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Der Niedergang des Deutschen Bundes

Bundestag und nationale Bewegung

Derweil es also überall gärte, und eigentlich niemand mehr an die Dauer der bestehenden Ordnung glaubte, sank der Bundestag tiefer und tiefer; es schien, als wollte er noch zuletzt beweisen, wie reif er zum Untergange sei. Seit die Kriegsgefahr verschwunden war, zeigten alle Bundesstaaten, mit der einzigen Ausnahme Preußens, wieder die alte frevelhafte Gleichgültigkeit gegen die Wehrbarkeit des Vaterlandes. Die zweite Bundesinspektion im Jahre 1846 bewies nur, daß die erste wenig geholfen hatte; das luxemburgische Kontingent war noch immer »sehr weit davon entfernt, formiert zu sein«. Im übrigen gebar die neue Einrichtung nur neue unwürdige Zänkerei. Jeder Souverän, auch wenn er gar keinen General in seinem Vermögen hatte, verlangte nach dem Hochgenüsse, andere Staaten zu inspizieren; selbst die Senate von Hamburg und Lübeck erklärten nachdrücklich: wir bilden mit Oldenburg eine Brigade und zahlen Zuschuß für den Brigadegeneral, folglich müssen wir »als an der Aktivinspektion beteiligt, sei es auch nur durch ein et cetera, hinter Oldenburg aufgeführt werden«. Aber gegen dies et cetera verwahrte sich Oldenburg mit dem ganzen Stolze des Hauses Gottorp.

Auf den Toren und den Geschützen der neuen Bundesfestungen wollte König Friedrich Wilhelm Bundesfahnen und Bundeswappen anbringen lassen, und der Wiener Hof fand begreiflicherweise nichts dawider einzuwenden, wenn das althistorische gelbschwarze Reichsbanner auf den Wällen von Ulm und Rastatt prangte. Ebenso begreiflich, daß König Ludwig von Bayern davon nichts hören wollte. Er schlug die schwarzrotgoldenen Farben der Burschenschaft vor, um also »der revolutionären Partei eine Waffe zu entreißen«; doch wußte er sicherlich im voraus, daß nunmehr gar nichts beschlossen wurde. Etwas günstiger verliefen die Beratungen über das Bundeswappen. Einige der Kleinen wünschten alle Schilder der achtunddreißig Souveräne in einem schönen Kranze zu vereinigen mit der Umschrift: »Eintracht tragt ein«; alsbald erwies sich aber, wie wenig dieser sinnige Wahlspruch zutraf. Die Reihenfolge der Wappenschilder war ja seit langem streitig, und die Einstimmigkeit, die für einen solchen »organischen Beschluß« verlangt wurde, mithin ganz undenkbar. So mußte man denn auf den Doppeladler zurückkommen, der in den Jahrhunderten des Verfalles dem alten Reiche als Wappen gedient hatte. Der bayrische Bundesgesandte Obercamp aber meinte: »Der Adler war nie ein Zeichen deutscher Nationalität, sondern ein dem Heidentum entstammendes Symbol römischer Imperatorenwürde und Weltherrschaft.« Nach langen Verhandlungen gab Bayern endlich nach. Der Adler durfte jedoch weder Krone noch Zepter noch Schwert tragen, das hätte die Souveränität der Bundesstaaten zu schwer beeinträchtigt; und König Friedrich Wilhelm ließ dem Bundestage durch seinen Gesandten sagen: »Auf den Schutzwällen des Bundes würde der entwaffnete Reichsadler den Franzosen zu vieler Kurzweil Veranlassung geben; ich sei wahrhaft glücklich daran, unschuldig zu sein.« Als Preußen sich sodann erbot, die 1450 Mann, welche Waldeck und die beiden Lippe zur Kriegsbesatzung von Luxemburg zu senden hatten, selber zu stellen und dafür die drei Heere in die Festungen Wesel und Minden aufzunehmen, wo sie viel sicherer waren, auch durch ihre Unzucht weniger Schaden anrichten konnten, da erklärten die drei Fürsten übereinstimmend: dieser Vorschlag sei »unangemessen«, denn in Luxemburg ständen ihre Truppen unter einem Bundesgeneral – der freilich auch ein Preuße war – in Wesel und Minden dagegen »zur Disposition eines Nachbarstaats«.

Noch tiefer fühlten sich die Kleinen beleidigt, als König Friedrich Wilhelm sich bereit erklärte, die einzige preußische Spielbank, die Aachener, aufzuheben und vom Bundestage für die Zukunft ein Verbot aller öffentlichen Spielbanken verlangte. In allen den Badeorten der Frankfurter Umgegend blühten die Spielhöllen; die vornehmen Gauner Europas gaben sich hier ein Stelldichein, der Pariser Boulevardier rechnete Hombourg und Bade-Bade einfach zu Frankreich, und die östlichen Nachbarn spotteten nicht mit Unrecht, in diesen Spielbädern könne man die vielgerühmte deutsche Sittlichkeit kennenlernen. Das Unwesen wurzelte sehr tief. Die Spielpächter Benazet in Baden und Blanc in Homburg zählten mit Rothschild, Cotta und Taxis zu den mächtigen Kaufhäusern, welche sich in der Eschenheimer Gasse besonderer Gunst erfreuten, sie waren mit Blittersdorff und andern Bundesgenossen nahe befreundet, den kleinen Landesvätern brachten sie erkleckliche Einnahmen, und von den Bewohnern der Badestädte wurden sie als Wohltäter der ganzen Umgegend wie Heilige verehrt. Der Gesandte Graf Dönhoff mußte also bald erfahren, in welches Wespennest er gestochen hatte. Nassau wollte wohl die kleinen Spielhöllen in Schlangenbad und Schwalbach preisgeben, die große in Ems aber sollte fortbestehen, solange die Homburger dauere. Baden und Homburg wiesen das Ansinnen entrüstet zurück; vorher müßten erst alle Lottos und Staatslotterien vom deutschen Boden getilgt werden. Das Ende des mehrjährigen Zankes war, daß eine einzige der größeren deutschen Spielbanken unterging, die Köthener; und sie starb eines natürlichen Todes, da das Land nach dem Erlöschen der Köthener Linie (1847) mit Dessau vereinigt wurde. Also verschwand das historisch merkwürdigste der deutschen Fürstentümer, das in seltener Vollständigkeit sämtliche Reize germanischer Kleinstaaterei entfaltet hatte. Was war hier nicht alles binnen vierzig Jahren geleistet worden: erst der Moniteur de l'Empire Anhaltin-Coethien, dann der große Schmuggelkrieg gegen Preußen, dann die Jesuitenstation mitten im altprotestantischen Lande, dann endlich die Spielbank; mehr konnten die Lobredner deutscher Vielherrschaft unmöglich verlangen.

In solcher Nichtigkeit schleppten sich die Frankfurter Dinge dahin. Der Bundestag ist eine Leiche, ein Gaukelspiel, er ist der Indifferenzpunkt der deutschen Politik – so hieß es übereinstimmend in den Berichten der großen wie der kleinen Gesandten. Metternich aber, dem doch dieser Bund ganz unschätzbar sein mußte, fuhr fort, die Versammlung in der Eschenheimer Gasse mit der äußersten Geringschätzung zu behandeln. Dem Grafen Münch rechneten seine Amtsgenossen nach, daß er von den 23 Jahren seiner Präsidentschaft 13 in Wien, nur 10 in Frankfurt verbracht hatte, und für die jüngste Zeit stellte sich die Rechnung sogar noch ungünstiger. Allerorten in Deutschland – so gestanden die Bundesgesandten selber – ward über die Zukunft des Vaterlandes gesprochen, nur nicht in Frankfurt. Ein Rausch der Feste ging durch das deutsche Land, das doch zu jubeln so wenig Ursache hatte. Wie zur selben Zeit die schicksalsverwandten Italiener, so suchten die Deutschen in unzähligen brüderlichen Zusammenkünften ihrer nationalen Einheit froh zu werden. Den Naturforschertagen folgten die Zusammenkünfte der Philologen, der Landwirte, der Anwälte, der Sänger, der Schriftsteller. Überall wurde die neue Trikolore Schleswig-Holsteins mit Frohlocken begrüßt; und auch die vom Bundestage verschmähte schwarzrotgoldene Fahne tauchte trotz der Verbote immer wieder auf, sie galt schon allgemein als das nationale Banner.

Von lang nachwirkender Bedeutung waren unter diesen Versammlungen nur die beiden, zuerst durch den Schwaben L. Reyscher angeregten Germanistentage, die in Frankfurt 1846, ein Jahr darauf in Lübeck zusammentraten. Sie wurden als »geistiger Landtag des deutschen Volks« gepriesen, denn hier vereinigte sich die Blüte des Professorentums, das neuerdings durch den welfischen Staatsstreich und den schleswig-holsteinischen Streit wieder ein hohes Ansehen errungen hatte und nunmehr in gründlicher wissenschaftlicher Erörterung die großen politischen Lebensfragen der Nation besprach. Eine andere Bühne stand den Deutschen noch nicht offen, und es war nur der Lauf der Welt, daß die Männer dieses geistigen Landtags nachher in allzu großer Zahl für das wirkliche Parlament gewählt wurden. In Frankfurt ward die schleswig-holsteinische Frage von Dahlmann, Waitz, Droysen so ernst und umsichtig beleuchtet, daß seitdem ein Zweifel an dem guten Rechte unserer Nordmark kaum noch möglich schien. In Lübeck sodann gelangte der alte Streit um die Neugestaltung des Strafverfahrens zu einem vorläufigen theoretischen Abschluß; auch Georg Beseler, der kürzlich in seiner Schrift »Volksrecht und Juristenrecht« die Ruheseligkeit der historischen Schule bekämpft und das altdeutsche Schöffengericht verteidigt hatte, bekehrte sich jetzt zu der sehr bestreitbaren, aber von der Mehrzahl gebilligten Ansicht Dahlmanns: das Schwurgericht sei das gediegenste politische Bildungsmittel für das Volk. So stimmten die Gelehrten mit den volkstümlichen Wünschen überein. Es waren doch glückliche Tage; eine schwärmerische, hoffnungsfrohe Begeisterung verjüngte auch die Alten. Uhland meinte, die alten Kaiser sprängen leibhaftig aus ihren Rahmen heraus, als er im alten Römersaale die vaterländische Beredsamkeit der Tagenden anhörte; und im Lübecker Rathause fiel der greise Jakob Grimm dem Freunde Dahlmann überwältigt in die Arme mit dem Ausruf: er habe nie etwas so sehr geliebt wie sein Vaterland. Nur zu bald sollte die Zeit mit ehernen Sohlen über solche unschuldige Gefühle hinwegschreiten. Die Gelehrten empfanden das selbst; sie verabredeten miteinander ein gemeinsames Werk über die neueste deutsche Geschichte, ein Unternehmen, das bestimmt war, der Nation das Bewußtsein ihrer jüngsten Entwicklung zu erwecken, ihr die Einsicht zu schärfen für kommende Taten. Auch dieser Plan ward nachher durch die Revolution vereitelt; nur einige Bruchstücke, das Leben Steins von Pertz und Wippermanns kurhessische Geschichte, kamen zustande.

Solche Versammlungen konnten nur vorbereiten; unmittelbar der Politik des Tages galten aber die vertraulichen Beratungen, welche alle diese Jahre hindurch zwischen den liberalen Abgeordneten Westdeutschlands gehalten wurden. Die Ratlosigkeit und die Zwietracht der Kronen zwangen die Nation, den Anstoß zu einer Bundesreform nur noch von unten her zu erwarten. Im Oktober 1847 versammelten sich zu Heppenheim mehrere der angesehensten Liberalen des Westens: Mathy, Bassermann, Soiron aus Baden, Römer aus Württemberg, Hergenhahn aus Nassau, Heinrich von Gagern aus Hessen, Hansemann und Mevissen aus dem preußischen Rheinlands; auch der alte Itzstein war erschienen, doch merkte er bald, daß seine Stimme unter diesen gemäßigten Liberalen nichts mehr galt. Hier wurde nun der Gedanke des deutschen Parlaments, der jetzt schon überall als Volkswunsch galt, ernstlich erwogen, und sobald man den Dingen nähertrat, drängte sich auch schon gebieterisch die Frage der Zukunft hervor, die Frage: Preußen oder Österreich? Mathy erwies mit seinem überlegenen Verstande: ein Reichstag ohne eine wirkliche Staatsgewalt sei ein Unding, ja, er würde neben dem Bundestage die deutsche Anarchie nur vollenden; der Zollverein hingegen besitze schon eine gemeinsame Verwaltung, eine leidliche Organisation, also müsse den Zollkonferenzen ein Zollparlament beigeordnet werden, das ernsthafte nationale Geschäfte ernsthaft beriete, ohne in leeren Phrasen unterzugehen. Es war ein befreiendes Wort, verfolgte man diesen Weg weiter, so gelangte man unfehlbar zu der Erkenntnis, daß die deutsche Einheit nur unter Preußens Führung und mit Ausschluß Österreichs möglich war. Gagern stimmte dem Badener zu, desgleichen Hansemann, der schon den Rheinischen Provinzialständen und dem vereinigten Landtage die Berufung eines Zollparlaments empfohlen hatte, und man trennte sich in Eintracht. Als die Tagenden heimkehrten, da bemerkten sie freilich bald, daß der nüchterne Gedanke des Zollparlaments den leidenschaftlich erregten, nach einem unbestimmten Glücke verlangenden Gemütern der Patrioten nicht genügte. Das deutsche Parlament blieb das einzige Schlagwort der Einheitspartei, das die Massen begeistern konnte. Darum stellte Bassermann im Karlsruher Landtage seinen Antrag auf Berufung einer gesamtdeutschen Volksvertretung, obgleich der einsichtige Mann wohl wußte, wie wenig dieser nebelhafte Vorschlag den Kern der Sache traf.

Schon vorher, im Juli 1847, war ein Unternehmen begonnen worden, das den gemäßigten Liberalen für die nationale Politik die geistige Führung sichern sollte. Der Plan einer großen, für die gesamte Nation bestimmten Zeitung beschäftigte den König von Preußen seit seiner Thronbesteigung und wurde auch jetzt noch durch Professor Lohbauer wieder aufgenommen, dach er konnte unmöglich gelingen; denn wo ließen sich die Publizisten finden, die, wie Friedrich Wilhelm wünschte, zugleich ganz freimütig und ganz im Geiste des Berliner Hofes schrieben? Diesen alten Lieblingsgedanken rissen die badischen Liberalen dem Könige aus den Händen, sie beschlossen auf einer Durlacher Versammlung (1846) die Gründung einer großen »Deutschen Zeitung«. Bassermanns Buchhandlung in Mannheim übernahm den Verlag, Gervinus die Leitung, und seinem unermüdlichen Eifer gelang es bald, nicht nur beträchtliche, nach deutschen Verhältnissen ganz unerhörte Geldzeichnungen zu erlangen, sondern auch fast alle guten Namen des gemäßigten Liberalismus im Süden und Westen für die Mitarbeit anzuwerben. Nur Dahlmann hegte von Haus aus Bedenken; er blieb dabei, »daß auf preußischem Boden erscheinen muß, was in Preußen Wurzeln fassen soll«, während Gervinus in seinem kleinstaatlichen Dünkel glaubte, der Süden solle seinen konstitutionellen Geist von außen her in Preußen einpflanzen und, den Preußen nur die Ausführung überlassend, in der deutschen Politik stets vorangehen. Von den Radikalen schon im voraus als Professorenblatt verhöhnt, brachte die »Deutsche Zeitung« eine überraschende Fülle von ernsten, wohldurchdachten Leitartikeln; selbst ihre Korrespondenzen glichen oft mehr doktrinären Abhandlungen als tatsächlichen Berichten, obgleich die Redaktion klagte: unsere Korrespondenz ist noch nicht überall ganz im Systeme. Von unzähligen Staatsmännern, Abgeordneten, Gelehrten liefen treffliche Beiträge ein. Unter den ersten Mitarbeitern bewährte sich namentlich Mathy als rühriges journalistisches Talent, neben ihm der Heidelberger Historiker Ludwig Häusser, ein junger Elsasser, in dem sich alle schönen Charakterzüge des süddeutschen Volkstums vereinigten: gesunder Menschenverstand, fröhliche Tatkraft, warme Begeisterung und eine selbst die Gegner zuweilen gewinnende Liebenswürdigkeit. Nachher sind noch viele andere tüchtige Publizisten durch die »Deutsche Zeitung« für das journalistische Handwerk erzogen worden: Kruse, Aegidi, Heller, Marggraff.

Die »Deutsche Zeitung« wirkte – so erfolgreich, wie späterhin nur noch die »Kreuzzeitung« – für die Durchbildung einer ganz bestimmten Parteigesinnung, aber freilich nur in einem engen Kreise. Fast alle die wackeren Gelehrten, welche nachher im Frankfurter Parlamente den Ausschlag gaben, die Anhänger der konstitutionellen Monarchie und der preußischen Hegemonie, verdankten den Artikeln dieses Blattes einen Teil ihrer politischen Bildung. Allein in die Masse der Lesewelt drang die »Deutsche Zeitung« niemals ein. sie schwebte von vornherein in der Luft, da sie weder einen landschaftlichen Boden unter den Füßen hatte noch die Klasseninteressen eines mächtigen Standes vertrat; der Ton ihrer Aufsätze war gewöhnlichen Lesern zu hoch, und den wirksamen Wucher mit aufregenden Neuigkeiten verschmähte sie stolz. Das schlimmste blieb doch, daß sie in Preußen selbst so wenig Mitarbeiter und Leser fand; sogar der alte Schön schrieb gar nichts, obgleich er seinen gefeierten Namen unter die Ankündigung des Blattes gesetzt hatte. Zu dem Heidelberger leitenden Ausschuß gehörte auch Geh. Rat Fallenstein, ein alter Lützower Jäger, der nach einer entbehrungsreichen Jugend im preußischen Staatsdienste emporgestiegen und kürzlich unmutig ausgeschieden war, weil er sich mit Kühnes diktatorischem Wesen nicht vertragen konnte – einer jener seltenen Männer, welche mehr durch die Macht einer ursprünglichen Persönlichkeit als durch ihre Taten wirken, ein urkräftiger Teutone, fest, freimütig, bedürfnislos wie alle die Recken der Blücherschen Tage. Er blieb seinem Gervinus in treuer Freundschaft zugetan, und doch ward dem tapferen Preußen oft schwül zumute, wenn die »Deutsche Zeitung« das theoretisch geliebte Preußen Tag für Tag praktisch mißhandelte und ihm immer von außen her, meist ohne jede Sachkenntnis, Lehren der Weisheit und Tugend gab. Gervinus selbst entschuldigte sich einmal: unser wärmerer Tadel gegen Preußen ist nur ein Zeichen unserer wärmeren Liebe; aber Liebe zu erweisen verstand der ewig Ungnädige wenig. Auf die Dauer ging es nicht an, also außerhalb Preußens preußische Politik zu predigen, und es war doch nur menschlich, daß König Friedrich Wilhelm, der ohnehin den liberalen Ideen so fern stand, die allezeit tadelnden »Mannheimer und Heppenheimer« als seine geschworenen Feinde betrachtete. Preußen ist ein ganz deutscher Staat geworden – in diesem beständig wiederholten Satze lag das bleibende Verdienst der »Deutschen Zeitung«, jedoch außerhalb der Gelehrtenwelt fand die neue Erkenntnis vorerst nur wenig Anklang.

Die Nichtigkeit des Bundestags erschien so hoffnungslos, daß selbst Blittersdorff jetzt auf Reformgedanken geriet. Reiner Partikularist war er ja nie gewesen, er wünschte eine starke Bundespolitik. In seinem ungeduldigen Ehrgeiz unternahm er einmal sogar, mit dem Grafen Dönhoff anzuknüpfen, und gab ihm zu verstehen, bei der vollendeten Gleichgültigkeit Österreichs bleibe nichts mehr übrig als der Anschluß der kleinen Staaten an Preußen. Diese Schwenkung des alten Gegners war doch zu verdächtig; selbst der allezeit arglose König warnte seinen Gesandten: »Das kann eine Falle sein, deren h. v. B. wohl fähig ist.« Also von Preußen abgewiesen, wandte sich Blittersdorff wieder dem geliebten Österreich zu und bestürmte seit dem Herbst 1847 den Grafen Münch mit einer langen Reihe von Denkschriften, die allesamt unfreiwillig und eben deshalb unwiderleglich erwiesen, daß die Hofburg ihre Herrschaft in Deutschland nur noch durch Betrug und Rechtsverdrehung zu erweitern vermochte. Mit dürren Worten gestand Blittersdorff ein, Österreich könne weder »ein nationales Deutschland mit zentraler Aktion« dulden, noch selber in den Zollverein eintreten; folglich, so schloß er, müsse der Wiener Hof, mit gewandter Benutzung des nichtssagenden Art. 64 der Wiener Schlußakte, alle die zwischen den Bundesstaaten abgeschlossenen Sonderverträge über Zoll-, Münz-, Postwesen usw. »unter den Schutz des Bundestags« stellen und dergestalt »die politische Leitung« aller gemeinnützigen deutschen Bestrebungen, insbesondere des Zollvereins selber, in die Hand nehmen, welch ein naives Geständnis! von den Pflichten des deutschen Zollverbandes sollte die Hofburg frei bleiben, aber das Recht der Herrschaft gebührte ihr, damit nur ja niemals »ein nationales Deutschland« entstände! Anschaulicher ließ sich der Löwenvertrag, der zwischen Österreich und Deutschland bestand, nicht schildern. Zum Glück blieb das alles verlorene Arbeit. Zu irgendeinem kräftigen Entschlusse konnten sich weder Metternich selbst noch seine ebenso altersmüden Genossen aufraffen. Als du Thil dem Grafen Münch Bundesreformen oder mindestens strengere Handhabung der bestehenden Bundesgesetze empfahl, da erwidert der Österreicher: »warum soll ich mich, nachdem ich mich so lange abgeplagt habe, zu guter Letzt vollends ganz unpopulär und verschrien machen?« Der Hesse aber dachte ahnungsvoll: Après nous le déluge!

Ehrlicher gemeint waren einige Reformvorschläge des Fürsten Karl von Leiningen. Ein Halbbruder der Königin Victoria, hatte er einen Teil seiner Jugend in England verlebt, mannigfache Erfahrungen und Kenntnisse gesammelt und den Segen einer starken nationalen Einheit aus der Nähe kennengelernt; ohnehin betrachtete er, gleich der Mehrzahl der mediatisierten Fürsten, die deutschen Dynastien mit skeptischen Blicken, denn warum sollten die Häuser Lippe oder Reuß unantastbarer sein als Leiningen oder Fürstenberg? Seit er den Vorsitz im bayrischen Reichsrate mit gutem Anstande führte, glaubte er sich auch an die großen Aufgaben der nationalen Politik wagen zu können. Leider fehlten dem warmherzigen Patrioten Ruhe, Stetigkeit, ausdauernder Fleiß; alle seine Arbeiten waren formlos, halb ausgereift, sie verrieten die lässige Hand des vornehmen Dilettanten. In einer schwungvollen Denkschrift mahnte er seine mediatisierten Standesgenossen, auf die verhaßten Abgaben und obrigkeitlichen Rechte, die ihnen noch geblieben, rechtzeitig zu verzichten und sich dafür in den Landtagen eine politische Machtstellung zu sichern. In zwei andern Aufsätzen betrachtete er sodann die deutsche Frage und erklärte sich offen für Preußens Hegemonie; die Hofburg dachte er, soviel sich erraten ließ, mit einer Ehrenstellung abzufinden. Die einst so heiß erstrebte Souveränität der deutschen Dynastien – so führte er aus – sei einerseits durch den Zollverein, andererseits durch die Landstände und das Beamtentum, kurz durch die wachsende Macht des Mittelstandes, schon so gründlich beeinträchtigt, daß sie auch noch stärkere Einschränkungen wohl ertragen könne; darum müßten die Fürsten sich der beiden bewegenden Elemente der Zeit, der Ideen der konstitutionellen Freiheit und der Nationalität bemächtigen, die Nation nach diesen Zielen hinführen, das Übergewicht Preußens zugleich anerkennen und fest begrenzen, »wie aber,« fuhr er nachdenklich fort, »wenn sich Preußen auch in politischer Beziehung an die Spitze der Ideen und Bestrebungen jenes schon so mächtigen Mittelstandes stellt und die Erreichung jenes Zieles, nach dem die deutsche Nation so mühselig strebte, ihr plötzlich als ganz nahe zeigt?«

Die eine dieser Denkschriften, die auch am Bundestage und an den kleinen Höfen bald bekannt wurden, sendete der Fürst seinem Schwager, dem Prinzen Albert, und der Prinzgemahl entschloß sich alsbald mit der ganzen Dreistigkeit des künstlichen Engländers, den König Friedrich Wilhelm über deutsche Politik zu unterrichten. Wunderbar doch, in welchen holden Selbsttäuschungen diese glückhaften Coburger dahinlebten! Die lächerliche, nur durch eine heuchlerische Hofetikette notdürftig verdeckte Ohnmacht des englischen Königtums blieb ihnen ganz verborgen, und Herzog Ernst von Coburg meinte alles Ernstes, die Stellung seines Bruders sei »dem Könige von Preußen wohl gewachsen«! Die deutsche Fremdbrüderlichkeit aber ertrug willig eine Anmaßung, welche jedes andere Volk den verlorenen Söhnen des Vaterlandes stolz verbietet, wie unsere Liberalen sich von den Deutsch-Amerikanern dankbar belehren ließen, so fanden es auch unsere Höfe nicht unwürdig, daß dieser Coburger, der seinem Vaterlande gleichmütig den Rücken gewendet hatte, immer noch in deutschen Dingen mitreden wollte. Was würde Königin Victoria gesagt haben, wenn König Friedrich Wilhelm ihr im Tone des Lehrers Anweisungen für die innere Politik Englands gegeben hätte? – diese einfache Frage legten sich die bescheidenen Deutschen noch nicht vor. Prinz Albert stand der partikularistischen Dynastengesinnung viel näher als sein deutscher Schwager, und namentlich der Gedanke der preußischen Hegemonie blieb ihm unheimlich. Darum eignete er sich einige gute Gedanken der Leiningenschen Denkschrift an, um ihnen sogleich behutsam die Spitze abzubrechen. Er verlangte, wie sein Schwager, das konstitutionelle Regiment und die deutsche Einheit, aber obgleich er selber zugab, daß Österreich jede Reform grundsätzlich hindere, so forderte er doch, Preußen müsse im Einverständnis mit Österreich vorgehen und den Bundestag dermaßen stärken, daß alle die Zoll- und Post- und Münzvereine in Frankfurt unter dem Schutze des Bundes vereinigt würden, allerdings mit Zuziehung gewählter Abgeordneten und mit voller Öffentlichkeit. Seine Ratschläge stimmten also am letzten Ende mit Blittersdorffs österreichischen Denkschriften überein; nur stellte er, in seltsamem Widerspruche, immer wieder die Bedingung, daß Preußen die Leitung der Frankfurter Reformpolitik allein in seiner Hand behalten müsse, wie aber dies Wunder möglich werden, wie Preußen in Frankfurt jemals eine sichere Mehrheit erlangen sollte? – darauf gab der Prinz keine Antwort. Es war doch eine recht schwache Arbeit, diese im Vetternkreise vielgerühmte Denkschrift von Ardverikie vom 11. Sept. 1847; sie bewies nur von neuem, daß ein vaterlandsloser Mann vaterländische Politik nicht verstehen kann.

Mit massiver Offenheit, da er ja hier am heimischen Hofe kein Blatt vor den Mund zu nehmen brauchte, erklärte sich Lord Palmerston wider die Pläne des Prinzgemahls. Er wünschte zwar den Deutschen alles Gute und wiederholte geläufig die zeitgemäßen Redensarten von dem natürlichen Bunde zwischen England und Deutschland. Aber von deutscher Zolleinheit wollte er nichts hören; kein englischer Minister, so sagte er feierlich, könne jemals zugeben, daß Hannover und die Hansestädte dem Zollvereine beiträten, diese westdeutsche Freihandelsküste biete ja den Briten das einzige Mittel, um ihre Fabrikwaren nach Deutschland hinüberzuschmuggeln. Schade nur, daß dies herzinnige englische Geständnis in Deutschland nicht bekannt wurde. Aber auch der getreue Stockmar, der zur Zeit in Coburg weilte, war unzufrieden; sein deutscher Stolz, den er trotz seiner seltsamen internationalen Stellung doch nie verleugnete, lehnte sich wider die Zudringlichkeit des Prinzgemahls auf, und er schrieb freimütig: wer sich so lange dem Vaterlande entfremdet hätte, der verliere das Recht mitzuraten. Dann redete er dem geliebten Zögling, dessen starren Dynastendünkel er wohl kannte, kräftig ins Gewissen: die deutschen Fürstenhäuser bedürften heute vor allem ernster Selbsterkenntnis, denn sie hätten durch Verrat und Ungehorsam das alte Reich zerstört, das Vaterland zerrissen; sie würden von einem großen Teile der Nation als Feinde der deutschen Einheit gehaßt, sie müßten endlich einsehen, daß die antidynastische Gesinnung sich in immer weiteren Kreisen verbreite. Goldene Worte. Doch der Prinz ließ sich nicht beirren; er sendete seine und seines Schwagers Denkschriften durch Bunsens Vermittlung dem Berliner Hofe.

Da ergab sich denn alsbald, daß der allein rettende Ruf: los von Österreich, daß die Rückkehr zur friderizianischen Politik von niemand tiefer verabscheut wurde als von König Friedrich Wilhelm selbst. Durch Leiningens Vorschläge wurde er, wie er an Bunsen schrieb, »fast empört. Der Schwager will Österreich aus dem Bunde sachte entfernen, einen Bund im Bunde gegen den Bund (also Treubruch!), und dieser Wirtschaft soll ich quasi gezwungen werden, mich anzunehmen und den Wünschen dieser Esel von Liberalen vorauseilend, das Banner des Fortschrittes erheben«. Dies blieb seine heilige Überzeugung, und sie sollte für den Verlauf der deutschen Revolution verhängnisvoll werden. Durchaus nur als der zweite, als kaiserlicher Feldhauptmann und Erzkämmerer wollte er in dem kaiserlosen Deutschen Bunde auftreten; was der Große König einst darüber hinaus geplant hatte, war dem Nachkommen eitel Verrat; »ich will Österreich den Steigbügel halten«, sagte er oft. Besser gefielen dem Könige die friedfertigen und unbestimmten Gedanken des Prinzgemahls, obgleich er eine scharfe Bemerkung über das Sitzen am Tische fern von Deutschland nicht unterdrücken konnte. Nur gegen zwei Vorschläge verwahrte er sich ernstlich. Auch er wollte die deutsche Freiheit, doch nimmermehr im Sinne der Liberalen. »Eine einzige wunderbare Kunst versteht der vulgäre Liberalismus à la Hansemann und Konsorten, die nämlich, ein Volk dumm und böse zu machen. Darin hat er, wie überhaupt in so vielem, von den Jesuiten gelernt und übertrifft sie bei weitem. Der Liberalismus, der namentlich jetzt Deutschland verstänkert, ist eine Gattungsreligion, eine Durchgangsreligion, die sich auf das Christentum aufsetzt, wie man einst Ludwig XVI. die Galeerensklavenmütze aufsetzte, um seine Salbung zu verwischen; und sie ist ein Aberglaube verächtlichster Art, da sie eine Volkswillensanbetung als ihr Wesen predigt, ein Götzendienst hundertmal ärger als der des Baal und der Astarte, denn bei der Verehrung dieser war das Volk doch durch falsche Wunder und Gaukeleien verführt. Der Volksanbetung aber widersagt brüllend die Geschichte der Menschheit seit sechstausend Jahren!!!« Zum zweiten erklärte der König für unmöglich, daß Deutschlands Fürsten und Fürstchen jemals etwas von ihren Souveränitätsrechten aufgeben könnten: »Das tun nun einmal die Herren nicht. Für den Bund sollten sie es allerdings, für Preußen sollen sie es so wenig und noch weniger als für Österreich.« Er glaubte also, seine Bundesreformpläne, die doch allesamt eine starke Beschränkung der Territorialgewalten voraussetzten, würden sich ganz von selbst verwirklichen durch die freie Übereinstimmung aller achtunddreißig Souveräne.

In gleichem Sinne antwortete Canitz. Er spottete über »den Aufsatz, welcher als das beste Mittel zur Kräftigung des Deutschen Bundes die Amputation seines mächtigsten Gliedes anrät; diese Kur würde, wie manche allopathische Mixtur, viel schlimmer sein als das zu heilende Übel«. Dann gab er dem Vermittler Bunsen den deutlichen Wink: »daß unter allen jetzt lebenden Regenten keiner weniger fremder Ideenlieferanten bedarf als der König unser allergnädigster Herr«. Die Berechtigung der durch den Vereinigten Landtag so mächtig angeregten Ideen der Nationalität und der ständischen Verfassung stellte er nicht in Abrede; doch leider seien sie durch Deutschlands innere Feinde zu einem Losungsworte der Umwälzung geworden; darum hoffe sein König, »daß die deutschen Fürsten im festen Zusammenhalten und Anschließen an die mächtige Stütze des Bundes keine Gefahr, sondern vielmehr die Gewähr für ihre eigenen Rechte erkennen mögen«.

So unsicher stand der preußische Hof der anschwellenden nationalen Bewegung gegenüber: voll guten Willens freilich, aber ohne Verständnis für die Macht der liberalen Ideen und – was in der Politik aller Schande Anfang ist – ohne hohen Ehrgeiz. Mit der freien Zustimmung Österreichs und aller Souveräne hoffte der König, »die teure Institution des Deutschen Bundes, die letzte Stütze der Zukunft« – wie sein Radowitz sich ausdrückte – zur Erfüllung »ihrer welthistorischen Aufgabe« in den Stand zu setzen. Unablässig brütete er über diesen Entwürfen; es lag aber in der Natur der Dinge, daß sie noch viel langsamer reiften als seine ständischen Pläne. Seit langem schon verhandelte Canitz mit Metternich über die Bundespolitik, bald brieflich, bald mündlich durch den Baron v. Werner, den die k. k. Staatskanzlei jetzt »wie das liebe Brot brauchte. Er gehört«, so schrieb sein greiser Gönner, »zu den Treuen, aber zugleich zu den Intellektuellen. Er versteht mich und wird Sie also auch verstehen, und heute kommt es wohl mehr als nie auf Verständigung unter denen an, welche noch Kopf und Arme haben und nicht zu den Azephalen und den Paralytikern gehören«. In Wahrheit war Werner nur ein brauchbarer Bureaukrat des gewöhnlichen Schlages, ohne Ideen, ohne Tatkraft, und selbst ein größerer Mann konnte die breite Kluft, welche die beiden Staaten trennte, nicht mehr überbrücken. Noch immer geängstigt durch die Leipziger Unruhen, verlangte Metternich scharfe Maßregeln gegen die neuen Sekten. Canitz aber berief sich standhaft auf die bewährten Traditionen seiner Monarchie: »Die Glaubensfreiheit, wie sie in Preußen besteht, ist ein Produkt unserer Geschichte, in der die sechsundvierzigjährige Negierung Friedrichs II. ausradiert werden müßte, wenn wir ihren Begriff so interpretieren wollten, wie Kaiser Joseph II. ihn, von seinem Standpunkt aus mit vollem Rechte, feststellte.«

Ebensowenig konnte man sich über die Presse einigen. Der Österreicher forderte, um das tief erkrankte Deutschland zu heilen, unnachsichtliche Durchführung des Karlsbader Preßgesetzes, das sich doch so unwirksam gezeigt hatte. Der Preuße erwiderte, indem er auf Metternichs »Lieblingsgleichnis« ironisch einging: »Der Kranke wird nicht dadurch gesund, daß er an die Vorschriften erinnert wird, deren Befolgung ihn vor dem Fieber, das ihn schüttelt, hätte bewahren können.« Canitz verlangte jetzt Preßfreiheit mit einem strengen Repressivsystem, denn durch die kläglichen Erfahrungen des neuen Oberzensurgerichts hatten der König und Savigny endlich gelernt, daß man mit der Zensur nicht mehr auskam. Auf das heftigste widersprach Metternich: In England und Frankreich kenne ich keinen Staatsmann, der die Preßfreiheit nicht für ein Übel hält, »da sie ihrer Natur gemäß nur deren Lizenz zu sein vermag. Alle Maßregeln, welche dem Juste Milieu zwischen dem Leben und dem Tode, welche also dem Siechtum angehören, bieten keinen Stoff zu Normalgesetzen«. Sein preußischer Freund aber antwortete: Unser Vorschlag ist ein Juste Milieu zwischen Leben und Tod nur in demselben Sinne, »wie es das menschliche Leben in dieser gebrechlichen Welt überhaupt ist. Es wäre ein allzu strenges Urteil über unser Vaterland, wenn man behaupten wollte, in Deutschland könne die Gewalt der Presse nur verderblich wirken, wenn eine strenge ängstliche Zensur sie nicht lähmte«. Der greise, in seinen Gedanken jetzt ganz fest eingerostete Staatskanzler konnte den Widerspruch der Preußen gar nicht begreifen. Nach erneutem Schriftenwechsel sendete er im Frühjahr 1847 seinen Hofrat Werner nach Berlin, um mit den bewährten Künsten österreichischer Anbiederung die preußischen Bundesreformpläne und zugleich den Krakauer Streit zu beseitigen.

Aber noch während Werner am preußischen Hofe verweilte, ließ Canitz durch ein Rundschreiben vom 4. April 1847 allen deutschen Regierungen den längst vorbereiteten Entwurf für ein Bundespreßgesetz zugehen. Da er die bundesgesetzliche Zensur in Preußen schlechterdings nicht mehr aufrechthalten wollte und doch einsah, daß Österreich, Hannover, Kurhessen sich zu einer solchen Reform nie freiwillig entschließen würden, so lautete der § 1 seines Entwurfs ganz bescheiden: »Jedem deutschen Bundesstaate wird freigestellt, die Zensur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen.« Dann wurden die »Garantien« aufgezählt, welche die zur Preßfreiheit entschlossenen Staaten ihren Bundesgenossen zu geben hätten: ein strenges Konzessionswesen für Buchdrucker und Zeitungsherausgeber, harte Strafen für Preßvergehen, endlich noch ein rechtsgelehrtes Bundessyndikat, das nach freiem Ermessen gemeingefährliche Schriften für ganz Deutschland verbieten sollte. Wie ängstlich auch diese Beschränkungen erscheinen mochten, die Aufhebung der Zensur war doch, wenn sie gelang, eine entscheidende Tat; denn daß die übrigen Staaten, außer Österreich, dem guten Beispiel Preußens bald folgen mußten, lag auf der Hand. Am Bundestage zeigten sich Sachsen, Baden, Weimar, selbst das konservative Darmstadt günstig gestimmt. Mit besonderem Eifer ging Württemberg auf die preußischen Vorschläge ein. König Wilhelm hatte sich, wie er dem Grafen Dönhoff gestand, durch die leidenschaftlichen Klagen seines Landtags von der Unmöglichkeit der Zensur endlich überzeugen lassen; als erfahrener Soldat räumte er den verlorenen Posten und nahm das zornige Niemals!, das er vor kurzem erst der Preßfreiheit entgegengeschleudert hatte, entschlossen zurück. Er forderte nunmehr Aufhebung der Zensur und Einführung des Repressivsystems in ganz Deutschland.

Aber wieder scheiterte alles an dem bösen Willen der Hofburg. Seltsam, wie die Gedanken in dem Kopfe des alternden Staatskanzlers sich mehr und mehr verwirrten. Metternich pflegte gerade in diesen Tagen, da ihn die italienischen Unruhen lebhaft beschäftigten und die Franzosen sein Kaiserreich als eine italienische Macht bezeichneten, nachdrücklich und nicht ohne Gereiztheit zu versichern: »Österreich ist ein Reich, das unter seiner Herrschaft Völker von verschiedener Nationalität umfaßt, aber als Reich hat es nur eine Nationalität. Österreich ist deutsch,« so sagte er zum Grafen Arnim, »deutsch durch die Geschichte, durch den Kern seiner Provinzen, durch seine Zivilisation.« Gleichwohl wähnte er, diese deutsche Macht erfülle ihre Pflichten gegen Deutschland am sichersten durch vollkommene Untätigkeit. Sein getreuer Münch schob die Verhandlung über den preußischen Antrag von Monat zu Monat hinaus, und als sie im September endlich doch stattfand, da beantragte er, wie üblich, die Einholung von Instruktionen. Darüber mußten wieder viele Monate vergehen, und die vereinzelten Abstimmungen, welche nach und nach einliefen, bewiesen genugsam, daß man sich nicht einigen konnte. Bayern erklärte (Januar 1848), ein Bundesgesetz scheine überflüssig, für Bayerns Presse genüge die freie bayrische Verfassung vollkommen. Also ward auch dies vaterländische Unternehmen in den großen Schiffbruch des Bundes hineingerissen.

Nicht minder vergeblich arbeiteten Württemberg und Preußen selbander für eine andere nötige Verbesserung. König Wilhelm hatte während der Teuerung des letzten Winters erfahren, wie beklommen sich die stolze Hofburg vor der Öffentlichkeit fühlte. Damals war dem nach Württemberg bestimmten österreichischen Getreide der Ausgang auf der Donau plötzlich gesperrt, aber nach langem Streite augenblicklich freigegeben worden, sobald Württemberg drohte, den Hergang zu veröffentlichen. Auf Grund dieser Erfahrung entschloß sich der kluge Schwabenkönig, in Frankfurt (26. März 1847) die Veröffentlichung der wichtigsten Bundesprotokolle zu beantragen, wieder suchte Münch die Beratung hinzuhalten; Dönhoff aber erstattete im September einen Ausschußbericht, der noch über Württembergs bescheidenen Antrag hinausging. Der Preuße erwähnte, daß selbst der Regensburger Reichstag seine Sitzungsberichte stets herausgegeben hatte, und verlangte kurzweg Rückkehr zu der alten Ordnung, wie sie vor dem Jahre 1824 bestanden: also die Öffentlichkeit als Regel, mit Vorbehalt einzelner Ausnahmen. Der gesamte Ausschuß stimmte ihm zu – so mächtig drang der Luftzug der öffentlichen Meinung schon in den Bundestag ein. Nur Österreich widersprach. Münch gehörte dem Ausschuß selber an, hatte aber keiner einzigen Sitzung beigewohnt. Jetzt erklärte er im Namen seines Hofes: die Geheimhaltung sei entschieden vorzuziehen, allerhöchstens könne man zugeben, daß die Protokolle nach sorgfältiger Auswahl am Ende jeder Sitzungsperiode veröffentlicht würden, aber nicht in den Zeitungen, sondern in einer besonderen Sammlung. Nun wurde wieder die Einholung von Instruktionen beschlossen, und der Antrag blieb liegen – bis zum Zusammenbruch. Die Könige von Preußen und Württemberg aber erfuhren handgreiflich den Unsegen des Bundesgeheimnisses; über alle ihre ehrlichen Reformbestrebungen verlauteten in der Nation nur unbestimmte Gerüchte.

Auch außerhalb des Bundestages bemühte sich der Berliner Hof um gesamtdeutsche Reformen. Auf seinen Betrieb versammelte sich zu Dresden im Spätjahr 1847 eine deutsche Postkonferenz, die aber wenig zustande brachte, weil die partikularistische Eifersucht sich noch nicht überzeugen ließ. Man blieb im wesentlichen bei den Sonderpostverträgen, welche zu Anfang der vierziger Jahre zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Taxis abgeschlossen waren. Ungleich günstiger verlief die zur nämlichen Zeit, ebenfalls auf Preußens Aufforderung, berufene Wechselrechtskonferenz. Der Gedanke war schon vor einem Jahrzehnt von Württemberg auf den Zollkonferenzen angeregt, damals aber noch als unmöglich abgewiesen worden. Jetzt konnte man die Bedürfnisse des so mächtig angewachsenen Handelsverkehrs doch nicht mehr ableugnen, und da diese Rechtseinheit das Heiligtum der Souveränität durchaus nicht antastete, so wagte die preußische Regierung, nicht bloß die Zollverbündeten, sondern alle Bundesstaaten zu den Verhandlungen einzuladen. Zum Versammlungsort konnte nur Leipzig gewählt werden; denn hier in dem großen Meßplatze ließen sich die Mißstände der bestehenden Rechtszersplitterung an der Quelle kennenlernen; hier war auch neuerdings durch Einert, Treitschke und andere tüchtige Juristen eine neue Wechselrechtslehre ausgebildet worden, die sich vom römischen Rechte lossagte und den Anforderungen des modernen Handels gerecht zu werden suchte. Ein preußischer Entwurf, bei dem Savigny selbst mitgewirkt hatte, wurde den Beratungen zugrunde gelegt. Geh. Rat Bischoff, ein Harzer, der den alten Juristenruhm der Heimatlands Eicke von Repgows wieder einmal bewährte, verteidigte den Entwurf mit siegreichem Scharfsinn und gewandter Liebenswürdigkeit; auch der sächsische Bevollmächtigte, der geistreiche alte Präsident Einert half treulich mit, obgleich die Konferenz sich die Grundgedanken seiner Theorie nicht aneignen wollte. Schon am 9. Dezember, nach einer Beratung von fünfzig Tagen, wurde die Deutsche Wechselordnung vollendet, ein Werk aus einem Gusse, wie es unter parlamentarischer Mitwirkung sicherlich nie gelungen wäre, ein Gesetz, das kurz und scharf, so wie es einst Savigny in seiner Jugendschrift verlangte, nur die leitenden Rechtsgrundsätze aufstellte, ohne sich in weitläuftige Kasuistik zu verlieren. Es war ein juristisches Meisterwerk; wohl nur eine seiner Vorschriften, die ganz unbeschränkte allgemeine Wechselfähigkeit, ließ sich ernstlich anfechten. Eine boshafte Tücke des Schicksals fügte aber, daß dies einzige gute gesamtdeutsche Gesetz, das unter der Herrschaft des Bundestags je zustande kam, nicht durch ihn verkündet wurde. Die Unruhen der nächsten Monate verhinderten den Abschluß, und erst im Herbst 1848 wurde die Wechselordnung durch die neuen Reichsgewalten bekanntgemacht, so daß sie den Uneingeweihten als ein Geschenk der Revolution erscheinen mußte. Der Bundestag hatte wieder seinen Lohn dahin.

Das alles war in Friedrich Wilhelms Augen, nur Vorarbeit für den umfassenden Bundesreformplan, den er zu Ende November 1847 durch General Radowitz dem Wiener Hofe überreichen ließ. Radowitz blieb in diesen deutschen Geschäften sein nächster Ratgeber, da die Minister ihre nüchternen Geschäftsbedenken, einige auch ihre Furcht nicht überwinden konnten, General Gerlach aber alle »Germanomanie« bekämpfte. In einer großen Denkschrift vom 20. November stellte Radowitz die Gedanken seines königlichen Herrn zusammen. Sie verurteilte in scharfen Worten das bisherige Bundessystem. Da hieß es rundweg: »Auf die Frage: was hat der Bund seit den zweiunddreißig Jahren seines Bestehens, während einer beispiellosen Friedens getan für Deutschlands Kräftigung und Förderung? – ist keine Antwort möglich. Die gewaltigste Kraft der Gegenwart, die Nationalität ist die gefährlichste Waffe in den Händen der Feinde der öffentlichen Ordnung geworden.« Darum verlangte Preußen Kräftigung der Bundesgewalt nach drei Seiten hin. Zum ersten Sicherung der Wehrhaftigkeit des Bundes durch Inspektionen, gemeinsame Übungen, Vereinbarung über die Reglements, das Kaliber usw. – aber ohne Umsturz der bestehenden Heeresverfassung. Zum zweiten gesicherten Rechtsschutz, also ein Bundesgericht für staatsrechtliche Streitigkeiten, Einheit des Strafrechts, des Handelsrechts, des Heimatrechts mit voller Freizügigkeit. Zum dritten Förderung der materiellen Interessen durch Einheit der Münzen und Maße, durch eine Post- und Eisenbahnordnung, durch Bundeskonsulate, endlich durch »Ausdehnung des Zollvereins auf den Bund«.

Hochsinnig, gedankenreich, formvollendet wie alles, was aus Radowitzs Feder floß, litt die Denkschrift doch an der traumhaften Unklarheit, welche die ganze Nation, mit sehr vereinzelten Ausnahmen, noch befangen hielt? sie lief doch hinaus auf die unmögliche Hoffnung, daß ein Bund von souveränen Staaten, zu denen drei undeutsche Mächte gehörten, die Macht einer nationalen Staatsgewalt ausüben sollte. Und konnte der König, der bisher der Hofburg jede Einmischung in seine Zollpolitik standhaft verweigert hatte, jetzt im Ernst beabsichtigen, das größte Werk seines Vaters zu zerstören und den Zollverein, wie Metternich längst wünschte, dem Bundestage unterzuordnen? Und dies in einem Augenblicke, da die Hofburg sich soeben anschickte, die alten Zollschranken zwischen Ungarn und den deutsch-böhmischen Kronländern aufzuheben und mithin unzweideutig bekundete, daß Österreich selbst dem Zollvereine nicht beitreten wollte? Friedrich Wilhelm ahnte auch dunkel, in welche Widersprüche er sich verwickelte. Darum ließ er in der Radowitzschen Denkschrift aussprechen, daß er zunächst eine Verständigung mit dem Wiener Hofe versuchen, und wenn sie gelänge, die genauere Verabredung über die geplanten Reformen entweder einem Fürstenkongresse oder dem Bundestage unter Österreichs Führung überlassen wollte. Käme er in Wien nicht zum Ziele, dann dachte er sich, schweren Herzens freilich, allein an den Bundestag zu wenden. Mißlänge auch dieser Versuch, dann sollte Preußen »den Geist der Nation« anrufen, die öffentliche Meinung über seine nationalen Pläne aufklären und mit den gleichgesinnten Bundesstaaten gemeinnützige Sonderverträge nach dem Vorbilde des Zollvereins abschließen, Verträge, welche späterhin dem gesamten Vaterlande zugute kommen müßten. Also schien der König endlich zu begreifen, daß die Erfüllung der nationalen Einheitswünsche jetzt die erste Pflicht konservativer Politik war; er schien sich den kühnen Gedanken zu nähern, welche zur selben Zeit Mathy in Heppenheim aussprach. Aber es schien auch nur so. Friedrich Wilhelm wußte nichts, er wollte nichts wissen von der radikalen Schärfe der großen Gegensätze deutscher Politik, er wollte in tiefem Frieden, ohne mit Österreich zu brechen, sein Ziel erreichen; er ahnte nicht, daß der Zollverein dem partikularistischen Grundgedanken der Bundesakte ebenso vollständig widersprach wie einst der Schmalkaldener Bund dem Wesen des Heiligen Römischen Reichs, und die Hofburg folglich ein System preußisch-deutscher Sonderverträge unmöglich gelassen hinnehmen konnte. Die Schlacht von Pharsalus, die einst König Friedrich den Deutschen geweissagt hatte, mußte geschlagen werden, und niemand glaubte an diese Notwendigkeit weniger als Friedrichs Erbe.

Mit solchen Aufträgen ging Radowitz nach Wien, wo man ihn mit der gewohnten nichtssagenden Höflichkeit aufnahm. Kaum begonnen, wurden die Verhandlungen schon abgebrochen, da die italienischen Unruhen die Hofburg in Verlegenheit brachten. Als abgesagter Feind der friderizianischen Politik verabscheute Friedrich Wilhelm den »heidnischen« Grundsatz des Großen Königs, daß man die Bedrängnis des Gegners zum entscheidenden Schlage benutzen müsse; auch hielt er das Haus Österreich nicht für einen Gegner, sondern für einen treuen, nur leider etwas schwerfälligen Freund. Metternichs peinliche Lage zu mißbrauchen, schien ihm unchristlich. Außerdem hatte er Radowitz beauftragt, sich mit dem Staatskanzler über die gemeinsame Bekämpfung des schweizerischen Radikalismus zu verständigen; und diesen unseligen Interventionsgedanken hielten beide Mächte für so wichtig, daß die deutsche Politik dahinter zurückstehen mußte. Um die Schweizer Frage zuerst ins reine zu bringen, mußte der General im Dezember nach Berlin heimkehren und nachher noch nach Paris reisen. So ging für die deutsche Bundesreform wieder eine unschätzbare Zeit verloren. Erst im Februar 1848 nahm der König seine Bundespläne wieder auf. Am 1. März erhielt Radowitz die Weisung, nochmals nach Wien zu gehen und dort die sofortige Einberufung eines deutschen Fürstenkongresses zu beantragen, der über die Bundesreform sowie über die Kriegsgefahr des Augenblicks beraten sollte. Da inzwischen die Nachrichten von der Pariser Revolution eingetroffen waren, so genehmigte Metternich am 10. März den preußischen Vorschlag. Aber schon nach wenigen Tagen stürzte das alte System in Wien wie in Berlin zusammen. Die letzte Möglichkeit einer friedlichen Bundesreform war versäumt, und da die Welt von den tiefgeheimen Verhandlungen dieses Winters kein Wort erfahren hatte, so erschien der längst geplante Fürstenkongreß wieder nur wie ein abgedrungenes Zugeständnis an die Revolution, wie einst der dritte Friedrich Wilhelm durch alle die löblichen Pläne seiner ersten Regierungsjahre den Tag von Jena nicht hatte abwenden können, so mußte auch sein Sohn erfahren, daß Vorsätze und Entwürfe in dem harten Handwerk der Politik gar nichts bedeuten. Belastet mit einem nur halbverdienten schlimmen Rufe trat der König in die Zeit des Aufruhrs ein. – (684–701.)


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