Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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92 Walther war aus andrer Ursache nachdenklich von Weinsberg zurückgekommen. Er hatte an der Wand der Kapelle, auf welcher die Geschichte der treuen Weinsberger Weiber gemalt ist, mit Bleifeder frisch angeschrieben deutlich die Worte gelesen: »Romeo, in der Höhle zu Liebenstein findest Du den 24. Juli M – Julia.« – Seine Gefährten hatten die Schrift nicht bemerkt, ihm aber flüsterte sein Genius zu, diese Hinweisung rühre von jener vielgesuchten Maschinka her, die den Mann, welchen er verfolgte, in Liebenstein erwarte. Sein Entschluß war daher gefaßt, nach Liebenstein zu gehn und gewiß am 24. Julius in dieser Höhle zu seyn, in welcher er diesen Romeo zu entdecken hoffte. Er konnte sich selber keine Rechenschaft davon geben, warum er sich die wenigen Worte so erklärte, warum er der Meinung war, sie müßten von jener entflohenen Maschinka herrühren, deren Handschrift er niemals gesehn hatte. Aber dieser blinde Trieb, dieser Instinkt schien ihm gerade ein Beweis dafür, daß er auf der richtigen Spur seyn müsse.

Am folgenden Morgen trug er, ohne seine Gründe anzugeben, darauf an, daß man noch einiges Merkwürdige in der Nähe betrachten, dann aber nach Liebenstein reisen möge. Mein theurer Freund, sagte Ferdinand, mit einiger Heftigkeit: wie kommen Sie auf diesen Entschluß? Warum nach Liebenstein? Ich hoffte, wir würden von hier aus uns mehr südlich und nach dem Schwarzwald, vielleicht sogar nach der Schweiz wenden, um einen Theil des Herbstes in den schönen Alpengegenden und an den erfrischenden Seen zuzubringen. Und nun schon, noch so zeitig im Jahre, uns wieder nach Norden wenden? das sieht schon wie Rückkehr aus, die ich in diesem wahrhaft schönen Sommer, der uns vielleicht noch lange begünstigt, weit hinausschieben möchte.

Schon umkehren? rief Wachtel aus: wie? Ich habe auf 93 den Rhein und die schönen Weinplätze Bacharach, Rüdesheim, Nierenstein gehofft – und nun wieder in das kalte Bierland hineinreisen? Ei, welch ein böser Geist hat Ihnen, verehrter Freund, den bösen Gedanken zugeraunt?

Sie wissen, fuhr Ferdinand fort, mir ist nur in den Gegenden, wenn ich in der Fremde bin, recht wohl, wo ich die alten Münster, den katholischen Cultus, die Bilder und Feierlichkeiten, so wie Alles, was damit zusammenhängt, sehe und mein Gemüth erhebe. Haben wir doch oft genug darüber gestritten. Es ist fast, als wenn ich eine Geliebte verlassen, indem ich diesen schönen Provinzen wieder den Rücken wenden soll.

Geliebte! sehr wahr! rief Wachtel, fast schluchzend. Ich kenne das schon, um wie viel theurer und schlechter der Wein in den Gegenden dort oben ist. Nun habe ich mein Herz hier so weit hinweg spazieren geführt und es so recht gemüthlich im Sonnenschein der Andacht ausgelabt und eingesommert. Ich kann schwören, mit jeder Meile, die mich von meiner Frau um eine mehr entfernt, fühle ich meine Liebe zu der vortrefflichen Person inniger und brünstiger. Welchen schönen Liebesträumen hing ich nun nach, daß noch wenigstens hundert Meilen sich zwischen uns legen sollten, um mich so recht und voll in die erste Jugendliebe hinein reisen und rasen zu lassen. Das hätte vielleicht eine so ausbündige Verliebtheit zu Stande gebracht, wie nur jemals zwischen Abälard und Heloisa stattgefunden hat, – und nun soll ich plötzlich ernüchtert werden, denn das weiß ich im voraus, mit jeder Meile, die ich jetzt schon, um so vieles zu früh, der Theuern näher komme, wird mein Herz kälter, und Sie haben es zu verantworten, Baron, wenn ich als ein rechter Gimpel, als kalter Frosch, als miserabler Philister meiner Alten ganz herzlos und krüppelmatt an den Hals falle.

94 Walther sagte lachend: liebe Freunde, es kann nicht meine Absicht seyn, Sie irgend in Ihrer Reiselust hemmen oder auf falsche Wege verlocken zu wollen. Unsre Trennung, wenn sie jetzt so viel früher eintritt, wird mich schmerzen; aber wir finden uns wohl später wieder. Was mich jetzt nach Liebenstein zieht, ist ein kleines Geschäft. Sie wissen, wir Alle hatten bei unsrer Abreise von Dresden keinen festen Plan, wir wollten uns leichtsinnig dem Zufall und unsrer Laune ganz überlassen. Vergessen haben Sie aber ganz, daß wir beim Abschiede in Karlsbad unserm Freunde Carl Hardenberg fest versprachen, ihn in Liebenstein wiederzusehn. Diese Zeit ist jetzt, und versäumen wir sie, so treffen wir ihn dort nicht mehr an und er hat uns vergeblich erwartet.

Es ist wahr, sagte Ferdinand, wie aus tiefem Nachsinnen erwachend; dieses Versprechen, welches fast ein feierliches war, ist mir seitdem ganz entschwunden. Und so begleite ich Sie denn, lieber Walther, theils um meiner Pflicht gegen jenen Freund zu genügen, andrerseits aber, um länger in Ihrer Gesellschaft zu seyn und mit Ihnen die Schönheiten unsrer Reise zu genießen.

Sei's drauf gewagt, rief Wachtel, sollte ich auch mit ganz eiskaltem und erfrornem Herzen zu meiner vielgeliebten Gattin zurückkommen. Ich weiß nicht, ob es Heilige giebt, denen sich ein kalt werdender Liebhaber und Gatte empfehlen kann, oder ob Protektoren der zärtlichen Ehe angestellt sind, die die Flammen so anfachen, wie der heilige Kilian sie auslöscht; wenn Du mir, Ferdinand, keinen zu nennen weißt, so ist das eine große Lücke in Deinem vielgepriesenen, bilderreichen und wundervollen katholischen Cultus. Der Abälard, der dazu passen könnte, war außerdem schon ein Ketzer; und seine Heloisa gilt auch für eine fromme Sünderin; und 95 so hat die Kirche die beste Gelegenheit versäumt, durch zeitgemäßes Canonisiren diesem Bedürfniß abzuhelfen.



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