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Der Deutsche Zollverein

Radikale Theorien leiten den Staat aus dem freien Willen des souveränen Volkes ab. Die Geschichte lehrt vielmehr, daß in einfachen Verhältnissen die Staaten, meist gegen den Willen der Mehrheit des Volkes, durch Eroberung und Unterwerfung entstehen; und wie der Krieg selbst in Zeiten bewußter Gesittung immer seine staatenbildende Kraft bewahrt, so wird auch die innere Politik freier Völker keineswegs allein durch die Wandlungen der öffentlichen Meinung bestimmt. Die folgenreichste politische Tat dieses Zeitraumes, die alle die kleinen Kämpfe um konstitutionelle Rechte gänzlich in den Schatten stellte, vollzog sich unzweifelhaft gegen den Willen der Mehrheit der Deutschen; die Nation wirkte nur mittelbar und halb unbewußt mit, da die Zornreden der Liberalen wider das deutsche Elend und die berechtigten Klagen der Geschäftswelt den Regierungen einen rettenden Entschluß aufzwangen. Der größte praktische Erfolg der Idee der deutschen Einheit war das Werk der nämlichen Kronen, welche die deutschen Farben verfolgten und den Vorschlag eines deutschen Reichstages als eine revolutionäre Ketzerei zurückwiesen. So unerbittlich zwang die Vernunft, die in den Dingen lag, auch die widerwilligen und die Ahnungslosen in ihre Dienste. (350.) Die wirtschaftliche und die politische Einigung Deutschlands zeigen eine überraschende Verwandtschaft in ihrer Geschichte. Beide Bewegungen gleichen einem großen dialektischen Prozesse: erst nachdem durch wiederholte vergebliche Versuche die Unmöglichkeit jeder andern Form der Einheit zweifellos erwiesen war, errang die preußische Hegemonie den Sieg. Ein reiches Erbe monarchischer und im guten Sinne föderalistischer Überlieferungen ist aus den Erfahrungen des Zollvereins übergegangen auf den Norddeutschen Bund und das Deutsche Reich. In dem Zollvereine lernte Preußen, einen vielköpfigen, fast formlosen Bund, der sich in keine Kategorie des Staatsrechts einfügen wollte, monarchisch zu leiten, mehr durch Einsicht und Wohlwollen und durch das natürliche Übergewicht der Macht als durch förmliches Vorrecht. Zwei grundverschiedene Schulen deutscher Staatsmänner wuchsen auf seit den dreißiger Jahren. Auf der einen Seite die Politiker des Bundestags, diese bejammernswerten Geschöpfe, denen die Erbsünde der Diplomatie, die Verwechslung von Geschäft und Klatscherei, zur andern Natur geworden war, diese durch die kondensierte Milch der »Augsburger Allgemeinen« und der »Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung« mühsam am Leben erhaltenen politischen Kinder, die mit so feierlichem Ernst von den Formen und Formeln des hohlen Bundesrechts zu reden wußten. Und daneben die Geschäftsmänner des Zollvereins, nüchterne praktische Leute, gewohnt, ernsthafte Interessenfragen umsichtig zu erwägen, die Wünsche und Bedürfnisse der Nachbarn mit Gerechtigkeit und Milde zu beachten. Auf der hohen Schule der Zollkonferenzen und der mannigfachen Beratungen über die Fragen des Verkehrs, lernten Preußens Staatsmänner die Methode neuer deutscher Politik: die Kunst, reizbare kleine Bundesgenossen ohne Gehässigkeit und Gewalttat zu leiten, unter bündischen Formen das Wesen der Monarchie zu wahren.

Der Gedanke des Zollvereins war nicht eines Mannes Eigentum, er entstand gleichzeitig in vielen Köpfen unter dem Drucke der Not des Vaterlandes; daß der Gedanke Fleisch und Blut gewann, war allein Preußens Werk, war das Verdienst von Eichhorn, Motz und Maaßen und nicht zuletzt das Verdienst des Königs. Nicht die Anstandspflicht monarchischer Staatssitten, sondern die Pflicht historischer Gerechtigkeit nötigt zu dem Urteil, daß nur das feste Vertrauen auf Friedrich Wilhelms unverbrüchliche Treue die deutschen Fürsten bewegen konnte, ihre Souveränität freiwillig zu beschränken. Eben die anspruchslose Schlichtheit seines Wesens, welche diesen Hohenzollern in den wilden napoleonischen Tagen so oft kleinmütig erscheinen ließ, befähigte ihn, in stiller Zeit den Samen einer großen Zukunft auszustreuen. (405–406.)

Allgemeine Bedeutung de« Zollvereins

Veränderungen seines Länderbestandes hat jedes große Volk von Zeit zu Zeit erlebt, aber nur den Deutschen beschied eine wechselreiche Geschichte, daß sich die Marken ihres Vaterlandes die Jahrhunderte hindurch fast unaufhörlich verschoben und niemand zu sagen wußte, welchen Gebieten eigentlich der große Name Deutschland gebühre. Derweil das alte Reich seine welschen Vorlande im Süden und Westen verlor, Österreich, die Schweiz, die Niederlande ihrem Sonderleben überließ, erwuchs ihm ein köstlicher Ersatz in den Kolonien jenseits der Elbe, und aus diesen Landen des Nordostens, die zum guten Teile dem Reichsverbande nicht angehörten, erhoben sich die staatenbildenden Kräfte unserer neuen Geschichte. Auch der Deutsche Bund war gleich dem Heiligen Reiche noch ein unfertiges politisches Gebilde ohne feste Grenzen, halb weltbürgerlich, halb national, zugleich zu weit und zu eng, mit Österreich und noch drei andern undeutschen Mächten wunderlich verkettet und doch den preußischen Staat nicht ganz umschließend. Erst durch den Zollverein begann sich's zu entscheiden, welche Teile der ewig beweglichen Ländermassen Mitteleuropas fortan das politische Deutschland der neuen Geschichte bilden sollten. Er umfaßte, Österreich in weitem Bogen umklammernd, das deutsche Land vom Memelstrom bis zum Bodensee – denn da die Küste immer dem Binnenlande gehört, so war der Zutritt der Staaten des hannoverschen Steuervereins nur noch eine Frage der Zeit – nicht alle die Gebiete, auf denen einst der Ruhm des deutschen Namens geruht hatte, aber ihren edlen Kern, die fröhliche Heimat deutscher Kunst im Südwesten und die waffenstolzen Adlerlande des Nordens, herrliche Kräfte, die im treuen Verein dereinst eine neue Zeit vaterländischen Glanzes heraufführen konnten. An den idealen Mächten der Sprache und Gesittung, des rechtsbildenden Gemeingeistes, der Hoffnungen und Erinnerungen hatte die Nation bisher das Bewußtsein ihrer Größe genährt; jetzt erlangte sie auch die Gemeinschaft des wirtschaftlichen Lebens, den natürlichen Unterbau der politischen Einheit, der ihr immer gefehlt hatte. In denselben schicksalsschweren Januartagen des Jahres 1834, da der Wiener Hof den hohen Rat der deutschen Bundespolizei zum letzten Male zu unfruchtbaren Verhandlungen um sich versammelte, erstand im Westen und Norden das neue in Arbeit geeinigte Deutschland, scharf abgegrenzt gegen Österreich wie gegen das Ausland. Das letzte Ziel der friderizianischen Politik, die Lösung des deutschen Dualismus, schien jetzt nicht mehr unerreichbar, und hoffnungsvoll sagte Karl Mathy: »Noch niemals ist Deutschland so einig gewesen wie seit der Stiftung des Zollvereins.«

Der junge Tag, der über Deutschland heraufdämmerte, ward aber nur von wenigen Einsichtigen bemerkt; die emporsteigende Sonne verbarg sich hinter dem Gewölk langweiliger und widerwärtiger diplomatischer Zwistigkeiten. wie oft hatten die Patrioten gesungen und gesagt von der Stunde des Heiles, da die Raben nicht mehr den Kaiserberg umkreisen, da der Birnbaum auf dem Walserfelde wieder grünen, der alte Rotbart seinen Flamberg schwingen und den Reichstag der freien deutschen Nation einberufen würde – ein Gedanke, der noch kaum greifbarer war als weiland die Weissagungen des Simplizissimus von dem »deutschen Helden« und seinen Parlamentsherren. Neben diesen strahlenden Traumbildern eines Volkes, das schon in zorniger Ungeduld seine künstlich niedergedrückte Kraft zu fühlen begann, erschien das neue wirtschaftliche Gemeinwesen der Nation in seinem Werktagskleide unscheinbar und nüchtern. Die Deutschen wußten ihrem Beamtentum für seine treue Arbeit wenig Dank; denn immer ist es das tragische Los neuer politischer Ideen, daß sie zuerst von der gedankenlosen Welt bekämpft und dann, sobald der Erfolg sie rechtfertigt, als selbstverständlich mißachtet werden. Eben in den Tagen, da der deutschen Politik Preußens endlich wieder ein großer Wurf gelungen war, verfiel die öffentliche Meinung nochmals in einen Zustand der Ermattung und Verstimmung, wie zehn Jahre zuvor, und fast allein in den Kämpfen des literarischen Lebens entlud sich noch die verhaltene politische Leidenschaft der Zeit. (407–408.)


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