unangenehme Untersuchungsrichter die Wahrheit gewiß nicht unterdrücken. Die Öffentlichkeit würde die wirkliche Wahrheit erfahren: daß er sich törichterweise in eine politische Affäre gemischt und sich nach den Gesetzen des Landes strafbar gemacht, aber keine unehrenhafte Handlung begangen hatte. Im nächsten Augenblick aber traf Brown ein neuer Schlag – –

»So, Sie leugnen also noch immer!« sagte der Untersuchungsrichter kalt. »Freilich ermangeln Sie andererseits auch der Frechheit, eine Menge Unsinn über eine politische Verschwörung und über den Prinzen Napoleon zu erfinden und uns diesen Unsinn vorzusetzen. Sie erzählen uns keine langweiligen Geschichten über einen Ring des Getreuen!«

Duveen lächelte.

»Nein, das tue ich nicht.«

Brown starrte ihn entsetzt an. Er begriff nicht. Doch, jetzt begriff er. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, daß die Verschwörer es vielleicht vorzogen, für ihre politische Ueberzeugung zu leiden; daß sie sich lieber eines Raubes anklagen ließen, als ihre gute Sache zu verraten und damit alle Parteigenossen Verfolgungen auszusetzen. Das war aber doch scheußlich unangenehm! Das konnte er persönlich doch wirklich nicht mitmachen! Nein, es fiel ihm nicht im Traum ein. Und Duveen lächelte noch immer. Brown wußte nicht, was er denken sollte.

»Für heute werde ich keine weiteren Fragen an Sie stellen«, sagte der Untersuchungsrichter zu Duveen. »Wir haben Sie, und wir haben den Anführer der Bande« – dabei sah er Brown an – »und das ist vorläufig die Hauptsache. Wir werden Sie überführen. Das hat keine Eile. Sie können jetzt abtreten.«

Ein Gendarm ergriff Brown beim Arm und führte ihn, nicht ohne mit einigen Püffen nachzuhelfen, aus dem Zimmer.

»Legen Sie lieber ein Geständnis ab«, sagte der Gendarm auf dem Weg zur Zelle, »und lassen Sie doch diesen Unfug mit Napoleon.«

Obgleich er natürlich Französisch sprach, verstand Brown ihn doch. Er hatte wirklich bemerkenswerte Fortschritte in der Sprache des schönen Frankreichs gemacht …,

* * *

An der notwendigen Zeit, noch mehr zu lernen und noch größere Fortschritte zu machen, sollte es Brown durchaus nicht fehlen, denn Woche auf Woche verging, und noch immer saß er im Gefängnis. Er lernte also wider seinen Willen – verbrachte er doch jeden Tag geraume Zeit nur damit, auf Frankreich und die Franzosen zu fluchen – noch mehr Französisch. Jede Woche wurde er dem Untersuchungsrichter vorgeführt, und jedesmal brachte man ihn wieder in die Zelle zurück, in der Hoffnung, daß die Untersuchungshaft ihn doch noch mürbe machen würde. Tatsächlich aber wurde Brown immer verbitterter und immer widerspenstiger. Er entwickelte einen Eigensinn, der ihm sonst durchaus nicht lag. Er betonte nicht nur immer wieder die politische Verschwörung (an die er noch immer glaubte), sondern er weigerte sich auch hartnäckig, die geringste Auskunft über sich selbst, seine Familie, seinen Wohnort, seinen Beruf zu geben. Seine Freunde in England sollten nicht wissen, wessen er angeklagt war. Je unangenehmer der Untersuchungsrichter wurde, desto eigensinniger wurde Brown. Er gedachte den Skandal hübsch für sich allein zu behalten und gründlich dafür zu sorgen, daß man von der ganzen Affäre in England nichts erfuhr! Scotland Yard hatte eine durchaus negative Antwort telegraphiert. Sie kannten 573 verschiedene Personen, die alle Harold Brown hießen, und von denen keiner in Frage kommen konnte!

Nein, Browns Messungsmerkmale paßten auf keinen registrierten englischen Verbrecher.

»Diese englische Polizei ist doch total unfähig!« schimpfte monsieur le juge.

Nach und nach wurde der arme Brown melancholisch. Zum Wort kommen ließ ihn der juge d'instruction eigentlich überhaupt nicht; er schilderte ihm nur immer wieder, welch ein fürchterlicher Spitzbube er doch sei, und Brown beschränkte sich im allgemeinen auf energische »Dementis«, die nicht im geringsten beachtet wurden. Seine Freunde und Mitverschworenen bekam er nie wieder zu Gesicht.

Der Untersuchungsrichter war aber nicht nur ein energischer, sondern auch ein mit Phantasie begabter Mann.

In der fünften Woche arrangierte er eine »Rekonstruktion« des Verbrechens, in der Hoffnung, den verstockten Verbrecher zum Geständnis zu bringen, wenn er ihm seine Tat vor Augen führte. Der Herr Untersuchungsrichter verrechnete sich aber gründlich. Brown, der Verbrecher Brown, verspürte nicht die geringsten Gewissensbisse, sondern sah seelenvergnügt zu. Das war einmal eine nette Abwechslung in diesem langweiligen Gefängnisleben!

Die Witwe Potin hatte man anscheinend nicht bekommen können; denn ein riesiger Gendarm mit noch riesigerem Schnurrbart, angetan mit einem ziemlich schmutzigen Frauenrock, einer Schürze und einer Nachthaube, spielte die Witwe. Ein kleinerer Gendarm verkörperte ihn selbst – Brown. Die bedauernswerte Witwe wurde nach allen Regeln der Kunst im Gerichtssaal umhergeschleift, geschlagen, gewürgt und stöhnte zum Herzbrechen.

Brown lachte.

Die Gendarmen standen verlegen da, und der Untersuchungsrichter brüllte vor Wut.

»Verhärteter Bösewicht«, schrie er und schüttelte eine zierlich kleine Faust vor Browns Nase; »Sie lachen! Sie wagen es, zu lachen! Ah, das zeigt Ihren brutalen Charakter, der vor einem Morde nicht zurückschreckt!«

»Es ist aber doch so komisch!« protestierte Brown. Und diese ganze Anklage ist doch so lächerlich. Ich fürchte, daß gewisse Leute sich furchtbar blamieren werden!«

»Verbrecher!«

Brown wurde abgeführt und von nun an nicht mehr behelligt – monsieur le juge hielt den Fall für durchaus klar, auch ohne ein Geständnis. Es wurde ihm offiziell mitgeteilt, daß die Verhandlung vor dem Schwurgericht in zwei Wochen stattfinden würde. Natürlich hatte Brown sich um einen Verteidiger umgesehen. Seine Beziehungen zu diesem Herrn jedoch waren außergewöhnlich kühl. Er erzählte ihm ausführlich seine Erlebnisse auf französischem Boden, und der Herr Verteidiger glaubte auch nicht ein einziges Wörtchen davon! Er nickte nur und nickte, als öde ihn dieser handgreifliche Schwindel mit der Verschwörung fürchterlich an und sagte Brown, er solle ihn nur machen lassen. Er würde ihn schon freigesprochen kriegen. Wie – das könnte Monsieur Brown ja gleichgültig sein. Das war nun Brown durchaus nicht gleichgültig, aber die lange Gefängnishaft hatte ihn so mürbe gemacht, daß er schließlich dem Drängen seines Verteidigers nachgab und es diesem überließ, die Verteidigung nach seiner Façon zu führen. Geschickt schien der Mann ja. Brown wußte freilich nicht, daß der junge Rechtsanwalt durch diesen interessanten Fall bekannt zu werden hoffte, und daß es ihm weit mehr um Sensation als um das Interesse seines Klienten zu tun war …, Er wußte auch nicht, daß die Rechtsanwälte seiner Mitverschwörer auf genau demselben Standpunkt standen und sich außerdem spinnefeind waren. Jeder sah seine Aufgabe darin, die Schuld möglichst auf die anderen Angeklagten zu schieben – am meisten aber auf Mr. Brown von England, den englischen Verbrecher. Dieser Mr. Brown ahnte ja nicht, welch fürchterlicher Kuddelmuddel sich da zusammenbraute!


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