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Prinz Tuan

In einem geräumigen Gemache des Palastes des »Leuchtenden Sternes«, in dem Prinz Tuan, der mächtigste und hochstehendste Mann des Reiches, der nur dem Kaiser, der regierenden Kaiserin und der Kaiserin-Witwe, der einstigen Regentin, im Range nachstand, sich niedergelassen hatte, saßen um den Prinzen gruppiert eine Anzahl hoher Mandarinen und Generale noch in den Festgewändern, die sie bei der Zeremonie im Tempel der Erde getragen hatten.

Der breitschultrige, kräftige Prinz mit dem dunklen Mongolengesicht, das einen Zug grausamer Härte mit dem einer wilden Energie paarte, ruhte zurückgelehnt in einem aus Elfenbein geschnitzten Sessel, dessen Sitz mit einem schön verzierten Leopardenfell bedeckt war, und blickte mit funkelnden Augen auf den Mann, der eben das Wort führte.

Li-ping-heng, der ehemalige Vizekönig von Schantung, der nach der Besetzung von Kiautschou durch die Deutschen feindselig gegen diese aufgetreten und auf Andringen der deutschen Regierung von seinem Posten abberufen worden war, ein Mann mit klugem Gesicht, sprach in der geschmeidig höflichen Weise, die dem Chinesen eigen ist.

»Durchaus bin ich der Meinung deiner Erhabenheit,« ließ er sich vernehmen, »die fremden Barbaren, die gleich Raubtieren in das Land gefallen sind, müssen verjagt, vertilgt werden; ich fürchte nur, daß der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, wo wir im stande sind, mit Nachdruck gegen sie vorzugehen.«

»So, und willst du so lange warten, bis sie fester ihren Fuß in das Reich der Mitte gesetzt haben, Li-ping-heng?«

»Nur so lange, Allergnädigster, bis wir sie mit ihren eigenen Waffen schlagen können.«

»Da sitzen Yung-lu und Tung-fuh-siang, sie werden dir sagen, daß wir genügend nach ihrer Weise bewaffnet sind, um sie in das Meer zu jagen.«

»Wir haben an den Deutschen einen Feind mehr erhalten, Kaiserliche Hoheit, und diese Deutschen sind sehr kriegsgewaltig.«

»Ah! Hast du Furcht?«

»Nur die, das Reich Gefahren auszusetzen,« erwiderte ehrerbietig der Mandarin.

»So? Und rechnest du die immer mehr um sich greifende Bewegung im Volke, die ihren Ausdruck in dem Auftreten der Boxer findet, nicht zu den Gefahren, die das Reich bedrohen? Sollen diese Leute sich feindlich dem Drachenthron gegenüberstellen? Ich muß Herr dieser Bewegung bleiben, und die kluge Kaiserin des westlichen Zimmers ist derselben Meinung. Ja noch mehr. Hast du vergessen, daß einst langhaarige Rebellen das Reich und die Dynastie an den Rand des Abgrunds brachten? Meinst du, die seien ausgestorben?«

»Die Anhänger Hungs, des Verräters, die wohl noch im stillen umherschleichen mögen, sind ungefährlich, denn es fehlt ihnen das Haupt, das sie leitet.«

»So, du weiser Mann aus Schantung, du weißt wohl nicht, daß der Enkel Hungs, Hung-li, aus der Nacht emporgestiegen ist und als Tien-te von den Nachkommen der Rebellen angebetet wird?«

Überrascht blickten alle auf den Prinzen.

»Ein Wink von diesem, der gleich Hung, dem Erzverräter, den Fremden freundlich gesinnt ist, und die langhaarigen Rebellen stehen in Waffen wie vor vierzig Jahren.«

»Ich bin erstaunt, mächtigster Herr, über das, was du sagst, und mehr noch darüber, daß du die junge Natter nicht bereits vernichtet hast.«

»Bist du erstaunt, gelehrtester aller Mandarinen? Habe ich ihn? Du kannst wohl aus dem Rauch auf Feuer schließen, aber nicht auch wo der Herd des verborgenen Feuers ist. Er ist da, ich weiß es, er ist da wie ein Schatten an der Wand, wenn die Sonne scheint, er ist da gleich dem Wind, der die Zweige der Bäume bewegt – fasse Schatten und Wind, wenn du kannst!«

»Es ist im geheimen eine Million Taels als Preis auf den Kopf dieses Hung-li gesetzt – aber niemand will sie verdienen. – Er ist im tiefsten Geheimnis erzogen worden, dieser Sohn Hung-fu-tiens, der dem Blutbade in Nanking entging.«

»Wenige kennen ihn, aber alle Anhänger des verwünschten Hung wissen, daß er da ist und harren seines Rufes. Er wirkt im Dunkeln gegen uns alle gegen den Drachenthron und alle Mandschu, die diese Verräter Räuber nennen. Wer gibt mir denn die Gewißheit, daß er nicht selbst hier in Peking weilt, statt im Süden, wo seine Anhänger nach vielen Millionen zählen?«

»Sollte deine Erhabenheit in deiner unendlichen Fürsorge für das Reich nicht wesenlose Schatten für ernste Gegner nehmen?« nahm General Yung-lu das Wort. »Die langhaarigen Rebellen, die Tai-ping, wie sie sich in grenzenloser Vermessenheit nannten, die es wagten, sich gegen den Sohn des Himmels zu erheben, sind vertilgt mit Feuer und Schwert – sie sind für alle Zeit tot. Nie hörte ich bis heute von einem Enkel Hungs.«

»Er ist da, Hung-li ist da, sage ich dir – unter der Asche glimmt das Feuer, ich weiß es, und ein Windstoß kann es zur wilden Flamme wieder anfachen. Millionen beten im stillen für die Seelen der Kaiser aus dem Geschlechte der Ming und den Enkel Hungs und beschwören böse Geister heraus gegen das herrschende Geschlecht der Tsing. Ich weiß es und muß wachsam sein, denn der Feind ist umso gefährlicher, als er unsichtbar ist, unsichtbar und ungreifbar. Kurzum, es kann nicht gehen wie bisher, wir müssen mit der Volksstimmung rechnen. Die Fremden haben uns nicht nur ihre Gesandten aufgezwungen, nein, sie wollen sie jetzt sogar mit Schutzwachen, mit Soldaten ihrer Länder umgeben, mitten in der geheiligten Stadt des Sohnes des Himmels. Fühlt ihr nicht die Schmach, die darin für uns liegt, bewaffnete Barbaren in Peking?«

»Und der Sohn des Himmels hat dem zugestimmt, erhabenster Herr?« fragte Tung-fuh-siang mit finsterer Miene.

»Der Sohn des Himmels,« erwiderte nicht ohne Spott der Prinz, »ist ein sanftmütiger Gebieter und liebt den Frieden. Auch hat er einen Mann in seiner Nähe, der den Fremden freundlich gesinnt ist,« fügte er mit einem Ausdruck des Zornes hinzu. »Noch hoffe ich, es zu verhindern, daß die Soldaten der Europäer hierher kommen. Wie viel Truppen hast du kampfbereit, Yung-lu?«

»Ich habe zehntausend Mann in Peking und der nächsten Umgebung, zwölftausend in Paoting-fu und sechzehntausend harren in Kalgan meiner Befehle.«

»Sind die Forts am Peiho armiert?«

»Es geschieht, Allergnädigster, doch muß es mit Vorsicht geschehen, um in Tientsin nicht zu früh mißtrauisch zu machen.

»Wie viel Mann hat General Ma?«

»Er verfügt über zwanzigtausend Mann.«

»Und hältst du diese Truppen für genügend, um die fremden Teufel ins Meer zu treiben?«

»In der ersten Überraschung wird es unfehlbar gelingen, aber die Fremden werden Tausende von Kriegern senden, und diesen siegreich zu begegnen, bedürfen wir noch hunderttausend Mann mehr.

»Und, Tung-fuh-siang, du?«

»Wenn deine Kaiserliche Hoheit befiehlt, ziehe ich meine Truppen heran, aber es wird Zeit vergehen, ehe sie in Petschili erscheinen können.«

»Fertige sofort die Befehle aus, die sie herberrufen, und bringe mir die Papiere zur Unterschrift.

Ein Diener trat ein und warf sich vor dem Prinzen nieder.

»Was gibt es?«

Der Diener entgegnete etwas, das nur Prinz Tuan verstand. Der Prinz neigte verabschiedend das Haupt gegen die Generale und Mandarinen. Diese warfen sich nieder, berührten mit der Stirn die Erde und entfernten sich in demutsvoller Haltung.

Als der Prinz mit dem Diener allein war, sagte er: »Tsu-fu? Der Bonze vom Ahnentempel? Warum kommt er so geheimnisvoll? Laß ihn eintreten.«

Der Diener entfernte sich.

Gleich darauf schritt Tsu-fu herein und warf sich auf die Erde.

»Steh auf; was bringst du?«

»Erhabener Gebieter, mein Eifer, dir zu dienen, treibt mich in aller Eile zu deinen Füßen.«

»Nun?«

»Eine besondere Fügung ließ mich Zeuge einer Unterredung des Sohnes des Himmels mit Kang-ju-wei werden.«

»O!« Prinz Tuan horchte auf und blitzte den widerwärtigen Bonzen, dessen häßliches Gesicht den Ausdruck der tiefsten Ehrfurcht trug, aus seinen dunklen Augen an. »Wo?«

»Im Ahnentempel, Allergnädigster, dessen unwürdiger Diener ich bin.«

»Das heißt, du hast sie belauscht. Weiter!«

»Kang-ju-wei drang in den Kaiser, mit der Einführung von Reformen im Reiche nicht länger zu zögern.«

»Das ist nicht neu, wir kennen Kang-ju-wei. Und Kwang-sü?«

»Der Sohn des Himmels stellte sie in Aussicht, sobald die Stunde günstig sei.«

»Nun ja, nun ja, ist das alles?«

Mit einem tückischen Grinsen, das nur durch die dem Mächtigen gegenüber gebotene Ehrfurcht gemildert ward, fuhr Tsu-fu fort: »Kang-ju-wei suchte den Kaiser zu bewegen, dich, erhabenster Herr, an die äußerste Grenze des Reiches zu verbannen.«

Das finstere Gesicht des Prinzen nahm einen Ausdruck an, dessen Starrheit schreckenerregend wirkte und selbst dem Bonzen Grauen erweckte.

»Und der Sohn des Himmels?« fragte er dann mit demselben unbewegten Gesicht.

»Leider konnte ich nicht alles, was gesprochen wurde, verstehen, und so vernahm ich seine Antwort nicht.«

Nach einer Weile fragte Prinz Tuan: »Du weißt, Tsu-fu, daß unser vielgeliebter Herrscher leidend ist; ich fürchte manchmal, daß sich sein Leiden noch verschlimmern könnte, und dies wäre ein großes Unglück für das Reich. Meinst du nicht?«

Tsu-fu bebte doch zusammen, als der finstere Mongole mit dem Furcht einflößenden Gesicht so sprach, aber er verbeugte sich zustimmend.

»Man muß den vielgeliebten Herrscher auch vor bösen Einflüssen schützen, ist das nicht auch deine Meinung?«

»Umsomehr, Gewaltigster, als Kang-ju-wei, den ich beobachten ließ, eifrig und gewöhnlich bei Nacht auf den Gesandtschaften verkehrt, besonders auf der englischen.«

»Ja, Kang-ju-wei soll den Fremden sehr gewogen sein. Weilt er noch in der Purpurstadt?«

»Ich glaube, ja; ich bin sofort nach seiner Unterredung mit Kwang-sü zu dir geeilt.«

»Es ist gut. Du darfst davon sprechen, laut sprechen, daß unser erhabener Herr leidend ist. Geh jetzt, mein Dank wird nicht ausbleiben.«

Tsu-fu warf sich nieder und entfernte sich.

Prinz Tuan rief durch einen Schlag an ein Metallbecken den im Vorgemache harrenden Offizier seiner Leibwache heran.

»Du wirst alsobald Kang-ju-wei verhaften und in das Gefängnis in meinem Palast führen; er wird noch in der Purpurstadt weilen.«

Der stumpfsinnig dreinschauende Tatare antwortete kurz: »Es geschieht,« und ging.

Ein weiteres Zeichen mit dem Metallbecken brachte des Prinzen ersten Kämmerer vor sein Angesicht.

»Frage sogleich an, ob die Kaiserin des westlichen Zimmers die Gnade haben will, mich zu empfangen, Staatsgeschäfte von Wichtigkeit führen mich zu ihr.«

Der Kämmerer verschwand.

»So, du kleiner Mandarin, Freund der Fremden, wagst du dich gegen Tuan zu wenden? Wir wollen sehen, ob dein kaiserlicher Gönner dich schützt.

»Der Sohn des Himmels ist krank, sehr krank, die Last der Staatsgeschäfte liegt zu schwer auf ihm. Man muß ihm die Bürde erleichtern. Ich hoffe, die kluge Frau, die Kaiserin des westlichen Zimmers, wird meine Ansicht teilen – und wenn nicht –?

»Wir werden sehen.«

*

Als Kang-ju-wei den Ahnentempel verließ, ging er langsam nach dem innersten Tore zu, vor dem seine Sänfte wartete. Des jungen Mannes Gesicht war sehr ernst. Er fühlte die Bedeutung der Unterredung, die er mit dem Kaiser gehabt hatte. Einzelne Diener gingen an ihm vorüber, denen er keine Beachtung schenkte.

Die Mehrzahl der Palastdiener wurden dem Mandschuvolke entnommen, die Soldaten waren sämtlich Mandschu, aber auch einige wirkliche Chinesen waren unter der Dienerschaft.

Ein solcher ging gebeugten Hauptes an ihm vorüber und flüsterte ihm im Dialekte von Kanton zu: »Du bist belauscht worden im Ahnentempel, fliehe.«

Kang-ju-wei zuckte zusammen. Doch schon war der Diener vorüber. Er erkannte sofort die ganze Dringlichkeit der Warnung und die Gefahr, die ihm drohte.

Er stammte aus Kanton, und der Warner war ein Kind der Provinz.

Zwar war es jedem, den der Kaiser nicht selbst dazu aufforderte, auch den Priestern, verboten, den inneren Raum des Tempels zu betreten, während der Kaiser betete, aber Kang-ju-wei kannte die Tempelwächter, wußte, daß sie im Dienste des mächtigen und rücksichtslosen Prinzen standen, der die Gewalt in Händen hielt, kannte auch die Tempel mit ihren Schlupflöchern und wußte, daß sein Kopf verloren war, wenn man ihn verhaftete.

Dennoch war sein erster Gedanke, den Kaiser, dem nach dieser Entdeckung Gefahr drohte wie ihm, zu warnen, aber dann sagte er sich, daß er bei dem umständlichen Zeremoniell am chinesischen Hofe gar nicht zu dem Kaiser gelangen könne, und wahrscheinlich verhaftet werden würde, ehe er nur dessen Palast erreichte.

Diese Gedanken schossen blitzschnell durch seinen Kopf, während er mit gemessener Würde zu dem mit Wachen besetzten Tor schritt.

Der Mandschuoffizier grüßte ihn, und er betrat die Sänfte, indem er laut dem Führer seiner Begleiter sagte: »Befehl Seiner Kaiserlichen Hoheit Prinz Tuan. Schnell.«

Dies sollte der Offizier hören und der hörte es auch.

Seiner Träger und seiner Begleiter war Kang-ju-wei, was deren Treue betraf, sicher, aber ihr Mut war nicht erprobt, und gegen die Mandschureiter des Prinzen gab es keine Rettung.

Rasch trugen ihn die Leute dahin.

Er atmete auf, als er die drei Tore der Residenz hinter sich hatte. Auf dem freien Platze, der die verbotene Stadt von der Chinesenstadt trennt, befahl er seinen Trägern, nach dieser zu laufen, und er selbst schloß die Vorhänge der Sänfte, denn immer waren noch Gruppen von Müßigen auf dem Platz versammelt. Auch war seine Sänfte nicht die einzige, die sich durch diese bewegte. Die Träger, starke Männer, setzten sich in Trab, ebenso die Begleiter, und alles machte deren Bambusstöcken und der Sänfte, die einen hohen Würdenträger ankündigte, Platz.

Während er so rasch dahingetragen wurde, entledigte er sich seiner Prunkgewänder und saß im einfachen Kleid eines Gelehrten da.

Ehe er in die Chinesenstadt mit ihren winkligen Gassen eindrang, rief er den Führer zu sich und sagte zu ihm: »Layhay – sieh dich um, kommen Reiter aus dem Tore der Kaiserstadt?«

»Ja, Herr,« erwiderte dieser bebend.

»Dann rasch zum Hause Thiebueis, des Kaufmanns, und von da nach Hause; zerstreut euch dort.«

Mit aller Eile liefen die Träger dahin. Die Straßen wurden enger, das Menschengewühl dichter.

Schon gewahrte man am Ende der Gasse laut schimpfende Mandschureiter, die auf das Volk einhieben mit ihren Lanzenschäften. Da schlüpfte Kang-ju-wei in seinem schlichten Anzuge gewandt aus der Sänfte und verschwand in der nahen Tür eines Hauses.

In dem nur wenig erleuchteten Hausgang, der mit Kisten und Ballen besetzt war, stand Kang-ju-wei plötzlich vor einem jungen Chinesen, der gleiche Kleidung wie er trug.

»Kau-ti?« sagte er erstaunt.

»Du, Kang-ju-wei, hier? Was gibt es?«

»Bist du noch mein Freund und Gesinnungsgenosse, so rette mich; die Reiter Tuans sind hinter mir.«

»Komm,« sagte dieser kurz, »folge mir.«

Er wandte sich und führte den Verfolgten durch Höfe und Gänge über Treppen bis zu einem kleinen Gemach, dessen geöffnetes Fenster den Blick in einen zierlichen Garten erlaubte.

»So, hier bist du sicher. Nun sprich, warum verfolgt man dich, den Günstling des Kaisers?«

Kang-ju-wei gab an, daß eine Unterredung zwischen ihm und dem Kaiser belauscht worden sei, was die schwersten Folgen für ihn, Kang-ju-wei, haben könne. Dann fragte und bat er: »Kannst du, willst du, so rette mich.«

Nach einer Weile sagte Kau-ti: »Ich kann und will, denn ich weiß, du meinst es gut mit dem Volke. Aber wo willst du hin?«

»Ich will mich zunächst in die englische Gesandtschaft retten, dort ist man mir gewogen.«

»Das würde nicht verborgen bleiben, auch bist du dort nicht sicher. Du weißt, wie sie dich hassen, den Neuerer und Fremdenfreund, und Kwang-sü, ich fürchte, er bedarf selbst des Schutzes. Du mußt China verlassen bis auf bessere Zeiten, wenn du dein Leben retten willst.«

»Es ist schwer, das Heimatland zu verlassen.«

»Du kannst deinem Vaterlande in der Fremde mehr nützen, als wenn du hier als Verfolgter in Verborgenheit lebtest.«

»Und wie soll ich nach Tientsin und auf ein Schiff gelangen?«

»Das laß meine Sorge sein, ich lasse dich sicher hingeleiten.«

»Bist du so mächtig?«

»Ja.«

Kang-ju-wei sah ihn lange und forschend an.

»Fürchte nichts,« sagte Kau-ti, »ich weiß mich eins mit dir in dem Streben, die Lage des Volkes zu verbessern, darum will ich dich dem Lande erhalten. Frage nicht, vertraue mir.«

»Ich vertraue dir.«

»Gut.«

»Wo warst du so lange?«

»Bei der Gesandtschaft in Berlin.«

»Und jetzt?«

»Bin ich Sekretär des Tsungliyamen.«

»Oh!«

Beide jungen Leute sprachen noch vieles zusammen über die innere und äußere Lage des Staates, den wohlmeinenden, aber einflußlosen Kaiser, den Fremdenhaß des wilden Prinzen Tuan, der Mandarinen und Generale, über die Bewegung im Volke.

*

Am frühen Morgen des nächsten Tages verließen zwei kaiserliche Kuriere die Mauern Pekings zu Pferde mit Depeschen an den in den Takuforts kommandierenden General. Niemand erkannte Kang-ju-wei in dem einen der Reiter. Als am Tage zuvor die Träger und Begleiter Kang-ju-weis sich verfolgt sahen, ließen sie die Sänfte stehen und verschwanden in der Menschenmenge; die tatarischen Reiter fanden nur das Festgewand Kang-ju-weis in der leeren Sänfte.

siehe Bildunterschrift

Am nächsten Tage verließen zwei kaiserliche Kuriere die Mauern Pekings.

Selbst in Peking, wo man an Außerordentliches gewöhnt war, war man erstaunt, noch an demselben Tage in der Staatszeitung zu lesen, daß der Sohn des Himmels schwer erkrankt sei und der Kaiserin-Witwe die Regentschaft übertragen habe.

Am meisten überrascht waren die europäischen Gesandten, während sich die Chinesen allerlei Vermutungen zuraunten.

Bald darauf zeigten sich auch die roten Turbane der Mitglieder der Gesellschaft von der »Starken Hand« oder Boxer, wie die Europäer sie nennen, in den Straßen, ein Warnungszeichen für alle Europäer, die Sitte und Art des Volkes kannten.

Wenige Tage später wurde der erste Attaché der japanischen Gesandtschaft vor den Toren Pekings von unbekannter Hand ermordet.


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