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Enttäuschung und Verwirrung

Das Kölner Domfest 1842

Von den kriegerischen Übungen reiste der König alsdann zu dem Feste der zweiten Grundsteinlegung des Kölner Doms. Auch Sulpiz Boisserée wollte an seinem Ehrentage nicht fehlen, und wie erstaunte er, da er nach langjähriger Abwesenheit die Heimat wiedersah; alles war anders geworden unter der preußischen Herrschaft, die wieder aufgeblühten alten Städte und der mächtige Verkehr auf dem befreiten Strome, anders auch die Gesinnung des Volkes. Einst in den Napoleonischen Zeiten hatten die Kölner über ihn die Achseln gezuckt, wenn er ihnen von der Erhaltung ihres ewigen Domes sprach, und es keineswegs befremdlich gefunden, daß der französische Bischof Berdollet die alte gotische Steinmasse ganz abzutragen dachte; jetzt drückten alle dem Herausgeber des Domwerkes freudig die Hand, alle meinten, den unvergleichlichen Bau wiederherzustellen sei eine Ehrenpflicht der Provinz. Und daß es so stand, daß die Rheinländer ihrer eigenen großen Vorzeit wieder liebevoll in die Augen zu sehen wagten, das verdankten sie der Krone Preußen, die dies Land seinem halbwelschen Sonderdasein entrissen und in die Strömung des nationalen Lebens zurückgeleitet hatte.

Gedanken, die aus der Literatur verschwinden, klingen in den Sitten der Gesellschaft oft noch lange nach; so waren auch die romantischen Stimmungen, obgleich die Chorführer der Dichtung längst andere Wege gingen, am Rheine noch sehr mächtig. Eben in diesen Jahren sang Karl Simrock unter dem Jubel seiner Landsleute die schalkhafte Warnung vor dem Rhein:

An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rate dir gut.
Da geht dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht dir zu freudig der Mut.

Niemals früher waren die alten Gemäuer der rheinischen Schlösser so viel besucht und gepriesen worden wie jetzt, da die neuen Dampfboote täglich weinseliges junges Volk, Maler aus Düsseldorf, Studenten aus Bonn, Sänger aus Köln rheinaufwärts führten. Prinz Friedrich von Preußen ließ den Rheinstein, Bethmann-Hollweg die Burg Rheineck wiederaufbauen, Graf Fürstenberg auf dem Apollinarisberge die weithin das Stromtal beherrschende prächtige gotische Kirche errichten; auf den Mahnruf Ferdinand Freiligraths, der in Unkel beim roten Bleichert glückliche Dichtertage verträumte, wurden Sammlungen veranstaltet, um den eingestürzten Fensterbogen der Burg Rolandseck herzustellen; bald nachher entstand auch der Königsstuhl von Rhense aus seinen Trümmern wieder. Aus diesen romantisch-ästhetischen Gefühlen war die Begeisterung für den Kölner Dom ursprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden sich späterhin der rheinische Provinzialstolz und der katholische Glaubenseifer, die der Bischofsstreit so mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal seit dem Kriegslärm des Jahres 1840, auch das deutsche Nationalgefühl. Als Görres einst im »Rheinischen Merkur« aussprach, dieser unfertige Riesenbau sei ein Vermächtnis, das die großen alten Kaiserzeiten dem wiederbefreiten neuen Deutschland zur Vollendung hinterlassen hätten, da hörten ihn nur wenige. Jetzt sprach jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem vielumstrittenen linken Ufer wollte man den Welschen zeigen, was Kraft und Einmut der Germanen vermöchten, wie die halbverschollene Kyffhäusersage erst in diesen Jahrzehnten durch Rückerts Gedicht neues Leben gewann, so kamen jetzt altertümlich klingende Domsagen in Umlauf, von denen sich das Mittelalter nichts hatte träumen lassen, allesamt echte Kinder der vaterländischen Sehnsucht des jüngsten Geschlechts: der alte Kran auf dem Stummel des Turmes war »ein riesig Fragezeichen«, ein Symbol der Zerrissenheit des Vaterlandes; erst wenn er dereinst verschwunden war und die beiden Türme vollendet in die Lüfte ragten, dann sollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutschlands, in Erfüllung gehen.

Und nun geschah, was einst Schenkendorf geweissagt:

Und gefunden ist der Meister
Und der alte Bann gelöst,
In die Herzen, in die Geister
Neue Lust zum Werk geflößt.

Der Dombaumeister Zwirner, ein Schlesier aus Schinkels Schule, überreichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau des gesamten Domes, ein riesiges Unternehmen, das selbst Boisserée früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdessen traten die Bürger Kölns zusammen, das Werk zu fördern. Anfangs konnten sie sich nicht einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: solange der Stuhl des Oberhirten im hohen Chore leer stehe, dürfe man keine Hand regen. Da trat der junge August Reichensperger ins Mittel, selbst ein strenger Klerikaler, aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten rheinischen Kunst; er mahnte seine Landsleute in einer beredten Flugschrift, alle Späne zu vergessen und den günstigen Augenblick des Thronwechsels zu benutzen. So ward der Widerstand überwunden und der große Dombauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderschaft des Mittelalters für den Ausbau des Gotteshauses sammeln und arbeiten sollte. Nichts konnte dem Könige willkommener sein. Seit er einst, von Boisserée geführt, zum ersten Male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs gewandert war, alle diese Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung, den Wiederaufbau der Marienburg noch zu überbieten, in seinen Träumen beschäftigt. Er übernahm sofort das Protektorat des Domvereins und bestimmte 50 000 Taler aus Staatsmitteln jährlich für den Fortbau. Die gleiche Summe etwa dachte man aus freiwilligen Beiträgen zu gewinnen; und da Zwirner die Gesamtkosten auf 5 Millionen anschlug, so hielten selbst hoffnungsvolle Schwärmer für wahrscheinlich, daß erst das zwanzigste Jahrhundert die gänzliche Vollendung erleben könnte.

Am 4. September wurde der zweite Grundstein gelegt, fast volle sechshundert Jahre, nachdem einst Erzbischof Konrad von Hochstaden den Bau des hohen Thores begonnen hatte; die zerrissene Kette der Zeiten sollte sich wieder schließen. Der König besuchte zuerst den Gottesdienst in der protestantischen Kirche; denn heute am wenigsten wollte er seinen evangelischen Glauben verbergen, dieser Bau war ihm ein Werk des Brudersinnes aller Bekenntnisse. Darauf fuhr er zum Hochamt in den Dom; und als er dann draußen im Freien, umgeben von der Schar seiner fürstlichen Gäste, von der Klerisei und einem glänzenden Gefolge, von dem Dombauvereine und einer ungeheuren Zuschauermenge, den Hammer erhob, um den Grundstein zu legen, da entlud sich die Begeisterung seiner Künstlerseele wieder in einer prächtigen Rede: »Hier, wo der Grundstein liegt, dort mit jenen Türmen zugleich, sollen sich die schönsten Tore der ganzen Welt erheben. Deutschland baut sie, so mögen sie für Deutschland durch Gottes Gnade Tore einer neuen, großen, guten Zeit werden. Der Geist, der diese Tore baut ... ist der Geist deutscher Einigkeit und Kraft. Ihm mögen die Kölner Dompforten Tore des herrlichsten Triumphes werden! Er baue, er vollende! Und das große Werk verkünde den spätesten Geschlechtern von einem durch die Einigkeit seiner Fürsten und Völker großen, mächtigen, ja den Frieden der Welt unblutig erzwingenden Deutschland! Der Dom von Köln, das bitte ich von Gott, rage über diese Stadt, rage über Deutschland, über Zeiten, reich an Menschenfrieden, reich an Gottesfrieden, bis an das Ende der Tage!« Und mit der Sicherheit des geborenen Redners die Empfindungen seiner rheinischen Hörer richtig herausfühlend, rief er zum Schluß »das tausendjährige Lob der Stadt: Alaf Köln!« Ein unbeschreiblicher Jubel folgte diesen Worten, wie einst der Königsberger Rede; aufs neue erbrauste der Beifallssturm, als nunmehr der alte Kran droben in Bewegung geriet und der erste Baustein auf den Turm emporschwebte. Auch auf dem Festmahle nachher, das siebenhundert Gäste des Königs unter einem großen Zelte vereinigte, herrschte die helle Freude: alte Männer fielen einander weinend in die Arme und priesen sich glücklich, diesen Tag noch zu erleben, Friedrich Wilhelm selbst überschüttete den aus dem Getümmel herangeholten Sulpiz Boisserée mit dankbarer Huld. Am Abend war die Stadt mit ihren malerischen Türmen festlich beleuchtet – ein unvergeßlicher Anblick für die Tausende, die auf reichbeflaggten Dampfern den Rhein auf und nieder fuhren.

Unter den namhaften Gästen war wohl nur einer, den die allgemeine Glückseligkeit kalt ließ: Fürst Metternich. Der stand, derweil der König redete, in dessen nächster Nähe und zog einen langen Kamm aus der Tasche, um sich bedächtiglich sein gelichtetes Haar vom Hinterkopfe nach vorn zu strähnen. Nicht ohne Ironie betrachtete er jetzt seinen königlichen Verehrer, der alles in Unruhe bringe und immer sich selber ins Licht zu stellen suche; vor Vertrauten bespöttelte er diese Siege auf Schlachtfeldern, wo kein Blut vergossen würde, und meinte, man wisse nicht, ob der hohe Herr sich selbst oder andere mehr berausche. Leider lag ein Körnlein Wahrheit in diesem boshaften Urteile. Friedrich Wilhelms Reden waren, wie der Bildhauer Rietschel mit kongenialem Verständnis nachfühlte, echte Kunstwerke, nicht gemacht, sondern geworden, unmittelbare Ergießungen seines bewegten Innern und eben darum, wie der Geist des Redners selbst, ohne klaren politischen Inhalt, jeder Deutung und Mißdeutung fähig. Gründlicher als hier in Köln war der königliche Redner noch niemals mißverstanden worden. Der junge Poet Robert Prutz sang ihm zu:

Herr, die Geschichte drängt, die Räder rollen,
Und wollt' es Gott, Gott selber hielt sie nicht ...
So sprich das Wort zum zweiten Dombaufeste,
Sprich aus das Wort: Konstitution!

Und wenn auch nur ein kleiner Teil seiner Hörer so bestimmte liberale Wünsche hegen mochte, so glaubten doch alle, daß er mit seinen verheißungsvollen Worten eine ganz neue Ordnung der Dinge ankündigen wolle, eine Zeit der Erfüllung, die dem Freiheits- und Einheitsdrange der Nation endlich gerecht werden müsse. Er aber meinte, das einige, den Frieden unblutig erzwingende Deutschland hätte sich ja schon vor zwei Jahren vor aller Welt bewährt, und dachte weder den Bundestag noch die Souveränität der kleinen Kronen jemals anzutasten.

Sobald die Nation den wahren Sinn der königlichen Worte zu erraten begann, mußte der patriotische Hoffnungsrausch der Festtage verfliegen. Aber die Begeisterung für den Dombau hielt an. Rascher als man zu hoffen gewagt, schritt die Arbeit vorwärts. Meister Zwirners Bauhütte wurde eine hohe Schule der bildenden Künste für unsern Westen; Männer wie Statz und F. Schmidt gingen aus ihr hervor, große Talente, die das Werk der Vorfahren »nach Zirkels Kunst und Gerechtigkeit« weiterführten und doch die überlieferten Formen, den Gefühlen des neuen Jahrhunderts gemäß, leise umbildeten; nur in den massenhaften Skulpturwerken des Bildhauers Fuchs verriet sich oft die Flüchtigkeit überhasteten Schaffens. Die reichsten Spenden gab, wie billig, das Rheinland, selbst die Studenten in Bonn hatten einen akademischen Domverein gebildet; aber auch aus Berlin und andern entlegenen Städten kamen reiche Beiträge. Unter den Eifrigsten war König Ludwig von Bayern. Er sprach die Hoffnung aus, daß »seiner Bayern Mitwirkung« nicht fehlen werde, wo es gelte, »teutschem Sinn und teutscher Eintracht ein großartiges Denkmal zu setzen«, und bemühte sich, einen Dombauverein deutscher Fürsten zu bilden. Da dieser Plan an den protestantischen Bedenklichkeiten der Höfe von Stuttgart und Kassel scheiterte, so ging der Wittelsbacher allein vor und stellte der unter seiner Herrschaft wieder aufgeblühten Kunst der Glasmalerei eine würdige Aufgabe; die herrlichen Fenster, die er dem südlichen Seitenschiffe schenkte, konnten den Vergleich mit der glühenden Farbenpracht der Werke des Mittelalters beinahe aushalten. Es war ein schöner Wetteifer; die Mehrheit der Nation ließ sich in ihrer politischen Hochherzigkeit nicht beirren durch die leider sehr naheliegende Frage: ob denn die Priester dieses Domes sich selbst bekennen würden zu dem Geiste christlicher Liebe, der den königlichen Protektor des Baues beseelte?

Nur die alten Rationalisten und die jungen Atheisten überschütteten das Unternehmen mit Spott und Hohn. Der halbverschollene greise Bretschneider in Gotha zeterte wider den Kölnischen Pfaffengeist, da ja Görres soeben in einer warmen und ausnahmsweise friedfertigen Schrift seinen alten Weckruf erneuert hatte. David Friedrich Strauß faßte einen grimmigen, geradezu persönlichen Haß wider den Dombau, denn nach seiner Meinung wohnte »der Gott in keinen Tempeln mehr«. Heine aber weissagte mit wiehernder Schadenfreude:

Er wird nicht vollendet trotz allem Geschrei
Der Raben und der Eulen,
Die altertümlich gesinnt so gern
In hohen Kirchtürmen weilen.

Er weidete sich an dem Gedanken, daß man das Gotteshaus dereinst in einen Pferdestall verwandeln würde. So gänzlich hatte er an der Seine die Fühlung mit seinem verlassenen Volke verloren. Die geborenen Franzosen dachten anders; ihrer viele gestanden mit stillem Neide: Zu einem solchen Werke, dessen das zerrissene Deutschland sich erdreiste, würde romanischer Opfermut schwerlich ausreichen.

Noch einige Wochen verweilte der König am Rhein, schwelgend in den historischen und künstlerischen Reizen des Landes. Überall riß er die warmherzigen Massen hin; selbst die gegen alles preußische Wesen noch sehr mißtrauischen Aachener fühlten sich geehrt, als er in gütiger Ansprache ihre Treue lobte. Darauf gab er in Brühl, dem lieblichen Rokokoschlosse der Kölnischen Kurfürsten, seinen hohen Gästen nochmals ein Fest und feierte in seinen Trinksprüchen erst die beiden Helden des Befreiungskrieges, die Könige von Württemberg und Niederland, alsdann, an die alte Waffenbrüderschaft erinnernd, den Erzherzog Johann, dessen Name »uns anwehe wie die Bergluft der Hochalpen«. In Deutschland war der greise Erzherzog so gut wie unbekannt, von den wenig glücklichen Kriegstaten seiner Jugendjahre sprach längst niemand mehr. In der Hofburg dagegen galt er für verdächtig; das alte grundlose Märchen, daß er in den Napoleonischen Tagen sich ein Alpenkönigreich Rhätien hätte schaffen wollen, fand dort noch immer Glauben. Seit Jahren lebte er dem Hofe fern in der Steiermark, ein rüstiger Landwirt und Gemsjäger, mit vielen Gelehrten und Künstlern befreundet, eifrig bemüht um die wissenschaftlichen Sammlungen der steirischen Hauptstadt. Er sah aus wie ein schlichter Bauersmann, und die seinem Hause eigentümliche Kunst der gemütlichen Anbiederung verstand er aus dem Grunde; auch wußte man, daß er sich unter Freunden zuweilen mit dem Unmute des gebildeten Mannes über die Torheiten der k. k. Zensur äußerte. So gelangte er unverdientermaßen in den Ruf eines Oppositionsführers; noch lauter ward seine Freisinnigkeit gepriesen, als er sich in die Tochter eines einfachen Posthalters verliebte und dies wackere Kind heimführte, denn der gefühlvolle Liberalismus jener Tage schwärmte für Mißheiraten ganz so treuherzig wie die Putzmacherinnen und die Ladenmädchen. Auf den Trinkspruch des Königs dankte der Erzherzog tief gerührt und schloß etwa also: »Solange Preußen und Österreich, solange das übrige Deutschland, soweit die deutsche Zunge klingt, einig sind, werden wir unerschütterlich dastehen wie die Felsen unserer Berge.« Wunderbar war die Wirkung dieser unschuldigen Worte; den Zeitgenossen schien es ganz unerhört, daß ein Erzherzog in Gegenwart Metternichs und mit den Worten des verfehmten Arndtschen Vaterlandsliedes die Einigkeit Deutschlands gepriesen hatte. Sofort wurde der alte Herr ein berühmter Mann; die Zeitungen versicherten, er hätte gesagt: kein Österreich, kein Preußen mehr! ein einig Deutschland hoch und hehr, ein einig Deutschland fest wie seine Berge! In Nationen, die einer großen Entscheidung entgegenzittern, walten die Kräfte der Mythenbildung mit rätselhafter Stärke; sie warfen sich jetzt auf den Österreicher und gestalteten ihn zu einem volkstümlichen Helden, ganz wie die Italiener sich bald nachher ein phantastisches Idealbild von dem liberalen Papste Pius IX. aufbauten. Der neckische Humor der Weltgeschichte war damit noch nicht erschöpft; die Zeit sollte kommen, da Erzherzog Johann zur Belohnung für einen Trinkspruch, den er so nicht gehalten, an die Spitze der deutschen Nation berufen wurde. (172 – 177.)


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