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Polen und Schleswig-Holstein

Über die polnischen Händel hatte sich Deutschlands öffentliche Meinung noch kein sicheres Urteil gebildet; nationaler Stolz und fremdbrüderlicher Schwachsinn hielten einander noch die Wage. Als aber jetzt auch unsere Nordmark durch die Gewaltstreiche des Auslandes bedroht wurde, da regte sich das jugendliche Selbstgefühl der Nation in schönem Einmut. Im Dezember 1839, kurz vor dem König von Preußen, war der greise Friedrich VI. von Dänemark gestorben, und hier wie dort begann mit dem Thronwechsel eine neue Zeit. Der verstorbene war der erste rein dänisch gesinnte König des Inselreichs gewesen, aber ein ruheseliger Herr, dem die Parteien den Frieden seiner alten Tage nicht gern stören mochten. Unter seinem Nachfolger Christian VIII. brausten die mühsam verhaltenen nationalen Wünsche sofort kräftig auf.

Auch König Christian, der Zögling Hoegh-Guldbergs, fühlte sich ganz als Däne, obgleich er den Wert deutscher Bildung wohl zu schätzen wußte. Ein schöner Welt- und Lebemann, Freund des Prunkes, der Tafel, des witzigen Gesprächs, bezauberte er alles durch seine einschmeichelnde Liebenswürdigkeit, wenn ihn nicht einmal das hitzige Blut übermannte. Als langjähriger Präsident der Akademie hatte er sich große Verdienste um die Pflege der Künste erworben, die Naturforscher schätzten seine mineralogischen Schriften über den Vesuv; mit vielen Gelehrten wechselte er Briefe, Freiherr von Rumohr, der Gastronom und Kunstkenner, behagte ihm am besten. Manche Züge dieses beweglichen, vielseitig empfänglichen Geistes erinnerten an Friedrich Wilhelm IV., der ihm auch persönlich teuer und durch den gemeinsamen Freund Rumohr nahe verbunden war. In den ersten Tagen der Hoffnung sagte Humboldt froh, zwei solche Könige seien würdig, sich gegenseitig zu schätzen. Aber an die umfassende Bildung und die Gedankenfülle Friedrich Wilhelms reichte der geistreiche Däne doch nicht heran; Dilettant in allem, besaß er auch die Herzensgüte des Deutschen nicht, und während dieser nur zuweilen durch die phantastische Überschwenglichkeit seiner Reden den Eindruck der Schauspielerei erweckte, suchte König Christian wirklich durch berechnete Bühnenkünste zu blenden und zu berücken. Wenn er alljährlich in rotsamtener Phantasieuniform, bedeckt mit glitzernden Ordenssternen, zur Eröffnung der Sitzungen des obersten Gerichtshofs fuhr, dann erschien er ganz wie ein Theaterkönig. Die wohlfeilsten Effekte verschmähte er nicht: Zu dem Studenten Rudolf Schleiden, der in Nyborg wegen eines harmlosen, unpolitischen Duells auf der Festung saß, trat er plötzlich ins Zimmer, wie der Gott aus der Maschine, um feierlich die Begnadigung zu verkünden. Niemand beherrschte ihn, denn er glaubte etwas von der geheimnisvollen Königskunst, der Kingscraft der Stuarts, zu besitzen, und sah mit stillem Hochmut auf die kleinen Sterblichen hernieder. Der Kabinettssekretär Adler, der ihn von Jugend an auf allen Irrwegen skandinavischer Politik begleitet hatte, blieb sein einziger Vertrauter. Vor kühnem Wagen und raschen Entschlüssen schrak er zurück, aber mit zäher Geduld hielt er seine geheimen Pläne fest, um sie, listig die Schwäche der Menschen benutzend, nach und nach zu verwirklichen. Ihm fehlte die Ehrfurcht vor dem Rechte, der Glaube an die sittlichen Mächte der Geschichte, und darum auch das Verständnis für die nationalen Empfindungen seiner Völker.

So war er trotz seiner diplomatischen Verschlagenheit doch kein Staatsmann; er dachte ein anderer Waldemar Attertag zu werden, und sein achtjähriges Regiment bereitete die Kämpfe vor, welche den dänischen Gesamtstaat zerschlagen sollten. Er hatte sich einst durch feines Spiel die norwegische Königskrone für wenige Monate errungen und damals, allerdings nicht ganz freiwillig, die Verfassung unterzeichnet, welche fortan das Ideal aller liberalen Skandinavier blieb. Auch nachher stand er noch lange im Rufe radikaler Gesinnung, weil er auf einer Reise zufällig in die neapolitanische Revolution hineingeraten und dort den Verhandlungen der Carbonari nicht ohne Freude gefolgt war. In reiferen Jahren gelangte er zu einer Weltanschauung, die sich mit den Ideen König Friedlich Wilhelms nahe berührte. Die Hegelsche Philosophie hielt er für gemeingefährlich, obgleich er selbst wenig religiöse Empfindung besaß; unschädlicher schienen ihm die frommen naturphilosophischen Träumereien seines Landsmanns Steffens. Als Erbe der dänischen Alleingewaltsherrscher wünschte er eine freie starke Krone, die durch ständischen Beirat nur wenig, nur soweit es die Stimme der Zeit durchaus verlangte, beschränkt werden durfte; und da die dänischen Provinzialstände den preußischen nachgebildet waren, so entschloß er sich, auch den ständischen Reformplänen seines preußischen Freundes Schritt für Schritt zu folgen. Wie dieser dachte er erst Vereinigte Ausschüsse zu bilden, nachher einen Vereinigten Landtag für die gesamte Monarchie. In einem solchen Reichstage konnte der König teilend herrschen, er konnte die Parteien und die Nationen wider einander ausspielen, den Radikalismus seiner Dänen durch die konservative Gesinnung der Schleswig-Holsteiner, das Deutschtum der Herzogtümer durch das Dänentum der Inseln niederhalten.

Alle diese Entwürfe schwebten aber in der Luft, solange der Bestand des Gesamtstaates selber nicht gesichert war; die Sorge um die Thronfolge drängte sich dem Könige gebieterisch auf, seit die Augustenburger ihre Erbansprüche auf Schleswig-Holstein öffentlich angekündigt hatten. Christians einziger Sohn Friedrich blieb kinderlos; auch die zweite Ehe des Kronprinzen mußte, gleich der ersten, nach wenigen Jahren getrennt werden, weil die Gemahlin die Roheit des Gatten nicht zu ertragen vermochte, und er weigerte sich, zum dritten Male eine fürstliche Heirat zu wagen. Außer ihm lebte nur noch ein königlicher Prinz, der bejahrte kinderlose Bruder Christians. Starb Kronprinz Friedrich dereinst, dann erlosch nach menschlichem Ermessen die königliche Linie, und der dänische Gesamtstaat barst auseinander; denn in den Herzogtümern gebührte die Thronfolge nach altem Landesrecht dem Mannesstamme, den Augustenburgern, in Dänemark nach dem Königsgesetze dem Weiberstamme. Wenn der König diese Gefahr von seinem Reiche abwenden wollte, so mußte er die eine der beiden erbberechtigten Linien zu freiwilligem Verzicht bewegen, und nach den Überlieferungen seines Hauses wie nach allen Berechnungen der Staatsklugheit konnte er eine solche Zumutung nur dem Weiberstamme stellen. Im vergangenen Jahrhundert hatte der gesamte Norden, Rußland wie die drei Kronen Skandinaviens, dem Hause Holstein-Oldenburg angehört; jetzt waren Schweden und Norwegen verloren, und es erschien wie ein dynastischer Selbstmord, wenn ein oldenburgischer König auch noch versuchte, ein dem Norden fremdes Fürstengeschlecht auf den dänischen Thron zu erheben.

Nächster Erbe aus dem Weiberstamme war – möglicherweise, aber nicht gewiß, da die kognatische Erbfolge immer unsicherer bleibt als die agnatische – des Königs Schwager, der Gemahl der Prinzessin Charlotte, Landgraf Wilhelm, und nach dessen Ableben sein Sohn, Landgraf Friedrich von Hessen, ein eitler, leerer, junger Mensch, der, ernsten Männern und ernsten Gesprächen abhold, seine Zeit in schalen Vergnügungen vergeudete und in Kopenhagen gar nichts galt. Überdies war Landgraf Friedrich auch rechtmäßiger Thronfolger in Hessen-Kassel, und wie konnte ein dänischer König wünschen, die schwierigen Verhältnisse seines Gesamtstaats durch eine Personalunion mit Kurhessen noch mehr zu verwirren? Bei dem sprichwörtlichen Geize des Hauses Brabant schien es keineswegs unmöglich, den Hessen ihre noch nicht unzweifelhaften Erbansprüche mit einem guten Stück Geldes abzukaufen und also alle Länder der dänischen Monarchie unter dem Mannesstamme des Hauses Oldenburg zusammenzuhalten, verschaffte man dem Landgrafen durch die Gnade der deutschen Großmächte gar noch den Titel eines Königs von Hessen, die heiß ersehnte Kattenkrone, dann war nahezu sicher, daß er auf Dänemark verzichtete, während die Augustenburger wieder und wieder erklärt hatten, daß sie ihre Ansprüche auf Schleswig-Holstein niemals aufgeben würden.

So einfach lagen die Dinge, wenn der König unbefangen rechnete. Hier aber zeigte sich wieder, wie stark die leitenden Männer und ihre persönlichen Empfindungen in das Schicksal der Völker eingreifen. Christian hegte gegen den Herzog von Augustenburg einen tiefen, menschlich wohl entschuldbaren Haß und liebte ebenso herzlich seine ehrgeizige, ränkesüchtige Schwester, die abgesagte Feindin Schleswig-Holsteins, Landgräfin Charlotte. Ihr zuliebe beschloß er, den Gesamtstaat unter dem Hause Hessen aufrechtzuhalten. Was galt ihm das Recht? Er traute sich's zu, das unmögliche Ziel auf krummen Wegen zu erreichen. Um den hessischen Verwandten einen mächtigen Schutz zu sichern, bewirkte er, daß Landgraf Friedrich eine Tochter des Zaren, Großfürstin Alexandrine, heiratete. Der feine Plan wurde freilich durch das Schicksal vereitelt. Die Großfürstin starb nach kurzer Ehe, gleich nach dem Tode ihres einzigen Kindes, und der Landgraf ließ alsbald die Versteigerung ihres Nachlasses ankündigen; Nikolaus aber konnte den öffentlichen Skandal nur durch geheime Abkaufung verhindern, er vergaß dem Hessen dies Probestück unfürstlichen Geizes niemals und zeigte seitdem nur wenig Teilnahme für die Ansprüche des kinderlosen Schwiegersohnes.

In der inneren Politik verfuhr der neue König zunächst sehr behutsam: er wollte es mit keiner Partei ganz verderben und doch immer die Entscheidung in der eigenen Hand behalten. Die Bitten um Preßfreiheit und Erweiterung der ständischen Rechte, die ihm gleich nach der Thronbesteigung aus dem Königreiche wie aus den Herzogtümern zukamen, wies er gnädig zurück. Die alten Privilegien Schleswig-Holsteins wurden jedoch ausdrücklich bestätigt, und zum allgemeinen Erstaunen erhielt sogar der Bruder des Herzogs von Augustenburg, Prinz Friedrich von Noer, den Ehrenposten des Statthalters der Herzogtümer, der gut deutsch gesinnte Graf Joseph Reventlow-Triminil den Vorsitz in der schleswig-holsteinischen Kanzlei. Aber gleichzeitig bewiesen andere, wichtigere Maßregeln, daß Christian seine deutschen Lande Schritt für Schritt danisieren wollte. Die alten Regimenter wurden in Bataillone aufgelöst, die historischen Fahnen mit den herzoglichen Wappen überall durch den Danebrog verdrängt, ein Teil der schleswig-holsteinischen Truppen nach Jütland und den Inseln verlegt. Die Offiziere sollten fortan nicht mehr in ihrem Regimente, sondern in der ganzen Armee aufrücken, und da die Deutschen ohnehin das Kopenhagener Kadettenhaus nur selten besuchen wollten, so bestand binnen kurzem die große Mehrheit des Offizierkorps aus Dänen, wie auch die Marine durchweg dänische Offiziere besaß, statt der dringend erbetenen Landesbank erhielten die Herzogtümer nur eine Filiale der dänischen Reichsbank in Flensburg; mehr wagte man nicht. Zugleich wurde das dänische Reichsbankgeld eingeführt, der König scheute sich jedoch, einen zwingenden Befehl auszusprechen; darum hielten die Schleswig-Holsteiner hartnäckig an ihren lübischen Schillingen fest und sendeten die dänischen Kupfermünzen in solchen Massen nach dem Teutoburger Walde, daß Bandel seinem Hermann einen Arm anschmieden konnte, während Preußen den Eintritt Schleswig-Holsteins in den Zollverein wünschte und deshalb mehrmals vertraulich anfragte, dachte Christian vielmehr die uralte Zollgrenze zwischen Jütland und den Herzogtümern aufzuheben, um also die wirtschaftliche Einheit seines Gesamtstaats zu begründen; doch auch dieser Versuch gelangte nicht über Vorarbeiten hinaus. Ebenso wurde die geplante Errichtung einer gemeinsamen obersten Kirchen- und Schulbehörde bald wieder aufgegeben, weil die Deutschen widerstrebten.

Wie wenig kannte der König seine Dänen, wenn er sie durch solches Tasten zu befriedigen wähnte. Gleich der Windsbraut raste die entfesselte nationale Leidenschaft über das Inselreich dahin. Es war, als ob das stolze, von seiner alten Macht schon so tief herabgesunkene kleine Volk den nahen letzten Sturz ahnte und sich mit krampfhafter Anstrengung auf der Höhe zu halten suchte, wunderbar, wie diese im bürgerlichen Leben so achtbare dänische Nation jetzt in ihrem wilden Deutschenhasse alle Scham, allen Anstand verleugnete: Als die Holsten (1840) ihren Volkshelden Gerhard den Großen, ein halb Jahrtausend nach seinem Tode, durch ein Standbild ehren wollten, da trat in Dänemark ein Verein zusammen, der alles Ernstes vorschlug, dem Mörder Gerhards, dem Dänen Niels Ebbesen, in Randers ein Denkmal zu setzen. Die junge Partei der Eiderdänen verbreitete sich bald über das ganze Land. Ein Dänemark von der Eider bis zum Sund, einig in Sprache, Sitte, Recht – so hieß die Losung. An Holstein wollten sich die Eiferer vorerst noch nicht heranwagen, weil sie den Widerspruch des Deutschen Bundes fürchteten; vielleicht daß späterhin auch dies deutsche Land noch in den erstarkten dänischen Einheitsstaat eintreten konnte. Schleswig aber sollte sofort einverleibt, gänzlich danisiert und als »Morgengabe« Gammel Dannemarks dem Bunde der drei Kronen Skandinaviens dargebracht werden. Der alte Gedanke der Kalmarischen Union, der doch immer wieder an dem starken Nationalhasse der drei »Brudervölker«, an der Eifersucht ihrer Hauptstädte gescheitert war, erwachte aufs neue; mancher der jungen Schwärmer dachte insgeheim, das Haus Bernadotte, des volksbeliebten, liberalen Königs Oskar von Schweden, würde die Oberherrschaft in der Skandinavischen Union erlangen.

In dem Entschlusse, das Deutschtum Schleswigs auszurotten, die Verbindung der beiden deutschen Herzogtümer zu zerreißen, war die ganze Partei einig; und drohend rief Orla Lehmann: »Wir sind bereit, unser altes Dänemark sowohl gegen das hochverräterische Geschrei der Nordalbingier als gegen die seekranke Eroberungslust aller deutschen Vogelfänger zu verteidigen. Und sollte es nötig sein, so wollen wir mit dem Schwerte den blutigen Beweis auf ihren Rücken schreiben: Dänemark will nicht!« Aus Lehmanns Worten sprach die wilde Wut des Renegaten; er selbst war ein Schleswiger, der Sohn eines angesehenen schleswig-holsteinischen Beamten. Doch um ihn scharte sich bald alles, was Dänemarks Bürgertum an aufstrebenden Talenten besaß: die unruhige Studentenschaft der Hauptstadt, die verschwiegerten und vervetterten Professorenfamilien, die sich auch in ihrem Erwerbe beeinträchtigt sahen, weil die alte Nebenbuhlerin Kiel allein berechtigt war, die jungen Leute für die Ämter Schleswig-Holsteins vorzubilden, dann die Kaufleute und Reeder, denen die Zeitung »Fädrelandet« als beredtes Organ diente, endlich fast alle guten Köpfe aus den Kreisen der jüngeren Beamten und Offiziere. Der gelehrte Philolog Madvig, der Hauptmann Tscherning, die Theologen Clausen und Monrad zeichneten sich durch ihren Fanatismus aus; sie alle sprachen aus tiefer Überzeugung und mit dem frohen Bewußtsein, auf der Höhe der Zeit zu stehen.

Wie die Eiderdänen über das historische Recht der deutschen Herzogtümer dreist hinwegstürmten, so verlangten sie auch für ihren dänischen Einheitsstaat eine radikale Neugestaltung. Dieselben demokratischen Kräfte, welche vor hundertundachtzig Jahren durch die Kopenhagener Revolution das Königsgesetz geschaffen, den Adel der Krone unterworfen hatten, trachteten jetzt die Alleingewaltherrschaft des Königsgesetzes durch einen schrankenlosen Parlamentarismus zu verdrängen. Das Vorbild Norwegens und die Schriften der altbefreundeten Franzosen wirkten auf die Ideen dieser jungen skandinavischen Demokratie kräftig ein; mancher hoffte auch wohl im Herzen, einen Teil der Deutschen Schleswig-Holsteins durch den Zauber liberaler Glückseligkeit zu gewinnen. Da der Adelshaß im dänischen Landvolk tief eingewurzelt und der Name des königlichen »Volksfreundes« Christians II. noch unvergessen war, so spendeten auch zahlreiche Bauernversammlungen den Freiheitslehren der radikalen Hauptstadt ihren Beifall. Die ganze Bewegung zeigte von Haus aus das lärmende, rauschende Wesen, das der lebenslustigsten Stadt Nordeuropas zusagte. Zweckessen und Bankette, Versammlungen und Festgelage, Erinnerungsfeiern und Aufzüge drängten sich in rascher Folge; sogar die Totenfeier für Thorwaldsen wurde so ganz im Geiste des streitbaren Dänentums gehalten, daß die Schleswig-Holsteiner sich unmöglich beteiligen konnten. In Scharen zogen die Studenten über den Sund, um sich mit den schwedischen Kommilitonen zu verbrüdern; dann erwiderten die Schweden den Besuch, festlich begrüßt von Orla Lehmanns neuer Skandinavischer Gesellschaft. Auf der großen skandinavischen Naturforscherversammlung feierte der Prinz von Canino, ein Napoleonide, der sich der internationalen Demokratie in die Arme geworfen hatte, die Union der drei Kronen des freien Nordens; und gewaltig brauste der Jubel auf, als einmal König Oskar selbst auf einige Tage herüberkam.

Als Orla Lehmann seine öffentliche Tätigkeit begann (1837), da trat ihm der verdiente alte dänische Historiker Baden offen entgegen und mahnte den jungen Mann, er möge sich bei seinem gelehrten Vater unterrichten, um also zu lernen, daß es »eine Sünde« sei, Schleswig von Holstein zu trennen. Solche Stimmen der Gerechtigkeit wagten sich nach wenigen Jahren schon kaum mehr zu äußern. Wohl bestand noch eine konservative Gesamtstaatspartei, welche die Monarchie, gleichviel unter welchem Herrscherhause, ungeschmälert erhalten und die Sonderrechte der Herzogtümer, wenn auch beschränken, so doch nicht zerstören wollte. Zu ihr gehörten fast alle die erfahrenen hohen Beamten, Dänen wie Deutsche; im Volke aber hatte sie keine Wurzeln. Führer ohne Heer, konnten diese Gesamtstaatsmänner sich nur auf den unberechenbaren König stützen, der einmal den Aufwiegler Orla Lehmann vor das sehr mild urteilende oberste Gericht stellen ließ und gleichzeitig andern Wortführern der dänischen Propaganda sein Wohlgefallen aussprach.

Das nächste Ziel der Eiderdänen war Nordschleswig. Um in diesem stillen Lande dänische Sprache und Gesittung zu verbreiten, wurden in wenigen Jahren sechs verschiedene Vereine gegründet. Ein redefertiger Bauer, Laurids Skau, leitete die Umtriebe, er reiste rastlos zwischen Flensburg und Kopenhagen hin und her, ward auch von dem Monarchen selbst gnädig empfangen; sieben Kopenhagener Demagogen, die man in Schleswig das Siebengestirn nannte, standen ihm treu zur Seite. Der Erfolg blieb lange aus; die schwerfälligen, gutmütigen Bauern Nordschleswigs hatten ja gar keinen Grund, wider die Deutschen zu klagen, und ihr schwunghafter Viehhandel verband sie mit Hamburg. Nach und nach begann der Same des Unfriedens doch aufzusprießen. In der äußersten Nordostecke Schleswigs, auf der Skamlingsbank, einer schönen Waldhöhe am Kleinen Belt, die von Jütland und den Inseln zu Schiff leicht erreicht werden konnte, pflegte Laurids Skau seine großen Volksfeste abzuhalten; und mancher harmlose Bauersmann fühlte sich bezaubert, wenn dort die dänischen Nationallieder erklangen oder der dreieinige Norden in feurigen Reden verherrlicht oder ein großer dänischer Patriot mit einem silbernen Trinkhorn beschenkt wurde. Die dänische Partei unter dem nordschleswigschen Landvolke vermochte noch wenig, da dort alle Bildung deutsch war, aber sie wuchs langsam an.

Unmöglich konnten die Landtage von dieser stürmischen nationalen Bewegung unberührt bleiben; schon bisher hatten sie, da sie aus direkten Wahlen hervorgingen, trotz ihrer beschränkten Befugnisse jeden Volkswunsch treulich ausgesprochen, wenn Preußen selbst, das so viel fester stand, mit seinen Provinziallandtagen kaum noch auskam, wie heillos mußte sich vollends die Tage dieses Mischreichs gestalten, seit seine beiden dänischen Landtage gegen die beiden deutschen ankämpften und der Welt abermals bewiesen, daß in nationalen Streitigkeiten die Völker stets unduldsamer sind als die Kabinette. Die Jüten begannen den Angriff. Als im Schleswiger Landtage (1842) ein dänisch gesinnter Abgeordneter, der schon oft gut Deutsch gesprochen hatte, plötzlich Dänisch zu reden begann und dafür zur Ordnung gerufen wurde, da legte der jütische Landtag zu Viborg eine feierliche Verwahrung ein, die ihm gar nicht zustand. Der Streit währte lange, schließlich befahl der König, daß die schleswigschen Landstände, nur wenn sie des Deutschen nicht mächtig wären, Dänisch reden dürften, aber die Jüten wurden für ihren verfassungswidrigen Übergriff belobt, die Schleswiger wegen ihrer gesetzmäßigen Abwehr scharf getadelt. Nach mehrfachen ähnlichen Häkeleien unterstand sich der Kopenhagener Bürgermeister Allgreen Ussing (Oktober 1844), auf dem seeländischen Landtage in Rotschild zu beantragen: der König möge die erbliche Unzertrennlichkeit des dänischen Staats öffentlich aussprechen und jeden Angriff dawider verbieten. Der Vorschlag wurde mit allen gegen eine Stimme angenommen; auch Minister Øersted, Dänemarks erster Jurist, äußerte sich im wesentlichen zustimmend, obwohl der Antrag offenbar weit über die Befugnis beratender Provinzialstände hinausschritt. Damit kündigten die Dänen dem alten Landesrechte Schleswig-Holsteins offene Fehde an, der Beschluß war um so bedenklicher, da er von einem gemäßigten Gesamtstaatsmanne, nicht von einem eiderdänischen Demokraten ausging.

Diese Übergriffe der Nachbarn weckten mit einem Male die schlummernde politische Kraft Schleswig-Holsteins, die selbst durch Lornsens Kühnheit nur leise erregt worden war. Wie ruhig hatte man hier in dem Lande der glücklichen Ehen bisher dahingelebt, jeder zufrieden im eng bezirkten Kreise des Amtes und der Familie, jeder dem andern bekannt, jeder noch im hohen Alter glücklich, wenn man ihm nachsagen konnte, daß er einstmals im Examen »den zweiten Charakter mit rühmlicher Auszeichnung« erlangt hatte. Als aber das »Up ewig ungedeelt« der alten Freiheitsbriefe frech bedroht wurde, da fuhr es wie ein Wetterschlag in diese stille Welt, und Deutschland erfuhr staunend, wieviel starke Leidenschaft, wieviel Stolz und Talent in dem tapferen Grenzvolke lebte. Früherhin hatten die Schleswig-Holsteiner die Erbfolgefrage, die ja noch ganz fernab zu liegen schien, wenig beachtet; selbst Dahlmann und Falck lebten lange des Glaubens, daß Schleswig der Thronfolgeordnung des Königsgesetzes unterliege. Jetzt begann man einzusehen, daß gerade die Verschiedenheit der Thronfolge das rechtliche Mittel darbot, um das Deutschtum vor dänischer Tyrannei zu bewahren. Ganz zur rechten Zeit (1841) gab Georg Beseler das nachgelassene Werk Lornsens über die Unionsverfassung heraus, und mächtig mußte die große Weise des unvergeßlichen Mannes jedes deutsche Herz ergreifen: er verlangte ein selbständiges, nur durch Personalunion mit Dänemark verbundenes Schleswig-Holstein und dann, sobald die königliche Linie ausstürbe, den Eintritt der befreiten Nordmark in den Deutschen Bund. Nachher veröffentlichte der junge Jurist K. Samwer eine gründliche Untersuchung über »das Staatserbfolgerecht der Herzogtümer Schleswig-Holstein«.

Seitdem vereinigten sich alle Deutschen in der Meinung, daß allein der Mannesstamm in den unzertrennlichen Herzogtümern erbberechtigt sei. Theodor Olshausen und seine radikalen Freunde hatten lange, ohne viel Anklang zu finden, im Kieler »Korrespondenzblatte« die seltsame, ganz unhistorische Ansicht vertreten, man müsse Schleswig opfern, um Holstein desto fester mit dem liberalen Deutschland zu verbinden; doch sobald die Angriffe der Dänen bedrohlich wurden, gaben diese »Neuholsteiner« ehrenhaft ihre Sondermeinung auf und scharten sich um das Banner des Landesrechts. Das ganze Volk war einig, bis auf einzelne Striche Nordschleswigs; erstaunlich schnell drang die Bewegung bis in die Massen hinab. Schon im Juli 1844, noch bevor Allgreen Ussing auftrat, erklang auf dem schleswigschen Sängerfeste zum ersten Male das Lied von Chemnitz: Schleswig-Holstein meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht! Aus den vier Farben Schleswigs und Holsteins wurde, mit Weglassung der gelben, die neue blauweißrote Fahne des einen meerumschlungenen Landes zusammengesetzt – denn drei Farben mußten es sein, ohne eine Trikolore konnte sich diese Zeit einen Freiheitskampf nicht vorstellen – und sie tauchte trotz der Verbote immer wieder auf.

Das Land glaubte fest und ehrlich an seine Selbständigkeit und Unzertrennlichkeit, wie an das Thronfolgerecht des Mannesstammes, und in der Tat standen die Erbansprüche der Augustenburger auf so sicherem Rechtsgrunde, als dies irgendmöglich war bei Rechten, die in die verworrene Geschichte entlegener Jahrhunderte zurückreichten; denn die alte Unteilbarkeit der Lande war von der Krone Dänemark unzählige Male feierlich bestätigt, das Königsgesetz dagegen und seine neue Erbfolgeordnung niemals in den Herzogtümern als Gesetz verkündet worden. Ernsthafte Rechtsbedenken ließen sich eigentlich nur wegen der Herrschaft Pinneberg und der Grafschaft Rantzau erheben. Dieser Landstrich Holsteins, die Umgegend Altonas hatte an der verhängnisvollen Herzogswahl des Jahres 1460 nicht mit teilgenommen; er hatte damals als freies Allod einer Seitenlinie der alten schauenburgischen Grafen angehört, war dann, bei deren Aussterben (1640), von der königlichen und der Gottorper Linie gemeinsam angekauft worden, späterhin, nach mannigfachen Schicksalswechseln, ganz unter die Herrschaft der königlichen Linie gekommen und schließlich, 1806, dem Herzogtum Holstein einverleibt worden. Hier hausten noch von alters her der Landdrost von Pinneberg und der Administrator der Grafschaft Rantzau, die reichsten unter dem reichen Beamtentum des Landes, die man neben dem Amtmann von Reinbeck die drei Fürsten Holsteins nannte. Hier bot sich allerdings ein ergiebiges Feld für staatsrechtliche Doktordissertationen, hier ließ sich in gutem Glauben der beliebte Juristenbeweis führen, daß zwei ganz gleiche Dinge doch wieder ganz verschieden sind. Es war aber nur menschlich, daß die Schleswig-Holsteiner sich um den zweifelhaften verfitzten Rechtszustand dieses Ländchens nicht kümmerten. In allem Wesentlichen hatten sie recht. Nur einzelne ihrer Heißsporne schossen über das Ziel hinaus, indem sie gar noch behaupteten, auch in Lauenburg erbe der Mannesstamm. Davon konnte im Ernst nicht die Rede sein, denn Lauenburg war als Entschädigung für Norwegen an Dänemark gekommen und stand mithin unzweifelhaft unter dem Thronfolgerechte der dänischen Krone. Die Lauenburger wußten dies selbst; sie waren in ihrem altständischen Stilleben niemals durch dänische Willkür gestört worden und ließen sich von den deutschen Nachbarn willig der Schwäche zeihen, weil sie sich an einem Kampfe, der ihr Landesrecht nicht berührte, nur wenig beteiligten.

Der Zorn der Schleswig-Holsteiner entsprang dem gekränkten Rechtssinne, er ward gestärkt und geadelt durch eine schöne vaterländische Empfindung, durch das stolze Gefühl, daß dies alte Landesrecht zugleich die Sache Deutschlands war. Dynastische Nebengedanken blieben der Volksbewegung fremd. Nichts konnte falscher sein, als die in der Kopenhagener Presse übliche Beschuldigung, das Haus Augustenburg hätte die Unruhen in den Herzogtümern angezettelt. Im Jahre 1786 hatte der jüngere Bernstorff, da die Zukunft des königlichen Hauses gefährdet schien, die Heirat zwischen Herzog Friedrich Christian von Augustenburg, dem Gönner Schillers, und einer Tochter Christians VII. zustande gebracht; der kluge Staatsmann hoffte dadurch die beiden Linien zu vereinigen und also jeden Erbfolgestreit abzuschneiden. Die Besorgnisse, welche man damals hegte, verschwanden wieder, als bald nachher ein Thronfolger, der spätere König Christian VIII., geboren wurde. Doch seitdem galten die Augustenburger am Kopenhagener Hofe als heimliche Prätendenten und hatten unter der Feindseligkeit der Krone viel zu leiden. Sie wachten auch sehr mißtrauisch über ihren Rechten, sie verwahrten sich, als Holstein aus dem Verbande des Heiligen Reichs ausschied – ein Schritt dynastischer Vorsicht, der späterhin über Gebühr gepriesen wurde; sie dachten sogar ernstlich daran, ihre Erbansprüche auf Oldenburg geltend zu machen, als Napoleon das Fürstenhaus dort entthront hatte. Aus jener dänischen Ehe stammten der gegenwärtige Herzog Christian August und sein Bruder Prinz Friedrich von Noer. Söhne einer Dänin, Enkel einer Engländerin hatten sie beide einen Teil ihrer Jugend im Auslande verlebt und sich jene vaterlandslose Gesinnung, welche so viele Mitglieder der großen europäischen Fürstengemeinschaft betört, von Grund aus angeeignet. Deutschland blieb ihnen immer gleichgültig, und den liberalen Zug der Zeit betrachteten sie mit Abscheu. Das Recht ihres Hauses war ihnen eines und alles. Darum blieben sie den dänischen Verwandten stets verdächtig, obgleich Christian VIII. aus aufrichtiger Neigung ihre Schwester geheiratet hatte und die gütige Königin Christine Amalie zwischen den Schwägern immer zu vermitteln suchte. In vertrauten Briefen äußerte sich der Prinz von Noer aufs gröbste über »unser schwägerliches Schöpsgenie und die übrige Bagage, die meinetwegen zur Hölle fahren mag«.

Der Herzog besaß eine gute Bildung, und die Gäste, die er auf Gravenstein oder Augustenburg empfing, rühmten die Liebenswürdigkeit seines ehrbaren Hauses; aber hinter gemessenen, weltmännischen Formen verbarg er eine hoffärtige Selbstgerechtigkeit, die in der langjährigen Einsamkeit des Landlebens schließlich so mächtig anschwoll, daß er jede abweichende Meinung kurzweg für »blühenden Unsinn« ansah. Vertrauen und Liebe fand er nirgends, obgleich er im Schleswiger Landtage taktvoll und verständig auftrat. Seine Gutsuntertanen im Sundewitt und auf Alsen haßten den strengen Grundherrn herzlich, sie waren die eifrigsten Dänen in ganz Nordschleswig. An die sittlichen Mächte des Völkerlebens glaubte er nicht fester als sein königlicher Schwager, der Zufall erschien seinem dürren Verstande als die bewegende Macht der Geschichte.

Ebenso selbstgefällig dachte der Prinz von Noer; der trug seinen maßlosen Dünkel herausfordernd zur Schau, er ließ an niemand, nicht einmal an seinem Bruder, ein gutes Haar und verletzte jedermann durch sein absprechendes, junkerhaftes Wesen. Noch nach dem Kriege rühmte er sich kurzab, »der einzigste konsequente Mensch in der schleswig-holsteinischen Sache« zu sein. Er prahlte mit seiner kriegerischen Tüchtigkeit und doch fehlte ihm jedes militärische Urteil, auf das preußische Heer sah er aus Himmelshöhen mitleidig hernieder. An unruhigem Ehrgeiz gebrach es ihm nicht. Die Statthalterwürde hatte er seit Jahren für sein Haus erstrebt, – nachher wußte er freilich mit dem mehr glänzenden als einflußreichen Amte wenig anzufangen. Außer einigen persönlichen Freunden besaßen die Augustenburger durchaus keine Partei im Lande. Selbst K. Samwer war, als er seine erste Schrift über die Erbfolgefrage herausgab, dem Herzoge noch ganz unbekannt; er schrieb nach seiner ehrlichen juristischen Überzeugung und trat erst späterhin mit dem Augustenburgischen Hofe in Verkehr. Zwar verfaßte der Herzog selbst seit dem Ende der dreißiger Jahre eine Menge anonymer Schriften und Zeitungsartikel zur Verteidigung seiner Rechte, und noch manche andere Feder stand ihm zu Diensten. Aber diese emsige Schriftstellerei allein konnte nur wenig ausrichten. Auf die Massen der schlichten Bürger und Bauern wirkte der Name Augustenburg damals eher abschreckend als anspornend; sie waren, ohne viel nach den dynastischen Folgen zu fragen, schlechtweg begeistert für das alte deutsche Recht ihres Landes.

Soeben erst, im Sommer 1844, hatte König Christian gewohntermaßen das Seebad auf Föhr besucht und unterwegs aus dem herzlichen Empfange, den ihm die Schleswig-Holsteiner überall bereiteten, zur Genüge lernen können, wie wenig dies treue Volk gemeint war, sich von seinem angestammten Herzog leichtfertig loszusagen. Da brachte Allgreen Ussings Antrag alles in Bewegung. Der Itzehoer Landtag war gerade versammelt. Graf Friedrich Reventlow, der Klosterpropst von Preetz, übernahm die Führung, ein hochgebildeter Aristokrat von der guten alten Holstenart, konservativ nach Erziehung und Neigung, aber unbefangen genug, um die Berechtigung des anwachsenden liberalen Bürgertums zu würdigen, eine stattliche Erscheinung, stolz und mild zugleich, ganz und gar ein Mann des Rechts. Auf seinen Vorschlag beschloß der Landtag eine Rechtsverwahrung, welche die drei Hauptsätze des schleswig-holsteinischen Staatsrechts feierlich aussprach: Die Selbständigkeit, die Unteilbarkeit der Herzogtümer und das Erbfolgerecht des Mannesstammes. Entrüstet wiesen die Stände die terroristische Anmaßung des seeländischen Landtags zurück, der selber ganz unbefugt über die Thronfolge der Herzogtümer Beschlüsse faßte, den Deutschen aber verbieten wollte auch nur mitzusprechen; sie erinnerten warnend an Spanien, wo die leichtfertige Änderung der Erbfolgeordnung den Bürgerkrieg hervorgerufen hatte. Da der schleswigsche Landtag nicht versammelt war, so trat die Ritterschaft beider Herzogtümer unter der Führung des Grafen Reventlow-Preetz zusammen und bat den Monarchen in einer würdig gehaltenen Adresse um Wahrung des Landesrechts. Alles vergeblich. Zweimal versuchte der König in diesen Jahren, seinen Schwager zu freiwilliger Entsagung zu bewegen. Der Herzog aber erwiderte, ein Verzicht könne nur der weiblichen Linie zugemutet werden; weiter ging er nicht, denn den Boden des urkundlichen Rechts wollte er nicht verlassen, auch fühlte er wohl, daß er eine Hoffnung auf die Königskrone mindestens nicht offen aussprechen durfte, weil die Dänen ihn allesamt tödlich haßten.

Ermutigt durch den Antrag des Rotschilder Landtags, glaubte Christian nunmehr etwas wagen zu können und berief eine Kommission zur Erörterung der schleswig-holsteinischen Erbfolgefrage. Drei Deutsche gehörten ihr an: der hochkonservative Bundesgesandte Pechlin, aus dem Auswärtigen Amte der Minister Graf Heinrich Reventlow-Criminil und sein Rat Dankwart, dazu als vierter der vertraute Kabinettssekretär Adler. Keiner von ihnen war Fachmann im Staatsrechte. Nach langen Beratungen brachten die vier ein »Kommissionsbedenken« zustande, das keinen bündigen Schluß enthielt. Sie meinten zwar, der weiblichen Linie gebühre das Erbfolgerecht in einem Teile der Herzogtümer, widerrieten jedoch eine öffentliche Erklärung, solange nicht mit den Agnaten und den Großmächten verhandelt sei. Der König aber wollte vorwärts, in einer feurigen Rede sprach er dem Staatsrate diese Willensmeinung aus. Am 8. Juli 1846 verkündigte er sodann, um »unklaren und unrichtigen Vorstellungen entgegenzutreten«, durch einen Offenen Brief, daß er auf Grund des Kommissionsbedenkens das Erbrecht seiner königlichen Thronnachfolger in Schleswig aufrechthalten werde; in einzelnen Teilen Holsteins sei dies Erbrecht zweifelhaft, er hoffe jedoch die Hindernisse zu beseitigen und »die vollständige Anerkennung der Integrität des dänischen Gesamtstaates zuwege zu bringen«; im übrigen sollten die Rechte der Herzogtümer unangetastet bleiben. Das Kommissionsbedenken selbst wurde niemals vollständig veröffentlicht, weil es noch unbestimmter lautete als der Offene Brief selbst, was davon bekannt ward, ließ sich leicht widerlegen. Die Kommission berief sich vornehmlich auf die Tatsache, daß die Ritter und Beamten des gottorpischen Anteils von Schleswig, als dieser 1721 mit dem königlichen vereinigt wurde, dem Könige Friedrich IV. geschworen hatten, »ihm und seinen Erbsukzessoren in der Regierung secundum tenorem legis regia treu, hold und gewärtig zu sein«; es lag aber auf der Hand, daß dieser schon nach seinem Wortlaute vieldeutige »gewöhnliche Erbhuldigungseid«, der noch dazu nur einmal im gottorpischen, niemals im königlichen Schleswig geleistet wurde, ohne die Zustimmung der Agnaten und der Landstände an dem Thronfolgerechte des Landes gar nichts hatte ändern können.

Der Offene Brief entsprach dem Charakter König Christians. Er war das Werk einer überfeinen Berechnung und eben deshalb eine unkluge Halbheit; er sollte die Schleswig-Holsteiner freundlich zum Vertrauen auf die landesväterlichen Absichten ihres König-Herzogs ermahnen, aber er vergewaltigte das Recht Schleswigs, er drohte, auch das Recht Holsteins zu vergewaltigen und wirkte darum ebenso aufregend wie ein vollendeter Staatsstreich. Bei den Dänen, die den geistreichen Epikureer bisher wenig geliebt hatten, errang sich der König jetzt mit einem Male die allgemeine Volksgunst. Seinen Rotschilder Landständen dankte er für ihre patriotische Gesinnung und fügte nur einen sanften Tadel hinzu, wegen der offenbaren Überschreitung ihrer Befugnisse. Unter den Deutschen dagegen war die Entrüstung allgemein. Der Statthalter Prinz von Noer legte sein Amt nieder, desgleichen der Präsident der Deutschen Kanzlei, Graf Joseph Reventlow, der Gesandte Reventlow-Altenhof und mehrere andere hohe Beamte; auch der Herzog von Glücksburg verzichtete auf seine Offiziersstelle. An die Spitze der Deutschen Kanzlei wurde nunmehr Graf Carl Moltke gestellt, ein gescheiter, strenger Absolutist, der sich grundsätzlich verpflichtet hielt, den Willen des Monarchen auszuführen. Der Statthalterposten blieb unbesetzt, und ganz ohne Einrede schaltete also fortan der neue Präsident der schleswig-holsteinischen Landesregierung von Scheel, ein gemeiner Ehrgeiziger von niederer Abkunft, der sich zu allem hergab und überdies durch seine gallige Unfreundlichkeit die Deutschen abstieß. Den holsteinischen Ständen wurde sofort, noch im Juli, eröffnet, daß der König ihre letzten Beschlüsse mit gerechtem Befremden vernommen habe. Auf den Antrag des Grafen Reventlow-Preetz beschlossen sie sodann eine scharfe Adresse, und als Scheel diese Eingabe kurzerhand zurückwies, richteten sie zur Verwahrung des Landesrecht eine Beschwerdeschrift an den Deutschen Bund. Nunmehr wollte ihnen Scheel alle weiteren Vorstellungen verbieten; da erklärten sämtliche Abgeordnete, bis auf sechs, ihren Austritt. Die Einberufung der Stellvertreter fruchtete nichts, der Landtag war tatsächlich aufgelöst.

Im Oktober versammelte sich auch der Landtag Schleswigs, und hier scharte sich alles um den Präsidenten Wilhelm Beseler, wie in Itzehoe um Reventlow-Preetz. Wie immer in Zeiten ernster Volksbewegung fanden sich rasch die geborenen Führer. Beseler war Rechtsanwalt, ein stattlicher Mann von starkem Selbstgefühl und würdiger Haltung, zäh und tapfer, in seinen politischen Grundsätzen ebenso gemäßigt wie Reventlow, nur daß er dem bürgerlichen Liberalismus näherstand. Mehr als hundert Adressen aus dem Herzogtum liefen ein. Die meisten wurden persönlich überreicht, fast alle sprachen scharf gegen den Offenen Brief. Die Beratungen verliefen stürmisch, der Koogbesitzer Tiedemann und der Jurist Gülich bekämpften freimütig das ganze System der Regierung. Dann beantragte der Herzog von Augustenburg eine Adresse, welche den König um die Gewährung einer gemeinsamen schleswig-holsteinischen Verfassung bitten sollte. Rechtzeitig überwand er also seinen Widerwillen gegen die liberalen Ideen; denn nach allem, was geschehen, ließ sich die Selbständigkeit der Herzogtümer unter beratenden Provinzialständen nicht mehr aufrechthalten. Der Antrag wurde mit allen gegen zwei Stimmen angenommen. Scheel aber erklärte, vor allen andern Vorschlägen müßten zuerst die königlichen Präpositionen beraten werden; offenbar beabsichtigte er, durch plötzliche Schließung des Landtags den Ständen ihr verfassungsmäßiges Petitionsrecht ganz zu verderben. Da er nicht nachgab, so verließ endlich der Herzog, unter feierlicher Verwahrung, den Saal, und ihm folgte die große Mehrheit der Versammlung. Damit war auch dieser Landtag aufgelöst, die alte Provinzialstände-Verfassung brach von selbst zusammen. Das Land war ohne Vertretung; darum sendete die Ritterschaft, auf Reventlows Betrieb, nochmals eine Rechtsverwahrung an den König.

Unterdessen hatte Christian wieder seine gewohnte Sommerreise durch die Herzogtümer unternommen, aber er fand ein verwandeltes Volk. Eisige Kälte überall, zu den Empfängen erschien fast niemand außer den Beamten; als er die Truppen musterte, da sangen die Volksmassen dicht neben ihm: Schleswig-Holstein meerumschlungen! Das wurmte ihn doch. An seinem Geburtstage, am 18. September, erließ er einen zweiten Offenen Brief, der den Deutschen in gemütlich patriarchalischem Tone beteuerte, die Selbständigkeit Holsteins solle nicht im mindesten gefährdet, sondern durch die Unzertrennlichkeit der Monarchie nur gesichert werden. Was konnten diese leeren Worte wirken, da sie doch nichts zurücknahmen? Graf Reventlow-Preetz wurde im Schlosse Plön nicht vorgelassen, als er noch einmal herbeikam, um dem Monarchen die Augen zu öffnen; mit den aufsässigen Landständen Holsteins wollte Christian nichts mehr zu schaffen haben. So hielt denn die Bewegung im Volke an. Schon im Juli beschloß eine große Volksversammlung in Neumünster, auf Antrag des Anwalts Lorentzen: Das Land müsse festhalten an den drei Kernsätzen seines alten Rechts und nötigenfalls sich an Deutschland anschließen. Als Th. Olshausen eine zweite große Volkskundgebung bei Nortorf veranstalten wollte, wurde er gefangen nach Rendsburg abgeführt, die Nortorfer Versammlung ging vor der herannahenden bewaffneten Macht ruhig auseinander; Olshausen aber mußte wieder frei gegeben werden, und die Kieler begrüßten ihn bei der Heimkehr wie einen Triumphator.

Der Herzog von Augustenburg hatte unmittelbar vor dem Erscheinen des Offenen Briefs den Kopenhagener Hof besucht, um seine Söhne vorzustellen und dort eine überraschend freundliche Aufnahme gefunden; der gnädige König ernannte sogar die beiden jungen Prinzen zu Oberstleutnants, was die Dänen verstimmte und die deutsche Königin bösen Nachreden aussetzte. In denselben Tagen aber bereitete Christian den Gewaltstreich gegen die Rechte seiner Agnaten heimlich vor. Als der unerwartete Schlag erfolgt war, legte der Herzog alsbald Verwahrung ein und sendete sodann eine Beschwerde an den Bundestag. Alle Prinzen der augustenburgischen und der glücksburgischen Linie schlossen sich ihm an. Nur der junge Prinz Christian von Glücksburg stellte sich auf die Seite des Königs; der hatte vor kurzem eine Tochter der Landgräfin Charlotte geheiratet und baute auf die Zukunft der hessischen Linie. Der Großherzog von Oldenburg behielt sich ebenfalls feierlich seine Erbansprüche vor.

Auch die Kieler Universität trat sofort wieder auf den Kampfplatz. Sie besaß zwar in ihrem Lehrkörper noch zwei fanatische Dänen, Flor und Paulsen, während in Kopenhagen längst kein Gelehrter mehr ein Wort zugunsten der Herzogtümer wagte; aber die deutsche Gesinnung überwog durchaus. Dahlmann selbst, der nach seiner gewissenhaften Weise die schwierige Erbfolgefrage lieber noch vertagt und erst genauer geprüft hätte, konnte nun nicht mehr verkennen, daß der Offene Brief mit der Unteilbarkeit der Lande zugleich die gesamte Verfassung bedrohte, und erklärte sich offen für seine Landsleute. In seinem Sinne lehrten jetzt die jungen Historiker Waitz und Droysen; für das deutsche Recht im Norden einzustehen, galt als Ehrenpflicht unter den Kieler Gelehrten. Neun Professoren der Universität, voran der alte Falck, veröffentlichten eine scharfe, in allem Wesentlichen siegreiche Widerlegung des Kommissionsbedenkens, und der König fühlte sich so unsicher, daß er ihnen nur einen sanften Verweis erteilen ließ. Zugleich setzte Samwer wieder seine scharfe Feder ein. Dirckinck-Holmfeld, der Historiograph Wegener und die andern dänischen Publizisten sahen sich bald in die Enge getrieben; sie merkten selbst, wie wenig die Erbhuldigung des Jahres 1721 bedeutete, und suchten andere Ausflüchte. Mit Maulwurfseifer gruben diese Demokraten die unterlassenen Lehensmutungen der Sonderburger Linie aus, ja sie wollten den jungen augustenburgischen Prinzen sogar die Ebenbürtigkeit bestreiten, weil der Herzog und sein Bruder zwei Gräfinnen Danneskiold geehelicht hatten; und doch wußte jedermann, daß die Frage der Mißheirat allein nach den Hausgesetzen und dem Hausbrauche jeder einzelnen Dynastie beurteilt werden darf, und gerade im Hause Holstein-Oldenburg waren Ehen mit Frauen vom niederen Adel von jeher häufig vorgekommen. In Schleswig-Holstein ließ sich niemand durch solche Fechterkünste beirren. Das Land hielt zusammen wie eine große Familie, die ihr Hausrecht wahrt, der gemeinsame Kampf führte alle Stände in ungewohnter Herzlichkeit einander näher; und wenn die deutschen Nachbarn früherhin manchmal gutmütig über den Hahnenschritt der holsteinischen Normalmenschen gespottet hatten, so freuten sich jetzt alle an dem schönen Einmut ihrer Nordmark.

Der Offene Brief regte die öffentliche Meinung in ganz Deutschland so mächtig auf, wie vor sechs Jahren das Kriegsgeschrei der Franzosen. Damals aber hatte die Nation einem ebenbürtigen Feinde die stolze Stirn geboten; jetzt fühlte sie sich bitterlich beschämt, da ein winziger Nachbar deutsches Recht mit Füßen trat, ohne nach Deutschland auch nur zu fragen, und Geibel nahm allen das Wort vom Munde, als er sang:

Mich will's bedünken fast gleich einem Schwanke,
Daß dieses Inselreich, das kleine, schwache,
Aufbäumend wie ein zorn'ger Meeresdrache
Sich wider uns erhebt zu grimmem Zanke.

In einer Masse von Flugschriften und Gedichten, von Versammlungen und Reden entlud sich der Sturm. Die Heidelberger Gelehrten gingen voran, sie sendeten schon im Juli an W. Beseler eine von Gervinus verfaßte Adresse: »Es gibt keine größere politische und nationale Sünde als die Selbstversäumnis.« Da der ernste nationale Machtkampf zunächst in der Gestalt einer staatsrechtlich-historischen Streitfrage erschien, so trat das Professorentum wieder für einige Zeit in den Vordergrund des deutschen Lebens. Hälschner in Bonn und viele andere Historiker und Juristen erörterten den Erbfolgekampf in gelehrten Streitschriften; der Berliner Helwing verteidigte sogar die wohlgemeinte, aber ganz haltlose Behauptung, daß die Erbfolge in den Herzogtümern dem Hause Brandenburg gebühre. Großes Aufsehen erregte General Radowitz durch sein Schriftchen: Wer erbt in Schleswig? Er verfocht ohne jeden Vorbehalt die Rechtsanschauung der Schleswig-Holsteiner, da er durch seine Verwandten, die Reventlows, die transalbingischen Verhältnisse gründlich kennengelernt hatte, und zeigte hier zum ersten Male öffentlich, wieviel bildsamer er war als die andern Vertrauten König Friedrich Wilhelms. Unter allen namhaften deutschen Rechtsgelehrten wagte nur einer den Dänenkönig zu verteidigen: Minister Kamptz, der alte Demagogenverfolger, dessen Name schon abschreckend wirken mußte. Der entfaltete in seinen »Bemerkungen über den Offenen Brief« eine reiche, aber ganz verworrene Gelehrsamkeit; die Schleswig-Holsteiner erklärte er kurzweg für Rebellen, und daß Schleswig die Deutschen gar nichts anging, ergab sich ja schon aus der Bundesakte.

Nach diesem Juristenstreit und den alten Pergamenten fragte die Nation wenig, sie kannte die Augustenburger gar nicht. Was die Deutschen entflammte war das nationale Selbstgefühl. Geibel fand wieder das rechte Wort, als er den hohen Sinn des Kampfes dahin zusammenfaßte:

Wir wollen keine Dänen sein,
Wir wollen Deutsche bleiben.

Und dies Gefühl bekundete sich in den leidenschaftlichen Beratungen der kleinen deutschen Landtage so übermächtig, daß selbst die Fürsten sich ihm nicht ganz entziehen konnten; ihr eigenes Heiligtum, das legitime Dynastenrecht wurde ja durch Dänemarks Gewaltstreiche nicht weniger bedroht als die nationale Ehre. Zudem reisten die holsteinischen Prinzen an den Höfen geschäftig umher; auch die Stände der Herzogtümer sendeten Tiedemann und andere Vertrauensmänner zu den kleinen Regierungen, um ihnen das Landesrecht der Nordmark ans Herz zu legen. Besonders freundlich zeigte sich, seltsam genug, der alte Welfe. Der hatte bei den Lüneburger Manövern des zehnten Bundesarmeekorps selbst mit angehört, wie die holsteinischen Soldaten, wenn man sie Dänen nannte, heftig erwiderten: wir sind gute Deutsche; er schätzte den Augustenburger persönlich hoch und wurde durch seinen Berliner Gesandten, den Grafen Platen, dessen Verwandtschaft dem holsteinischen Adel angehörte, in seiner guten Gesinnung bestärkt. Nach alledem schien den Beschwerden beim Bundestage ein günstiger Erfolg sicher zu sein.

Ganz anders dachten die großen Mächte. Sie bekannten sich alle zu dem unverbrüchlichen Glaubenssatze, die Integrität der dänischen Monarchie sei notwendig für die Erhaltung des europäischen Gleichgewichts. Unschuldige Leute mochten wohl verwundert fragen: warum denn Europas Gleichgewicht erschüttert werden sollte, wenn der kleine Staat am Sund und Belt von drittehalb auf anderthalb Millionen herabsänke? Wer tiefer blickte, konnte jedoch nicht verkennen, daß die Meinung der großen Höfe ernste Gründe hatte; sie wurzelte nicht bloß in der Ruheseligkeit der Zeit, sondern in der allgemeinen Angst vor Deutschlands Erstarken. Das von Dänemark losgerissene Schleswig-Holstein mußte – niemand bezweifelte es – sich fest an Deutschland anschließen, zu seiner Sicherung preußische Truppen herbeirufen, vielleicht gar der preußischen Flotte, deren erstes Schiff soeben vom Stapel gelaufen war, den schönsten Hafen der Ostsee einräumen. Ein deutscher Kriegshafen in Kiel! – dieser eine Gedanke genügte, um jedes englische Herz zu empören. Aus Haß gegen Deutschland wurden Dänemarks Erbfeinde, die Briten, jetzt freundliche Gönner des Kopenhagener Hofes. Gleich nach dem Erscheinen des Offenen Briefs schrieb die »Times«, damals noch das mächtige Organ der nationalen Meinung: »Die preußischen Staatsmänner können nicht freigesprochen werden von dem Vorwurfe, daß sie mit einer gewissen Bereitwilligkeit eine fieberische, der Ruhe eines Nachbarlandes gefährliche Aufregung lebendig erhalten haben, weil es ihnen einfiel, die deutsche Nation angenehm zu unterhalten ( to amuse), und weil sie vielleicht deren Aufmerksamkeit von andern, weit mehr praktischen und der Heimat viel näherliegenden Fragen ablenken wollten.« Dann wurde Deutschland gewarnt vor der Ländergier, die schon in der Neuen Welt gefährlich, im Herzen Europas verderblich wirke. Mit solcher Heuchelei wagte ein Volk, das sich Jahr für Jahr neue Kolonien aneignete, die Deutschen zu beschimpfen, weil sie bescheiden das Erbe ihrer Väter behaupten wollten! Die Regierung hielt sich noch zurück: Sie wünschte zunächst nur, daß der dänische Gesamtstaat zusammenbliebe, gleichviel unter welchem Herrscherhause; denn sie betrachtete ihn, wunderlich genug, als ein Bollwerk gegen Rußland!

Etwas dreister wagte sich Frankreich, der alte treue Bundesgenosse Dänemarks, hervor. Das Verhältnis zwischen den beiden Höfen war sehr herzlich. Ludwig Philipp sendete einmal den halbverschollenen alten Herzog Decazes, bourbonischen Andenkens, der zugleich dänischer Vasall war, als außerordentlichen Botschafter hinüber; der Dänenkönig fühlte sich sehr geschmeichelt und ernannte Guizot zum ersten bürgerlichen Ritter seines Elefantenordens. Unterdessen reiste der französische Gesandte Baron Billing zwischen Kopenhagen, Paris und London geheimnisvoll hin und her, um die Pläne König Christians zu befördern; er witterte heraus, sein Beobachtungsposten müsse jetzt zu einem Aktionsposten werden, und erhielt von Guizot Befehl, den Bestrebungen Preußens und Rußlands entgegenzuarbeiten, obgleich die beiden Ostseemächte hier am Sunde keineswegs zusammengingen. Alle diese kleinen diplomatischen Zettelungen blieben zunächst ohne Folgen. Der Tuilerienhof betrachtete den dänischen Gesamtstaat als ein europäisches Heiligtum; von näheren Sorgen bedrängt, hatte er sich jedoch eine feste Ansicht über die Erbfolgefrage bisher noch nicht gebildet.

Die Westmächte konnten in Schleswig-Holstein für sich selbst nichts verlangen. Der Petersburger Hof dagegen verriet schon deutlich, daß er nicht abgeneigt war, bei einer Teilung der deutschen Herzogtümer herzhaft zuzugreifen. Die russischen Gottorper hatten zwar durch die Verträge von 1767 und 73 auf das längst verlorene Schleswig förmlich verzichtet und ihren Anteil an Holstein ausgetauscht gegen die Grafschaften Delmenhorst und Oldenburg, die nachher der jüngsten gottorpischen Linie überwiesen wurden. Doch wann war jemals ein russischer Vertrag zustande gekommen, der nicht nachher irgendwo einen Haken zeigte? Jener Verzicht war erfolgt zugunsten des damaligen Königs von Dänemark »und seiner Kronerben«. Wer diese Kronerben seien, wurde jetzt streitig. Folglich, so schlossen die Moskowiter mit ihrer eigentümlichen Logik, konnten Rußlands Ansprüche auf den gottorpischen Anteil an Holstein vielleicht wieder aufleben, und zu diesem Anteile gehörte erfreulicherweise auch der Kieler Hafen! Dem preußischen Gesandten sagte Nesselrode mehrmals: Wir glauben, auf Holstein Ansprüche zu haben; ich habe dem Kaiser abgeraten, sie aufzugeben, weil er die Rechte seiner Nachkommen nicht aufopfern darf und sich jedenfalls ein Kompensationsobjekt sichern muß. Noch aufrichtiger redete eine Weisung des russischen Kanzlers an den Geschäftsträger in Kopenhagen. Hier belobte er den Offenen Brief als eine weise Maßregel und billigte durchaus die Rechtsanschauung des Dänenkönigs. Schleswig unterliege, nachdem das Haus Gottorp darauf verzichtet, dem dänischen Thronfolgerechte – so schrieb er zuversichtlich, obgleich die Gottorper ein Recht, das ihnen selber nicht zustand, doch sicherlich auch nicht hatten abtreten können. Über Holstein müsse man allerdings noch verhandeln; indes würde der Zar sich aufrichtig freuen, die Ansprüche des Hauses Gottorp in Einklang zu bringen »mit den Lebensinteressen einer Monarchie, deren Aufrechterhaltung und Unteilbarkeit der König mit einer gerechten Besorgnis betrachtet, welche Se. Kais. Majestät in hohem Grade teilt«. Auf Rußlands Beistand konnte sich Christian mithin verlassen, wenn er nötigenfalls dem Hause Gottorp irgendeine Entschädigung gewährte. Über die Ansprüche der Augustenburger äußerte sich der Zar vorläufig noch nicht abschließend, aber die Haltung der Schleswig-Holsteiner fand er revolutionär.

Der Wiener Hofburg kam der transalbingische Streit sehr ungelegen; nach der Eigenart ihres Reiches hatte sie ja selbst nichts mehr zu fürchten als die Macht der nationalen Ideen. Von Deutschtum, Dänentum und andern solchen »Tümern« wollte Metternich gar nichts hören. Er war empört über das Gelichter der deutschen liberalen Partei und ihr Halli-Hallo, er fand die ganze schamlose Agitation künstlich, gemacht, revolutionär und wünschte vornehmlich Bestrafung der frechen Heidelberger Professoren. Aber auch der Krone Dänemark warf er vor, daß sie das liberale Ungeziefer seit Jahren karessiert und jetzt vor der Zeit unreife Pläne verlautbart habe, während man doch sonst die Gäste nicht in die Küche führe, sondern ihnen die Speisen fertig vorsetze, von Berlin her gewarnt, sah er jedoch ein, daß man die ungeheuere Aufregung in Deutschland irgendwie beschwichtigen mußte; und da er, schon wegen der möglichen Verstärkung Preußens, den Zerfall des dänischen Gesamtstaates durchaus verhindern wollte, so gelangte er zu der Ansicht, das beste sei die Aufhebung des Königsgesetzes und die Thronfolge der Augustenburger in allen Kronlanden. Es war sicher der freundlichste Rat, der sich dem Dänenkönige geben ließ, wenn nur die Menschen nicht Menschen wären! Wenn nur nicht der wilde Deutschenhaß der Dänen gerade diesen sichersten Ausweg ganz versperrt hätte!

Wunderlich, fast tragikomisch erschien unter solchen Umständen die Haltung des Berliner Hofes. Alle Ausländer trauten ihm einen Ehrgeiz zu, der ihm durch die Geschichte des preußischen Staates geradezu aufgezwungen wurde und gleichwohl dem sanften Gemüte dieses Königs ganz fern lag. Niemals hat Friedrich Wilhelm die Frage erwogen, ob die transalbingischen Händel nicht benutzt werden sollten, um Preußens Machtstellung an der Ostsee zu verstärken; er hielt für unmöglich, daß man ihm so verruchte Pläne auch nur andichten könnte, wie er den leidlichen Ausgang des Kölnischen Bischofsstreites lediglich dem Trotze Droste-Vischerings verdankte, so wurden auch die notwendigen Kämpfe, welche schließlich unsere Nordmark unter die Krone der Hohenzollern bringen sollten, nicht durch preußische Berechnung, sondern einzig und allein durch die Verblendung Christians VIII. und seiner Dänen herbeigeführt. Eine Regierung ohne Stolz und Tatkraft, welche grundsätzlich nie das Schwert ziehen will, kann sich vielleicht, durch die Macht alter Traditionen, noch eine Zeitlang ein tüchtiges Heer bewahren, ihr Auswärtiges Amt aber muß schnell entsittlicht werden. Welch einen jämmerlichen Anblick bot doch das diplomatische Korps des vierten Friedrich Wilhelm neben jenen kühnen, kriegerischen Gesandten, die einst die Befehle des Großen Königs handfest vollstreckt hatten. General Rauch war ein guter Russe, obwohl ihm das preußische Gefühl nicht gänzlich fehlte, Bunsen war ein guter Engländer, Graf Arnim ein guter Österreicher, aber sie alle überbot noch bei weitem Freiherr Schoultz von Ascheraden in Kopenhagen. Einen besseren Patrioten als diesen fremdbrüderlichen preußischen Gesandten hat Gammel Dannemark unter seinen eigenen Landeskindern nie besessen. Schoultz war vor langen Jahren auf dem gleichgültigen Kopenhagener Gesandtschaftsposten versorgt worden, wo alle Höfe ihre diplomatischen Nullen unterzubringen pflegten, und behielt die Stelle leider auch, als sie plötzlich hochwichtig wurde. Er fühlte sich am Sunde ganz heimisch, glaubte den dänischen Ministern, die fast durchweg gebildete, liebenswürdige Männer waren, treulich aufs Wort und berichtete in seinem schauderhaften Französisch, das den König zuweilen zu sarkastischen Randbemerkungen veranlaßte, höchst gewissenhaft, was der Hof während des größten Teiles des Sommers, pendant la pluralit é ds l'été, alles vorzunehmen gedenke. Als die schleswig-holsteinischen Wirren begannen, zeigte er sich sehr ungehalten über die Unbotmäßigkeit der Deutschen; von der unersättlichen Begehrlichkeit, der List, der berechneten Zurückhaltung des augustenburgischen »Prätendenten« sprach er ganz so entrüstet wie seine dänischen Freunde; und wenngleich er zuweilen auch die Gehässigkeit der Dänen bitter beklagte, so hatte er doch von dem Sinne des nationalen Kampfes gar keine Ahnung.

Diese lächerlichen Gesandtschaftsberichte konnten das Urteil König Friedrich Wilhelms nicht beirren. Er bedauerte zwar den Haß zwischen Deutschen und Dänen, wie Canitz sagte, als »eine der ärgsten Tollheiten unseres erleuchteten Jahrhunderts«; er wünschte von ganzem Herzen die Fortdauer des dänischen Gesamtstaates und wollte auch seinen königlichen Freund, der ihn soeben, bei einem Besuche in Kopenhagen, mit Zärtlichkeit überschüttet hatte, durchaus nicht kränken. Aber das Recht blieb ihm heilig, schon im Jahre 1845 ließ er sich von den Juristen Eichhorn und Lancizolle ein Gutachten über die Erbfolgefrage erstatten, und obwohl diese Denkschrift sehr unsicher lautete, so überzeugte er sich doch nach und nach selber von dem besseren Rechte der Augustenburger. Wie Metternich hoffte er den Streit durch einen Verzicht der hessischen Linie und durch die Thronfolge der Agnaten im Gesamtstaate friedlich beizulegen: dann konnten die befreundeten Dänen unter augustenburgischen Königen bis an das Ende aller Dinge in Kiel und Altona hausen. Freilich war die Übereinstimmung nicht vollständig, denn der Wiener Hof betrachtete die Integrität Dänemarks als das wesentliche, der Berliner das deutsche Recht der Herzogtümer und der Agnaten. Im Notfalle – das deutete schon jenes Rechtsgutachten an – wollte Preußen selbst ein souveränes Schleswig-Holstein unter deutschem Fürstenhause anerkennen. Die dänischen, nicht die holsteinischen Landstände, so meinte Canitz, haben den Streit angefangen. Die Dänen sind die Revolutionäre und zudem erfüllt von absurdem Hasse gegen Deutschland. Sie mißbrauchen unehrlich den Gedanken der Nationalität, um den politischen Frieden von oben her zu stören, wie die Polen von unten her. Wir wünschen die Integrität der dänischen Monarchie, aber ohne Schädigung deutscher Rechte.

Zunächst hatte der Bundestag auf die holsteinischen Beschwerden zu antworten. Metternich behauptete zwar anfangs, diese Sache gehe den Bund gar nichts an, jedoch auf Canitz' lebhaftes Andrängen gab er nach und genehmigte, daß ein Bundesbeschluß die Rechte Deutschlands in milder Form verwahren, aber zugleich dem unleidlichen Halli-Hallo der Liberalen scharf entgegentreten solle. Sein getreuer Münch, der ganz dänisch gesinnt war, mußte also, wie Canitz spottete, »diesmal aus dem magischen Kreise der Inkompetenzerklärungen hinaustreten« und das Geschäft mit einer in Frankfurt ganz unerhörten Eile betreiben. Man konnte nicht anders. Die Landtage, die Presse, zahllose Eingaben aller Art bestürmten den Bundestag. Als »ein ernstes Zeichen der Zeit« erwähnte der preußische Bundesgesandte auch die Zuschrift eines begeisterten Berliner Studenten, der sich späterhin noch einen guten Namen machen sollte. Dieser junge Mann riet dem Bundestage, schleunigst einen Bundeskommissar nach Kopenhagen zu senden und entschuldigte seine Vermessenheit »mit dem Beispiel der Jungfrau von Orleans, die auch nur eine arme Schäferin gewesen sei, aber ihr Vaterland doch gerettet habe«.

Freiherr von Pechlin, der dänische Bevollmächtigte, der im Herzensgrunde doch deutsch empfand und dem Offenen Briefe nur sehr ungern zugestimmt hatte, gab die versöhnlichsten Erklärungen: Er beteuerte heilig, seinem Könige sei nie in den Sinn gekommen, die Rechte des Deutschen Bundes zu verletzen; er gestand sogar zu, daß die beiden Herzogtümer alle öffentlichen Rechtsverhältnisse – bis auf die Provinzialstände und wenige andere Institutionen – miteinander gemein hätten. Da nun auch der Offene Brief selbst noch nichts anordnete, sondern nur die persönlichen Ansichten des Königs kundgab, so sprach der Bundestag am 17. September die vertrauensvolle Erwartung aus: Der König würde bei endgültiger Feststellung dieser Verhältnisse die Rechte aller und jeder, insbesondere die Rechte des Bundes, der Agnaten und der holsteinischen Landstände beachten. Zugleich forderte er die Regierungen auf, den leidenschaftlichen Ausbrüchen einer anerkennenswerten patriotischen Gesinnung »gehörige Schranken zu setzen«. Alle stimmten zu, auch Pechlin selber. Nur Kurhessen wollte die Verwarnung der deutschen Patrioten schärfer gefaßt sehen; der Luxemburger endlich behauptete, keine Weisungen zu haben, offenbar weil er fürchtete, bald könnte auch Luxemburg an die Reihe kommen, wie matt und schüchtern der Beschluß auch klang, ganz leer war er nicht. Der Bundestag hatte sich, allen seinen Gewohnheiten entgegen, doch nicht wieder für unzuständig erklärt, er behielt sich doch ausdrücklich seine Rechte vor und erlangte also zum ersten Male einiges Lob bei den gemäßigten Parteien.

König Christian merkte auch selbst, daß er mit der Politik des Offenen Briefes nicht mehr weiter kam; er fühlte sich tief unglücklich und konnte seine Stimmung sogar vor Schoultz-Ascheradens blöden Augen nicht ganz verbergen. Gegen den preußischen General Wrangel beklagte er sich bitterlich: wie ihn die Deutschen so ganz verkennen könnten; niemals hätte er daran gedacht, Schleswig-Holstein von Deutschland loszureißen. Im Juni 1847 sendete er einen alten Freund, den Grafen Löwenstern, der seinem Könige diesen letzten Ritterdienst nicht verweigern mochte, nach Berlin, um wegen der Erbfolgefrage Rat einzuholen. Canitz erwiderte: Das einzige Mittel, den Gesamtstaat zu erhalten, sei die Aufhebung des Königsgesetzes und das Königtum der Augustenburger. Das wies der alte Däne weit von sich; am Wiener Hofe aber wurde ihm, offenbar nach Verabredung, gleich nachher dieselbe Antwort erteilt. Nunmehr hoffte König Christian sein Ziel auf einem neuen, noch seltsameren Umwege zu erreichen; er wollte seinem Gesamtstaate – nach dem Vorbilde des preußischen Vereinigten Landtags, dessen Verhandlungen er mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte – einen gemeinsamen Reichstag gewähren. Mit Hilfe der dänisch gesinnten Mehrheit dieses Reichstags dachte er dann späterhin, die Thronfolge der weiblichen Linie im ganzen Reiche durchzusetzen. In was für Künsteleien verlor sich wieder die Überklugheit des Monarchen! Nach allem was geschehen, mußte die Thronfolgefrage jetzt vor der Verfassungsfrage entschieden werden; denn so lange noch nicht feststand, ob der Gesamtstaat selber fortdauern würde, konnten die Schleswig-Holsteiner einer Gesamtstaatsverfassung doch schwerlich zustimmen, wahrend der nächsten Monate ließ der König seinen Verfassungsplan durch Carl Moltke und den unentbehrlichen Adler ausarbeiten. Da starb er plötzlich nach kurzer Krankheit am 20. Januar 1848, wohl der geistreichste aus der langen eintönigen Reihe der oldenburgischen Könige, und doch ein Mann des Unheils, ein Herrscher, der die Macht seines Hauses selbst zerstörte, weil er das Recht seiner Völker mißachtete.

Die Todesnachricht erschütterte das Land im Innersten. Die Dänen hofften, die Deutschen fürchteten alles von dem Thronfolger. Nach aller Wahrscheinlichkeit war Friedrich VII. der letzte König seines Stammes; denn er hatte damals schon ein Liebesverhältnis mit der Putzmacherin Rasmussen angeknüpft, und dies gemeine Weib, die natürliche Bundesgenossin der Kopenhagener Demokratie, hielt ihn so fest umstrickt, daß eine dritte fürstliche Heirat fast unmöglich schien. Mit albernem, läppischem Zeitvertreib brachte er seine Tage dahin und fühlte sich wohl in schlechter Gesellschaft, die freilich nicht murren durfte, wenn es ihm plötzlich einfiel, den Fürsten herauszukehren. Roh, ungebildet, grob sinnlich, jähzornig, nicht ohne Verstand und derben Humor, lernte er niemals ernsthaft zu arbeiten. Als eingefleischter Däne haßte er alles Fremde; die ausgelassene Lustigkeit der Matrosen, die in der C4s Halle und in den andern Spelunken an der Kopenhagener Knüppelbrücke ihre Späße trieben, behagte ihm besser als das gemessene Wesen der Schleswig-Holsteiner. Den liberalen Ideen war er nicht feind, obgleich er eigentlich gar keine politischen Grundsätze besaß. Von seinem Vater hatte er nichts geerbt als die Furchtsamkeit und die unkriegerischen bequemen Gewohnheiten. Frisch und männlich erschien der schwerfällige nur, sobald er an Bord eines Schiffes trat; wenn ihn irgend etwas begeistern konnte, so waren es die Erinnerungen an die Seekönige des Nordens, und das alte Volkslied: König Christian stand am hohen Mast!

Der alte König hatte noch während seiner letzten Krankheit in einem langen Briefe seine Ratschläge für die neue Regierung niedergelegt. Der Nachfolger zeigte sich zuerst ganz als guter Sohn; er ernannte, nach des Vaters Wunsche, den Grafen Carl Moltke zum Staatsminister und verkündete durch ein Manifest alsbald den Entschluß, die von seinem Vorgänger »beabsichtigte Ordnung der öffentlichen Verhältnisse zu Ende zu bringen«. Die den politischen Verbrechern gewährte Amnestie mußte den Herzogtümern freilich wie Hohn klingen, weil dort keiner der zahlreichen Prozesse zu einer Verurteilung geführt hatte. Aber schon am 28. Januar berief ein königliches Kanzleipatent 52 erfahrene Männer, je 26 aus dem Königreiche und aus Schleswig-Holstein, nach der Hauptstadt, um ihr Gutachten abzugeben über die Gesamtstaatsverfassung des verstorbenen Monarchen, sechzehn davon ernannte der König selbst, die übrigen wurden vom Lande erwählt. Auch die Form war klug berechnet; das Patent sprach immer nur von »Unserem Königreich Dänemark und Unseren Herzogtümern Schleswig und Holstein«, es schien also die staatsrechtliche Verbindung der beiden deutschen Lande stillschweigend anzuerkennen. Der Verfassungsplan schloß sich eng an das Vorbild Preußens an; die Provinziallandtage blieben erhalten, doch über ihnen stand künftighin ein Gesamtstaatsreichstag, der, bald im Königreiche, bald in den Herzogtümern tagend, über gemeinsame Gesetze und neue Steuern frei beschließen sollte. Es war das letzte Meisterstück des listigen alten Königs. Die scheinbare Gleichstellung der beiden ungleichen Hälften des Gesamtstaats sollte den Deutschen schmeicheln; und doch konnte die Krone hoffen, durch ihre sechzehn Vertrauensmänner sowohl die Schleswig-Holsteiner wie die radikalen Eiderdänen niederzuhalten. Hätte König Christian noch gelebt, so war ein Erfolg, freilich nur für den Augenblick, vielleicht denkbar. Doch was ließ sich jetzt erwarten, unter einem Monarchen, dem die Dänen niemals Achtung, die Deutschen niemals Vertrauen schenken konnten?

Sowie der alte König die Augen geschlossen hatte, trat die Kopenhagener Demokratie höchst ungebärdig auf. Eine Schrift der Professoren Clausen und Schouw verkündete sofort in ungestümer, drohender Sprache das eiderdänische Programm: Danisierung Schleswigs, Abtrennung Holsteins. Eine Versammlung von Stadtvertretern, die der alte Heißsporn Staatsrat Hvidt berufen hatte, sendete dem neuen Herrscher eine Deputation ins Schloß, um sofortige Änderung der Verfassung zu verlangen. König Friedrich ließ die Abgesandten nicht vor, aber zugleich berief er seinen Freund Bardenfleth, einen fanatischen Dänen, in das Ministerium. Die Eiderdänen witterten Morgenluft; sie verlangten stürmisch, die erfahrenen Männer müßten nach der Kopfzahl erwählt werden, also je fünf Dänen auf drei Deutsche. Die Schleswig-Holsteiner hingegen bemühten sich, bis zum letzten Augenblicke in den Schranken der Mäßigung zu verbleiben, sie wollten die dargebotene Hand des neuen Königherzogs nicht von sich stoßen. Auf einer Zusammenkunft in Kiel, wo sich die Landtagsabgeordneten beider Herzogtümer vollzählig einfanden, sprachen Reventlow und Beseler sehr besonnen; man beschloß (17. Februar), die Wahl der erfahrenen Männer vorzunehmen. Aber jedem der Gewählten wurde anheimgegeben, das deutsche Recht nach Gewissenspflicht zu verwahren. An eine friedliche Verständigung glaubten nur noch wenige; Reventlow und Beseler hatten bereits im letzten Herbst die Möglichkeit eines offenen Kampfes zusammen erwogen. Schon die Einberufung dieser Versammlung selber, die doch nichts anderes war als ein Vereinigter Landtag Schleswig-Holsteins, zeigte deutlich, wie der alte Gesamtstaat aus den Fugen ging. Die Augustenburger begannen alsbald, die Brücken hinter sich abzubrechen. Bei Christians pomphaftem Begräbnis war keiner aus ihrer Linie zugegen; und als ihnen der neue Herrscher, allerdings gegen den Hausbrauch der letzten Jahrzehnte, die Erneuerung ihres Huldigungseides zumutete, da weigerte sich der Herzog sowohl wie der Prinz von Noer. König Friedrich sah in alledem berechnete Auflehnung.

So gespannt war die Lage. Jeden Augenblick konnte die nationale Leidenschaft hüben oder drüben losbrechen und das blutige Spiel um Deutschlands Nordmark beginnen. Der König von Preußen bemerkte dies wohl. Er sendete bald nach dem Thronwechsel seinen vertrauten General Gerlach nach Kopenhagen, angeblich um sein Beileid auszusprechen, in Wahrheit, um zu beobachten und nötigenfalls zu raten. Canitz ließ den General durch den gescheiten Legationsrat Grafen Hans v. Bülow über die dänischen Verhältnisse genau unterrichten und erteilte ihm selbst (4. Februar) ausführliche Weisungen, die nur von neuem bewiesen, wie harmlos ehrlich die preußische Regierung verfuhr, aber auch, wie wenig sie den Ernst der Zeit und die Macht der nationalen Gegensätze verstand. Noch immer betrachtete Canitz den Streit zwischen Dänen und Deutschen als bare Torheit; er hielt Dänemark für Deutschlands natürlichen Verbündeten, da seine Flotte ja bei uns keinen Nebenbuhler zu fürchten hätte. Diesen Verbündeten wollte er nicht schwächen; darum verwarf er sowohl die Politik der Eiderdänen, die in blindem Deutschenhaß ihren eigenen Vorteil verkannten, wie den Plan, Schleswig für Deutschland zu erobern, einen Plan, der »aus einer unrichtigen, wenigstens unklaren Auffassung des Begriffes der Nationalität entspringe«. Er wünschte nach wie vor die Integrität der dänischen Monarchie, womöglich unter dem augustenburgischen Herrscherhause. Aber an den althistorischen Rechten der Herzogtümer hielt er fest: »Wir müssen vorangehen, es ist eine von den seltenen Sachen, wo wir auf die Zustimmung der deutschen Bundesregierungen rechnen können.«

Durch Unwetter aufgehalten, konnte Gerlach erst am 15. Februar in der dänischen Hauptstadt eintreffen. Unterwegs hatte er Falck, Reventlow sowie andere deutsche Patrioten gesprochen und fühlte sich angenehm überrascht, in diesen Schleswig-Holsteinern, die doch mit allen deutschen »Wühlern« verbündet waren, so konservative Männer kennenzulernen. Diese unschuldigen Gespräche, bei denen er streng die Rolle des vorsichtigen Beobachters einhielt, wurden ihm freilich von den Dänen als verräterische Umtriebe angerechnet. In Kopenhagen bemerkte er sogleich, wie alles aus Rand und Band ging. Er durchschaute die vollendete Nichtigkeit Friedrichs VII. und die Zwietracht seiner Räte, die Schwäche des einzigen deutschgesinnten Ministers Heinrich Reventlow; er begriff, daß die Verfassung unmöglich gelingen konnte, solange die Erbfolgefrage in der Schwebe blieb; er erkannte sogar, daß weder die Dänen noch die Deutschen mehr an die Integrität des alten Gesamtstaats glaubten. Aber wie scharfsinnig er auch im einzelnen urteilte, eine kühne nationale Politik hielt er für eine Träumerei der »Germanomanen«; an die Möglichkeit einer Machterweiterung Preußens dachte er niemals. Sein letzter Rat ging dahin: Preußen sollte sich zunächst mit Rußland und Österreich verständigen, damit nachher die dänische Thronfolge, wie einst die badische, durch eine europäische Entscheidung friedlich geregelt würde. Als Graf Reventlow-Preetz ihn bestimmt fragte: wird der Deutsche Bund uns Holsten schützen, falls Dänemark uns eine Verfassung aufzuzwingen oder Schleswig von uns loszureißen wagt? – da antwortete der General ausweichend, Schleswig gehöre ja nicht zum Bunde, und rechtfertigte sich vor seinem Monarchen also: »Ich glaube nicht, da der Fall mir wenigstens nicht klar ist, durch die Autorität des Abgesandten Ew. Majestät die Opposition der Herzogtümer verstärken zu dürfen.« Wahrlich, Preußen durfte wie der Sohn des Laios sagen: so, gar nichts ahnend kam ich nun, wohin ich kam! Währenddem tobte die gesamte Presse Westeuropas wider la politique envahissante de l'Allemagne; und über König Friedrich Wilhelm, den man aus seinen Reden doch endlich kennen mußte, urteilte Lamartine: das sei ein fürchterlicher Kraftmensch, »fähig, alles zu verstehen, alles zu versuchen, alles zu wagen!«

Der preußische Abgesandte weilte schon seit zwei Wochen am Sunde und dachte noch länger zu bleiben; da kam am 2. März die Nachricht von dem Sturze des Julikönigtums und zwang ihn zu schleuniger Heimkehr. Kaum hatte er die Insel verlassen, so fand die Pariser Revolution in Kopenhagen einen donnernden Widerhall. Eine stürmische Volkserhebung warf die Gesamtstaatspläne über den Haufen, führte die eiderdänische Partei ans Ruder und zwang den König Friedrich zu einer Gewalttat, die seinen stillen Herzensmeinungen wohl entsprechen mochte. Mit einem Federzuge wurde die vierhundertjährige Einheit Schleswig-Holsteins vernichtet. Jetzt blieb keine Wahl mehr. Vor dem ehrlichen Radikalismus des Krieges mußte jede Halbheit verschwinden. Unsere Nordmark stand vor der Frage: dänisch oder deutsch? (564–590.)


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