Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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Der Sonntag, der 24. Julius, war erschienen. Ferdinand begriff nicht, weshalb Walther so feierlich sei; dieser, indem er jede Art von Unterhaltung vermied, schien auf etwas gespannt, das sich im nächsten Augenblicke erklären müsse.

Ferdinand schien ebenso bewegt, und Wachtel beobachtete die beiden Freunde, indem er zu sich selber sagte: Narren sind beide, das ist gewiß, aber jeder nimmt einen aparten Anlauf, um vollständig thöricht zu seyn. Der Ferdinand bereitet sich auf die Höhlenerleuchtung vor, wie auf das Einweihungsfest eines Rosenkreuzers, und der Walther, der weit mehr Baron ist, wird, so bärbeißig er auch jetzt thut, die Sache nachher als Lappalie behandeln. Kürzlich soll der Pfarrer einmal in der Höhle gepredigt haben, kann seyn, daß man nächstens ein Melodram, ein Banditenstück, oder ein allegorisches, mit Erdgeistern drin spielt.

Beim heitern Sonnenlicht ging man eine Stunde vor Mittag in die große und von vielfachen Gängen 108 durchschnittene Höhle, welche man erst seit einigen Jahren entdeckt hatte. Schwebende Lampen erhellten von oben das Gewölbe, versteckte Lichter, die unten und ungesehen brannten, erleuchteten seltsam die Gänge, die bald höher, bald niedriger, bald breiter oder enger sich durch die Räume zogen. Ferdinand war bezaubert, Walther erstaunt und Wachtel geblendet. Unglaublich viele Menschen waren in diesen unterirdischen Räumen versammelt und wogten hin und her, redend, flüsternd, lachend, allerhand Dinge erzählend, und andere wieder lallend bewundernd, oder bei jeder Beugung des Ganges staunende Ausrufungen ausstoßend. Wahrlich, sagte Wachtel, wer sich hier ein Liebchen herbestellen könnte, Oheim, oder Vater, oder Vormund zum Trotz, der hätte ein Rendezvous, um nicht das dumme Stelldichein zu brauchen, allhier, wie sonst in Europa kein zweites. Läuft nicht Alles wie Feen und Geister so zwitschernd und flüsternd durcheinander? Und bei der Geistercompagnie hört man nichts Bestimmtes, man vernimmt nur wie unterirdische Chöre. Man sieht nicht deutlich, sondern ist nur geblendet, bald ist es finster, bald zu hell, und der Widerschein von den dunkeln Felsengruppen mischt sich wie ein Traum in jedes Verständniß. Meine alte Muhme, sowie meine häusliche liebe Gattin könnten mir hier zur Helena oder einem thessalischen Zauberbilde werden. Stoßen Sie mich nicht so sehr mit dem Ellenbogen, mein Herr von Spuk; zwar in der Unterwelt vergessen sich alle Höflichkeiten.

Was der Freund hier im Gebiet der Phantasterei schwadronirt, sagte Walther, doch horch – still – was ist das? –

Wundersame Musik von Waldhörnern klang herüber. Ein Chor von blasenden Musikanten war oberhalb, ohne daß man sie sehen konnte, in einer Felsennische aufgestellt. 109 Immer wunderbarer! rief Walther aus. Mich schwindelt! Und es war nicht unbegreiflich, da surrend, brummend, flüsternd und halb leise sprechend so viele Gestalten vorübergingen, sich begegnend, grüßend, andere geblendet und sich nicht kennend. –

Jetzt standen sie vor einem kleinen See. Ein Nachen fuhr von jenseit herüber, und Ferdinand stieg hinein. Ein anderer Fremder drängte sich hinzu, und Walther vernahm von einer weiblichen Stimme den leisen Ausruf: Romeo!

Walther machte die Bewegung, in den Kahn nachzusteigen, als dieser schon abfuhr und sich in der Dämmerung entfernte. Bei dem ungewissen Licht konnte er die Gestalten nicht mehr unterscheiden; ja, er war selber ungewiß, ob sich Ferdinand auch unter jenen Gestalten befunden, die im Dunkel schon ganz verschwunden waren. Er wendete sich rückwärts, um Wachtel wieder aufzusuchen, der sich ihm im Getümmel verloren hatte, aber er konnte, so sehr er sich bestrebte, Niemand genau erkennen, so blendeten die vielfach zerstreuten und sich kreuzenden Lichter. Sinnverwirrend war das Geflüster, und die hin und wieder fliehenden Worte und Reden der Wandernden, die sich begegneten, kreuzten, suchten und sich wieder verloren. Endlich sah er Wachteln und bat diesen, bei ihm zu bleiben. Wachtel stellte sich neben ihn, und da die Musik der Hörner jetzt wieder begann, so kehrten sie um, um die wunderbare Harmonie näher zu hören. Können Sie es begreifen, sagte Wachtel, daß unser Ferdinand die Höhle und dieses magische Schauspiel, welches doch recht eigentlich für ihn eingerichtet zu seyn scheint, schon wieder verlassen hat?

Wie? rief Walther, ich hätte schwören wollen, ich habe ihn da hinten den finstern Kahn besteigen sehn, um die stygische Flut zu überschiffen.

110 Nein, sagte Wachtel, er ist unlängst mir vorbeigelaufen, um, wie er sagte, zur alten Burg hinaufzusteigen, weil ihn dies Getümmel hier zu sehr betäube.

Man wird thöricht und verwirrt, erwiederte Walther, so wunderlich und romantisch das Ganze auch angeordnet ist.

Jetzt ließen sich einige polnische Reden in der Nähe vernehmen, und da Walther der Sprache kundig war, so verstand er, daß zwei Männer ein Frauenzimmer suchten, die mit einem Hauptmann in der Höhle spazieren wandle. Jetzt war Walther überzeugt, diese wären Mitwissende und könnten nur von der verlorenen Maschinka reden. Er hielt sich in der Nähe dieser Fremden und verlor darüber seinen Freund Wachtel wieder aus dem Gesichte.

Die Polen wurden immer eifriger im Suchen, endlich sagte der eine in seiner Sprache: ich fürchte nur, bei ihrer großen Reizbarkeit und Nervenschwäche wird sie nach diesem sonderbaren Tage wieder auf lange krank seyn.

Doch, antwortete der Andere, übersteht sie oft Alles besser, als man es fürchten muß, wenn sie ihre Imagination nur beschäftigen kann, und diese findet doch hier des Spieles genug. Nur ruhen muß sie nachher.

Ein lauter Ausruf entstand, indem man sich vorwärts bewegte, denn ein Kind war gefallen, welches einige Damen liebkosend und tröstend aufhoben. Indem glaubte Walther in der gedrängten Gruppe die Gestalt Ferdinands wieder wahrzunehmen. Als er sich aus dem Gedränge freigemacht hatte, waren, indem er umherblickte, die Polen seinem Auge wieder entschwunden. Er eilte verwirrt nach einer andern Richtung und jetzt glaubte er deutlich wahrzunehmen, daß Ferdinand in einiger Entfernung vor ihm hergehe und ein schön gewachsenes, reich gekleidetes Frauenzimmer am Arme führe. Er suchte in ihre Nähe zu kommen, und indem er 111 schon seinen Arm ausstreckte, um seinen Freund zu berühren, rief die Stimme des Polen dicht hinter ihm: Maschinka! Jetzt sah er, daß Derjenige, welcher die Dame führte, nicht Ferdinand sei, aber seine Ahndung, hier Maschinka und ihren Entführer endlich zu treffen, war doch in Erfüllung gegangen. Er packte also den Fremden ziemlich unsanft am Arm und rief: Hier habe ich Sie also doch, nach vielen Mühungen, mit Ihrer Maschinka entdeckt! Indem war der Pole mit einem Ausruf der Verwunderung ebenfalls näher gekommen, und wie erstaunt und beschämt war Walther, als er in dem Festgehaltenen seinen Reisegefährten Wachtel erkannte und sich jetzt die Dame, eine hochbejahrte Frau, herumwendete. Wie? mein Herr! fragte der Pole: Sie wagen es, meine Schwester zu beleidigen?

Keine Beleidigung, mein Herr, rief Walther, ich hielt die Dame und diesen meinen Freund für ganz andere Wesen, und bitte, mir meinen Irrthum und die Uebereilung zu verzeihen.

Die alte Dame faßte jetzt den Arm des Bruders, indem sie sagte: Als ich Dich verloren hatte und ziemlich ängstlich umherirrte, war dieser Herr so gütig, sich meiner anzunehmen. Der Pole dankte Wachteln mit artigen Worten und dieser erwiederte lachend: Es ist Nichts natürlicher, als daß man in diesem unterirdischen Reiche der Phantasterei etwas confuse wird.

Das Gedränge von Menschen, welches sich in dem engen Raume aus Neugier versammelt hatte, lösete sich wieder auf, und Walther eilte jetzt verdrossen und verstimmt aus der Höhle und Wachtel folgte ihm, um ihm im Freien seine Klagen vorzutragen.

Mein Theuerster, fing er, als sie im Felde standen, an, Sie haben mitunter sonderbare Launen, die man nicht 112 begreift. Was haben Sie mit dem Namen Maschinka, daß er Sie immer so außer sich versetzt? Sie haben mich so stark in meinen Arm gezwickt, als wenn Sie ihn mir zerbrechen wollten, und in Ihrem Tone, mit dem Sie sprachen, lag etwas so Drohendes und Beleidigendes, daß ich vorher recht böse auf Sie hätte werden mögen.

Sie haben ja gehört, rief Walther unmuthig aus, daß ich mich geirrt, daß ich Sie für wen ganz Andern nahm. Eine gewisse Maschinka ist eine Bekannte von mir, eine junge Dame, ein Frauenzimmer, das ich kenne, eine weitläufige Anverwandte, die ich gerne wiedersehen möchte, und die sich wahrscheinlich im Auslande befindet, ein wohlgebildetes Fräulein, die wohl vielleicht schon verheirathet ist, – mit einem Worte, eine Dame, die ich gerne wiedersehen möchte.

Wachtel lachte laut auf und sagte dann: Ich danke für dieses herzliche Vertrauen und diese offene Mittheilung. Er lachte wieder, und Walther, dessen Verlegenheit sichtbar war, bat ihn, wieder ernsthaft zu seyn und ihm zu vergeben, daß er ihm nicht mehr sagen könne. Haben Sie die Gefälligkeit für mich, fügte er dann hinzu, unserm Ferdinand von dieser lächerlichen Scene nichts zu erzählen. Genug, daß ich vor Ihnen und jenen Fremden beschämt und verlegen gestanden habe, und daß Sie mich so von Herzen auslachten, scheint mir Strafe genug. Versprechen Sie mir das, denn ich bin in diesem Punkt vielleicht etwas zu empfindlich.

Ich gebe Ihnen mein Wort, ihm kein Wort davon mitzutheilen, antwortete Wachtel; aber auch gegen meinen Ferdinand sind Sie seit einiger Zeit nicht mehr so herzlich, als Sie es im Anfange unserer Pilgerschaft schienen. Wenn Sie auch in den meisten Dingen anderer Meinung sind, so sollten Sie doch sein Gutes und seine Freundschaft für Sie anerkennen.

113 Daß wir die meisten Dinge der Welt aus einem verschiedenen Standpunkte ansehen, erwiederte Walther, macht mir ihn nur lieber, seine Schwärmerei und sein Hang zum Aberglauben ist mir an ihm interessant; aber – um ganz aufrichtig zu seyn – seit wir da oben auf dem Schlosse bei Bamberg waren, in Glich, bin ich mißtrauisch gegen seinen Charakter geworden. Wenn ich seine frommen Reden bedenke, wenn ich höre, wie sentimental er von der Liebe spricht, wie verschämt er in Gesellschaft roher Menschen thut, für einen Mann fast tadelnswürdig jungfrauenhaft, und denke dann daran, wie er uns entlief und wieder zu dem schönen Mädchen nach dem einsamen Saale hinaufeilte, so halte ich ihn für einen Lüstling, der zugleich heuchelt und den Tugendhaften spielt. Mich wundert nur, daß jenes schöne Kind, die Tochter des Försters, ihn sogleich erhören konnte, wie es doch schien. Er erhält Briefe, die er verheimlicht, er weicht uns oft aus und entfernt sich unter den nichtigsten Vorwänden; hat er etwas Wichtiges zu verschweigen, so sollte er mir dies wenigstens eingestehn; sind aber seine Heimlichkeiten immer kleine unerlaubte Liebeshändel, so ist sein Charakter nicht so beschaffen, daß ich ihn zum Freunde behalten möchte.

Mein Herr, sagte Wachtel mit einiger Feierlichkeit, sind Sie etwa damals in Glich auf unsern Freund gar nicht eifersüchtig gewesen? denn das schöne Mädchen schien Ihnen auch zu gefallen. Was er liebt, wie er liebt, wie orthodox oder heterodox, sentimental oder liberal er die Sache betreibt, ob sein Herz nur Raum für einen Gegenstand hat, ob es vielen zugleich Quartier geben kann, ob die eine seine Göttin ist und andere nur Dienerinnen, oder Zerstreuerinnen seiner Melancholie, über alles Dieses erlaube ich mir kein Urtheil und keinen Richterspruch, wenn er mich nicht selbst 114 in seine Geheimnisse einweiht. Aber er ist gut und edel, darauf kenne ich ihn von Jugend auf. Geheimnißkrämerei ist immer seine Liebhaberei gewesen. Und Sie sind ebenfalls geheimnißvoll gegen ihn. Mir scheint, keiner weiß vom Andern etwas Bedeutendes, Zufall und Laune haben Sie vereinigt, aber das Leben, die Verhältnisse eines Jeden sind dem Andern verborgen. Ich kenne Ferdinand seit lange und bin vertraut mit seinem früheren Leben, aber was seit zehn Jahren mit ihm geworden ist, liegt für mich auch ganz im Dunkel.

Walther reichte ihm die Hand und sagte: Sie haben nicht Unrecht; ich hoffe, im Verlauf der Reise wird sich noch die Gelegenheit finden, daß wir unsere Verhältnisse näher kennen, dann sollen Sie erfahren, warum ich jetzt Ihnen so wenig als Ferdinand von meinen Verbindungen und Absichten etwas vertrauen kann.

Beim Badehause fanden sie Ferdinand lesend unter den Bäumen, unter welchen die lange Mittagstafel schon bereitet war. Ich konnte es in der Höhle, sagte er, nicht aushalten, so beängstigte mich der Schimmer und der Dunst der Lampen. Jetzt kamen die Gebrüder Hardenberg und nach und nach versammelte sich die Tischgesellschaft. Der Herzog von Meiningen speisete auch an der Table d'hote, und der Anblick der Landleute, die sich versammelt hatten, und neugierig oben vom Hügel zwischen den grünen Bäumen auf ihren Fürsten und die Fremden herniederschauten, alle diese fröhlichen Gesichter von Alt und Jung machten einen sehr erfreulichen Anblick.

Nach Tische ließ sich der Fürst durch Hardenberg, den er schon längst persönlich kannte, dessen Freunde vorstellen. Er sprach lange und freundlich mit ihnen, indem er ungesucht vielfache Kenntnisse und eine echte Bildung zeigte. Er 115 war schlank, hatte blondes, fast graues Haar, ein gealtertes Gesicht, in welchem der Ausdruck des Ernstes und der Melancholie vorherrschte, das sich aber schnell in Freundlichkeit und schalkhaften Ausdruck verwandeln konnte.

Es war eine mittelmäßige Schauspielertruppe, die zuweilen in einem kleinen Saale ihre Vorstellungen gab. Heut aber wurde in einem andern Local ein Puppenspiel mit großen Marionetten aufgeführt; die übrigen Freunde interessirten sich für diese Kinderei nicht, aber Ferdinand, der dergleichen Seltsamkeit leidenschaftlich liebte, freute sich auf den Genuß dieses Abends.

Walther ging mit Hardenberg spazieren, Wachtel blieb im Badehause und Ferdinand eilte dem Marionettentheater zu. Er zahlte für den ersten Platz und drängte sich in den übervollen Saal. Bauern, Bauermädchen, Bürger, Soldaten, Offiziere, Alles war so fest ineinandergeschoben, daß sich weder Hand noch Fuß regen konnte. Ferdinand wollte seinen ersten Platz gewinnen und bat, ihm Raum dahin zu gönnen, weil er meinte, er befände sich noch auf der letzten und wohlfeilsten Stelle. Was ihm am empfindlichsten auffiel, war, daß Tabaksdampf, der ihm verhaßt war, den ganzen Saal anfüllte, denn Alles, bis auf die Bauernknechte, rauchte aus größeren oder kleineren Pfeifenköpfen. Er hoffte, da hier Alles noch stand, vorn zum Sitzen zu gelangen und sich aus den stinkenden Wolken zu entfernen; vor ihm war ein Mann im grünen Ueberrock, welchen er anstieß und höflich sagte: Machen Sie mir gefälligst etwas Raum, denn ich habe für den Ersten Platz bezahlt. – Ja, erwiederte der Mann, der aus einem ungeheuern Meerschaumkopfe rauchte, das, mein guter Freund, haben wir Alle, hier sind wir Alle gleich, wie im Paradiese. Indem Ferdinand etwas näher gekommen war, erkannte er in diesem Sprechenden den 116 Fürsten. Gewiß war er also auf dem ersten und vornehmsten Platze und genoß der Ehre, den Fürsten zu drängen und von ihm geklemmt zu werden. Von der früheren Vorstellung und dem feinen Hof- und wissenschaftlichen Gespräch war in dieser Atmosphäre nicht mehr die Rede, ja es wäre lächerlich gewesen, sich darauf zu beziehen, denn der Herr erschien hier ganz verwandelt. Ihn störten nicht die plumpsten und ungezogensten Späße seiner Umgebung, manche Militairs trieben die Ausgelassenheit und den Scherz mit einigen Bauerdirnen über jede Grenze, und diese Armen hatten Mühe, aus dem Gedränge zu entkommen und das freie Feld wieder zu gewinnen. Als schon manche von den Honoratioren sich entfernt, der Fürst selbst nach einiger Zeit die Bude verließ, so zögerte auch Ferdinand nicht länger, im Wald und auf dem Berge wieder eine reinere Luft zu athmen.

Im Saale war Ball, in welchem Alle, die Theil nehmen wollten, ohne Gene tanzten: Edelleute, Damen und Handlungsdiener; auch die Herzogin von Hildburghausen war unter den Tanzenden und gütig und herablassend mit Jedermann. In einem andern Saale wurde gespielt, und hier traf Walther seinen Freund Freysing in seinem glänzenden Beruf. Die Bank, die dieser aufgelegt hatte, war sehr ansehnlich. Walther sah nur zu, ohne mitzuspielen. Er fand wieder, was ihn so oft entsetzt hatte, wenn er in den Spielsälen stand, diese verzerrten Gesichter, die Habgier oder Wuth und Verzweiflung ausdrückten, einige, die kalt und gleichgültig scheinen wollten, waren todtenblaß, sie zwängten den Zorn und die Angst in sich zurück. Freysing betrug sich wie ein König, nur etwas zu stolz, weil bei seinen aufgethürmten Goldhaufen ihm der Satz der Pointirenden wohl zu unbedeutend scheinen mochte.

117 Walther hatte seit lange einen Mann beobachtet, welcher schon viele Goldstücke verloren hatte und dem der kalte Todesschweiß über das bleiche Antlitz in großen Tropfen rann. Er verließ oft ingrimmig und wie verzweifelnd den Saal, ging draußen mit sich ringend auf und ab und kam dann nach einiger Zeit zurück, nachdem er von Neuem Geld von seinem Zimmer geholt hatte, welches er dann eben so schnell, wie die vorigen Friedrichsd'or verlor. Er spielte so leidenschaftlich und wild, daß er durchaus nicht die gehörige Aufmerksamkeit auf sein Spiel haben konnte. Freysing beobachtete ihn sehr aufmerksam von seinem Sitze und schien nur ungern die Goldstücke des Armen einzuziehen. Im Nebenzimmer erkundigte sich Walther bei einem freundlichen Manne, wer dieser tollkühne Spieler sei, und erfuhr, er sei ein Geschäftsmann aus Meiningen, der mit Frau und einigen Kindern von einem mäßigen Gehalt leben müsse. Er habe sich wohl verleiten lassen, seine Umstände verbessern zu wollen, der Verlust setze ihn in Angst, und er suche, was er verloren wie mit Gewalt wiederzugewinnen. Diese Leidenschaft, sagte der Erzählende, in welche die Pointeurs immerdar gerathen, ist eigentlich das sicherste Capital der Bank. Der arme Mann, der ansehnlich verloren hat, wird nun Schulden machen müssen, er verliert seinen Namen, seine Familie darbt und er endet vielleicht in Verzweiflung.

Als Walther in den Spielsaal zurückging, kam ihm dieser Herr Anders mit verzerrten Mienen der Todesverzweiflung entgegen. Er lief eilig aus dem Hause und schien keinen der Anwesenden zu bemerken, die ihm mitleidig oder auch wohl mit Hohn und Schadenfreude nachsahen.

Er kam nicht wieder, und Walther war überzeugt, er habe Alles verloren. So verging eine geraume Zeit, neue Spieler kamen, geplünderte entfernten sich, doch vermehrte 118 sich die Anzahl um den Spieltisch. Da trat jener Anders wieder taumelnd herein, er schwankte umher und sein bleiches Angesicht schaute den Spielenden mit gläsernen Augen über die Schultern. Er biß sich auf die Lippen, als er einige Pointeurs bedeutende Summen gewinnen sah. Plötzlich machte er sich Platz und schob den einen Zuschauer mit Ungestüm zurück, indem er sich neben den erschreckten Walther eilig hinstellte. Er griff hastig nach einer Karte und, ohne sie fast zu betrachten, besetzte er sie mit einigen Goldstücken. Die bleichen Lippen zitterten ihm, und sowie die Karte verlor, zuckte es wie ein Blitz über sein Antlitz hin. Er schob mit krampfhaftem Zittern die Goldstücke dem Bankier hin, und dieser, ihm einen scharfen Blick zuwerfend, schleuderte sie wieder nach des Spielers Platz, indem er kalt sagte: Führen Sie so die Nymphen auf der Gasse mit solchem Golde ab. Es war eine Todtenstille im Saale, Walther fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Der Hausvater, der Geschäftsmann, die unauslöschliche Beschimpfung des Aermsten, seine wahrscheinliche Verzweiflung, Alles dies ergriff ihn mit ungeheurer Gewalt. Ein Moment, in welchem er vernichtet war, aber schnell ermannte er sich und rief mit festem Tone dem Bankier zu: Herr Bankier, Sie thun meinem Freunde, dem Herrn neben mir, sehr Unrecht; ich habe ihm aus Versehen die Spielmarken statt der Goldstücke eingehändigt, weil ich sie bei mir trug, ich bin mit ihm Moitié, und so zahle ich den Verlust. Sie werden nicht glauben, daß ein solcher Irrthum ein vorsätzlicher war, da Sie mich persönlich kennen.

Freysing erhob sich von seinem Sitze, bückte sich sehr tief und sagte, da er die Absicht seines Bekannten sogleich durchschaute: Mein Herr Baron, ich bitte Sie und den Herrn, mit welchem Sie gemeinschaftlich spielen, hiemit um 119 Vergebung. Ich war im Unrecht, die geehrten Herren mögen von der Güte seyn, meine Uebereilung, die ungeziemlich war, zu vergessen.

Walther hatte mit einem stummen Druck den beängstigten Anders neben sich auf einen Stuhl niedergezogen. Er spielte jetzt und gewann binnen Kurzem eine ansehnliche Summe, der Haufen Goldes, welcher vor ihm lag, wuchs mit jeder Minute. Als dreihundert oder mehr Goldstücke gewonnen waren, stand er auf und sagte höflich: Jetzt, Herr Anders, haben Sie die Güte, mir zu folgen, daß wir uns berechnen können.

Er führte den Zitternden und Erstaunten auf sein Zimmer und händigte ihm hier die ganze Summe ein, indem er sagte: Hier, Sie Armer, Bethörter, empfangen Sie, was ich in Ihrem Namen gewann, es ist, so viel ich habe beobachten können, um ein Beträchtliches mehr, als Ihr Verlust. Richten Sie sich ein, spielen Sie nicht wieder, Sie sehen, wie unglücklich man werden kann.

Mein Wohlthäter, sagte der Zerknirschte stammelnd, was Sie mir geben, ist mehr als das Vierfache meines Verlustes. Es giebt Thaten, für die jeder Dank zu klein ist. Sie retten meine Familie, meine Ehre, mein Leben, denn ich mußte mich nach dieser Beschimpfung ermorden, wie ich auch beschlossen hatte, wenn ich verlor.

Mit Thränen entfernte sich der Beglückte und Walther begleitete ihn vor das Haus. Wachtel, der im Alkoven Alles angehört hatte, sagte für sich: Das ist bei alle dem ein kreuzbraver Kerl, dieser Walther!

Walther ging in den Spielsaal und sagte in einer Pause heimlich zu Freysing: Ich hätte Sie für großmüthiger gehalten, warum einen solchen Elenden vernichten?

Ich sollte es wohl seyn, erwiederte Jener, der Aerger 120 übereilte mich. Sie haben mir aber eine hübsche Lection gegeben, an welche ich bei einem ähnlichen Falle denken werde.



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