Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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In Gesellschaft Hardenberg's und dessen Bruders, sowie der Verwandten, die sich in Liebenstein zusammengefunden hatten, oder die in der Nähe wohnten, ging die Zeit gar anmuthig hin. Man erzählte viel charakteristische Züge von den sonderbaren Launen des trefflichen Fürsten; dabei aber verkannte man nicht, was er für die gute Einrichtung dieses Bades, vorzüglich aber für die Wohlfahrt seines Ländchens gethan hatte.

An der heitern Mittagstafel, als die Freunde unter sich und keine Damen zugegen waren, sagte Wachtel: Ich bin Euch noch schuldig, meine Freunde, wie ich gestern Nachmittag meine Zeit hingebracht habe, zu berichten. Ich mochte das Puppentheater so wenig wie den glänzenden Ball besuchen, aber ich hatte erfahren, daß der berühmte Oberforstmeister Cramer von Meiningen hieher in das Bad, aber nur für diesen Sonntag gekommen sei. Wie Ferrara seinen Ariost und Tasso, Florenz seinen Dante, Leipzig seinen Gottsched, Anspach seinen Utz und Weimar seinen Göthe hat, so besitzt seit lange schon Meiningen seinen Cramer. Ich sah den Mann, er ist groß, ziemlich corpulent, und sein Gesicht eins von denen, die das Glück und die Auszeichnung haben, gar keinen Ausdruck zu besitzen. Diese sogenannte Gutmüthigkeit oder Bonhommie, wie man dergleichen nennt, welche nur die trivialste Alltäglichkeit ist, lockt jeden noch so simpeln Dummkopf herbei, um sich ohne Aengstlichkeit in der Gegenwart eines solchen harmlosen Autors ganz seiner Einfalt zu überlassen und den berüchtigten 121 Vetter Michel für den Vorsteher der Grazien zu halten. Glücklicher Weise habe ich in früheren Jahren, weil ich ein unnützer Bengel war, die meisten Romane dieses Cramer, vom Erasmus Schleicher bis zum Paul Ysop, gelesen. Ich sah neben ihm einen Halbbekannten und benutzte dies, um mich dem genialen Deutschen vorstellen zu lassen. Wir setzten uns dann dorthin, vor dem Badehause, dem Geländer nahe, den Blick auf die Landstraße gerichtet. Der große Mann hatte kein Arg daraus, ob ich ihn auch für den Autor erkannte, für den ihn die Abonnenten der Leihbibliotheken eine Zeitlang hielten. Ein schmaler, schwindsüchtiger Medicus sagte: O Bruder Cramer, erinnerst Du Dich noch unseres verewigten Freundes auf der Universität, des seligen Lange, mit dem wir so manchen seligen Abend durchschwärmt haben?

Wohl, sagte Cramer, indem er sein Glas erhob und der große Mund lächelnd durch die Nähte der Pockennarben brach: das war ein großer Mensch! Himmel, wie idealisch konnte er beim Sonnenaufgang oder in den Frühlingsmonaten gestimmt seyn! Es war eine Wonne, mit der kräftigen Menschheit des Kerls zu harmoniren. Viele von Klopstocks Oden wußte er ganz auswendig; wenn er sie deklamirte, zitterte er vor Entzücken, wie ein eingefangenes Rothkehlchen. Wir nannten ihn nur Selmar, – und das arme Vieh hat nachher so miserabel crepiren müssen!

Wie so? fragten die Freunde, indem sie die Weingläser niedersetzten.

Weil der Schwernothshund, sagte der Autor mit edelm Ingrimm, es nicht lassen konnte, sich trotz seines Aufschwungs mit liederlichen Menschern einzulassen. Das war nun einmal seine schwache Seite. Petrarch und Laukhard, oder ein Anderer der Zunft, Bahrdt, oder wer es sei, war er in 122 demselben Augenblick. O seine zarte, himmlische Jenny! was das hohe Wesen über diese zu weit getriebene Vielseitigkeit des hochgestimmten Schwärmers gelitten hat! Die Creatur war doch wirklich so, als wenn ein himmlischer Engel in dieses Erdenleben herabgestiegen wäre, um uns eine Darstellung der hohen Flüge eines Plato im sterblichen Abbild zu geben. Mehr als Sophronia und Clorinde des Tasso, höher als Werthers Lotte, oder die Sophie des Fielding war sie so einzig, daß die Brutalität selbst in ihrer Nähe zur Tugend wurde. Tausendschwernoth noch einmal! Wenn sie so mit ihrem Inamorato dahinwalzte! Als den nun, wie Ihr wißt, Freunde, an der schlechten Krankheit der Teufel so rein weggeholt hatte, so gab sie endlich den Bitten des dünnbeinigen Assessors Gehör und verheirathete sich mit der verfluchten Massette. Sie hatte aber schon von ihrer ersten Liebe ein Kind gehabt, das sie heimlich erziehen ließ. Der Junge bekam nachher das böse Wesen und verreckte im Hospital. Die himmlische Laura ergab sich dem Branntwein und es war, wegen des Athems, in den letzten Jahren nicht mehr bei ihr auszuhalten. So verwelken die edelsten Blüten des Lebens.

Und Alfonso, fragte der Schmächtige, jener aufgeklärte Theologe, er hieß eigentlich Wackelbein, – was ist aus dem geworden?

Im Narrenhause, sagte Cramer, hat er an der Kette verendet. Er war zu genialisch, und wollte immer Werther und Guelfo in den Zwillingen von Klinger zugleich seyn. Als er in der Stadt lebte und der Superintendent ihn zum Adjunctus in sein Haus nahm, hatte er seine höchste genialische Zeit. Was er damals schrieb oder sagte, war classisch. Er selbst aber immer besoffen. Das Schwärmen hätte ihn aber doch nicht so sehr daran gehindert, daß der große Geist 123 wäre in eine gute Stelle gesetzt worden; – aber, wie nun sein schönstes Buch sollte gedruckt werden (eine Nachahmung meines Erasmus, wo er zugleich den Bambino Klingers hineingebracht hatte), kam es heraus, daß die Köchin im Hause von ihm schwanger und die Kirchenkasse bestohlen, ja eigentlich ganz weggeraubt sei. Von beiden war er der Thäter, und er konnte es nicht leugnen; schon täglich besoffen, wurde er vom Kummer verrückt und fuhr so dahin.– So habe ich so manche echte Genies, die die Zierde unseres Vaterlandes werden konnten, zum Teufel fahren sehen. Ich habe mich gehalten, so viel ich auch erlebt, so viel ich auch erduldet habe. Der Dienst der Musen ist kein leichter. Mit dem Teufel ist nicht zu spaßen.

Ferdinand erzählte, wie schlimm es ihm in dem Marionettenspiel gegangen sei, worauf Walther sagte: Sie haben also, meine Freunde, einmal recht die deutscheste Deutschheit verkostet. Sonderbar, daß es noch immer viele Gegenden und Gesellschaften giebt, wo ein solcher Ton für das Herzliche und Biedere gilt. Bei diesen steht dann Grazie und Urbanität als Heuchelei und Affektation im schlimmsten Verruf. Aus den Büchern, in welchen der hiesige Ariost die Sitten edler und treuherziger Männer geschildert hat, bildeten sich früherhin manche Studenten auf der Universität, und aus diesen Reminiscenzen schrieben Manche wieder in späteren Jahren Bücher in demselben Ton. Diese rohe Manier verliert sich jetzt mehr und mehr bei unsern Landsleuten.

Ich zweifle, fuhr Ferdinand fort, daß der Gebildete in irgend einem andern Lande an dieser vorgeblichen Herzlichkeit, Biedertreue und Ungeschlachtheit zu leiden hat. Dies Marionettenspiel selbst war eben so schlecht, daß, wer nach diesem meine Vorliebe für diese groteske Unterhaltung 124 beurtheilen wollte, mir sehr Unrecht thäte. Es werden jetzt ungefähr zehn Jahre seyn, als ich auf einer Reise durch den Harz in Quedlinburg dieses wunderliche Drama zuerst entdeckte. Ich kann es wohl eine Entdeckung nennen, denn es wich völlig von jenem Zeitvertreib der gebräuchlichen Puppenspiele ab, und dieses, wie jene gewöhnlichen dienten nur dem Volke zur Aufheiterung, und der Gebildete wendete sich mit Verhöhnung ab. Diese Figuren, die ich jetzt kennen lernte, waren ziemlich groß und wurden sehr geschickt durch eine künstliche Wage und Gewichte regiert, die die Glieder in Bewegung setzten, indem die Fäden an den Fingern der Dirigirenden hingen. Am künstlichsten aber war die Figur des Lustigmachers oder des Casperle, wie er hier genannt wurde. Nach einiger Zeit glaubte man ein wirkliches lebendes Wesen zu sehn; man zweifelte nicht mehr an dem Mienenspiel und er machte mich so lachen, wie ich es nur selten im Leben vermocht habe. Ich erkannte hieraus, wie die Maske, wenn ein gutes Gedicht nur übrigens gut gespielt würde, gewiß nicht die Täuschung stören oder aufheben könne. Am meisten aber überraschten und interessirten mich die wunderbaren Stücke, die gespielt wurden. Sie waren so originell, so großartig erfunden und so kühn durchgeführt, daß ich sie mit keinen andern bekannten vergleichen konnte. Der Don Juan z. B., den sie darstellten, wich sehr von jenem ab, der nach dem Moliere und den Italienern gearbeitet ist. Nach einigen Jahren sah ich mit Erstaunen, daß er nach dem eigentlichen Original des Spaniers Tirso de Molina umgewandelt war. Von einem andern Stücke entdeckte ich später, daß es ganz, aber so, wie dieses Marionettentheater es brauchen konnte, nach einem höchst wunderbaren und religiösen Schauspiel des Mira de Mescua gearbeitet sei. Eine »heilige Dorothea« folgte ziemlich genau der Tragödie, 125 welche die Engländer Massinger und Decker über diesen Gegenstand gedichtet haben. Ich wollte die Directoren der hölzernen Truppe schon damals bereden, in Berlin ihre Künste zu zeigen, was sie aber jetzt noch nicht wagten, sondern erst sieben oder acht Jahre nachher den Versuch machten und großen Beifall fanden, vorzüglich bei den Freunden der ältern Poesie. Die Herren Dreher und Schütz (diese waren die Dirigenten) erzählten mir, daß alle ihre Manuscripte alt seien, daß sie noch viele besäßen, die sie aber niemals darstellten, unter andern einen König Lear, der aber mit dem weltbekannten Gedichte kaum eine Aehnlichkeit habe. Ich wollte sie überreden, mir diese Gedichte zur Ansicht zu vertrauen, was sie aber standhaft verweigerten, so wie sie auch von dem Rath nichts wissen wollten, diese Sachen durch den Druck bekannt zu machen. Sie glaubten, daß sie sich ihre Aufführungen dadurch verderben möchten. Ich wußte, daß zu Shakspeare's Zeiten von einsichtigen Mechanikern eine neue Art war erfunden worden, ziemlich große Marionetten künstlich in Bewegung zu setzen. Die Spiele dieser Puppen machten Aufsehen und fanden großen Beifall. Ben Jonson spottet selbst einmal darüber, daß dieses hölzerne Theaterspiel Mode sei und von Manchem dem der Komödien vorgezogen werde. Man gab die Schauspiele, die die populärsten waren, und gute Köpfe, die gerade nichts Besseres zu thun hatten, arbeiteten für diese Bühne und nahmen die besten Komödien berühmter Dichter, um sie für die Marionetten abzukürzen und mit mehr Spaß und Tollheit auszustatten. Die Marionetten zogen hierauf nach den Niederlanden, und in Brüssel und Antwerpen, wo damals viele spanische Komödien gespielt wurden, nahmen sie von diesen die beliebtesten und wunderbarsten in ihr Repertoir auf. Manchen, die ich damals und später in Berlin sah, habe ich 126 noch nicht auf die Spur kommen können; sehr merkwürdig war die Geschichte eines Königssohnes, der sich wahnsinnig stellte, aber nichts mit Hamlet gemein hatte. Der verlorne Sohn ist nach einem alten englischen Schauspiel, und jener landkundige Faust, der unserm großen Dichter in seiner Jugend wohl zuerst den Anstoß zum wunderbarsten seiner Werke gab, ist im Wesentlichen dem Faust des Marlow nachgebildet. Man kann dem Barocken und toll Poetischen nur mit einer gewissen Leidenschaft sich hingeben, eine ruhige kritische Billigung ist unpassend und dem Gegenstande nicht angemessen; und so gestehe ich gern, daß ich damals diese mir noch neuen Spiele vielleicht überschätzte, aber auch jene Menschen, die sich ganz davon abwendeten, nicht tadeln konnte. – Hier aber war von jenem Poetischen, was mich damals so sehr erfreute, auch keine Spur mehr. Die Marionetten waren schlecht und spielten ungeschickt, der Text war ganz modern, aus Kotzebue und einigen beliebten Opern zusammengestoppelt, so daß mich weder Publikum noch Theater auf lange fesseln konnte. Große, wunderbare Verhältnisse, das Tolle, Phantastische und ganz Tragische paßt nur für diese Volksbühne.

Die Freunde genossen noch die schöne Gegend um Liebenstein, alle diese reizenden Naturscenen, und nahmen dann von Wald und Berg und den freundlichen Menschen, die sie hatten kennen lernen, Abschied. Carl von Hardenberg begleitete sie noch bis Eisenach. Der Weg geht queer durch den Thüringer Wald, und reizend liegt das Jagdschloß Wilhelmsthal mitten in einem schönen Walde. Die Buchen hier und in der Umgegend sind von herrlichem Wuchs.

In Eisenach besuchte man die Wartburg und erinnerte sich des Gedichtes von Friedrich Schlegel. Der Deutsche, bemerkte Ferdinand, hat immer noch seine eigenthümliche 127 Freude an der Herrlichkeit der Wälder; vor diesen Ausblicken, die uns entzücken, graut dem Italiäner und die übrigen Nationen empfinden doch schwerlich jenes heilige Grauen oder jene feierlich andächtige Stimmung, die uns in Waldgebirgen oder im einsamen dunkeln Forst ergreift.

Hardenberg kehrte nach Liebenstein zurück, und von Altenburg schrieb Ferdinand an seine Freundin Charlotte nach Berlin:

Altenburg, den 1. August 1803.    

Kann man sich so ungewiß im Kreise drehen, wie ich es nun seit mehreren Wochen gethan habe? Menschen betrachte ich und lerne sie kennen, Frauen und Mädchen, Naturscenen gehn an mir vorüber, und nichts ergreift und durchdringt mich so, wie es sollte, weil eine Leidenschaft, eine Unruhe, eine unselige Melancholie mich allenthalben verfolgt. Ich habe die feste Hoffnung, möchte ich doch fast sagen die sichere Aussicht, daß sich in wenigen Tagen dieser Zustand ändern wird. Sie kennen mein Schicksal nicht, und können es also auch nicht fassen, in welchem seltsamen Räthsel ich mich umtreibe.

Ich müßte mich sehr irren, oder mein Reisegefährte Walther wird von einer ähnlichen Leidenschaft gequält, die er mir verheimlicht, geflissentlich Alles umgeht, was auf eine Spur führen oder eine vertrauliche Herzensergießung veranlassen könnte. Dieser Mann, der anfangs so kalt und ruhig schien, verliert immer mehr jene sichere Haltung, die den Gleichgültigen nur sich anzueignen möglich ist.

Zuweilen erscheint mir das Leben grauenvoll, wenn es mir jene kalte, gleichgültige Seite aufdeckt, die die Herzlosen für das wahre Antlitz, und Jugend, Empfindung und Liebe nur für eine schöne Larve erklären. Als wir in Würzburg waren, 128 erinnerte ich mich einer Begebenheit, die mich schon vor Jahren manche Thräne gekostet hat. Ein junger Edelmann lebte hier, reich, gesund und schön, und mit dem schönsten Mädchen in der Stadt versprochen. Die Vermählung war nahe, das Glück der Liebenden beneidenswerth, als der Geliebte mit einem andern Offizier um eine unbedeutende Kleinigkeit in Streit geräth und von dem rohen jungen Mann so beschimpft und beleidigt wird, daß sich die Ehre des Gekränkten, nach unsern Begriffen, nur durch ein Duell wiederherstellen läßt.

Sie treffen sich im Walde und der Liebende hat das Unglück, seinen Gegner zu erstechen. Die Flucht ist unvermeidlich, und die Anverwandten des Erschlagenen, angesehene Familien, treiben es dahin, daß er mit gerichtlicher Strenge verfolgt wird und in sein Vaterland nicht zurückkommen darf. Er wagt es selbst nicht, unter seinem wahren Namen im Auslande zu leben, er kann nur selten und auf Umwegen schreiben und noch seltener kann er von seiner Familie oder seiner Braut etwas erfahren. So vergehn einige Jahre. Seine schlimmsten Feinde sterben indeß, die andern lassen sich versöhnen, und mit vieler Mühe wird ihm die Gnade des Fürstbischofs ausgewirkt, nachdem dieser überzeugt ist, daß er zu jenem unseligen Duell ist gezwungen worden. Er wirft sich, von frischer Jugend beseelt, in den Wagen, einige Meilen vor Würzburg besteigt er ein rasches Pferd, um noch früher in den Armen seiner Braut zu liegen. Schon sieht er die altbekannte Stadt und begrüßt jubelnd ihre Tempel und Paläste; sein Weg führt vor dem Kirchhofe vorbei, ein großer Zug, Alt und Jung, bewegt sich aus der Stadt dahin. Er fragt einen Vorübergehenden, wer die Leiche sei, und erfährt, seine Braut wird beerdigt. Der lange Gram, dann die Freude habe sie so geschwächt, daß ihr ermüdeter 129 Körper dem Anfall eines Fiebers keine Lebenskraft mehr entgegenstellen konnte. Betäubt, entsetzt, lebensüberdrüssig kehrt er um, ohne seine Familie wiederzusehn. Er verläßt die Landstraße, irrt in Wäldern umher und begiebt sich endlich nach Erfurt, um hier im Orden der schweigsamen Karthäuser das Ordenskleid zu nehmen. Nun arbeitet er im Garten und an seinem Grabe, spricht mit Niemand und antwortet seinen Brüdern wie den Fremden nur mit dem trübseligen: Memento mori! – Wie oft war ich in Erfurt in diesem einsam liegenden Kloster, sah die wandernden Brüder an, oder in der Kirche bei ihrem stillen Gottesdienste, und gedachte dieser Geschichte. Jetzt komme ich mit meinen Reisegefährten wieder nach Erfurt. Die Klöster sind alle aufgehoben und Mönche und Nonnen von ihren Gelübden befreit. Ich finde den jungen Prinzen W. wieder, der hier als preußischer Major in Garnison steht, und er bittet uns bei sich zu Tische. Er spricht mir von diesem Mönch, den er kennt, und sagt uns, er würde unser Tischgenosse seyn. Als wir uns versammelt haben, tritt ein ältlicher Mann in bürgerlicher Kleidung herein, der stattlich aussieht, dessen Embonpoint aber schon an das Komische grenzt. Sein Gesicht ist nicht unedel, aber ganz gewöhnlich, selbst unbedeutend, und der Ausdruck seiner Physiognomie ist mehr jovial, als ernst, oder tiefsinnig. Ich konnte mich bei diesem Anblick einer gewissen Verstimmung nicht erwehren. Er erzählte viel und mit großer Redseligkeit; es schien, als wollte er für sein vieljähriges Schweigen sich nun endlich wieder an mannichfaltigen und selbst überflüssigen Worten eine Güte thun. Von seiner melancholischen Jugendgeschichte redete er nicht, das wäre auch zu unangenehm gewesen; aber wohl setzte er auseinander, wie die Diät des Klosters, selbst die strenge, bei dem Mangel an Bewegung, den Körper anschwelle. Das 130 Reiten, besonders das schnelle, wollte ihm noch nicht recht zusagen, aber dennoch sprach er mit wahrem Entzücken von den Exercitien der preußischen Cavallerie, die er zu Pferde angesehn und gewissermaßen mitgemacht habe; der Soldat, so fügte er hinzu, sei wieder mit allen Kräften in ihm aufgewacht, und wenn er nicht zu alt geworden sei, würde er sich mit Enthusiasmus diesem Stande widmen. Jetzt sei er entschlossen, die wenigen Jahre seines Lebens hier in Erfurt, mit seinen militärischen Freunden, deren er manche habe, zu verbringen und von seiner kleinen Pension zu leben. Seine Familie sei ausgestorben, Verwandte habe oder kenne er nicht, und die etwanigen Erben seines kleinen väterlichen Vermögens wolle er nicht in Verlegenheit setzen, daß sie den Argwohn faßten, er könne auf irgend etwas Ansprüche machen. –

Es ist verdrüßlich, wenn die mächtigsten Leidenschaften und wahrhaft tragische Begebenheiten nicht mehr Spur im Menschen zurücklassen. Und doch erscheine ich mir wieder in diesen Gefühlen unbillig und lieblos, weil ich nicht wissen kann, was der Arme gelitten hat, und mit welcher Scheu und Vorsicht er wohl immerdar vor dem Grabe seiner Jugend vorübergeht. Sollte er seinen Schmerz und seine Erfahrung einer gewöhnlichen frohen Tischgesellschaft mittheilen und das Edelste seines Lebens entweihen?

In Weimar war mir der Park, Göthe's Haus, alle Umgebung, wie heilig. Im Garten, der allenthalben so lieblich und edel die dort dürftige Natur verschönert und verdeckt, muß man bei jedem Schritte unsers Dichters gedenken. Er war nicht zugegen, aber den Herzog trafen wir, als wir das Schloß besichtigten. Der edle, geistreiche Fürst sprach lange mit uns über verschiedenartige Gegenstände. Das Schloß ist von dem Baumeister Genz, dem Bruder des 131 politischen Schriftstellers, vortrefflich eingerichtet; Alles hier ist mit Sinn angeordnet, und der große Saal, für Feierlichkeiten bestimmt, erfreut besonders. Es war nicht leicht, aus Dem, was der große Brand von dem Gebäude hatte stehn lassen, diese zierliche und großartige Einrichtung herauszubringen. Von Friedrich Tieck sieht man schöne Basreliefs und Figuren, zwar nur in Gips, aber so gut ersonnen und ausgeführt, daß sie dem edeln Hause zum Schmuck gereichen.

Von Weimar begleitete uns ein junger Dichter, Thorbeck, dessen sich Göthe und Schiller freundlichst angenommen hatten. Er rezitirte uns im Wagen einige seiner Gedichte, in welchen ich nur zu sehr die Manier unsers Schiller wiederfand. Die Verse schienen mir für einen Anfänger fast zu gut.

In Jena führte uns Wachtel zur Fromann'schen Familie, die ich früher schon gekannt hatte. Den geistreichen Naturforscher Ritter fand ich hier, so wie Clemens Brentano. Von Beiden, die ohne Zweifel große Talente entwickeln können, muß man wünschen, daß sie sich nicht von einer falschen Genialität blenden lassen. Eine bewußtvolle Originalität ist keine; auch kann man dem jungen Dichter wohl allenthalben in seinen Versuchen, wo er recht neu und seltsam zu seyn glaubt, die Stellen nachweisen, die er nur nachgeahmt hat. –

Wann werde ich Sie wiedersehn? Unter welchen Umständen? Wo?



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