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Der Vereinigte Landtag

Charakter des Vereinigten Landtags von 1847.
Thronrede Friedrich Wilhelm IV.

Als die Mitglieder des Vereinigten Landtags zu Anfang April in Berlin eintrafen, da begann der erste große parlamentarische Kampf der deutschen Geschichte, ein Schauspiel, das alle die Händel der kleinen Landtage ganz in den Schatten stellte, und zum allgemeinen Erstaunen ward offenbar, welche gewaltigen staatsbildenden Kräfte Deutschland in diesem Preußen besaß. Die Männer, die hier von der belgischen und der russischen Grenze, von der Ostsee und den thüringischen Bergen her zusammenkamen, fühlten sich allesamt als Söhne eines Volkes, allein das kleine Häuflein der Polen ausgenommen, und trugen mit Stolz den Namen der Preußen. In der langen wohltätigen Stille der Herrschaft des verstorbenen Königs hatten der alte Stammeshaß und die landschaftlichen Sondererinnerungen viel von ihrer Schärfe verloren – ein Ergebnis, das sich bei freierem öffentlichen Leben schwerlich so bald hätte erreichen lassen; dann waren, unter dem aufregenden Regimente des Nachfolgers, überall im Osten wie im Westen neue politische Ideen erwacht, aus denen leicht große gesamt-preußische Parteien hervorgehen konnten. Gleich bei den ersten Vorbesprechungen ward man inne, daß diese neuen Parteigegensätze zwar trennend, aber noch mehr verbindend wirkten; denn der Riß der Parteiung ging mitten durch alle Provinzen, die Mehrheit der Rheinländer und der Ostpreußen bildeten den Kern der Opposition, gerade die entlegensten Landesteile fanden sich in guter Freundschaft zusammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Landtags besaßen das Recht, die Sonderung in Teile zu verlangen; aber von dieser gefährlichen Befugnis versuchten nur zweimal, ganz zu Anfang der Tagung, einzelne Heißsporne Gebrauch zu machen. Beide Male vergeblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Naturgewalt der nationalen Einheit, der Ernst des preußischen Staatsgedankens hielt alle Sondergelüste darnieder. Das war es, was Metternich vor allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Österreich und Frankreich die geborenen Feinde der deutschen Einheit waren, und warnte Guizot vor den großen Gefahren, welche dieser Landtag den beiden Häfen zu bereiten drohe; er stachelte die partikularistische Angst des Königs von Württemberg gegen das Deutschtum und den »alles oder nichts sagenden Begriff« der Nationalität. Als festes Bollwerk wider das werdende Deutschland dort im Norden empfahl er den Deutschen Bund, die natürliche Stütze des Partikularismus.

Zum ersten Male, seit es ein Königreich Preußen gab, traten die Stände als eine selbständige Macht der Krone gegenüber; und wie stark und mannigfaltig erschien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältnissen des wirklichen deutschen Staates gewußt. »Preußen hat wieder einen Adel« – so sagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das landläufige Zerrbild vom preußischen Junkertum paßte wahrhaftig nicht auf die tapferen, gebildeten, patriotischen Edelleute, die im vereinigten Landtage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimütig auftraten; viele von ihnen erklärten sich sogar bereit – freisinniger als der bayrische Adel – auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Fast noch mehr überraschte die Deutschen der Kleinstaaten das stolze Selbstgefühl des preußischen Bürgertums, das in der älteren Geschichte der Monarchie fast immer nur eine bescheidene Rolle gespielt hatte, jetzt aber, rasch erstarkt unter dem Schutze des Zollvereins, seine großen wirtschaftlichen Interessen nachdrücklich vertrat. Auch das alte streng protestantische Preußen war nicht mehr, die Parität der Bekenntnisse ward in den Formen überall sorgsam gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenhasser wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Fronleichnamsfest als einen Feiertag ehrte.

Überhaupt kam ein neuer, freierer, großstädtischer Zug in das Berliner Leben, seit die Fürsten und Grafen des Westens, die schlesischen Granden und der ostpreußische Adel, der bisher immer still daheim geblieben war, alle bei Hofe erschienen und der König auch die Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu seinen Festen lud; erst seit diesen Anfängen der parlamentarischen Kämpfe begann Berlin zur wirklichen Hauptstadt zu werden. Und wie reich war dieser erste Landtag an rednerischen Talenten, an mutigen, erfahrenen, ehrenhaften Männern. Metternich selbst war erstaunt über die »parlamentarische Gediegenheit« dieser jungen Versammlung; man wußte im Auslande nicht, daß die meisten der Abgeordneten keine Neulinge waren, sondern schon seit Jahren in der bescheidenen Schule der Provinziallandtage die Kunst der Rede und der parlamentarischen Taktik gelernt hatten und jetzt die Fülle der dort gesammelten Erfahrungen zur gemeinsamen Arbeit herbeitrugen. Noch überwog die schöne Beredsamkeit des Herzens, wie es in einer Zeit der Erwartung nicht anders sein konnte; aber auch die Leidenschaft hielt sich fast immer in den Schranken der guten Sitte, und niemals wieder hat Preußen ein so würdevolles Parlament gesehen. Von dem Monarchen sprachen alle mit tiefer Ehrfurcht, manche mit überschwenglicher Bewunderung, ein Redner der Opposition nannte Friedrich II. den größten König, welcher Preußen vor dem Jahre 1840 beherrscht hätte; bei Hofe galt der Name Friedrich der Große fast für unschicklich, die neue Zeit friedlicher Weisheit sollte ja alle Kriegstaten der heldenhaften Altvordern verdunkeln.

Von vornherein zeigten die Männer der Oppositionsparteien das Gefühl entschiedener Überlegenheit; sie trugen in sich das Bewußtsein einer großen Bestimmung, sie hofften, den preußischen Staat durch die Ausbildung der ständischen Institutionen mit dem übrigen Deutschland zu befreunden und ihm also die Führung der Nation zu sichern. In den Sälen des Russischen und des Französischen Hofes, wo die Opposition, noch ganz ohne Fraktionszwang, ihre freien Vorbesprechungen zu halten pflegte, fanden sich auch manche Liberale von auswärts ein: Jacoby aus Königsberg, Graf Reichenbach, H. Simon und Stein aus Schlesien, Biedermann aus Leipzig, Beseler und andere Schleswig-Holsteiner. Sie alle erwarteten von Preußens erstem Reichstage eine Wendung der deutschen Geschicke, auch der junge Julian Schmidt wurde durch die Bewegung dieser Tage von der Literatur zur Politik hinübergeführt. Zu den Sitzungen des Landtags selbst ließ der König keine Hörer zu, aber die Verhandlungen wurden vollständig gedruckt, jetzt endlich mit Nennung der Redner, und obgleich die noch unbeholfenen Stenographen ihren Bericht meistens erst nach acht Tagen fertigstellten, so folgten doch alle Gebildeten dem parlamentarischen Kampfe mit reger Teilnahme. Die »Kölnische Zeitung« ließ sich ihre Berliner Zeitungspakete von Minden an durch eigene Stafetten zusenden, nur um den Rheinländern den Landtagsbericht einen Tag vor den andern Blättern darzubieten.

Neben der Zuversicht der Opposition erschien die Haltung der Regierung von Haus aus schwächlich und unsicher; die Minister befolgten getreulich die Befehle ihres königlichen Herrn, obgleich kein einziger unter ihnen mit den wunderlichen Plänen des Monarchen ganz einverstanden war. Und so fühlten sich auch die konservativen Abgeordneten, die im Englischen Hofe zusammenkamen, beim besten Willen, die Krone zu unterstützen, doch völlig ratlos. Wo war ein Ausweg aus diesem durch den Monarchen allein verschuldeten Rechtsgewirre? Der König hatte, den Rat des Grafen Arnim verschmähend, sich nicht auf den unangreifbaren Rechtsboden der Gesetze seines Vaters gestellt, sondern den Ständen einerseits alte Rechte genommen, andererseits neue, größere Rechte geschenkt; er hatte – daran hing alles – die Wiederberufung des Vereinigten Landtags durchaus seinem eigenen Ermessen vorbehalten und also das ganze Verfassungswerk, das doch gerade abgeschlossen werden sollte, noch in der Schwebe gelassen. Und unmöglich konnte der absolute König nach so großen freiwilligen Gewährungen seine neue Gesetzgebung auf den Wunsch der Stände sofort wieder ändern; das Ansehen der Krone und der persönliche Stolz Friedrich Wilhelms hätten unter solcher Nachgiebigkeit zu schwer gelitten.

So stand denn dieser durch und durch königstreue, gemäßigte, besonnene Landtag vor einer fast unlösbaren Rechtsfrage. Die Abgeordneten sagten sich: entweder sind wir die von dem alten Könige verheißene Landesrepräsentation, dann müssen wir auch alle ihre Rechte für uns verlangen; oder wir sind ein nach dem Belieben des neuen Herrschers berufener Ständetag, dann dürfen wir die Rechte der Landesrepräsentation nicht ausüben. Kühne Realpolitiker, wie der junge Deichhauptmann Otto von Bismarck, der hier zuerst in das öffentliche Leben eintrat, mochten wohl über solche Skrupel lachen, denn mit voller Sicherheit ließ sich vorhersehen, daß der Vereinigte Landtag zu einer dauernden Institution des Staates werden mußte; für den streng gesetzlichen Sinn der Mehrheit aber waren die Rechtsbedenken fast unüberwindlich. Und leider ward die Haltung der Opposition auch durch eine geheime Unwahrheit verdorben. Die Männer, die sich so streng auf den Rechtsboden beriefen, wollten in Wahrheit weit mehr, als die alten Gesetze verhießen. Sie trugen durchaus kein Bedenken, das neue Steuerbewilligungsrecht, das ihnen der König, den alten Gesetzen zuwider, geschenkt hatte, gleichsam als gute Prise anzunehmen, denn sie hofften insgeheim, den Monarchen Schritt für Schritt auf neue Bahnen zu drängen. Die Mehrzahl der Rheinländer und viele Vertreter der großen Städte des Ostens dachten an eine Verfassung belgischen Stiles, die liberalen Edelleute an eine mächtige ständische Versammlung.

Allen diesen Bestrebungen hatte der König durch die willkürlich dilettantische Behandlung der Rechtsfragen selber Tür und Tor geöffnet. Das Wagnis seiner Politik war um so gefährlicher, da hinter den Ständen noch andere Mächte der Bewegung standen, welche weit über die Ziele des Landtags hinaus strebten. Die radikale Partei, deren Macht im Lande sich doch nicht mehr verkennen ließ, fand auf dem Landtage keinen einzigen Wortführer; nur dann und wann verriet sich in einzelnen Äußerungen der bäuerlichen Abgeordneten ein tiefer, verhaltener sozialer Groll; der schlesische Erbschulze Krause meinte einmal, er und seine Standesgenossen hätten dreißig Jahre lang geschlafen, jetzt aber wären sie endlich zum Bewußtsein ihrer Rechte erwacht. Unvertreten war auch, nach dem Wahlgesetze, die breite Masse der städtischen Arbeiter, unvertreten endlich der mächtige Stand der eigentlichen Schriftgelehrten. Wenn die Krone mit einem Landtage, der ausschließlich die seßhaften, vermögenden, konservativen Elemente der Gesellschaft vertrat, sich nicht zu verständigen vermochte, dann war eine friedliche Entwicklung des politischen Lebens kaum noch zu erwarten. –

Mit königlichem Pomp, die Reichsinsignien voran, betrat Friedrich Wilhelm am 11. April den prachtvoll wiederhergestellten Weißen Saal des Schlosses, um den Landtag mit feierlicher Ansprache zu eröffnen. Alle königlichen Prinzen scharten sich um ihn; selbst der getreue Gesinnungsgenosse des russischen Schwagers, Prinz Karl, der, grollend über die » chambre monstre«, lang in Italien verweilt hatte, war im letzten Augenblicke auf Befehl des Monarchen noch herbeigeeilt. Zum letzten Male – wie wenig konnte er das ahnen – redete der König hier mit der vollen Freiheit des unbeschränkten Herrschers zu seinem Volke, aus der Tiefe des Herzens heraus, aufrichtig wie kaum je ein gekröntes Haupt gesprochen hat; es war, als wollte er sich selber an dem Schwung und dem Glanze seines reichen und doch so ganz unpolitischen Geistes weiden. Er erklärte, wie es die Kundigen nicht anders erwarten konnten, das Verfassungswerk seines Vaters nunmehr für vollendet und warnte die Stände, dies Werk »nicht gleich durch ungenügsame Neuerungslust in Frage zu stellen«; er legte ihnen, wie einst schon den Vereinigten Ausschüssen, ans Herz, daß sie nicht »Meinungen zu repräsentieren«, sondern nach altem deutschen Brauche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten. Er erinnerte sie an die »Erbweisheit ohnegleichen«, welche die englische Verfassung ohne ein Stück Papier geschaffen habe, und obgleich er soeben selbst das beschriebene Blatt des Patents hatte hinausgehen lassen, gab er das feierliche Gelöbnis: »daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles, konstitutionelles zu wandeln, und daß ich es nie und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte Treue zu ersetzen.« Sichtlich erregt sprach er von den Angriffen der Presse, die doch so tief unter ihm stand: »Von allen Unwürdigkeiten, denen ich und mein Regiment seit sieben Jahren ausgesetzt gewesen, appellier' ich an mein Volk.« Und indem er seine getreuen Stände aufforderte zum gemeinsamen Kampfe gegen die Untreue, die bösen Gelüste der Zeit, legte er das Bekenntnis ab: »Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen. Ja wahrhaftig!« Für die Zukunft erhielten die Stände nur die väterlich mahnende Zusage, daß der König sie zur Bewilligung neuer Steuern und Anleihen wieder berufen werde, und auch sonst noch, »wenn ich es für gut und nützlich halte, und ich werde es gern und öfter tun, wenn dieser Landtag mir den Beweis gibt, daß ich es könne, ohne höhere Regentenpflichten zu verletzen«.

Die Thronrede erschreckte und verwirrte die Hörer. Wohl empfand jedermann die Macht einer ungewöhnlichen Persönlichkeit; der politische Inhalt der hochtönenden, vielfach unklaren Sätze lief jedoch darauf hinaus, daß der König seine deutschrechtlichen Stände vor jeder Annäherung an das konstitutionelle Kammerwesen der kleinen Nachbarstaaten streng bewahren und die Ausbildung dieser ganz eigenartigen Institutionen allein seiner eigenen Weisheit und Gnade vorbehalten wollte. Die Liberalen, die in dem Patente nur die Grundlage für weitere Verhandlungen sahen, fühlten sich tief niedergeschlagen. (615 – 620.)


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