Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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Walther an seinen Freund.

Würzburg, den 11. Julius 1803.    

Ich schreibe Dir sogleich noch einmal nach meinem kaum abgegangenen Briefe, denn das ist das Mittel, mich zu zerstreuen und zugleich zu sammeln. Ich kann mit meiner Umgebung nicht Das sprechen, was mich am meisten interessirt, und so unterhalte ich mich mit Dir.

70 Hier in der Stadt ist unser Ferdinand in seinem Element. Es ist wahr, ich habe noch niemals eine so feierliche Messe erlebt, als die war, die gestern im Dom uns Alle bewegte; an neun Altären war zugleich Gottesdienst, eine Prozession der Domherren, die in schöner malerischer Tracht waren, ergötzte das Auge.

Die Stadt wimmelt von Fremden, Alles drängt sich, denn es ist zugleich der größte Jahrmarkt. Das Schloß in der Stadt ist prächtig und wohl eins der größten in Europa. Ein wunderliches, knitterndes Echo ist unten vor der Treppe, an dem wir uns Alle wie die Kinder erlustigten. Heut Nachmittag trieben wir uns wieder im Jahrmarktsgedränge um, welches vorzüglich in einer fremden Stadt etwas Bezauberndes hat. Vor dem Thore ging ein uralter Capuziner von sehr ehrwürdiger Gestalt, dem kleine Mädchen im Vorübergehen mit Ehrerbietung die Hand küßten. Diese seltene Ruine einer ehemaligen Zeit verfolgte unser Ferdinand lange mit seinen sehnsüchtigen Blicken, und es schien der Wunsch in seinen gerührten Augen zu liegen, daß er gern an die Stelle der unmündigen Mädchen getreten wäre.

In einer frohen Jahrmarktstimmung traten wir in eine hohe hölzerne Bude, in welcher eine Art von Caroussel mit einer russischen Schaukel vereinigt war. Indem die schwebenden Sitze auf und nieder gingen, stach ein Jeder der Sitzenden mit einer Lanze nach einem Ringe. Der Besitzer und Erfinder dieser schwebenden Kunstanstalt erklärte uns mit vieler Genügsamkeit die Herrlichkeit seiner neuen Erfindung. Steigen Sie ein, rief er, und wenn Sie gleich nur Dreie sind, so werden Sie doch das Kunstwerk genießen können, denn darauf bilde ich mir am meisten ein, daß ich es so eingerichtet habe, daß der angefüllte schwere Sitz niemals den leichten, ihm gegenüberstehenden durch seine Last 71 niederzieht, wie dies an den ordinairen einfältigen russischen Schaukeln der Fall ist, wo die unwissenden Menschen sich alsdann mit eingelegten Steinen zu helfen suchen, wenn ein Sitz ledig bleibt. Wie die Kinder ließen wir uns bereden hineinzusteigen. Die Maschine ging sehr hoch und ein Nervenschwacher hätte wohl Schwindel empfinden können. So stiegen wir auf und ab und stachen mit mehr oder minder Glück die Ringe ab.

Plötzlich entsteht draußen ein lautes Geschrei. Die Thür der Bude wird aufgerissen, und ein wunderschöner Lockenkopf, das Antlitz eines himmlischen Mädchens blickt wie ein Blitz auf einen Augenblick in die Narrenbude. Sie schreit auf, so wie sie uns da schweben sieht, und Maschinka kreischt einer; ob Ferdinand, ob Wachtel, ob der Herr des Kunststückes, das konnte ich nicht unterscheiden, der Maschinendreher war es nicht, denn dieser orgelte noch einen Augenblick an seinen Kunsträdern. Das Mädchen ist verschwunden und Ferdinand, der unten schwebt, springt aus seinem Käfig, der Eigenthümer des Kunstwerkes ihm schreiend nach, dies erschreckt den subalternen Drehkünstler, er rennt auch hinaus, und Wachtel kann eben noch vom Einfluß der Bewegung so viel genießen, daß er im Herabschweben seinen Sitz verläßt, ebenfalls hinausläuft und die Thür der Bude hinter sich zuschlägt.

Aber ich – ich nun oben, auf dem höchsten Punkte, in meiner Schwebekutsche sitzend, hatte nun Zeit und Gelegenheit, das Schicksal und die zu künstliche Einrichtung der verfluchten Maschine zu verwünschen! O wie sehr hätte ich sie gelobt und verehrt, wenn ich durch eigne Schwere jetzt herabgesunken wäre, um auch das Freie zu suchen und jenem Mädchen nachzulaufen. Ich sah mich in meiner obern Sternregion um, ob ich nicht aussteigen und die vierzig oder 72 funfzig Fuß hinunterklettern könne. Aber es war ganz unmöglich. Durch die eine Ritze konnte ich etwas von Stadt und Feld erblicken, aber in der entgegengesetzten Richtung, in welcher sich jene Erscheinung gezeigt hatte.

Endlich, es mochte wenigstens eine halbe Stunde verflossen seyn, zeigte sich der Besitzer des Kunstwerkes wieder; er schien mich vergessen zu haben und war sehr erfreut, mich dort oben noch, wie den Sokrates in seinem Studienkorbe, wiederzufinden. Er schrob und orgelte mich durch seinen Kunstorganismus herab und ging auf meine Fragen über die Erscheinung jenes Mädchens gar nicht ein. Er hatte sie nicht gesehn und war in der Meinung, es sei ein großer Volksaufruhr, hinausgelaufen.

Wichtiger war ihm die Verhandlung um die Bezahlung. In der Einsamkeit, und da er meine Eil sah, machte er eine ungeheure Rechnung. Ich begriff sie zwar nicht, wollte mich aber zur Zahlung bequemen. Da wir die gemeinsame Casse an diesem Tage unsern Wachtel führen ließen, fehlte es mir an baarem Gelde. Ich mußte meine goldne Uhr zum Pfande lassen, die ich erst am späten Abend wieder einlöste.

So wie die kleinen Schulknaben hatte ich ein Abentheuer bestanden und wollte bei meinen Reisegefährten Rath und Trost suchen. Ferdinand behauptete, das Schaukeln habe ihm Schwindel erregt und so sei er entsprungen, um zugleich den Volksauflauf zu sehn. Dieser sei schnell geendigt gewesen und er habe die Uebelkeit seitdem im Bett verschlafen. Wachtel meinte, ein großes Spektakel sei hinter einem Kapuziner heraufgekommen; dieses Schauspiel habe er genießen wollen. – Ich erfuhr nichts und so stehn unsre Angelegenheiten.


73 Walther hatte jetzt seine Pläne aufgegeben und überließ sich nun ganz dem Zufalle, ob er durch diesen auf die Spur seines Feindes oder jenes schönen Mädchens gerathen würde. Ferdinand und Wachtel waren ihm in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft schon unentbehrlich geworden, und so lud sie die schöne Jahreszeit, die Muße, die Lust umherzuschwärmen, ein, noch einige schöne Gegenden Deutschlands zu besuchen. Ferdinand war seit einiger Zeit viel sinnender und finsterer geworden; Walther hatte bemerkt, daß er Briefe erhielt, die er sorgfältig verbarg und die ihn verstimmten. Zuweilen fiel es Walther ein, er könne mit Ferdinand über seine Trauer sprechen, er dürfe es wohl mit Empfindlichkeit rügen, daß er daraus, was ihn so betrübe, dem Freunde ein Geheimniß mache; doch bedachte er dann, daß er selbst ja eben so gegen Ferdinand verfahre und von der Absicht seines Ritterzuges gegen diesen nichts verlauten lasse.

Die Freunde nahmen von Würzburg aus den Weg nach dem Spessart und erfreuten sich dieses Waldgebirges und der herrlichen Aussichten, die sich ihnen links und rechts in die Unermeßlichkeit der frischen Wälder darboten. In Aschaffenburg hielten sie sich nicht auf, sondern begaben sich nach Darmstadt, um über die schöne und altberühmte Bergstraße nach Heidelberg zu gehn. Die Nacht, welche sie überraschte, verweilten sie in Heppenheim, und Walther und Ferdinand stiegen zur Ruine, der Starkenburg, hinauf, und erfreuten sich in der anbrechenden Dämmerung der Aussicht auf den Rhein, an welchem sie Worms, Speyer und das ferne Manheim sahen. Die Aussicht in den Odenwald auf der andern Seite war noch schöner, die wundervolle Einsamkeit, die schönen Formen der Berge, welche alle dicht mit Wäldern bewachsen sind, erhoben das Gemüth der Freunde zu edeln Gefühlen.

74 Wachtel, der den steilen Aufgang zur Ruine fürchtete, war im Gasthofe zurückgeblieben, und schrieb indessen seiner Frau nach Guben folgenden Brief:

Heppenheim, den 13. Julius 1803.    

Liebes Weib, ich muß Dir doch auch einmal schreiben, damit Du nicht auf die Meinung geräthst, ich sei gar verloren gegangen oder, wie der Ausrufer in Teplitz sich ausdrückt, in den Verlust gerathen, was im Grunde besser ist, als jener hochdeutsche Ausdruck.

Du kennst aber schon meine Art und Weise, daß ich gern praktisch, deutlich, einfach schreibe und mich nicht mit Gefühl und Schwärmerei befasse. Des Handelns, Schaffens ist so viel in der Welt, daß ein rechtlicher Mann zum Schwärmen, zur Mystik oder dem übertrieben feinen Denken keine Zeit behält.

Wie nüchtern und gefaßt ich aus Guben mit dem frühesten ausreisete, wird Dir wohl noch erinnerlich seyn. Meinen Ferdinand traf ich nebst einem gewissen Walther, einem halb polnischen Menschen, im unmittelbaren Himmelreich einer Rafaelischen Entzückung. Ich war eben nicht zum Umgang mit Engeln aufgelegt, denn ich hatte noch den Reisestaub an den Füßen. Wenn man überhaupt gewohnt ist, in der großen Welt zu leben, wie wir in Guben es sind, so wird einem jegliche Kleinstädterei verhaßt. Ich versichere Dich, die ganze Bergstadt hier, von der soviel gesprochen wird, ist im Wesentlichen in Nichts von unserm gewöhnlichen Spaziergang bei Guben verschieden, außer daß hier die ziemlich hohen Berge sind, wo wir dort den hölzernen Zaun haben und auf der andern Seite die Fichtenschonung. Was ist denn nun die Dresdner Brücke so Großes? Ich habe immer an unsre hölzerne denken müssen. Diese ist nicht so 75 lang, aber man sieht doch auch rechts und links recht hübsche Kiefern in der Ferne, und Brombeerngesträuch und etwas Sand. So ein Badaud oder Plat pied aus irgend einer großen Stadt spricht immer, wenn er unser Guben nicht gesehn hat, vom Pariser Louvre, oder dem Straßburger Münster, wohl gar von der London-Brücke oder dem Wasserfall von Niagara. Sollen sich da deutsche Herzen nicht empören? Als wenn unsre romantische Tümpel, die Haideflecke bei Lübben und Luckau, unsre Sandpartien nach der Oder zu, der hübsche Sumpf eine Viertelmeile von uns, so gar nichts wären!

So kamen wir denn also auf den Nollendorfer Berg. Es war so dicker Nebel, daß ich mich gleich von meinen Kameraden verlor und in eine Wolke, wie in einen großen Wollsack gerieth. Ich trat mit meinen Reisestiefeln auf die Flocken und ging hübsch darauf spazieren; und es geht sich schnell, sodaß, ich weiß nicht wie weit, ich schon in die böhmischen Dörfer hineingerieth, ohne allen Weg und ohne Straße. Herrliche Anstalt, gleich diesen dicken Nebel, wie die Wolke der Bundeslade, zwischen Sachsen und Böhmen oder zwischen Deutschland und Oestreich zu stellen. Tausend, wie marschirte ich nun fort! Statistisch-ökonomisch-politisch-historische Bemerkung für meine hydraulisch-aphoristische künftige Reisebeschreibung der spanischen Schlösser und böhmischen Dörfer: – Ich fand nehmlich, daß Angestellte (Beamte, die oft durchfallend sind, aber selbst niemals umfallen) auf eine auffallende Weise die besten und kräftigsten Stücke des Nebels auf Flaschen zogen, wie es wohl auch bei den Gesundbrunnen geschieht. Schäumt die unnütze Kraft ab, so wird ein hübsches Getränk und magenstärkender Saft aus dem leichten Dinge, welches dann Professoren und Schüler, Geistliche und Denker, feinfühlende Autoren, die 76 gern scherzando schreiben, und billige Staatsmänner wie altherkömmliche Gesetzkünstler und Fabrikanten gern genießen und sich einander mittheilen. Trifft es nicht richtig ein, daß Nebel rückwärts gelesen Leben heißt, und Leben Nebel? Eins ist die Quadratwurzel vom andern. Darauf sollten unsre Denker mehr lossteuern. Siehe, mein Kind: – wenn ich zu Einem sage, der noch nicht reif ist und es gern werden möchte: Lese! so sieht das wie ein guter, verständiger Rath aus. Hat er aber tiefern Sinn und buchstabirt rückwärts, so merkt er im stillen Gemüthe wohl, daß ich ihn nur einen Esel gescholten habe. O es ist ein unergründlicher Tiefsinn in diesen Betrachtungen. Nicht wahr, es giebt Mülleresel, wilde Esel, Esel zu Spazierritten u. s. w. – aber der völlig unvertilgbare, von vorn wie hinten sich immer gleich bleibende ist der von mir entdeckte Lese-Esel. Auch wenn ich imperativisch oder imperatorisch sage: Esel, lese! bleibt er sich gleich, doch gefällt obige Thierart in der Bezeichnung besser, denn es stempelt sich darin jenes ewig unermüdliche Geschöpf, jene unverwüstbare Creatur, die wir hinter Ladentischen, auf Caffeehäusern, unter den lieben Zeitungen und allerliebsten Journalen, Tagesblättern, Broschüren, Libellen (nicht den Insekten), Romanen und dergleichen sitzen sehn und schlingen – mit einem Wort, den in unserm Jahrhundert ausgebildeten Leseesel. Die vergleichende Anatomie sollte sich nur seiner bemächtigen und Gall seinen Schädel untersuchen. Wie in Afrika oder Indien jene wandernden Ameisenheere oft unsäglichen Schaden anrichten und Verderben verbreiten, so fürchte ich für Europa und noch mehr für unser Deutschland die traurigsten Verheerungen von der Vermehrung und dem Ueberhandnehmen dieses Lese-Esels. Wie er denn nun von vorn oder hinten immerdar ein Leseesel bleibt, so sprach ich neulich schon mit einem 77 denkenden Medicus über den Fall, ob das Thier nicht wirklich die Qualität noch erhalten könne und würde, auch von hinten, mit dem Sitztheile, sowie vorne mit seinen Augen zu lesen. Der Philosoph approbirte sehr meine Hypothese und meinte, das Monstrose sei immerdar nicht den gewöhnlichen Naturgesetzen unterworfen. Und wirklich, wie ich wieder die sogenannte Ressource besuchte, wo ich die beste Sorte und die qualificirtesten dieser Leseesel zu finden gewohnt war, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß diejenigen, die in der Entwicklung am meisten vorgeschritten waren, unruhig auf ihren gepolsterten Bänken beim aufmerksamen Lesen hin und wieder ruschten, sich bald stärker auf das Polster drückten, bald lüfteten, bald sich rechts, bald links hin bewegten, als wenn sie ein besseres Licht erstrebten. Ich sah aber deutlich, daß ihnen oben nichts fehlte, ihr Fundament aber einen Mangel verspürte. Der Vorsteher dieser Ressourcen-Anstalt oder dieses Casino-Wesens ist ein denkender Mann; ich nahm ihn beiseit in ein Nebenzimmer, von wo man durch Glasthüren Alles im Saal beobachten kann, und machte ihn auf jenes bedenkliche Hin- und Herrutschen aufmerksam. »Wollen Sie denn nicht, suchte ich ihn zu persuadiren, vielleicht morgen den Versuch machen und einige gute lesbare Journale, oder einige scharfe Schriften gegen die Regierung über jene Polster spannen lassen, um zu sehn, ob meine Vermuthung sich bestätigt?« »Wie, Herr, fuhr mich der Mann an, indem er mich mit seinen großen Augen betrachtete: was fabeln Sie mir da von einer neuentdeckten Thierart? Es sind lauter würdige Herren und ausgezeichnete Männer, die das Beste des Landes und der Welt im Auge behalten. Sie rutschen heute übermäßig, das ist wahr, das kann aber auch vom Denken oder vom bewegten Gemüthe herrühren. Auf keinen Fall aber dürfte ich es gestatten, wenn Sie auch 78 wirklich Recht hätten, daß alle diese Mitglieder in Naturalibus da säßen, um zwei Zeitungen zu gleicher Zeit lesen zu können.« »O Sie kurzsichtiger Mann! rief ich aus; brauchen Sie denn nicht selbst Brillengläser? Sieht man nicht durch einen Flor und Sieb? Und so würden sich die Beingewande gestalten; Fabrikherren würden mit scharfem Blick die Zeuge entdecken und verfertigen, durch welche sich am besten lesen ließe; neuer Flor des Gewerbes, frische Aufmunterung zur Arbeit und Speculation.«

So stand die Sache vor meiner Abreise, ehe ich in das Nebelleben oder den Leben-Nebel gerieth. Wie ich zu meinen Reisengefährten wieder zurück kam, weiß ich selbst nicht, wie aber in der Nacht der Camin so gar gewaltig rauchte, war ich wieder bei ihnen und bei mir. Aus dem soliden Nebel gerieth ich aber in eine noch wolligere und flockenreichere Väterlichkeit und Mutterempfindung mit Zwillingen und Drillingen u. s. w. Was aber merkwürdiger ist, als solche Lappalien, ist, daß man unter feierlichem Schießen Carlsbad noch höher als Teplitz gestellt hat, es noch drüber hinauf gesetzt; so kommt die Meeresfläche immer tiefer, und da das Meer außerdem schon abnimmt, so wird es kein Wunder seyn, wenn wir ganz auf das Trockne gerathen. Bei den Heiling-Felsen sind Braut und Bräutigam, Priester und Brautjungfern in Stein verwandelt, ich habe sie selber stehn sehn. Daß die Leute nach der Hochzeit recht ledern und hölzern werden, erleben wir alle Tage, es ist kein großes Wunder, daß diese damals, in einem noch unaufgeklärten Jahrhundert, das Prävenire gespielt haben, um in jenem beliebten Stein der Hölzernheit zu entgehen.

Aber in den herrlichen Gegenden habe ich etwas sehr Wichtiges, und wovon ich noch keine Erfahrung hatte, kennen gelernt. Immer habe ich es geglaubt und Dir 79 gepredigt, daß Adam und Eva vor ihrem Falle nicht so körperliche grobe Speisen genossen, wie wir jetzt mit den thierischen Zähnen sie zerbeißen und zermalmen, sondern daß sie die geistigen Essenzen, die unsichtbare Kraft der schönsten Gewächse und der himmlischen Kräfte einsogen. Wie einem denkenden Forscher nun wohl wird, wenn sich ihm eine solche mystische Ueberzeugung durch unumstößlichen Beweis vergegenwärtigt, ist mit Worten nicht auszusprechen. Sie nennen's in ihrer sterblichen Unbeholfenheit einen rothen Ungarwein, und mit anmaßendem Kunstausdruck die Mennische Essenz. Wer aber die wahre Sprache kennt und den Urtext versteht, sieht durch den grob ersonnenen philologischen Kniff, und erkennt aus der echten Etymologie, daß Adam es damals auf seinem höhern kritischen Standpunkt die Menschen-Essenz nannte; und das ist sie denn auch, und mein Forschen und Ergründen dieser Materie gereut mich so wenig, daß binnen kurzem mehrere Flaschen von diesem Liquor, dieser Essenz, bei Dir in Guben eintreffen werden, die ich wohl aufzubewahren Dich bitte. Wie sehr es Sünde war, vom Baum der Erkenntniß zu naschen, darin, wie in allen meinen religiösen Ueberzeugungen, hat mich diese Wunder-Essenz von neuem gekräftigt. Denn wie man sie nur ein Weilchen genossen hat, und sie wieder schmeckt, und von neuem versucht, führt sie uns bald in jenes selige Land, wo alle Kenntniß aufhört und verschwindet, wo das trockne, kümmerliche Bewußtsein immer mehr verdämmert und verdunstet, um, wenigstens auf einige Zeit, den sündhaften Zustand der Erkenntniß des Guten und Bösen abzuschütteln. Nein, dieser Gegensatz hört dann auf, und man lebt einzig und allein im Guten, in dieser Menschen-Essenz. O wie neidisch meine Freunde waren, daß ich diese Entdeckung gemacht hatte, die unsrer ganzen Weltgeschichte eine andre Richtung geben kann. 80 Uebrigens liegen im Hochheimer und Johannisberger auch ganz respektable Richtungen verborgen, und eben jetzt steht eine Flasche vom letzteren neben mir, aus welcher ich Deine Gesundheit trinke.

Unser Weg muß sonderbarer Weise vor Prag vorbeigegangen seyn, denn die Straße führt nicht durch, und doch soll Prag die Hauptstadt von ganz Böhmen seyn. Wir sind wenigstens durch Franken gekommen. Endlich aber ist doch unser Kotzebue anerkannt, und es hat sich erwiesen, daß er alle Alten und Neuen übertrifft; man sollte ihn aber zum Patentdichter machen, daß kein andrer, so lange er lebte, Theaterstücke schreiben dürfte.

In Würzburg in der würzhaften Landschaft haben wir im Wirthshause mit vieler Anmuth gewohnt, denn in Bamberg hatten sie einen ambulanten Gottesdienst und cassirten mit vielem Spektakel die silbernen Sachen von Werth ein, weshalb es uns dort nicht gefiel, so alt auch der Dom seyn mag. Wir haben auch auf der Stelle gestanden, wo Otto von Wittelsbach den Kaiser Philipp ermordet hat. Die Ruine gehört einem berühmten jüdischen Arzt, welcher mit aller Gewalt unsern Freund Walther trepaniren wollte. Er ist aber bis dato noch nicht rasend, und erhielt eine Ehrenerklärung. Nur kaufen will dieser neugierige Mann vielerlei, und er kann es, weil er reich genug zu seyn scheint. Bei der Treppe im fürstlichen Schloß zu Würzburg ist ein kurioses vielfaches Echo, das hat er richtig erstanden, um es bei sich zu Hause, in seinem Garten anzubringen. Man war dabei, es sehr vorsichtig einzupacken. Das Auspacken an Ort und Stelle aber muß mit noch größerer Circumspection geschehen. Denn die Sache ist fast, nur im Großen, wie mit einer Champagnerflasche. Das Ding darf nicht in alle Lüfte verflattern, wo es keinem Menschen zum Gewinn 81 ist. Im Garten muß es an der rechten Wand sehr künstlich eingefugt und eingeleimt werden, damit es richtig antwortet und nicht auf Schwarz Weiß, auf Ja ein Nein spricht. Herr Walther will sich dann einen tüchtigen Mann vom Amt kommen lassen, der mit Echos umzugehen weiß, und selbst nur ein Widerhall seines gnädigen Herrn ist, der soll ihm das Ding pfropfen oder inokuliren, damit es noch öfter und lauter jede Anrede nachspricht. Ein in Ruhestand versetzter Geheimer Rath braucht sein Echo nicht mehr in der Sitzung abzugeben, und dieser, hofft Walther, wird ihm dieses für ein Billiges ablassen. Denn das ist auch zu observiren, daß das Echo, wenn es nun wieder gelüftet wird, nicht dem Freunde Walther oder einem andern würdigen Manne in den Hals fährt. Davon hat man schon merkwürdige und traurige Beispiele. Der Minister in – (ja da um die Ecke, rechts oder links von uns, Du brauchst es eben nicht so genau zu wissen) war der beste Kopf im Lande, nur widersprach er dem regierenden Herrn immerdar. Plötzlich (und die gewöhnlichen Menschen meinen, es sei durch eine Gehaltsverdopplung bewirkt, was aber die Erscheinung weder psychologisch noch physiologisch erklären würde) spricht er wörtlich und buchstäblich Alles so, wie sein Landesvater. Zur Erheiterung war dieser große Kopf in ein Bad gereiset, in dessen Nähe sich ein ganz vorzügliches Echo aufhielt. Der Minister spielt mit dem Dinge, wie mit einem jungen Kätzchen, frägt, läßt antworten, schreit und singt, um das Wesen recht von allen Seiten kennen zu lernen; darüber wird er müde, er gähnt, ohne die Hand vor den Mund zu halten, und die boshafte Creatur benutzt den Moment und springt ihm in den Hals hinein. Nun kann er es nicht loswerden, so sehr er Medicin braucht. Im Bade ist das Echo seitdem 82 fort. Die Dummen behaupten, weil die Bergleute eine vorlaufende Felsenwand weggesprengt haben. Nein, auf eben beschriebene Art sind sehr viele dieser Echoisten entstanden, die der gemeine Mann zu oft mit den Egoisten verwechselt, die freilich auch manchmal nahe an einander grenzen, wie die Buchstaben g und h.

Unser Walther hat neulich etwas gethan, wovon alle Philosophen und Denker immerdar ausgesagt haben, es sei unmöglich. Er schwang sich nehmlich auf dem Rade der Fortuna um, und es gelang ihm, oben auf dem Gipfel wenigstens eine halbe Stunde lang ungestört zu verharren. Er hätte also den Nagel oben einschlagen können, wenn er nicht selbst vernagelt gewesen wäre, denn er fluchte und wetterte, um nur wieder hinabzugelangen. Ein wunderliches Frauenzimmer, vielleicht die Fortuna selbst, sah ihn dort oben thronen und lachte, wie es mir schien. Ich konnte sie aber nicht erhaschen. Man schrie ihr Maschinka nach. Hieß nicht die geheimnißvolle Unbekannte so, die bei uns logirte? Mir schien auch, aber ungewisser Schein nur, als sähe sie jener Flüchtigen ähnlich. Aber mein Studium und der Genuß der himmlischen Essenzen macht, daß ich mich solcher irdischen Dinge nur sehr dunkel erinnere und keine Rechenschaft davon geben kann. Wenn sie es war, ist sie mir und den Uebrigen wieder entlaufen, ob wir gleich alle hinter ihr drein waren. Walther, der Herabgestiegene, auch. Fortuna aber oder Maschinka war verschwunden.



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